04.04.2024

Agisterstein_mit_Sul.JPG

Agisterstein (Schreckensstein) mit Irminsul - Eine Skizze aus dem Bestand der Deutschen Ahnenerbes.

 Das Schicksal der Irminsul

Der Begriff „Irminsul“ ist keineswegs ein nur norddeutscher Ausdruck. In zwei Predigten aus Bayern des 12. Jhs. wurden Bekenner des Glaubens als „Fürsten und Irminsule der Christenheit“ und „boume und irminsule der Christenheit“ bezeichnet (Zitate von Herta Kollenz, Graz, in „Festschrift f. Frh. Bolko v. Richthofen“, 1974). Weiter kommt „irmansuli“ zweimal in der „Kaiserchronik“ des 12. Jh. vor, als „hohe Säule“. Irmin, irmana- scheint, wie anhand des Sprachmaterials erkennbar, die Bedeutung von „groß / erhaben / gewaltig“ besessen zu haben.

Mein zusammengefasstes Verständnis der Vorkommnisse: In den fränkischen Reichsannalen, die ja nie neutral waren, vielmehr den König über Gebühr lobten, heißt es vom Jahr 772: „Damals hielt der milde König Karl eine Versammlung in Worms und begab sich von hier erstmals nach Sachsen“. Nach dem Reichtag zu Worms und den anstehenden militärischen Besprechungen, marschierte das Frankenheer gerade in nördliche Richtung ca. 230 km, nach der sächsischen Feste Eresburg-Obermarsberg („Erisburgo“), wo König Karl die Wallanlagen und das Irminsul-Heiligtum („Ermensula“) drei Tage lang von seinen Pionieren schleifen ließ. Der Haupttross des Heeres wird derweil nach Norden, in Richtung der Weser, weitermarschiert sein, zum Gestirnsbeobachtungs-Heiligtum im Osning/Teutoburgerwald, das ebenso wüst gemacht werden sollte. Der Sommer war heiß, so dass das Heer, oder seine Vorausabteilung, nach einer Strecke von ca. 40 km, eine Rast einlegte und zwar bei Altenbeken, wo der intermettierende „Bullerborn“ seine Wasser spendete; die wegemüden Krieger konnten sich satttrinken. Dazu informieren die „Annalen“: Karl „nahm das Gold und Silber, das er dort [in der Eresburg oder dem Irminsul-Heiligtum] fand, mit sich.

Es gab eine große Trockenheit, so dass es dort, wo die Irminsul stand, an Wasser fehlte. Während der vorgenannte ruhmreiche König dort zwei oder drei Tage bleiben wollte, um dieses Heiligtum gänzlich zu zerstören und sie kein Wasser hatten, da stürzten plötzlich durch Gottes Gnade um Mittag, als das ganze Heer an einem Bachlauf ruhte, ohne dass irgendjemand etwas wusste, Wasser in solcher Fülle daher, dass das ganze Heer genug hatte.“ Die Chronologie scheint plausibel, bis auf die fehlende, aber zu rekonstruierende Kunde, dass das Heer, oder eine Teileinheit, bis zu „einem [trockenen] Bachlauf“, eben dem von Altenbeken, von der Eresburg aus weitergewandert war, denn das Heer „das an einem Bachlauf“ ruhte, der zunächst kein Wasser führte, kann zeitlich nicht das gleiche gewesen sein, das die Eresburg und und die dortige Irminsul zerstört hatte. Dazwischen lag eine in den „Annalen“ nicht ausdrücklich erwähnte Aktion, nämlich der Weitermarsch nach Altenbecken. Bei Obermarsberg liegt der Fluss Diemel, dort kann das Heer keine Wasserknappheit erlebt haben. Bei Altenbeken aber können die Bäche, wie Ellerbach und Rothenbach, im Sommer trocken liegen, da sie im karstigen Kalksteingrund versickern, so dass der Ellerbach bis zu seiner Mündung in die Altenau zumindest oberirdisch kein Wasser führt. Bis zum Externstein ist es von hier noch eine anderthalbstündige Wegstecke (ca. 17 km). Mehrere Gelehrte haben in den vergangenen Jahrhunderten den periodisch sprudelnden Born, den „Bullerborn“ am Fuße des Eggegebirges aufgesucht und hierüber schriftliche Zeugnisse verfasst. Im Weiteren traf sich König Karl mit einigen Sachsenfürsten, schloss mit ihnen einen ersten Vertrag und zwang die Sachsen, ihm zwölf Geiseln zu stellen. Diese Zuammenkunft könnte am nahen hl. Agister-/Externstein zustande gekommen sein.

Noch einmal die Angaben: Die „Annales Laureshamenses“ oder „Lorscher Jahrbücher“ berichten über einen Zeitraum der Jahre 703-818 der karolingischen Verhältnisse, ab 778 berichten sie recht ausführlich über die Reichsgeschichte. Die „Lorscher Jahrbücher“ vermelden vom Beginn Frankenkönig Karls Sachsenkrieg: „Damals hielt Herr Karl, der mildeste König, einen Reichstag zu Worms und drang von da zum ersten Male nach dem Gebiet Sachsens vor, nahm die Feste Eresburg, kam bis zur Ermensul und zerstörte das Heiligtum selbst und raubte Gold oder Silber, was er dort fand.“ Die fränkischen „Annalessancti Amandi“ erklären zum Jahr 772: „König Karl führte Krieg gegen die Sachsen in Heresburg“, worunter Obermarsberg an der Diemel gemeint war. Die „Annales Moselani“ schreiben gleichzeitig: „König Karl war feindlich in Sachsen und zerstörte ihr Heiligtum, das Irmensul heißt.“ In den „Petauer Jahrbüchern“ heißt es: „Der Herr König Karl drang nach Sachsen vor und eroberte die Eresburg und kam zu dem Ort der Ermensul heißt und verbrannte jene Orte.“ Ebenso der Verfasser der „Annales Einhardi“, er notierte, dass Karl „alles mit Feuer und Schwert verwüstete, die Feste Aeresburg zerstörte und das Götzenbild, das Irmensul von den Sachsen genannt wurde.“

Der Mönch Rudolf von Fulda gab der Nachwelt verwirrende Kunde von der altsächsischen heiligen Irmin-Säule in einem zum Jahr 863 gefertigten Text, in „De miraculis sancti Alexandri“ (Kap. 3), wo er schrieb: „Truncum quoque ligni non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum lingua Irminsul appellantes, quod Latine dicitur universalis columna, quasi sustinens omnia.“ Das heißt deutsch: „Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Holzstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch ,columna universalis‘ [deutsch: All-Säule] bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.“ Die Begriffe „truncum-ligni“ wurden in der Regel als „Holz-Rumpf“ bzw. als „Baumstamm“ übersetzt, was wohl schon im schmähenden Sinne des Rudolf von Fulda lag, der bewusst nicht von einer Säule sprach, sodass wir annehmen sollen, dass es sich nur um ein primitives, aus Holz gefertigtes Weltsäulen-Idol gehandelt habe. Fraglich ist, ob das Latein des Rudolf so gut war, dass er die Texte des Vitruv kannte, dem röm. Architekten und Ingenieur des 1. Jh. v.0, welcher „truncus“ sehr wohl im Sinne eines Säulenschaftes gebrauchte. Nachweislich konnte „truncus“ im Lateinischen nicht allein für hölzerne Formungen der Art in Anwendung kommen. Sowieso wird eine Säule die, wenn auch nur symbolisch, das All tagen soll, in der sächsischen Zentralkultstätte nicht aus dem vergänglichen Material Holz geschaffen worden sein, sondern viel eher aus einem feuerbeständigen und doch leicht zu bearbeitenden Sandstein. Zum Glück kennen wir die schlüssigere Schilderung eines im Kloster Corvy um 888/891 wirkenden Geschichtsschreibers, Poeta Saxo, der die „Annales de gestis Caroli Magni imperatoris“ verfasste. Er informierte über den Charakter der Kultsäule, dass es kein unstrukturierter, glatter Stamm gewesen ist, er schrieb: „Irminsul benannte das Volk und verehrte als heilig ein in Säulengestalt gen Himmel ragendes Bildwerk trefflicher Arbeit fürwahr und auch gar herrlich gezieret. Diese zerstörte der Krieg und blieb selbst drei Tage in einem daneben errichteten Lager.

Damals, als die Hitze des Sommers lange fortdauerte, und der Himmel heiter war, brannten die Felder und in den Quellen selbst war kein Wasser; von vielem Staub starrten die Flüsse.“ Nach anderer Übersetzung: „…ähnlich einer Säule gewesen, von nicht geringer Kunst und gleicherweise Zierde.“ Zu lesen in „Poetae Saxonis annalium de gestis Caroli magni imperatoris libri quinque”, MGH SS I - Lib. I, 65. Das bisher Gesagte schließt ein Vorhandensein von weiteren Irminsulen, in anderen Kulthöfen des Nordens, nicht aus. Seit den Ereignissen um die Fällung und Einholung der Irminsul waren Jahrzehnte vergangen. Rudolf von Fulda war seit 812 in der Kanzlei des Klosters tätig und betreute zunächst dessen Urkunden. Dabei fälschte er mehrere dieser Dokumente, was den Beurkundeten, dauerhaften Erhalt klostereigener Besitztümer gewähren sollte. Dass die Klöster skrupellose Fälscherwerkstätten waren ist längst aufgrund vieler textkritischer Nachweise erkannt worden. Auch Rudolfs Aussage mit dem undeutlich-mehrdeutigen Wort „truncum“ für die Irminsul, die lediglich ein „hoher Baumstamm“ gewesen sei, wird der Täuschung der Öffentlichkeit gedient haben, um zu verheimlichen, dass der Sachsen altes Volksheiligtum in einem, salopp formuliert, Fuldaer „Kirchenkeller“ schmachtet, wie ich im Folgenden hier wieder ausführen werde, was ich fast gleichermaßen mündlich sowie in diversen Publikationen seit 1981 vortrug, z.B. in „Mitteilungsblatt des Arbeitskreises für Ur-Sinnbild-Forschung e.V.“, Jan. 1984 und in „Pen Dragan - Briefe für deutsche Heiden“, Juni 1986. Rudolf von Fulda wusste genau was Sache war, um die Causa Irminsul, denn er hat ihren Einbau im Jahre 822 erfahren und erlebte die Fuldaer Betriebsamkeiten bis zu seinem Todesjahr 865.

Das Schicksal und der Verbleib der Irminsul ist, den Überlieferungen zufolge, so zu rekonstruieren: Auf dem hervorragenden Bergsporn der Eresburg/Obermarsberg stand sie, weit ins Land schauend. Die fränkischen Reichsannalen berichten zum Jahr 772, dass sie von den Truppen Frankenkönigs Karl im Sommer zerstört worden sei. Eine solche Kriegstrophäe zerstört kein Sieger, er deponiert sie als genugtuendes Objekt seines Triumphes. Dem theologischen niedersächsischen Landeshistoriker Johannes Letzner (1531-1613) aus Hardegsen, waren noch Überlieferungen bekannt, auf die sich sein Bericht von 1590 stützt. Er erwähnt seine Quelle Albertus Crantzius. Albert Krantz/Crantzius (1448-1517) war geistlicher Gelehrter und Diplomat im Auftrag der Hansestädte Lübeck und Hamburg. Er wurde ehrend als „Geschichtsschreiber des Nordens“ bezeichnet. Letzner vermittelt, dass die Säule zuerst an einen geheimen 60 km entfernten Platz verschleppt und vergraben worden sei, nämlich dorthin, wo ca. 40 Jahre später, seit dem Jahre 817/822, das Kloster Corvey errichtet wurde. Dort hat man sie in der Zeit Ludwigs des Frommen wieder aus dem Erdboden geholt, um sie nach Hildesheim zu bringen. Im „Achtzehende Capitel. Von der Armenseul, so man zu Corbej funden“, liest man folgenden Text:

„Aber diese itzterzehlete Heidnische Götzen, haben die Sachsen ehe sie zum Christlichen glauben bekeret worden, einen sonderlichen Abgott gehabt, den haben sie Armen oder Irmenseul, das ist jedermans Seul oder auch wol der Armen trost, genandt, auch ihn dafür geehret als einen Gott, und mit grosser andacht in ihren nöthen angeruffen… Andere wollen, Es solle die Armenseul in Westphalen auff einem berge in einem sonderlichen dazu gebaweten Tempel gestanden haben, welcher meinung neben mir viele andere beyfall geben. … Als nun Carolus Magnus Anno Chriti 772. Die Sachsen bey Osenbrugk erlegt und erschlagen, hat er auch diesen Tempel darin die Armenseul gestanden zerstöret und zerbrochen. Ob er aber das Bildnis gantz und unverseret habe wegführen unn etwan in die Erden verscharren lassen, damit es den Sachsen aus den augen keme, oder ob solchs die Sachsen selbst gethan haben kan man nichts eigentlich wisseu. … Conradus Fontanus schreibt, es sey dieses Bildtnüß am selben orth gantz heimlich und verborgen behalten, bis auff die zeitm als Lodowicus Pius Keyser wurden, das stifft Hildenßheim unnd Corby gestifftet, da habe er das vielbemelte Bildniß wollen von dem orth weg bringen lassen, damit es den Leuten aus ihrer macht unnd aus den augen komen möcht. Als man nu in der Nacht dahin komen, das Bildt langen wollen, sey es nicht fürhanden gewesen, und nur die blosse Seul funden worden, die man auff einen wagen gelegt, unnd damit nach Hildenßheim zu gefahren. Was nu unter dem gemeinen Volck der Sachsen noch Heidnisch und Abgottisch gewesen, unnd den morgen geshen, das die Seule von abhanden komen, haben sich dieselbigen gantz feindlicher weise zusamen gerottieret, dem spuhr des wagens gefolget, bis ins stifft Hildenßheim, an den orth da ißundt das Dorff Armenseul, den Junckern von Stockheim zustendig, stehet, und den wagen gantz grimmiglich angefallen, in meinung der Seul, wor auff etwan ihr Gott gestanden, wider mechtig zu werden, die andern aber haben sich tapffer gewehret, und sindt in diesem geringen scharmützel acht Mann zu beiden seiten todt blieben, aber man hat gleichwol die Seul gen Hildenßheim bracht. An diesem orth hat man zum gedechtnisse etliche Leichsteine gesetzt und denselben orth Armenseul genandt. … Als man aber die vielbenandte Seul gen Hildenßheim bracht, hat man sie in den Thum für den hohen Chor, zu einem Leuchter gesetzt, worauff meins behalts zwelff Liechter stehen können, ist gantz zierlich unnd arthlich außgemacht. Wann man mit einem messer oder dergleichen daran schlegt, so gibt sie einen gantz hellen schal von sich, In grosser hitz des Sommers ist sie fast kalt, und schwißet gleichwohl. Gleich als nun diese Seul, zuvor deu Heidnischen Sachsen, in ihrem Tempel hat dienen müssen, also dienet sie nu in dem Thum zu Hildenßheim. Und mus in dem, daselbst gebreuchlichen Ceremonien etliche Liechter halten.

Man hat auch zu Hildenßheim, diesem zerstöreten Gotte, eine ewige memorien unnd gedechtniß gestifftet, so alle Jahr, ungefehrliche umb Mitfasten, volgender gestalt gehalten wirt. Etliche Knaben komen auff dem kleinen Thumhoffe zusamen, setzen einen pfost in die Erden, unnd ein kleines höltzlin darauff, damit wirt die Armenseul mit dem darauffstehenden Gott bedeutet, darnach tretten sie alle an einen gewissen orth, und wirfft ein iglicher mit einem kurtzen höltzlein nach dem gesetzten ziel, welcher ihrer dan das auffgesetzte höltzlin trifft und herunter wirfft, der ist König, und hat das beste gethan, auch aus der Kemerey einen sonderlichen gewin zugewarten.“

So säte und schürte die Römische Religion schon unter die Kinder Hass und Verachtung gegen den Glauben der Ahnen und damit gegen die Nation, sie spaltete die Gesellschaft und vermittelte im Kern einen psychotisch-kritischen Vorbehalt und ein Misstrauen gegen alles Eigene, das bis heute nicht überwunden wurde, ganz im Gegenteil.

https://books.google.de/books?id=DbFSAAAAcAAJ&printsec=frontcover#v=onepage&q&f=false

Soweit der Bericht und jetzt die folgerichtige Rekonstruktion des weiteren Herganges. Als die Mönche von Corvey, respektive die Kirchenbehörden, erleben mussten, welche Unruhen die altheilige Irmensul bei ihrem Wiederzutagetreten auszulösen fähig war, was nur mit ihrem „heidnischen Dämonismus“ erklärt werden könne, beschlossen sie, das Objekt erneut unter die Erde zu verbannen, aber ihre Kraft, gleich einer Gefangenen, sich dienstbar zu machen. So etwa ist damaliges christgläubiges Denken zu verstehen. Wahrscheinlich haben die Kirchenbüttel die beteiligten Männer des Angriffes auf den Irminsul-Transportwagen als Aufständische behandelt und nach den üblichen Folterungen zu Tode gerichtet. Die Sul aber auf direktem Wege in Richtung Süden, über die Stationen der christfrommen Plätze Gandersheim, Northeim, Göttingen, Hersfeld, dem Kloster Fulda ausgeliefert. Das benediktinische Reichskloster Fulda geht auf die Gründung durch Bonifatius und dessen Schüler und ersten Abt Sturm/Sturmius zurück, der an einer Fuldafurt, in einer Fuldaaue namens Eichloha i.J. 744 die Klostergründung begann. Die meisten Informationen über das Leben Sturmis stammen aus der von Abt Eigil verfassten „Vita Sturmi“ aus den Jahren 818-820. Die Mönche von Fulda glaubten das erste Anrecht auf die Irminsul-Trophäe zu besitzen, denn ihr i.J. 779 verstorbener Abt Sturmius war es höchstselbst, welcher am blutigen Eroberungs- und Zerstörungszug des Frankenkönigs Karl gegen die Sachsen des Jahres 772 teilgenommen hatte und also die Fällung der Irminsul oben auf der Eresburg persönlich miterleben konnte. Es wäre gut möglich, dass Karl seinem mönchischen Begleiter schon damals die Sul, auf dessen Bitten hin, für sein Kloster versprochen hatte, sie aber aus mancherlei Gründen, zunächst zwischengelagert werden sollte, nämlich auf dem Weg durch die Täler, nach Überquerung der noch schmalen Diemel, hinter der Eresburg, dann immer linksseitig von Diemel und Weser, ohne weitere Flussüberquerungen, bis zum Ort wo der Klosterbau Corvey geplant war. Sie war, wie wir durch Johannes Letzners Bericht hörten, zurzeit des Kaisersohnes Ludwig I. „der Fromme“ (778-840) wieder ausgegraben worden.

Die ersten Jahre seiner Herrschaft waren von einem großen Reformwillen geprägt, er gab viele neue Gesetze heraus und strengere Regeln sollten die korrekte Christianisierung vorantreiben. Auf einer Synode im Jahr 813 soll er den „Michaelstag“ anstelle eines Festes des germanischen Gottes Wotan/Odin festgelegt haben, sodass der hebräische Erzengel zum Schutzpatron des sich langsam herausschälenden deutsch-germanischen Ostfrankenreiches wurde. Seine Königsboten („missi dominici“) berichteten ihm von erschreckenden Missständen der Kleriker im Reich, wie Amtsmissbrauch, Rechtsbeugung und Völlerei. Auf verschiedenen Synoden (Kirchenversammlungen) wurde das Kirchenrecht reformiert. Auch in die Streitigkeiten des Klosters Fulda griff er ein. Abt Eigil (um 750-822), ein Verwandter des Gründerabtes Sturmi, hatte i.J. 817 eine Beschwerdebitte („Supplex Libellus“) vorgebracht, den Abt Ratgar abzusetzen, was Ludwig auch vollzog. Nach der Absetzung Ratgars befahl Kaiser Ludwig die Einführung einer Reform nach den Benediktiner-Regeln des südfränkischen Abtes Witizia, der den Namen „Benedikt von Aniane“ angenommen hatte. Als Eigil i.J. 818 vierter Abt des Fuldaklosters wurde, musste er Ludwigs Verfügungen akzeptieren.

Gewissermaßen zur Belohnung und Anerkennung seiner Leistungen bekam er wohl das verkürzte Irminsul-Bruchstück vom frommen Ludwig geschenkt. Zwei Jahre darauf begann Abt Eigil mit dem Bau der Michaelskirche in Fulda, deren Bauzeit bis 822 währte. Sie diente als Totenkapelle des 744 gegründeten Klosters und als Grablege ihres Erbauers Eigil. Der als Zentralsäule der Unterkirche eigebauten Irminsul wurde pikanterweise die Aufgabe zuteil, sinnbildlich das gesamte Sakralgebäude zu tragen, so wie der mythologische Riese Atlas (altgriech. „tragen, erdulden“) das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt. Aus Sicht des Kirchenchristianismus hat die germanisch-sächsische Irminsul, als Allsäule („columna universalis“), damit ihre ursprüngliche, nur „christlich veredelte“, Aufgabe beibehalten, nämlich jetzt die kirchliche Gedankenwelt und Herrlichkeit zu (er)tragen. Eine Biographie i.J. 840 des Abtes Eigils verfasste der Mönch Brun Candidus von Fulda (ca. 770-845), ein priesterlicher Maler (Buch- sowie Wandmalerei), Schriftsteller und Verfasser einer weiteren Abts-Biographien, der verlorenen „Vita Abt Baugulfs“.

Die Michaelskirche in Fulda wurde im karolingischen Baustil im Auftrag von Abt Egil, ab dem Jahr 820 erbaut und am 15.01.822 durch Erzbischof Haistulph dem „Erzengel Michael“ (Wodan-Ersatzfigur) geweiht. Sie zählt zu den bedeutendsten mittelalterlichen Kirchen Deutschlands und diente zwar als Grablege des Egil und als Totenkapelle des Klosters Fulda, welches als führendes Missions- und Unterwerfungszentrum für das niedergeschlagene Sachsenland galt. Der Fuldaer Mönch Brun Candidus lieferte in seiner „Vita Abt Eigils“ bedeutsame Kommentare zur Bausymbolik. Die Michaelskirche steht in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fuldaer Dom auf dem Michaelsberg. Von dem ursprünglichen karolingischen Baukomplex hat sich nur die Krypta erhalten, weil wahrscheinlich im Verlauf eines Ungarneinfalles, der eigentliche Kirchenbau zerstört wurde. Der in früher Tradition stehende Zentralbau erhob sich wie noch heute als Rotunde über acht Säulen. Der Zentralraum wurde durch einen ursprünglich sicher nur eingeschossigen, heute zweigeschossigen Umgang, umfangen. Die Rotunde besaß ursprünglich ein Gewölbe oder eine Kuppel mit einem sichtbaren Schlussstein. Unter der Kirche befand sich die als Untergeschoss angelegte über zwei konzentrischen Mauerringen und einer Mittelsäule gewölbte und von außen zugängliche Krypta. Sie besaß demnach einen Zentralraum, der durch den inneren Mauerring gebildet und auch hier von einem tonnengewölbten Umgang umfasst wurde. Im Zentrum befand und befindet sich die kurze Mittelsäule mit ihrem Kapitell, das bei ungenauer Beobachtung einem ionischen Säulenhaupt gleicht, aber unregelmäßige Windungen hat, also den heidnischen Sonnenlauf-Symbolen entspricht. Das Ionische-Säulenkapitell hat absolut symmetrische, sich zum Ende hin verjüngende Spiralwindungen, nicht aber ungleichmäßige Linienbänder wie die Fuldaer Säule. Hier handelt es sich weder um ein „Ionisches-Kapitell“, noch um ein „ionisierendes Kapitell“, wie zuweilen in den Beschreibungen formuliert wird. Zusammen mit der inneren Ringmauer trägt die Mittelsäule den Gewölbering. Als Grablege ihres Erbauers, Abt Eigils, geplant, verfügte die Krypta ursprünglich weder über einen eigenen Altar noch über eine räumliche Verbindung mit dem Obergeschoss. Eigils Grab befindet sich noch heute zusammen mit einem weiteren im Ostteil des Umgangs. Die Zentralsäule ist mit hoher Sicherheit die durch gewaltsamen Bruch verkürzte Irminsul der Sachsen, die ursprünglich in einer heidnischen Kultanlage auf dem höchsten Felsensporn von Obermarsberg - der sog. sächsischen Eresburg - weit ins Land hineinschauen konnte, bevor sie wahrscheinlich durch Fuldaer Mönche, mit Billigung des ihnen sehr gewogenen Frankenkönigs Karl, in den Raum Corvey weggeschleppt worden ist. Bei Schändung und Zerstörung des Irminsul-Haines und anderer Kultanlagen dürften ihre Paradestücke gewollt und bewusst zerbrochen worden sein, so dass sie in stark verkürzter Länge in die kirchchristlichen Sakralbauten als Trophäen eingearbeitet werden konnten. Der Mönch Brun Candidus deutete die Gesamtkonzeption als symbolische Repräsentation der Beziehung Christi und der Kirche, die Irminsul in der Krypta und der Schlussstein seien - man höre und staune - Symbole für Christus. Er verschweigt natürlich den Namen und die Herkunft der Säule. Aber er verrät sich, indem er die altheilige All-Säule als die höchste Heilsfigur des neuen Glaubens bezeichnet. Als hätte es je christlicher Auffassung entsprochen, den „Erlöser“ unter die Erde zu verbannen, um dort das schwere Amt zu übernehmen, den Michaelskappellenbau zu stützen. Aus den 8 Tragesäulen spricht ebenso die altheidnische Sichtweise vom Himmelsgott Tiu-Tyr, welchem in der runischen Geheimsymbolik die 8. Rune zugeordnet worden ist (siehe „ODING-Wizzod“-Lehre). Die schon altheidnische Kreisform versinnbildliche, so Brun Candidus, das ewig kreisende Leben und die dauerhaften Belohnungen, die die Gläubigen dort erhoffen könnten; aber letztlich doch die vorchristliche Reinkarnationslehre. Wie ambivalent-verquast das auch hier sichtbar werdende Denken der mittelalterlichen Kuttenträger war, geht u.a. daraus hervor, dass die Krypta der Michaelskirche als Beinhaus der Mönche diente, das heißt, hier lagerten die faulenden Leiber und Knochen der frommen Herren. Welch ein Geruch dort herrschte kann man sich unschwer vorstellen -, und ebenso das Vergnügen der lebenden Mönche, das heidnische Sinnbild diesem dauerhaften Gestank auszusetzen.