Wie ich mittels der Erklärungen zur 6-Zahl, versuchte verständlich zu machen, ist die fundamentale Aussage der im ODING festgeschriebenen Runen-Religion ein klares Bekenntnis zur Dualität. Und zwar in dem Sinne, dass ein Kampf herrsche in dieser Welt, dass aber beide Seiten zur ausgewogenen Weltgesamtheit notwendig seien.
 
Es steht die 3 gegen die 4. Die 3 bedeutet Geist und 4 bedeutet das materiell Weltliche. Die 4. Rune ist die Wasser- und Lauch-Rune, sie bedeutet Fruchtbarkeit, aber im rein irdischen Sinne. Die höchste Auseinandersetzung des geistigen Menschen ist der Kampf zwischen seinen groben leiblichen Bedürfnissen, den Triebansprüchen und seinem geistigen Streben eben davon loszukommen was ihn an die Materie bindet. Der Begriff ODING heißt Geist-Kind und wie abstrakt vergeistigt die alten Erilari, die Runen-Meister, empfunden haben ersehen wir beispielsweise am durchmathematisierten goldnen Runenhorn von Rosengaard-Gallehus-Tondern. Für den Weisen, für den Denker, für den Gottesgelehrten gilt die Materie als ein Feind des Sinnens und Strebens nach höheren Einsichten. Ihm gilt die schillernde Materie als Trug, den die Altperser Drug nannten. Dahinter, so vermuten die Theosophen, muss das wahre Leben im Geiste warten. Und wie die Höheren Menschen dorthin gelangen könnten, war ihr ganzes Sinnen und Grübeln --, nur dafür wurden religiöse Wegweisungen erdacht und den Folgewilligen in den Predigten angeboten. Das ODING ist eine solche Gottesbotschaft und Predigt ! Alle 24 Runen zusammen-addiert ergeben die Summe 300, also 3. Die Runen predigen die Vergeistigung, bezugnehmend auf die Wodin-Odin-Religion. Die Materieüberwindung scheint demnach deren Teilprogramm gewesen zu sein. Dass dem materiell anrennenden römischen Feind das materielle Feld nicht kampflos überlassen werden darf, versteht sich fast von selbst, denn Runen-Religion war historisch ersichtlich nie eine Weltflucht- und Selbstaufgabe-Gesinnung. Die geistige Suche und Vervollkommnung in eigen-seelischen Bezirken bedingt die Abwehrwilligkeit gegenüber fremd-materiellen und fremd-geistigen Unterjochungsversuchen.  
 
Der kämpferische Dualismus zwischen den „Söhnen des Lichtes“ und den „Söhnen der Finsternis“ ist aus der stammverwandten eranischen Religion gut bekannt. Hier streiten die Söhne des Vatergottes, der „Angraman“ wider den „Spontaman“, der „Böse Geist“ wider den „Guten Geist“. Sie haben beide ihre Anhängerscharen und ihr Kampf wird - wie der große Lehrer Zarathustra lehrte - auch in jedermanns Brust ausgetragen. Die zwei großen Gegenspieler sind in der germanischen Religion, soweit wir darüber Zeugnisse vorliegen haben, ebenso wahrzunehmen. Balder - der gute, milde Gott ist hier der Feind des auch als blind dargestellten Höder. Der Balder-Höder-Mythos liegt in verschiedenen Ausformungen vor. In einer der Mythenzüge siegt der Balder-Feind durch einen Zauberpfeil der aus einem Mistelzweig hergestellt wurde, und der Bösewicht Loki hat dabei seine satanische Hand im Spiel. In anderer Version siegt Höder durch ein aus den Eisregionen erworbenes Zauberschwert. Ein Jahreszeitenmythos liegt diesen Erzählungen zugrunde, denn auch aus dem alten deutschen Brauchtum sind die frühjährlichen rituellen Kämpfe zwischen dem „Blumengrafen“ und dem „Strohbutz“ usw. in vielen Regionen bekannt. Zum Frühjahr, mit der Tageslichtzunahme, muss der „Gute Lichtgeist“ dominieren, während zur Herbstzeit hin der „blinde Winter“ an Macht gewinnt. In der nordische Frithjofssage, die aus dem 13. Jh. vorliegt, klingt es an, dass der Kampf des Höder und Balder auch als ein Ringen zwischen „Gut und Böse“ in der Menschenseele verstanden werden konnte.
 
Dass es sich bei den religionsgeschichtlichen „Brüderzwisten“ um Äußerungsformen eines tiefer gedachten Dualismus handeln muss, erkennen wir bei der Betrachtung des Alken-Aspektes in der germ. Religionsgeschichte. Die Alken, als Algis-Runen im Runen-System vertreten, sind als Dioskuren (Kastor und Pollux) in den indogermanischen Glaubensausprägungen hinreichend bekannt. Alken (lat. Alcis) , also Hirsch- oder Elchbrüder heißen sie im Germanischen, bei den Wandalen in Schlesien hatten sie - laut C. Tacitus (Germania, 43,3) - am über 700 Meter hohen Zobten ein Berg-Heiligtum, etwa 35 km südwestlich von Breslau. Die Alken-Brüder galten als Jünglinge. Wir finden ihre Mythen bei den arischen Indern wie bei den Balten, auch im Keltischen finden wir ihre Anklänge. Die Brüder wurden zwar als Heiler und Schützer von den Gläubigen angerufen, doch sie sind von sehr unterschiedlicher Wesenheit und streiten selbst untereinander um den Besitz eines weiblichen Wesens, sei es um die Sonne oder um den Mond (Helena). Der älteste dualistische Zug in den indogerm. Systemen ist die Gegensatzspannung von „Asen und Wanen“, die als „Asen-Wanen-Krieg“ oder „Wanenkrieg“ auch in der Edda (z.B. in Völuspá) zur Sprache kommt. Die Asen wohnen in Asgard, die Wanen in Wanaheim. Ohne Frage stellten die Asen die heroisierten Ahnengeister (Ahnenkult) dar und die Wanen die alten Himmelsgötter. Dass es zu Differenzen unter den Gläubigen kommen musste, wem mehr Macht und Anbetungswürde zukäme, lässt sich unschwer denken. Im Indischen wurden die Asuras („Lichtgottgegner“) zu bösen Geistern und die lichtgöttlichen Devas / Suras behielten allein die Bedeutung von Göttern. Im Persischen ging die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung, hier verfielen die Daevas zu Dämonen und die Asuras wurden als „Lichter des Heils“ gepriesen. Ursprünglich standen im indogerm Glauben der frühesten Zeit Asuras und Devas auf derselben göttlichen Stufe. Doch bereits im Rigveda nahm Asura die Bedeutung von „böser Geist“ an. In Indien sanken später Asuras auf die Stufe von Dämonen herab, doch im Iran blieben Ahuras nach dem Kampf der beiden gegnerischen Kräfte siegreich und die Daevas / Devas wurden entsprechend als Dämonen nebengeordnet.
 
Im zahlenmythologisierten Runen-System ist der Dualismus zwischen Gut und Böse am klarsten herausgearbeitet worden durch die Hintereinanderstellung der 21. Asen-Rune und der folgenden 22. Thursen-Rune. Der Ase ist Wodin-Odin, dem die Lichtmeister-Zahl 21 zukommt, mit der QS-Licht-3 des absolut geistig Guten, des göttlichen Sonnen-Heiles. Der Thurse aber, der 22er, gilt als der Unhold, als der welcher „mit dorniger Rute die Völker schlägt“. In „alten Handschriften“ werden die zahlensymbolische Bedeutung der 22 so beschrieben: „irrender Mann, Misserfolge, falsche geistige Einstel­lung“. (Herbert Reichstein, Praktisches Lehrbuch der Ariosophischen Kabbalistik, 1931, S.34f und Werner Zimmermann, Geheimsinn der Zahlen, 1948, S. 24) Im Ta­rot, den Orakelblättern des spätantiken Hermes-Thot, mit seinen 22 Arkanen („Ge­heimnissen“), trägt die 22. Karte, wenn schon sie nicht regelmäßig als solche gilt, son­dern als „Null“, die Bezeichnung „der Narr“. Der Begriff Narr meint ja einen Ver­rück­ten, Tollen, Toren, Irren, Rasenden, Wahnsinnigen, Geistes­kranken. Das Han­deln der abgebildeten Gestalten des Narren erscheint unüberlegt, traum­gleich, kind­haft. Es gibt Deutungen, die vom Wahn und der blinden Torheit des Menschen spre­chen. Worin diese Torheit letztlich besteht, zeigt zum einen der (nur) materiell wertvolle Goldgürtel, den der Narr um seinen Leib trägt, sowie der Du­katenbeutel, den er selbstgefällig demonstrativ am Schulterstecken mitführt. Der goldene Staub dieser Welt ist es, dem dies' Geschöpf nachstolpert - immer getrieben von den wechsel­haften Lockungen der Materie. Nicht selten steht er mit einem Bein unmittelbar über dem Abgrund schwebend, so dass ihn der nächste Schritt schon ins Verderben bringen kann. Die Umgebung des Narren be­­schreibt ein Kenner als „die Welt der Lust, des Lasters, der Falschheit, Unehr­lich­keit und Selbsterniedrigung“. Die 22. Karte im Tarot - das ja aus altgläubigen Verständnissen hervorging - heißt zwar „der Narr“, aber als ein solcher wurde ursprünglich der Teufel gesehen, der immer aufs Neue in die selbstgegrabenen Gruben fällt.
 
Was der Runenschöpfer unter dem Begriff des Thursen (isl. Runengedicht nennt ihn Saturn), des teuflischen Riesentrolls, verstanden haben muss: Ein allegorisches Wesen, welches die menschlichem Erz-Untugenden in sich vereinigt: die Ur-Dummheit, die Ur-Überhebung und -An­maßung, die materielle, woll­üstige Ur-Gier und, besondere herausgestellt, seine satanische Verführungskunst zu den Gütern der Welt. Obgleich heutige Tarot-Erläuterungen den „Narr“ milder zu deuten pflegen, weisen einige Symptome, insbesondere der ins Bild gesetzte Abgrund sowie der begleitende Hund (Unterweltsinnbild), auf den eigentlichen Sinn der Karte hin: Es ist die Warnung vor dem Absturz in die Stof­fwelt und in den fleischlichen Tod. In Papus, Gérard Encausse „Tarot der Zigeuner“, 1889/1979, S. 158, heißt es treffsicher: „Er [der Narr] geht, oh­ne auf den Weg zu achten, auf einen Abgrund zu, wo ein Krokodil darauf wartet, ihn zu verschlingen. Das ist das Bild eines Menschen, der von seinen Leidenschaften beherrscht wird und ihnen nicht widerstehen kann. Es ist das Symbol des FLEI­SCH­ES und seiner Befriedigung. Den damit ausgedrückten moralischen Standpunkt ge­ben folgende vier Zeilen von Eliphas Lévi  [Tarotkenner u. Buchautor 1816-1875] über dieses Symbol treffend wieder: „Arbeiten, seine Aufgabe erfüllen, ist Leidens­grund, / Ist Unglück dem Faulenzer, der schläft auf dem Pfad, / Der Schmerz folgt seinen Fersen wie ein räudiger Hund, / Jeder verlorne Tag ist für den folgenden Teu­felssaat.“
 
Die QS der 22 ist 4, sie spricht  von nackter Materie, dem Gegenpol zur neben­ste­hen­den 21, der geistgöttlichen QS 3. Der Pseudomethodius, eine im 7. Jh. in Syrien entstandene Schrift, nicht heidnisch zwar, verbreitete sich über die einge­schlos­se­nen, zum Weltende losbrechenden 22 fürchterlichen Völker. Diese Schreck­ens­vi­sion ist auch aus der Edda (Vsp. 49-52) wohlbekannt. Dort heißt es: Der Wolf zer­reißt seine Fesseln - von Osten stürmen die Thursen - die Weltschlange wälzt sich heran - vom Norden segelt ein Schiff, durch Loke ge­steu­ert, besetzt mit den Trol­len der Un­terwelt - von Süden verheert der Flam­men­titan Surt - der Himmel zerbirst. Die Welt der Materie, definiert durch die QS 4, wird schließlich durch sich selbst, näm­­lich die „Vier apokalyptischen Reiter“, wieder ins Chaotische zurückgeschleu­dert. Ed­disch gesehen und intuitiv gedeutet, sind diese rasenden Repräsentan­ten der 22: der sich ringelnde, d.h. sich selbst auffressende Weltenwurm heilloser Wiederge­bur­ten; der Wolf der skrupellosen, menschenverachtenden, materiellen Gier; Surt, das verzehrende schwarze Feuer, im Sinne von mhd. serde und surt, der Versehrung und Schändung durch Krankheitsgei­ster / Seuchenzüge; und Loke/Lokke, die Lügenspinne viel­fältiger ideologischer Täuschungen.
 
Der beste Beweis dafür aber, dass der Runen-Schöpfer mit dem Thursen den antigöttlichen Satan gemeint hat, geht aus dem Umstand hervor, dass er ihn im astrologisch 8. Haus, dem „Haus des Todes“, platziert hat, wo der röm. Astrologe-Astronom Marcus Manilius den antiken Teufel Typhon-Seth beschrieb. Sein Lehrgedicht ist in fünf Bücher gegliedert, genannt „Astronomica“, in dem er die damalige Astronomie darstellte. Er beschrieb erstmalig das astrologische System der „Häuser“ die er „Templa“ nannte. Die Gedichtform des Textes zeigt uns, dass es dem Autor weniger um astronomisch-wissenschaftliche Exaktheit ging, sondern in erster Linie darum, „als Dichter von den Sternen zu singen. Deshalb dient uns die Astronomica vor allem als eine großartige Übersicht über den astrologischen Mythos und Symbolismus“, schreibt ein Kenner. Die Bücher wurden zu Beginn des 1. Jh. n.0 geschrieben.