Copyright Gerhard Hess / Oktober 2013
 
 
Der Wunschring von Paußnitz
 
 
Vor über hundert Jahren wurde ein zwölfeckiger Fingerring zusammen mit einem Münzschatz gefunden. Im Februar 1898 stieß der Gutsbesitzer Emil Schreiber in Paußnitz (heute Ldkr. Riesa) beim Ausheben einer Pflanzgrube auf ein kleines Keramikgefäß, das mit 500 Silbermünzen gefüllt gewesen sein soll. Dazwischen lag der Ring. Abgerundete Ecken und Kanten sind Abnutzungsspuren und zeigen, dass er tatsächlich und für längere Zeit getragen wurde. Er hat einen Innendurchmesser von 18,8 mm; groß genug, dass er auch an eine Männerhand passte, er besteht aus nahezu reinem Silber, wiegt etwas mehr als 5 Gramm und ist mit seltsamen, zunächst unverständlichen Schriftzeichen versehen. Das Museum Halle/Saale gelangte, zusammen mit dem Ring, in den Besitz des Gefäßes mit lediglich sieben dieser Münzen, bei denen es sich um Brakteaten aus der Markgrafschaft Meißen sowie den Bistümern Naumburg und Magdeburg handelt. Sie datieren in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der gesamte Schatz muss kurz nach 1150 vergraben worden sein. Magische Ringe spielen in Märchen und Mythen eine Rolle als Verleiher von Wunderkräften, Gesundheit und besonderen Fähigkeiten. Oft bildet der Ring einen Teil des Schatzes und besitzt die Fähigkeit Schätze zu vermehren. Auch das germ. Nationalepos, die Nibelungensage, rankt sich um ein auslösendes mythisches Zentrum von Schatz und Ring. Ein wesentlicher Anstoß zu dieser Verständnisweise könnte aus dem germ. Religionsmythos erwachsen sein: Vom Ring Draupnir (altnord. „Tropfer“) des Allvaters Wotan-Odin perlen jede neunte Nacht weitere acht gleich schwere Ringe ab. Und Saxo Grammatikus (gestorben 1204) erwähnt in seiner Fassung des Baldermythos ebenfalls einen Zauberring, der den Reichtum des Besitzers vergrößert. Das Thema ist bis in die Neuzeit Gegenstand mancherlei Volkssagen geblieben. In dem Märchen „Der Wunschring“ von Richard von Volkmann-Leander (1830-1889) ist es ein Bauer, der solch einen Wunschring findet und dem ein guter Geist erklärt: „Wenn du ihn am Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald in Erfüllung gehen.“
 
Vor einiger Zeit ging die Meldung durch die Presse, die Inschrift des Paußnitz-Ringes sei endlich entziffert. Der Text wäre in mittelhochdeutscher Sprache gehalten, in frühgotischen Majuskeln und Buchstaben der damals schon nicht mehr gebräuchlichen irisch-angelsächsischen Zierkapitalis abgefasst und beinhalte mariologische und christologische Bezüge. Die Inschrift würde danach heißen: NAINE MI XPS, in wörtlicher Übersetzung: „Verneine mich Christus“. Herr F.U. Röhrer-Ertl von der Ludwig-Maximilians-Universität München meint, in Übereinstimmung mit dem Theologen O. Röhrer-Ertl, der Ring sei ein Beweis dafür, wie sehr die christliche Mystik die Menschen des Mittelalters beschäftigt habe, denn nur in der totalen Hingabe in Christus hätten sie wirkliche Freiheit zu erlangen geglaubt. Diese Ausdeutung ist in der „Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte“, Band 87, 2003, S. 81-139 publiziert worden.
 
Der Ring bzw. seine Inschrift wird also in einer nur schwer nachvollziehbaren Weise mystisch-verstiegen christologisch gedeutet. Dagegen zu halten wäre, dass das Mittelhochdeutsche kein „naine“ kennt - es wäre mit „ei“ geschrieben worden. Die angenommenen zwei unterschiedlichen Schreibweisen des Buchstabens „I“ erscheinen nicht plausibel. Auch für die beiden spiegelbildlich sich gegenüberstehenden seitenverkehrt geschriebenen Buchstaben „P“ sowie „T“ des vermeintlichen Christusmonogramms gibt es keine hinreichende Erklärung. Zwei Versionen als emblematische Namenszeichen sind überliefert: griech. IXP, für „I“ (Iota), „X“ (Chi), „P“ (Rho) des griech. Namens IHCOYC XPICTOC (Jesus Christus) sowie „XP" für XPICTOC (Christus). Kaiser Konstantin verwendete seit 312 n.Ztr. das Monogramm „X P" (Chi-Rho = CH-P) als Feld- und Standartenzeichen. Seit Bernhardin von Siena (1380-1444) ist auch das Monogramm „IHS" üblich, ursprünglich „I“ (Iota), „H“ (Eta) und „S“ (Sigma), die ersten drei griech. Buchstaben des Namens Jesus, lat. interpretiert als „Iesus hominum salvator" (Jesus, Erlöser der Menschen). Eine volksnahe Auslegung für „IHS" war im Mittelalter: „Jesus, Heiland, Seligmacher". Ein ähnlicher Buchstabensymbolismus, schon vor Bernhardin, wäre immerhin denkbar. Die betreffende Buchstabenfolge des Paußnitz-Ringes: (I oder H)-(X)-(P und S) könnte demzufolge „(Jesus) Heiland-Christus-Erlöser“ bedeuten. Doch diese Erklärung würde meines Erachtens nach eher gewaltsam gewollt und gesucht wirken, überzeugend und glaubwürdig erscheint sie keinesfalls.
 
Selbst wenn man derartige Deutungen im Grunde gelten lassen wollte, könnte man diesen Text ebensogut heidnisch bzw. antichristlich begreifen. Die angelsächsischen Zierkapitalis lassen uns in den nordwestgerm. Sprachraum schauen: dort bedeuteten die Begriffe ags. „naes“ und „naenig“ „durchaus nicht“ bzw. „kein“. Die indogerm. Worte „na“, „no“, ahd. „neo“, „nio“, nhd. „nie”, stehen für „nie, nicht, nein”. Der mittelhochdeutsche Ringtext „naine mi“ wäre konkret nicht anders zu übersetzen als: „nicht für mich“, „nichts für mich“, „nicht meine Sache“, - oder auch „verneine mich“, „verschone mich“, „lasse mich in Ruhe“, „bleibe mir fern“. Diese Aussage bezöge sich auf folgende Ringgravur „X-PS“, die als Abkürzung für „Christus“ bezeichnet wurde.
 
Noch einleuchtender erschiene es, den Text als Appellation - bei hinzugedachtem Personalpronomen „ich“ - zu deuten. Ein „ich“ muss in solchem Falle nicht extra textlich hervorgehoben bzw. aufgeführt zu werden, ist der Ringträger doch selbst das existente aussagemachende „Ich“. Der Text würde dann lauten: „[Ich] verneine mich Christus !“ oder „... versage mich“, „...verwehre mich“, „...versperre mich [dem] Christos“ o.ä.. Der naheliegende Sinn dieses Ringtextes wäre also: „Ich entsage mich dem Christos !“ bzw. „versage mich Christos“. Handelt es sich hier nicht allzu deutlich um eine Ablehnung der judäochristlichen Heilsgestalt ? Aus dieser zweideutig-unklaren Sprache des Ringes nun einen definitiv prochristlichen Sinn herauslesen zu wollen, erscheint mir recht gewagt und möglicherweise typisch für eine prochristlich-konservative Gefälligkeits-Wissenschaft.
 
Wäre der Ring in seiner Aussage christlich bzw. kirchenchristlich, wäre es völlig unverständlich, warum sein Text für Uneingeweihte unleserlich, also verborgen bleiben sollte, konnte man sich doch in seiner Entstehungszeit sehr wohl frei zur Christenkirche bekennen, nicht aber zum Altheidentum oder einer der im 12. Jahrhundert aufkommenden Häresien. Das Heidentum spielte damals im nahen slawischen Raum sowie in Skandinavien noch eine wesentliche Rolle, andererseits erstarkten zahlreichen „Ketzereien“, die in Form von Wanderpredigern und ab Mitte des 12. Jahrhunderts in Gestalt der großen christologischen Erneuerungsbewegungen, dem Katharismus, Albigenser- und Waldensertum, zur ernsthaften Bedrohung für die Rom-Kirche wurden.
 
Weitere Ringe, mit einer solch abstrusen Bitte um „Vernichtung durch Christus“, sind bisher nicht bekannt geworden; anders verhält es sich mit amuletthaften Glücksringen, welche Formeln für Gesundheit, schriftlich fixierte Wunsch-, Segens- oder Abwehrformeln tragen. Es gibt noch einen zehneckigen Silberring aus Deszk (Ungarn) mit einer ähnlich angeordneten Inschrift wie im Paußnitz-Ring, dessen Sinngehalt bisher ungeklärt blieb. Man war sich in früheren Zeiten der tiefgehenden Ringsymbolik sehr wohl bewusst: Eine Gestalt ohne Anfang und Ende, ein Zeichen der Unendlichkeit, aber auch ein Sinnbild des bindenden wie auch bannenden Zauberkreises. Der Ring verbindet das eingeschriebene Glück mit seinem Träger, ebenso wie er zwei Liebende oder weltanschauliche Genossen oder Ordensleute zusammenbindet. Er besaß sowohl nach heidnischem Verständnis, als auch im christlichen Glauben magische Kräfte und sollte den Ringträger vor Krankheiten und anderen konkreten Fährnissen oder vor dem Bösen schlechthin beschützen. Die bekanntesten Vertreter dieser Kategorie sind die hoch- und spätmittelalterlichen „Thebal-“ und „AGLA-Ringe“, benannt nach den jeweils eingeschriebenen „Zauberformeln“. Wohl der prominenteste Träger eines Thebal-Ringes war der 1137 gestorbene Kaiser Lothar III., in dessen Grab zu Königslutter sich ein solches Exemplar befand. Ein Theologe, Chorherr, geweihter Kleriker, Priester oder Mönch, ebenso ein Mensch von häretisch-mystischer Spiritualität, der beispielsweise den geistigen Strömungen der Katharer nahe stand, hätte im 12. Jahrhundert mit Sicherheit keine mittelhochdeutsche Inschrift gewählt, sondern das Latein vorgezogen. Es muss sich also eher um eine Inschrift profanen Charakters handeln. Die im Ring verkörperte magische Bitte wurde auf mehreren Ebenen verschlüsselt. Sowohl die Buchstabenanordnung, wie die wechselnde Ausrichtung der Zeichen und die Benutzung verschiedener Schriftarten hatten die Aufgabe der Verhehlung gegenüber ungewollter, unberechtigter Lesung. Insgesamt muss die Inschrift aus dem antiken Betrachtungsrahmen der Buchstabenmagie und des gematrischen Alphabetzaubers verstanden werden, der maßgeblich auch schon dem germanischen runischen Schriftzauber zugrunde lag. So können Buchstaben Teilsegmente eines Begriffes, oder auch für sich selbst sprechende Begriffszeichen darstellen.
 
Eine Neudeutung erscheint mir unumgänglich. Die linksläufige Lesung beginnt meiner Meinung nach mit dem Buchstabe „G“, welcher auf dem 12-kantigen Ring dem Krückenkreuz exakt gegenüber liegt. Der erste Buchstaben „G“ wurde bisher als byzantinisches „M“ gedeutet, das aber ist nicht möglich, weil im Original die beiden Schrägstriche asymmetrisch sind, der eine auch keine Verbindung mit der Senkrechten aufweist. Das „E“ ist unzweideutig. Bei den folgenden, von irischen Schreibern genutzten Formen des „N“ und „I“, schließe ich mich der bisherigen o.a. Lesung an. Der vorletzte Buchstabe erscheint als deutliches „T“, nicht als „A“; der letzte als klares „Z“, sehr viel weniger wahrscheinlich ist es ein „N“. Es handelt sich um 6 Buchstaben, die den mittelhochdeutschen Begriff „GENITZ“ bilden, worunter man „Genuss, Einkommen, Ertrag, Vorteil, Lohn“ verstand. Um im Rahmen der geplanten Komposition von sechs Buchstaben zu bleiben, ließ der Werkmeister das zweitrangige Dehnungs-„E“ unberücksichtigt. Was sich hier zeigt, ist allerdeutlichst eine Beschwörung zu Glück und Reichtum. Diese Deutung darf sich durch die Information bestätigt fühlen, dass zusammen mit dem Ring ein Schatz von 500 Silbermünzen gefunden wurde. Ein leibverachtender, jenseitsgewandter christlicher Mystiker, welcher – nach irriger Deutung - Christus auffordert ihn in seiner stofflichen Leiblichkeit zu verneinen, zu vernichten, dürfte kaum nach Gelderwerb gestrebt und Freude am Geldbesitz verspürt haben. Warum sollte es sich um 6 Buchstaben handeln ? Die 6 galt in der Antike und besonders im neuplatonischen Weltverständnissystem - das sich bis in die hochmittelalterliche Alchimie und Mystik erhielt - als vollkommene Zahl (griech. arithmos teleios, lat. summus perfectus), weil ihre Summe ihren aliquoten (ohne Rest teilbaren) Teilen entspricht, bzw. ihre Teilersummen gleich sind (einschließlich 1, ausschließlich der Zahl selbst). Sie bildet die Summe der ganzen Zahlen, durch die sie selbst geteilt werden kann. Solche Zahlen besitzen gewissermaßen einen Inhalt, der ihrem äußeren größten Wert entspricht; bei ihnen deckt sich Äußeres und Inneres. Bei Gestaltung eines magischen Ringes sind dies wesentliche Kriterien die es zu beachten galt.
 
Die anderen sechs möglicherweise nun rechtsläufig angeordneten Zeichen, offenbaren sich als eine Reihe von beschwörenden Heils-Symbolen. Das „H“ für „Heil“, das Andreas- oder Malkreuz für „Vermehrung“, im Sinne der germ. G- bzw. Gaben-Rune. Man nahm an, es könne sich um ein griechisches „Chi“ als Anfangsbuchstaben des Wortes „Christus“ handeln, doch es passt zu gut zur inschriftlichen Bittformel des Ringes um Mehrung von Besitz, Wachstum und Gedeihen. Bekanntlich wird die Rune noch in der Mathematik in ihrer alten und richtigen Bedeutung verwendet, nämlich als Rechenbefehlszeichen zum Multiplizieren, zum Vervielfältigen. Es folgt das altheilige glückbringende Hakenkreuz -, so gearbeitet, dass darin auch die Abkürzung enthalten ist für „S-T“, lat. „Sanctus“ = „heilig, geweiht, unverbrüchlich, ehrwürdig, erhaben“. Das Hakenkreuz findet sich sowohl in der griech.-röm. Antike als Heils-Sinnbild, auf germanischen Fibeln und Brakteaten wie auch in der frühchristlichen Symbolkunst. Eine röm. Münze des Kaisers Licinius I. (307-323 n.Ztr.) zeigt das Hakenkreuz vor dem Sonnengott mit der Umschrift: „Soli Invicto Comiti“ („Dem Sonnengott, dem unbesiegbaren Begleiter“). Dieses dritte Heilszeichen der rechtsläufigen Symbolreihe des Paußnitz-Ringes ist aber derart gestaltet, dass zusätzlich eine diagonale kantige Acht entsteht. Acht nannten die Pythagoräer die Zahl der Gerechtigkeit, Seligkeit und der Fülle, und zwar deswegen, weil sie zuerst unter allen in gleiche gerade Zahlen geteilt werden kann, nämlich in vier; auch bei der wiederholten Teilung (zweimal Zwei) findet dasselbe Verhältnis statt. Die „Zahl der Fülle“ aber wurde sie wegen ihrer körperlichen Dichtheit genannt, denn sie bildet zuerst einen festen Körper. Hierher gehört auch der Eid des Orpheus, welcher, als wollte dadurch die göttliche Gerechtigkeit zum Zeugen aufgerufen werden, bei acht Gottheiten geschworen wurde. Deren Namen sind: Feuer, Wasser, Erde, Himmel, Mond, Sonne, Phanes und Nacht. Ferner wird durch diese Zahl das Wesen der körperlichen Natur bezeichnet. Auch der Wunsch des Ringträgers bezieht sich zunächst auf weltlichen Genuss, er ist rein stofflich-körperlicher Natur; spekulativ muss bleiben, wollten wir vermuten, er hätte gleichermaßen höhere Genüsse der seelisch-geistigen Art erstrebt. Denkbar wäre es schon, denn auch auf die Ewigkeit bezieht sich jene Zahl; noch heute ist die liegende Acht das Unendlichkeitszeichen. Im germ. Runensystem Oding-Futhark steht die 8. Rune für den Lautwert „t“ des Himmelsgottes Tiu-Tyr. Die Acht fügt sich folglich in den Kontext der Ringinschrift harmonisch ein. Dann folgt der 9-blättrige Fruchtbarkeitszweig (neunmonatige menschliche Schwangerschaftszeit!), den der altheidnisch-germanische Gott der Wachstumsfülle Frô-Freyr ebenso trug wie sein verchristlichter Nachfolger, der geheiligte Schwedenkönig Erik. Die Neun weist als Potenzierung der solaren Drei verstärkt auf den sonnenheroischen Aspekt dieses Gottes hin, ist doch die 9. Oding-Futhark-Rune das „Sowilo“-Sonnenzeichen. Auch taucht der Zweig, beginnend in der nordgermanischen Bronzezeit-Felsbildkunst, im nordgermanisch beeinflussten Symbolismus lappischer Zaubertrommeln auf, bis zu den heidnisch-norddeutschen sog. Alsengemmen mit den Drei-Götter-Darstellungen und schließlich als Palmzweig in christlicher Sinnbildsprache und Kunst. Es folgt in rechtsläufiger Zeichenfolge des Ringes das „s“ bzw. der Doppelwendel als ebenso schon bronzezeitliches Sonnenweg-Symbol, welches als Zier auf völkerwanderungszeitlichen Gürtelschnallen bis zu den alten, insbesondere hessischen und mainfränkischen, Fachwerkhaus-Eckständern noch heute präsent ist.
 
Auch das folgende Krückenkreuz war als solares Heilszeichen lange vor der späten christlichen Neuinterpretation im Gebrauch. Es erscheint auf synkretistischen Merowinger-Münzen (Denare) um 720 n.Ztr. des Bistums Le Mans/Frankreich, auch zusammen mit langobardischer Flechtbandzier in karolingischer Epoche, schließlich wurde das Krückenkreuz Mitte des 12. Jahrhunderts zum Zeichen des Deutschen Ritterordens. Diese Kreuzform, mit den verdickten Enden oder Querbälkchen an den Kreuzenden, kommt symbolgeschichtlich aus der Zusammenschau von Welten- und Sonnenkreuz; auch dem Jahreskreuz mit seinen vier markanten Sonnenmarken der Lichtwenden und Lichtgleichen. Es war ein Jahrtausende vor dem Christentum verehrtes heiliges Zeichen, trat in kultischen Zusammenhängen global auf und war besonders in Zentral- und Nordeuropa verbreitet. Einen instruktiven Hinweis auf eine Art der Entstehung des Sonnenkreuzes geben beispielsweise die frühen Sonnen-Felsgravierungen von Hubelwängen bei Zermatt (Schweiz), oder steinzeitliche Schalensteine wie die „Hexenplatte“ von Segné (Schweiz). Auf einem keltischen Goldstater gegen 100 v.Ztr. finden wir vor dem Apollon-Kopf das Linienkreuz mit hervorgehobenen fünf Kardinalpunkten.
 
Insbesondere die mittelalterlichen irischen Kreuzdarstellungen demonstrieren Sonnenkreuze mit verdickten Endungen und Christusfiguren die noch nicht den späteren hochmittelalterlichen „leidenden Erlöser“ zeigen, sondern den synkretistischen altheidnischen Sonnenheros als siegreicher Triumphator, oft mit den großen Segenshänden. Dieser frühe Christus, wie wir ihn auch von unseren deutschen romanischen Christusfiguren her kennen, lebte, identifiziert mit seinem Kreuz, noch ganz aus dem Verständnis des sonnenkultischen Altheidentums. Auch noch im 12. Jahrhundert hat beim Anblick eines der verbreiteten Krücken-, Rad- oder Malkreuz-Sinnzeichen kein Beschauer das römische Marterholz assoziiert, an dem der legendäre christliche „Gottessohn“ zu Tode gekommen sein soll. Vielmehr galten derartige Symbole als Inbilder des Sonnensegens, als amuletthafte Glücksbringer, heilige Unheilabwender und Dämonen bannende Schutzzauberzeichen. In diesem ursprünglichen Sinne darf auch das Krückenkreuz des Wunschringes von Paußnitz verstanden werden.
 
Er ist ein mustergültiges Wunschringlein, dessen hedonistischer Träger seine sechsbuchstabige Bitte um „GENITZ“ mit weiteren sechs Heilbeschwörungszeichen bekräftigen wollte. Er scheint auch von Erfolg gekrönt worden zu sein, wäre dem nicht so, hätte sein Ringlein nicht inmitten eines Schatzes von an die 500 Silbermünzen gelegen. Zwölf Ecken hat der Ring, 12 Zeichen sollten es sein, denn im Kern der altheiligen Sechszahl steckt die Drei wie eine sonnengeistige Seele: 1+2+3=6. Die Zwölf, das gute Dutzend, ist die alte Rundzahl, Zahl der Ekliptikzeichen und im germ. Oding-Futhark-Runenreigen die Ziffer der Eibe bzw. des Weltenbaumes. Bei Quersummenziehung, der sog. „Theosophischen Addition“, wird die Zwölf wieder zur geistgöttlichen oder solaren Drei. Hier wird etwas zahlenmystisch angedeutet, was man eine Genussjagd von kosmischen Ausmaßen nennen könnte. Die weite Welt sollte das Feld des Glücksjägers sein und das Wunschringlein hatte ersichtlich die Aufgabe, ihm als eine Art beflügelndes Zauberrad zu dienen. Er dürfte mithin ein Genießer, ein Genussmensch gewesen sein (mhd. „geniezer“). Das gemeingerm. Verb ahd. [ge]niozan, mhd. niezzen geht mit verwandten indogerm. Wörtern auf die Wurzel neud- „fangen, ergreifen, erwischen, erreichen“ zurück. Die Substantivbildung findet sich beispielsweise im got. nuta = „Fischer“ bzw. „Fänger“. Ganz in diesem begrifflichen Ursinne scheint mir auch die einstige Aufgabe des Wunschringes von Paußnitz zu liegen. Seine magische Beschwörungsformel, mitsamt seiner Sinnbildanhäufung, sollten ihn als hilfreichen Heilsfänger zur Befriedigung der Genusswünsche seines Herrn tauglich machen. Und der Ring scheint die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht enttäuscht zu haben.