Schön gefertigt, nur leider blödsinning !
 
Objekt im Kunstmuseum von unbekanntem Künstler - Keine germ. Irminsul (Allsäule), sondern Motiv der orientalischen Palmette (Lebensbaum) mit den beiden Palmblattarmen.
Kunstmuseum Hamburg - Schöne Bild- und Text-informationen zur germanisch-deutschen Mythologie.
 
 
Die Deutschen rechneten in ältester Zeit nicht nach Tagen, sondern nach Nächten (Cäsar, b. g. 618; Tac. Germ. 11); vgl. Weihnachten, Fastnacht (Tag der Ausgelassenheit), die 12 Nächte, d. h. die 12 Tage von Weihnachten bis zum 6. Januar, engl, sennight: 8 Tage, engl, fortnight: 14 Tage. Ebenso galt der Winter als der Beginn der Zeit überhaupt. Diese Rechnung nach Nächten und Wintern hat mythologische Grundlage. Nach uralter, tiefer Auffassung ist Finsternis und Kälte die Keimzeit des lichten, warmen Lebens.
 
Es gab eine Zeit, wo noch nichts war, und mit der Verneinung der Hauptteile der Welt beginnt die deutsche Kosmogonie; weder die Erde mit Baum, Berg und Meer noch der Himmel mit Sonne und Mond war vorhanden. Die Eingangsstrophe eines vermutlich heidnischen volkstümlichen Gedichtes von der Entstehung der Welt und der Menschen scheint uns in dem Wessobrunner Gebet erhalten zu sein. Doch muß nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden, daß nach vielen Forschern alttestamentliche Gedanken den Inhalt des Gedichtes ausmachen (Gen. I., Psalm 89,2). Ganz ebenso liegt die Sache mit dem später zu besprechenden Gedichte Muspilli. Auf der anderen Seite sollte man annehmen, daß, wenn eine Reihe von Versen in zwei räumlich und zeitlich weit auseinanderliegenden Gedichten fast wörtlich übereinstimmt, von einem Zufalle keine Rede sein kann. Das Wesso-brunner Gebet lautet:
 
„Das erfuhr ich unter den Menschen als der Wunder größtes,
Daß die Erde nicht war noch der Himmel darüber,
Noch irgend ein Baum noch Berg vorhanden war,
Noch von Süden die Sonne schien,
Noch der Mond leuchtete, noch das weite Meer.“
Es ist der Anfang eines heidnischen sächsischen Liedes, das vom Anfänge der Erde handelt und das uranfängliche chaotische Dunkel schildert. Mit ihm stimmt ziemlich genau ein isländisches, ebenfalls heidnisches Gedicht überein, das frühestens um die Mitte des 10. Jhds. verfaßt sein kann (Völuspä 8,5):
 
„In der Urzeit
Da war nicht Kies noch Meer noch kalte Woge,
Nicht Erde gab es noch Oberhimmel,
Nur gähnende Kluft, doch Gras nirgends
[d. h. kein Boden, auf dem man stehen und sitzen konnte].
Nicht wußte die Sonne, wo sie Wohnung hatte,
Der Mond wußte nicht, welche Macht er hatte,
Die Sterne wußten nicht, welche St&tte sie hatten.“
 
In beiden Gedichten kehrt die Vorstellung eines uranfänglichen Chaos wieder, und diese Übereinstimmung läßt auf eine gemeinsame Grundlage höchsten Altertums schließen. Im 8. Jhd. kannte der Bischof Daniel von Winchester, der Freund des Bonifatius, heidnische rituale Erzählungen von einer germanischen Kosmogonie: Im Anfänge gab es noch keine Götter, sie erwuchsen erst später aus der Welt (s. u.).
 
Die Germanen stellten sich die anfängliche Leere als einen ungeheuren Schlund vor. Auch in der as. Genesis klagt Adam zu Eva: „Nun magst du sehen die schwarze Hölle gierig gähnen“, eine unzweifelhafte Anspielung an die gähnende Kluft. Die weitere Frage, wie aus diesem Nichts die Welt entstand, scheinen die Germanen in doppelter Weise beantwortet zu haben. Aus dem Gegensatz und der Bindung der einander entgegengesetzten Elemente des Feuers und des Wassers ging die Weltschöpfung hervor. Zwischen den Hermunduren und Chatten war über die heiligen Salzquellen Streit ausgebrochen (Ann. 1357; D. S. 363). Die Veranlassung war weniger die Sucht, alles mit den Waffen auszumachen, als der angestammte Glaube, jene Stätten seien dem Himmel besonders nahe und das Gebet der Sterblichen werde von den Göttern nirgends so aus der Nähe vernommen, deshalb lasse die Huld der Götter in jenem Flusse, in jenen Wäldern das Salz entstehen; es bilde sich nicht wie bei anderen Stämmen, indem übergetretenes Meerwasser verdunste, sondern es entstünde durch den Kampf der einander widerstrebenden Elemente, des Feuers und des Wassers, indem das Wasser über einen brennenden Holzstoß gegossen würde. Tacitus will nicht seine eigene Meinung, sondern die religiöse Ansicht der Germanen darlegen. Aus der Vermischung von Kälte und Wärme, von Wasser und Feuer entsteht das Salz, der Urquell alles geistigen Lebens, und die Chatten und die Hermunduren hegten den religiösen Glauben, daß an diesen heiligen Orten fortwährend die Werkstätte jener elementarischen Weltschöpfung offen stünde.
 
Eine vorgeschrittenere Zeit aber machte die Götter zu Schöpfern der Welt. Die Königin Chrodichilde drang unaufhörlich in ihren Gatten, sich taufen zu lassen und sagte: „Ohnmächtig sind die Götter, denen ihr dient, denn sie können sich und anderen nicht nützen, dieweil sie ein Gebilde aus Stein, Holz oder Erz sind. Tius und Wodan — wie weit reicht denn ihre Macht ? Zauberkünste mochten ihnen zu Gebote stehen, aber die Macht einer Gottheit hatten sie nimmer“. Chlodovech aber entgegnete: „Auf unser Götter Geheiß wird alles geschaffen und erzeugt, euer Gott ist augenscheinlich ein ohnmächtiges Wesen und was noch mehr ist, nicht einmal vom Stamme der Götter“ (Greg. v. T. 229). Solch ein umständlicher Bericht von Clodovechs Heidentum kaum 100 Jahre nach dem Ereignis und aus dem Munde eines unterrichteten Geistlichen wäre abgeschmackt, wenn ihm nicht Wahres zugrunde läge. Zweierlei geht für die Kosmogonie aus ihm hervor: Die Franken hatten eine Theogonie, nach der ein Gott vom andern unmittelbar abstammte, so daß der christliche Gott in ihr nicht unterzubringen war, und Tius und Wodan (wie die andern Götter) haben die Welt geschaffen und gezeugt.
 
Bevor Bonifatius die Mission in Ostfranken und Hessen begann, bat er seinen Freund Daniel, Bischof von Winchester, um Auskunft, wie er den praktischen Missionsbetrieb einrichten müsse. Daniel warnt ihn, zu niedrig von den Heiden zu denken; obwohl sie sich nur mit Erde und Himmel, der sichtbaren Welt, in ihren Spekulationen beschäftigten, wären sie doch sehr wohl imstande, sich auch das unbegrenzte All vorzustellen und die christliche Lehre mit Scheinbeweisen zu bekämpfen; man solle sie nicht verspotten und reizen, sondern ihnen ruhig und maßvoll gegenübertreten. Daniel, der offenbar ein Meister in der Kunst der Dialektik ist, führt ihm ein System von Fragen vor, das auf die Vorstellungen der Heiden eingeht, sie mit biblischer Lehre widerlegt und ihnen die törichten Konsequenzen ihres Glaubens vorführt. Die Schrauben werden immer enger und enger gezogen, bis es zuletzt kein Entrinnen mehr gibt, uud der im Disputieren wenig gewandte Germane mehr verwirrt als aufgereizt über das Unzulängliche seiner Vorstellungen errötet und einsieht, daß seine ritualen Erzählungen den Christen wohl bekannt sind. In den Antworten und Einwürfen, die Daniel auf die christlichen Fragen folgen läßt, muß also deutsches Heidentum enthalten sein, und zwar handelt es sich um die Vorstellungen vom Entstehen der Götter und der Welt. Du mußt deine Fragen nach ihrem eigenen Glauben über die Genealogie ihrer auch noch so falschen Götter einrichten, heißt es in dem Briefe. Die heidnischen Deutschen glauben, daß ihre Götter nach Menschenart durch Umarmung von Mann und Frau erzeugt sind — mithin zeigst du ihnen, daß sie nicht Götter, sondern Menschen sind, und daß ihre Götter, da sie vorher nicht gewesen sind, einen Anfang haben müssen. Etwa seit dem Bestehen der Welt ? Aber sie lehren im Gegenteile, daß die Welt, d. h. die Materie, von Anfang an vorhanden war, und daß auch ihre Götter erwachsen sind. Wer hat aber dann die Welt geschaffen ? Dabei kannst du dich auf eins ihrer Lieder berufen, nach dem ihre Götter vor der Begründung des Weltalls nirgends einen Ort zum Verweilen oder Wohnen hatten (vgl. S. 416). Bemühe dich besonders mit vielen Beweisen und Gründen den Glauben zu widerlegen, daß die Welt immer ohne Anfang existiert habe, und frage, um sie irre zu machen: wer vor der Geburt der Götter die Herrschaft über die Welt führte, und auf welche Weise sich die Götter die Welt unterwerfen konnten, die vor ihnen da war ? woher, von wem und wann der erste Gott oder die erste Göttin eingesetzt oder erzeugt war ? warum ihre Götter aufgehört haben, sich fortzuptlanzen ? wenn nicht, so muß ja die Zahl ihrer Götter bereits unendlich geworden sein. Zeige ihnen, daß sie ja gar nicht wissen können, wer unter so vielen und so großen Göttern der Mächtigste sei, und wie ängstlich sie fürchten müssen, bei einem Mächtigeren Anstoß zu erregen. Der Heide wird dir erwidern, daß er seinen Göttern alles zu verdanken habe, Glück uud Kuhm, Wohlstand und Gesundheit. Laß dir dann sagen, ob sie etwa glücklicher seien als die Christen. Er wird weiter sagen: unsere Götter sind allmächtig, wohltätig und gerecht, sie belohnen die, die ihnen Opferspenden darbringen und züchtigen ihre Verächter. Dann ist es Zeit, die Schlinge zuzuziehen. Frage sie, wie ein Gott allmächtig sein kann, der der Opfer bedarf, und wenn ihr Gott der Opfer nicht bedarf, so ist es ja überflüssig, ihn mit Gaben zu versöhnen. Die Ohnmacht und Ungerechtigkeit ihrer Götter geht daraus hervor, daß sie den Christen nichts anhaben können, die den Erdkreis von ihrer Verehrung zurückhalten und ihre Bilder zerstören, daß die Christen die fruchtbarsten und reichsten Länder haben, während sie den Heiden mit ihren Göttern die von Kälte starrenden Länder übrig gelassen haben. Dann muß der Heide zugeben, daß der christliche Gott allein der wahre Gott ist, der eine, ewige, allmächtige, der Schöpfer Himmels und der Erde. — Als positiver Gewinn ergibt sich erstens in Betreff der deutschen Theogonie: es gab eine Zeit, wo die Götter noch nicht waren, sie sind erwachsen oder gezeugt wie Menschen und pflanzen sich wie diese durch Ehen mit Göttinnen fort; es gibt mächtigere und weniger bedeutende unter ihnen, alle aber sind den Menschen gegenüber allmächtig, wohltätig und gerecht. Die deutsche Kosmogonie lehrt zweitens eine ungeschaffene,‘ seit Urbeginn vorhandene Materie und dehnt die Schöpfung nicht auf das Weltall aus, sondern schränkt sie auf Himmel und Erde ein. Das, wodurch sich die Götter um die urzeitliche, natürliche Welt verdient gemacht haben, ist der Segen der Kultur. Wenn auch die Götter später sind als die natürliche Welt des Organischen und Anorganischen, so haben sie doch erst die Welt wohnbar gemacht und eingerichtet. Sie stehen mithin nach germ. Glauben nicht am Anfänge der Schöpfung, sondern am Anfänge der Geschichte.
 
Weiteren Aufschluß über die deutsche Theogonie im Zusammenhänge mit der Anthropogonie gewährt Tacitus (Germ. 2). Der Grundgedanke des schwierigen Kapitels ist durchweg die Autochthonie der Germanen. Denn 1. ein so rauhes Land können nur Aulochthonen lieben, 2. die Göttermythen des Volkes selbst, enthalten einmal in mythischen Liedern, und zweitens in noch vorhandenen mythisch entstandenen Völkernamen, weisen ausdrücklich auf erdgehorne Götter als Ahnen des Volkes hin; 3. der sich durchgängig selbst gleiche physische Typus der Germanen schließt das Vorhandensein nicht autochthoner Elemente aus. Am Niederrheine haben Tacitus oder seine Gewährsmänner uralte heilige Lieder gehört, in denen die Germanen den erdgebotenen Gott Tuisto und seinen Sohn Mannus als Stammväter und Gründer des Volkes feierten. Dem Mannus schrieben sie drei Söhne zu, nach deren Namen die Westgermanen benannt seien, und zwar die dem Ozeane zunächst wohnenden Ingwäonen, die in der Mitte Erminonen, die übrigen Istwäonen. — Diese Theogonie oder Genealogie beginnt mit den ältesten Erinnerungen mythischen Denkens, hebt mit der unendlichen Fülle der göttlichen Macht an und verengert sich zu einem Mythus vom Ursprung und von der Abkunft der deutschen Nation. Der ältesten mythischen Zeit war jede scharfe Grenzlinie fremd, namentlich zwischen Land-und Luftwesen. Himmel und Erde verschmolz für den Menschen der Urzeit ineinander. So ist Tuisto der Doppelte, Zwiefältige oder auch der Zwiegeschlechtige, Mann und Weib zugleich. Ebenso ist Nerthus, nach der grammatischen Form Maskulinum und Femininum, als Gottheit doppelgeschlechtig, ein Geschwisterpaar, das zugleich ein Ehepaar ist. Eine solche Vorstellung, die göttliche Zwitterwesen schafft und an die Möglichkeit des Geschlechts- und des Gestalten Wechsels glaubt (S. 334), reicht natürlich in das fernste Altertum zurück. Tuisto hat die Erde zu seiner Mutter, mithin den Himmel zu seinem Vater. In Himmel und Erde waltet er als Gott, er verkörpert in sich das All, aber durchaus noch unpersönlich. Höher entwickeltes Denken mußte daran Anstoß nehmen. Die Westgermanen konnten sich ihren Gott nur in menschlicher Gestalt und Art, d. h. als Person, als Mensch vorstellen mit bestimmtem Geschlechte, mit geistigen, sittlichen und leiblichen Vorzügen. Mannus, der Sohn des Tuisto, d. h. der von Himmel und Erde Erzeugte, ist also eigentlich dasselbe göttliche Wesen, nur nach menschlichem Bilde vorgestellt; er ist nicht der Urmensch, der Erzeuger des Menschengeschlechtes, sondern, wie die Sprache lehrt, das „erinnernde, denkende“ Wesen, die Vermenschlichung des Göttlichen überhaupt, die Gottheit bei ihrem geschichtlichen Eintritt ins menschliche Bewußtsein. In dem willkürlichen „sich erinnern“ erkennen wir noch heute den letzten Unterschied von Mensch und Tier; mennisc der Mensch ist der adjektivische Umlaut von Maimus und gehört zu gr. fiefiova, lat. moneo, memini. Damit war eine Spaltung der Gottheit Tuisto-Mannus verbunden, von der Tacitus nichts zu berichten weiß. Mannus konnte unmöglich noch Gott und Göttin in einer Person vorstelleu. Nach allgemeiner Anschauung sind die Gottheiten, die die himmlischen Erscheinungen leiten und Wetter, Regen und Donner, Licht und Wärme senden, männlichen Geschlechtes, die Gottheiten aber, die aus der Erde Fruchtbarkeit spenden, Göttinnen. So ward das früher gemeinsame Machtbereich des Tuisto-Mannus auf einen Gott des leuchtenden Himmels und auf eine Göttin der mütterlichen Erde verteilt. Tiwaz nannten die Germanen der Urzeit den hohen Herrscher des Himmels, und Nerthus „die Mäunin“ oder Frija „die Gattin“ die fruchtbare Erdgöttin. Die Genealogie des Tacitus macht aber offenbar einen Sprung. Als nächstes Glied sollte man erwarten, daß vom allgemein Menschlichen zum Germanischen übergegangen würde. Anstatt aber zu sagen: der Sohn des Mannus ist Tiwaz-Tius, dieser ist der Urahn und Begründer der Deutschen, seine Gattin ist die Erdgöttin, gibt Tacitus sogleich die drei verschiedenen westgermanischen Beinamen des Tiwaz an, nach denen sich die drei Kultverbände nannten. Denn Ingwaz, Ermnaz, Istwaz — Ingwio, Irmino, Istwio sind nicht Söhne des Mannus, sondern Beinamen des großen Volksgottes, wie Nerthus, Nehalennia, Tartfana nur andere Bezeichnungen der Erdgöttin sind. — Mit Recht hat also Tacitus diesen theogonischen Mythus als einen Beweis für die Autochthonie der Germanen verwertet, denn dasselbe Volk, das sich im stolzen Gefühle seiner Würde und seines Adels vom obersten Gott ableitet, kann auch nur gemeint haben, die Erde, aus der der Zwitter und zwiefältige Gott entstand, sei die Erde der jetzigen Germanenheimat. Auch aus diesem Mythus geht hervor, daß die germ. Götter nicht die Schöpfer des Alls waren, sondern nur die Lenker und Leiter der Geschicke des germanischen Volkes.
 
Liest man Tuisco = Tiwiskö (Sohn des Himmelsgottes Tiwaz und der Mutter Erde) und faßt man Mannus als „Urmenschendann als Stammvater der Germanen auf, so erhält man die Genealogie Tiwaz — Tiwisko — Mannus — Maniskones (= Mannus-Nachkommen = Menschen), uud die eigentlichsten Manniskones wären dann Ingwio, Istwio und Innino.
 
Als der Himmelsgott Tiwaz die Jungfrau Sonne zur Gemahlin nahm, führte sie ausschließlich den Namen Frija. Eine neue folgenschwere Verschiebung trat ein, als der ehemalige Sturm- und Nachtgott Wodan den Tius entthronte und seine Herrschaft und seine Gattin an sich riß. Davon konnte Tacitus noch nichts berichten, weil sich diese Umwälzung erst zu seiner Zeit vollzog.
 
Uralt ist die Vorstellung des Himmels als eines Schädels. Schädel und Himmel sind ein Wort; die Germanen nannten den Schädel mit demselben Worte (an. heili Gehini, fries. heila Kopf), mit dem die Griechen und Lateiner den Himmel benannten (gr. xottog, lat. caelum). Für beides erschien ihnen der Begriff der Wölbung charakteristisch, beide müssen ursprünglich gleich benannt gewesen sein. Nicht minder alt ist der Vergleich der See mit dem menschlichen Blute; denn Blut bedeutet eigentlich die „sprudelnde, schwellende Flüssigkeit.“ Wie das volkstümliche mythische Denken sich die Bildung der Bergo und Gewässer zurechtlegte, lehren die bayer. Sage vom Watzmann und ähnliche Riesengeschichten, wonach Hügel und Gewässer aus dem Körper und Blute eines erschlagenen Ungetüms entstanden sind (S. 170). Was jetzt nur noch die Lokalsage berichtet, ist einst allgemeiner Volksglaube gewesen, daß nämlich die einzelnen Teile der Welt ursprünglich Bestandteile eines riesigen chaotischen Urwesens waren, das in menschlicher Gestalt vorgestellt wurde. Die ritualen Erzählungen, die Bischof Daniel noch kannte, werden auch davon gehandelt haben. Die Kirche bildete diese Vorstellungen um und übertrug sie auf die Erschaffung des Menschen aus acht Teilen des Himmels und der Erde. Am reinsten sind sie im fries. Emsigerrecht erhalten: „Adam wurde aus acht Stoffen geschaffen, das Gebein aus dem Steine, das Fleisch aus der Erde, das Blut aus dem Wasser, das Herz (die Seele) aus dem Winde, der Gedanke (das Gehirn) aus den Wolken, der Schweiß aus dem Tau, die Haare aus dem Grase, die Augen aus der Sonue. Dann blies Gott ihm den heiligen Geist ein und schuf Eva aus seiner Rippe, Adams Freundin/ Die Vorstellung, daß das Gehirn aus den Wolken (caelum-heila), die Seele aus dem Wind (animus-dW//os), das Blut aus dem Wasser geschaffen sei, kann unmöglich biblischen Ursprungs sein. Kehren wir sie um, so haben wir die gemeingermanische Lehre von der Entstehung der Dinge. Wiederum ist die Übereinstimmung mit der nordischen Kosmogonie schlagend:
 
 
„Aus des Urriesen Fleisch ward die Erde geschaffen,
Aus dem Blute das brausende Meer,
Die Berge aus dem Gebein, die Bäume aus den Haaren,
Aus dem Schädel das schimmernde Himmelsdach.
Doch aus seinen Wimpern schufen weise Götter Midgard dem Menschengeschlecht;
Aus dem Hirne endlich sind all die hartgesinnten Wetterwolken gemacht.“ (Grimnismol 40, 41).
 
Text aus dem Buch: Deutsche mythologie in gemeinverständlicher darstellung (1906),
Autor: Paul Herrmann.