Copyright Ⓒ Gerhard Hess / Februar/März 2021
1.) Das Sonnenluk der heiligen Kammer im Externstein-Agisterstein (Schreckensstein)
Beobachter der Sommersonnwend-Aufgangssonne im Turmzimmer von Felsen 2
2.) Sargstein am Agisterstein-Felsenfuß, mit Kopfnischen-Arkosol- bzw. Bogengrab
DER AGISTERSTEIN
Am Agisterstein, am Externstein
fährt eischer Schrecken ins Gebein.
Ein Pfaff‘ der diesen Ort betritt
den holt der Teufel zum Höllenritt.
Hier haust noch rechter Heidengeist,
der treu die eigene Gottheit preist,
auch gern die Kuttenträger neckt,
das Christenpack mit Spuk erschreckt.
Doch Menschen von der echten Art,
die sich fürs wahre Heil bewahrt,
die nimmt der Volksgeist bei der Hand
und führt sie durch ihr Heimatland.
Er lehrt die alte Religion,
noch frei von Kirchenlohn und Fron.
Er zeigt am Externstein die Spur
vom Heiligtum der Gott-Natur.
Die wahre Gottheit lebt im Licht,
wer ihrem Lichtdienst sich verspricht,
der fühlt und sieht, am Externstein
stand Urgermaniens Tempelschrein.
Zum Kopf des höchsten Felsenturms,
fernab des düsteren Tiefenwurms,
lädt eine Kammer hoch hinauf,
ihr Fenster schaut zum Sonnenlauf.
Ins Sonnen-Luk die Sonne strahlt,
kreisrund der Lichtmal das sie malt.
Das Haupt des Ewarts wird umflammt,
damit sein Sinn dem Licht entstammt.
Der höchste Lichtstand ziert das Jahr,
im Lida-Mond, jetzt wunderbar.
Die Sonnen-Zeugung muss geschehn,
dann mag das Licht zur Neige gehn.
Bald zeigt des Ewarts Schattenstab,
der Lichtherr Frō geht hin ins Grab.
Das liegt am tiefestem Treppenstock,
am Felsen-Fuß, als Sargstein-Block.
Dort liegt sein Od, schaut auf Nord-Ost,
trotzt Winter-Not und Nacht und Frost.
Und kehrt zum Siegblot-Fest zurück;
So heißt des Sonnenglaubens Glück !
Abb. A Abb. B
Abb. A - Die Raumachse des Sacellums, mit Visierlinie des Sonnenluks, sind nach NNO ausgerichtet, zum höchsten Aufgangsort der Sonne zur SSW (21. Juni / lida).
Nach der gleichen altheidnisch-vorchristlichen Visierlinie ist das Kopfnischengrab im Sargstein eingerichtet.
Abb. B - Abbildungen aus Alois Fuchs „Im Streit um die Externsteine“, 1934, Abb. 8 + 11. - Wie man sieht sind auch die Höhlungen von Felsen 1, hinter dem Sargstein, nach NNO ausgerichtet, der altheidnischen Visierlinie.
Der älteste erhaltene Name des altgläubigen Externstein-Heiligtums
Der älteste uns bekanntgewordene Name des Externstein-Heiligtums bei Bad-Meinberg lautete Agisterstein, der sich zu Egesterenstein und Eggerstein usw. umformte. Da der altheidnische Name des Kultplatzes von den Mönchen - wie man zunächst annehmen müsste - festgehalten worden ist, sondern eher seine frühkirchliche Bezeichnung, wäre zu folgern, dass der Namen naheliegend „erschreckende Steine / Schreckenstein“ bedeutete, aus ahd. egislih = nhd. schrecklich, ekelig. Auf christliche Gemüter müsste dieser Naturtempel der alten Götter mit Sicherheit abschreckend gewirkt haben. Das niederdeutsche Wort eisch kommt aus dem Altsächsischen, dort hieß es noch egislik, das bedeutete „furchtbar, schrecklich“. Es wurde spekuliert, er könnte sich auf den Vogel Elster beziehen. Von Hermann Hamelmann (1526-1595), dem lutherischen Historiker Westfalens, stammt der erste bekannte Deutungsversuch zur Geschichte des Externsteins, in welcher er den lateinischen Begriff „rupes picarum“ gebrauchte, also „Felsen der Elstern“. In der germ. Mythologie war die unheilverkündende Elster der gefiederte Bote der Todesgöttin Hel. Etymologisch ist sie abgeleitet von germ. agatjō, got. agatja, ahd. agalstra / agalistro, mhd. agelster, mundartlich Egester. Wie eng die Elster mit der Hexe / Unholdin zusammengeschaut wurde, der ahd. āgenga, ist aus der Volkskunde bekannt. Verwandt ist sicher got. agei = Furchtsam, Ängstlichkeit. Eigentlich wäre als recht plausibel anzunehmen, dass sich aus dem germ. Begriff für Schrecken der Name des Hel-Vogels, des Todesvogels, nämlich der Elster, abgeleitet hat. Aus dem germ. agan, nhd. sich fürchten; agjan = erschrecken; agez / agiz / agisa(n) = Erschrecken und Furcht, kam es zu germ. agatjo(n), agalstro(n) = nhd. Elster und möglicherweise auch germ. agi = nhd. Schlange. Dass von diesen 13 nach dem erzwungenen Glaubensumbruch in Sachsen als unheilig und unheimlich geltenden gratigen Felsen (germ. agjo = nhd. Schärfe, Spitze, Ecke, Kante) etwas Bedrohliches, Angsteinflößendes, Düsteres ausging, dürfte jedermann ohne weiteres verständlich sein. Wahrscheinlich nähert sich dieses Deutungsangebot dem Namensrätsel des rätselschweren Externsteins.
Diskutanten: Teudt, Fuchs und Focke
Um die Bedeutung des Agistersteins/Externsteins wurde in den 30er Jahren ein Weltanschauungskampf geführt, der sich unter anderen Objekten auch dieser Steine annahm, wobei es bei dem Gezerre nur vordergründig scheinbar um die Sache ging, im Kern ging es beiden Seiten um ideologische Rechthaberei. Auf der einen Seite stand der evangelisch-deutschnationale Theologe Wilhelm Teudt (1860-1942), auf der Gegenseite stand der katholische Theologe Alois Fuchs (1877-1971), jeweils mit ihren Anhängern. Teudts Hauptinteresse beschrieb dieser schon in seinem Buch „Germanische Heiligtümer“ (1929), in dem er die Externsteine als eine germanische Kultstätte bzw. eine „Sonnenwarte“ definierte. Der engagierte Kirchenchrist Alois Fuchs bezog mit seinem Buch „Im Streit um die Externsteine - Ihre Bedeutung als christliche Kultstätte“ (1934) die Gegenposition. Ihm zur Seite stellte sich der neutal gebende Friedrich Focke (1890-1970) mit seinem Buch „Beiträge zur Geschichte der Externsteine“ (1943), worin er auf S. 42 argumentiert: „Unterhalb des Felsens am weitestens rechts liegt jener fast würfelförmig zurechtgehauene Felsblock, in dessen Nordwestseite die bekannte Grabnische eingearbeitet ist. Um ihn freizulegen, ist von dem umgebenden Gestein offenbar nicht wenig weggeschlagen, wohl auch deshalb, weil man Platz für gottesdienstliche Veranstaltungen schaffen wollte. Deutlich ist das besonders an der dem Block zugewandten Nordostseite des großen Nachbarfelsen, wo erhebliche Absprengungen stattgefunden zu haben scheinen, um eine Gemeinde von Andächtigen oder Zuschauer unterbringen zu können. Dazu stimmt, daß an der Rückseite des Grabfelsens zwei kleine Treppen übereck zu einem ebenen Standplatz auf der sonst nach vorn abfallenden Felsoberfläche führen. Eine Einzelperson konnte sich von dort gut sichtbar an die unten Versammelten wenden. Daß diese Anlage das Heilige Grab und nie etwas anderes hat darstellen sollen, halte auch ich für sicher. Sie bildet mit dem Kreuzabnahmebild und den beiden Kapellen einen dramatischen Sinnzusammenhang, dem der Gedanke einer Nachbildung der Grabesheiligtümer in Jerusalem zugrunde gelegen hat. Diese zuletzt von A. Fuchs eingehend begründete Deutung der Externsteinanlage ist in ihrem Kernbestand als gesichert zu betrachten.“ Mit dieser fantastischen Aussage ist die irrtumsbeladene vorgefasste Kirchenmeinung in Gänze umschrieben. Sie konnte nur deshalb im Brustton der fundiert scheinenden Überzeugung artikuliert werden, weil das Wesentliche der Anlage gar nicht in Augenschein genommen worden ist. Noch Klemens Honselmann salbaderte mit verklärtem Blick auf den Hochgelobten in „Westfälische Zeitschrift“, 100, 1950, S. 461ff, „Alois Fuchs 1877-1971“: „Im Streit um die Externsteine“ (1934) legte er gegenüber der phantastischen Inanspruchnahme des Naturdenkmals und der darin geschaffenen Räume als Stätte germanischen Götterkultus deren Bedeutung als christliche Kultstätte dar“. Dass der von diesen Übergläubigen herbeigedachte jüdische Reformer Jesus in seinem „Externsteingrab“ nach Nordnordosten geschaut hätte, was nie und nimmer eine christlich gewürdigte Himmelsrichtung war, und nicht nach seiner geliebten Wirkstätte Jerusalem, ist den Rabulisten völlig entgangen ! In einer modernen tendenziösen Enzyklopädie liest man: „Der willkürlichen Interpretation germanischer oder angeblich germanischer Überlieferung trat Focke in seinen wissenschaftlichen Arbeiten entschieden entgegen.“ Die Lobhudelei ist unangebracht, denn Fuchs und Focke machten gegenüber den ihnen nicht ins Konzept passenden Fakten fest die Augen zu. Fuchs’ eigentlicher Arbeits- und Forschungsschwerpunkt lag im Bereich der Architektur- und Kunstgeschichte. Er hätte wissen müssen, dass ein Bauauftrag der mittelalterlichen Reichskirche, zur Errichtung einer Pilgerstätte in Gestalt des „Heiligen Grabes“ am Externstein, mit Sorgfalt ausgerichtet worden wäre. Schon zur karolingischen Zeit war die Architektur absolut in der Lage, einen sauberen Zirkelschlag vorzunehmen und mithin einen symmetrischen Rundbogen auszuschlagen, was die schier zahllosen Kirchen-Tympani unter Beweis stellen. Bereits der römische Architekt und Architekturtheoretiker Vitruv, aus des 1. Jh. v.0, schrieb von der „Mutter aller Künste“ und führte aus, die „Architectura“ beruhe im klassischen Verständnis auf den drei Prinzipien Festigkeit (Firmitas), Nützlichkeit (Utilitas) und Anmut (Venustas). Der Akosolbogen des Agistersteingrabes ist alles andere als anmutig-schön und korrekt. Nach links flacht der Halbbogen etwas ab, was den Eindruck einer archaischen Arbeit verstärkt. Die Bogenlinie ist nach Augenmaß und nicht nach exakten Anzeichnungen geschlagen worden. Ein „Heiliges Grab“ wäre seitens der finanzstarken Kirche jedenfalls einem Könner seines Fachs in Auftrag gegeben worden. Einen sauberen Rundbogen zu meißeln hat man ja bei der mittelalterlichen Abänderung der Sonnenfensternische im Turmzimmer des Felsens 2, dem so genannten „Sacellum“, sehr gut gekonnt; warum dann nicht ebenso am Sargfelsen, sollte der zeitgleich gedeutet werden ? Demnach sprechen Ausrichtung und Ausführung der Grabanlage für ihre uralte vorchristliche Errichtung, mit einer dementsprechenden kultischen Bedeutung.
Im Hinblick auf die ursprüngliche Bearbeitung des Sargfelsens durch Steinmetze schreibt Focke, S. 44f: „Ausgedehnte Spuren einer ziemlich grobschlächtigen ,Breitmeißeltechnik‘ können daher an jener Stelle nicht überraschen, wobei auch hier wiederum das Gröbste vorher mit dem Zweispitz erledigt, das übrige dann mit dem Meißel schlecht und recht abgearbeitet wurde.“ So hätte kein Auftaggeber der allmächtigen, „alleinseligmachenden Kirche“ im Hochmittelalter das „Heilige Grab“ abarbeiten lassen. Der Umstand bestätigt aber die Vermutung, dass es sich um eine Baumaßnahme aus der Frühzeit oder Vorzeit handeln muss, aus einer Kulturstufe die man wohl als früh- oder protogermanisch zu begreifen hat. Wie die christlich-heilige Grablege in Jerusalem ausgesehen hat weiß man nicht, die Stätte wurde im Jahre 1009 von den Arabern zerstört. Aber offene Arkosol-Kopfnischengräber, wie das vom Agisterstein, gehörten zu keiner Zeit zur hebräischen Grabbau-Architektur. Der letzlich unkundige Focke gibt auf S. 51 süffisant zu bedenken, „jedem Katakombenbesucher ist diese Grabform aus Hunderten von Beispielen bekannt“, als könnte und dürfte man die schlichten, flachen Rundbogennischen-Zeilen der Katakomben zum Vergleich mit dem megalithischen Grabbaublock im Teutoburger Wald heranziehen. Dass diese, wie beispielsweise nachweisbar auf der Insel Malta, bereits vorchristlich sind, entzieht dem Focke’schen Argument jedes Gewicht. Focke fährt fort, seine Fixation weiter auszumalen: „Die Bemühungen aber, diese ausgesprochen palästinensisch-christliche Begräbnisweise den Germanen als völkische Eigenart aufzudrängen, sollte man nachgerade aufgeben. Es fehlt dafür jede Spur eines Beweises, denn man wird auch nicht ein einziges urgermanisches Grab solcher Art aufzeigen können.“ Ein solcher Rundbogen-Grabbaublock ist aber sehr wohl gefunden worden, um 2000 km südlich, bei Tatul, im Land der ureuropäisch-indogermanischen Thraker-Daker und Geten. Die Thraker pflegten friedliche Beziehungen zu verschiedenen Stämmen der Germanen. Überliefert ist, dass u. a. ein Stamm des höchsten Nordens, als Hyperborea bezeichent, regelmäßig Opfergaben an Heiligtümer im Gebiet des nordgriechischen Epirus und ins Apoll-Heiligtum der Daker sandte. Die Wissenschaft geht davon aus, dass es sich dabei um eine sehr alte Route zwischen der Ostsee und den Thrakern handelt, die über die ostgermanischen Stämme führte. Eine baltische und an der Oder beginnende Bernsteinstraße führte nach Thrakien und wurde seit Urzeiten genutzt. Auch über die Rhein- und Donauroute sind immer neue Auswandererwellen aus dem herben Norden nach Süden an die Westseite des Schwarzen Meers gezogen. Ab ca. 200 v.0 tauchen hier die germanischen Bastarnen und Skiren auf, die laut Strabon im Siedlungsgebiet der Geten den Dakern benachbart waren. Später stießen Goten, Gepiden und Heruler über die Donau nach Süden. Im alten Germanenland fand sich zwar kein zweiter Grabbau wie am Agisterstein, aber in einer Region die seit Jahrtausenden die engsten kultischen Beziehungen zum germanischen Norden pflegte.
Rituelle Nutzungen des Naturtempels Agisterstein
Da die Objektfakten des Externstein-Heiligtums den vorchristlichen Gebrauch der Anlage hinreichend beweisen, erhebt sich die Frage nach ihrem konkreten Verwendungszweck. Die bis ca. 40 Meter hoch aufragenden verwitterungstrotzenden Quarzsandsteintürme der Felsformation im Teutoburger Wald bzw. im Tal der Wiembecke bei Horn-Bad Meinberg in Lippe, zählen zu den beeindruckendsten Natur- und Kulturdenkmälern Germaniens. Zweifellos haben wir hier den imposantesten Naturtempel Deutschlands vor uns. In der Höhenkammer, „Sacellum“ (lat: „einem Gott gehörend“) genannt, konnte die aufgehende Sonne zur Sommersonnenwende werden. Wer dort in ihrem Lichtkegel stand musste sich geweiht fühlen von der kraftvollsten Sonne des gesamten Jahrganges. Sicherlich stand in diesem Kultraum, zu den entsprechenden Feierzeiten, der Gildenvorstand, der Fürst, der Êwart oder Êsago (Gesetzeshüter, Richter), also der heidnische Gemeindepriester, um seine Riten des Sonnenkultes zu vollziehen. Denn alle hyperboräisch-nordische Religion war im Grunde ein Lichtkult. Zu allen Natureligionen gehört der Jahrgott, der aufersteht, lebt und wieder im natürlichen Jahreskreisschema, seinen Niedergang und sein vorübergehendes Sterben vollzieht. Der vom Juden Saul-Paulus erklügelte und künstlich historisierte Christianismus, der den galiläischen Zimmermann Jeshua-Jesus zur zentralen Kultfigur hochstilisierte, äffte mit dem „Kreuztod-Sterben“ und der „Himmelfahrt-Auferstehung“ die entsprechenden uralten Kultformen der diversen vorchristlichen Religionsgemeinschaften nur nach. Das war alles mitnichten neu !
So wie die Höhenkammer den Jubel im Lichtrausch über sicherlich mehrere Jahrhunderte der Glaubenskontinuität erlebt haben dürfte, so hat der düstere Grabsteinblock am äußersten nördlichen Ende und Fuße der Agistersteine, die düstere Kulisse für die Kartage der Altreligion abgeben müssen. Wer immer, dort im Steinbett liegend gedacht worden ist, es muss eine heidnische Wesenheit gewesen sein, sonst hätte ihr Blick nicht in die gleiche Richtung geschaut, wie die des Sonnenbeobachters in der Höhenkammer. Zu folgern ist, dass der Liegende im Steinsargbett den Sonnenaufgang zur hohen Sommersonnenwende mit sehnsüchtigem Verlangen erwartet haben muss, während der Beschauer im Sacellum das Erlebnis als die Erfüllung seiner naturreligiösen Hoffnungen verstand.
Das rituell aufgeführte hyperboräisch-kosmische Jahresdrama
Wenn, dem nordisch-empfundenen Jahresdrama entsprechend, der Sonnengeist im Nischengrab liegend gedacht wurde - wer könnte es anders sein ?! - dann sehen wir hier das kosmische Sonnen- und Jahresdrama ins rituelle Bild gesetzt, wie es in jährlich sich wiederholenden Kultspielen nachvollzogen worden ist. Schon ca. 14 Tage nach der grandiosen, segnenden Lichtfülle beginnt die Sonne ihren vermeindlichen Abstieg. Nach einer anzunehmenden tödlichen Verletzung, aufgrund von heroisch-kühnem bzw. leichtsinnigem Überschwang, beginnt ihr Gang in die Unterwelt, wie es der eddische Mythus um den solar-göttlichen Balder („Herr, Held, Leuchtender“) erzählt („Völuspá“, „Baldrs draumar“). Von Sonnengott Frôjo-Frō-Frodi-Fricco-Freyr muss es ähnliche Sagen gegeben haben. Er herrschte über Sonnenschein und Regen und wachte als Fruchtbarkeitsbringer über das Wachstum. Sein mit ihm identisches Rösslein „Blodoghofdi“ (Blutighuf, siehe „Kalfsvisa“) weist auf die gleiche Hufverletzung hin wie wir sie von Balder aus dem 2. „Merseburger Zauberspruch“ kennenlernten. Der Geist- und Heilgott Wodin-Odin, der „Psychopompos“ (Merkur) macht die Verletzungen heil und heilt sie, erweckt sie zurück ins Erdenleben, ebenso von der Verletzung die zum Todesschlaf führt. Doch die hinabgegangene Gottheit bewirkt als Heilbringer von der Unterwelt aus die Segnungen des Herbstes, den Erntesegen, die Fruchtreife. Die sich zu Teilen geschickt anbiedernde Christenkirche, zum anderen Teil mit Brachialmethoden ins Nordvolk einbrechende Gewaltmission, trug den herkömmlich-religiösen Anschauungen Rechnung, indem sie in die SSW (Sommersonnwend-Phase) die Kultfigur des „Johannes der Täufer“ (der sog. „Vorläufer“) setzte, dessen Hochfest man für den 24. Juni bestimmte. Die roten „Johannisbeeren“ und das rote „Johannisöl“, ein öliger Extrakt aus frischem „Johanniskraut“, dessen Blütenknospen in der Regel im Juni austreten, sollen vom mythischen Blut des geköpften jüdisch-religösen Eiferers Johannes Zeugnis ablegen. Aus dieser Sicht betrachtet, liegt es sogar nahe, dass der alte Begriff Agisterstein-Schreckensstein bereits aus heidnischer Zeit herrühren könnte, denn das Kultdrama des Sonnentriumphes und des fast gleichzeitigen Sonnentodes könnte mit tragischen Inszenierungen von Nachspielungen verbunden gewesen sein. Es wird berichtet, dass es zur Zeit des Schwedenkönigs Domaldi in Alt-Uppsala mehrere Jahre Missernten gab. Da keines seiner Tier- und Menschenopfer zur Verbesserung der misslichen Lage beitrug, opferte sich im letzten Heilmittelversuch der König selbst. Der König opferte sich, oder wurde geopfert, für ein gutes Jahr (Ynglinga Saga: „blóta til árs“).
Zum altheiligen Turmzimmer, dem von ihm sog. „Sazellum“, beschreibt der Astronom Rolf Müller in „Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit“, 1970, S. 88-95, die Veränderung der Raumachse, zu einer christlichen Kapelle durch kirchenchristliche Baumaßnahmen. Müllers Vermessung der alten Raumachse ergab einen Azimut von 47,5°. Wenn ein Beoachter zum Visierloch blickte, schreibt er: „so sah er die an Mittsommer aufgehende Sonne nahezu mitten im kreisförmigen „Sonnenloch“. Es ergibt sich also von diesem Standort aus vorzügliche Möglichkeit, den Sonnwendtag recht genau zu fixieren. Hier möchte ich noch auf einen Besuch zu sprechen kommen, den ich an einem frühen Morgen um die Mittsommerzeit den Externsteinen abstattete. Blutrot war die Sonne aufgegangen, und ich erlebte das wirklich eindrucksvolle Schauspiel, als dann unser Tagesgestirn mitten im Sonnenloch stand und mit Strahlen das runde Fenster füllte.“ Etwas zuvor schreibt der Wissenschaftler: „Das Turmzimmer bot - völlig abgesehen von der Frage, ob und wie es ehemals gestaltet war - gerade wegen seiner natürlichen Lage in Richtung zum nordöstlichen Himmelsrand einzigartige Möglichkeit zur Beobachtung der Mitsommersonne und des alle 18,6 Jahre um, die gleiche Zeit wendenden Mitwintervollmonds (nördliches Mondextrem). Das kreisrunde Loch eignete sich dabei vorzüglich zur genauen Fixierung der Gestirnsstände.“ Sonnen- und Mondstände wurden am Agisterstein beäugt, also die beiden Gestirne der lunisolaren Jahrszeitenberechnung, wie sie uns die thüringische 7.000-jährige Nebra-Kalenderscheibe vom „Mittelberg“, oberhalb der Unstut, ebenso vorführt wie das über 2.000-jährige Runen-ODING-FUÞARK. ODING’s runischer Sakralkalender, aus einer Zeit vor der christlichen Zeitrechnung, gibt die gemeingermanischen, mythologisch bestimmten jährlichen Festzeiten wieder. Das Jahresdrama stellt sich im luni-solaren Runenkreis folgendermaßen dar:
- Erste Offenbarung (griech. Epiphanea) des Sonnengeistes im Jahr = 3. Ing-Rune (des Ng-Lautes) des Ingo-Frō - Mittel der Mondschwankungen liegt bei Mitte Januar - Fest „Jolablot“ (Julopferfest) - Nach der „Saga von Hakon dem Guten“ (Kap. 14-18) fand das Julfest „at midjum vetri“ (Mittwinter) statt, also ca. 14. Januar – In „Haraldskväde“ (Gedicht auf Harald) des Skalden Thorbjörg Hornklofi heißt es in Strophe 6: „Auf See will er Jul trinken, der kühne König, und das Spiel Frejs vollziehen“ - Der solare ahd. Ingo-Frō, an. Ingvi-Freyr war demnach Hauptjulgott - Zum Julspiel der Gottheit gehörte die Juleber-Schlachtung und -Speise, also eine Opferung des verehrten „Gullinborsti / Sliðrugtanni“ (der mit den goldenen Borsten), dem Attribut des Ingvi-Freyr.
- Die zweite runische Offenbarung des Sonnengeistes Ingo-Frō geschieht zum 4. Neumond nach der Neumond-WS (Wintersonnenwende) in Gestalt der 9. Rune der Bezeichnung Sowilo = Sonne, mit dem S-Laut, welche auf zahlenmythische Weise die potenzierte, voll erblühte Sonnenkraft darstellen will (3X3) - Man feierte hier das „Sigrblot“ (Sonnen-Siegfest) - sein kultischer Sinn war „at fagna sumri“ (den Sommer begrüßen) und „til sigrs“ (für den Sieg) - Üblich war es zu der Feier seine Schwurfinger auf das Fell des Eber-Opfers zu legen und einen Eid bezüglich einer gepanten Unternehmung zu leisten - Mittel der Mondschwankungen liegt auf Mitte April - in diesem Zeitraum wurde von der Christenkirche das Osterfest als Lichtsiegefeier platziert: Ostern ist am 1. Sonntag nach dem 1. Vollmond nach der Tagundnachtgleiche, am 23. März.
- Die Tageslänge zum Julfest betrug ca. 8 Stunden, zum Siegfest ca. 14 Stunden, zur Sommersonnwende des 21. Juni ca. 17 Stunden und schon zu Anfang Juli einige Minuten weniger, der Lichtrückgang hat am 16. Juli eine volle halbe Stunde erreicht. Der von genauen Beobachtern der Sonnenaufgangspunkte schon Ende Juni, Anfang Juli erkannte Sonnen-Rückgang führte zur Annahme einer möglichen Schussverletzung des Gestirns. Der Schuss auf den Sonnenheros Balder ist durch die eddischen Texte zum Schießspiel, das zu seinem Tod führte, belegt. Die isländische Mythologie lastete die Tat dem „blinden Bruder Hödur-Höðr“ (Kämpfer) an, der vom antigöttlichen Loki (Endiger, Beschließer) dazu angestiftet wurde, mit einem Mistelholzpfeil auf seinen Bruder zu schießen (Gylf. 48, Skaldsk. 13) - In der Version des dän. Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus (1160-1208) streiten Hötherus und Baldur um die Göttin Nanna (an. Mutter / Kultname der Erdmutter ?) - Hötherus besiegt dabei den Balder mit einem Zauberschwert der höllischen Mächte namens „Mistiltein“ („Historia Danica“, 3. Buch) - Andere verwandte Sagen sprechen von einem bösen Zufall des Pfeilschusses, der zu Balders Tod geführt habe (aengl. Beowulfsage) - Im 7. Vollmond des Jahres steht die Is-Eis-Rune, des I-Lautes, zu Ende Juni - Sie erscheint deutlich als ein Synonym für „Kaltmachen, Töten“, an diesem Kalenderort kann nur der sterbende Sonnengott gemeint sein. Hinsichtlich der Zahlenmystik ist auffällig, dass die von der Christenkirche erfundenen „14 Stationen des Kreuzwegs Jesu“, zur 14. und letzten Station die Grablege des Leichnams Jesu erfolgen ließen.
- Eine Steigerung des jährlich-kosmischen Sterbe-Szenario ergibt sich mit Winterbeginn, wenn das Sternzeichen des „bösen“ Skorpions die Zeit bestimmt und der heliakische Plejaden-Untergang erfolgt. Heliakisch (auch Morgenerst u. Morgenletzt) sind Begriffe der Astronomie, sie bedeuten „zur aufsteigenden Sonne gehörend“. Abenderst und Abendletzt gelten als Begriffe für die mit bloßem Auge mögliche Erkennbarkeit von Planeten oder hellen Sternen in der Abendämmerung. Im Frühjahr zeigen sich die Plejaden (oder Siebengestirn) letztmalig am Abend am Westhorizont. Bei mehreren jungsteinzeitlichen Gestirnskreisgrabenanlagen Mitteleuropas liegt eines der Eingangstore in Richtung des Frühaufgangs (heliakischer Aufgang) der Plejaden, also in Richtung in der sie erstmals in der Morgendämmerung sichtbar werdrn, nachdem sie einige Monate lang, von der Sonne überstrahlt, unsichtbar blieben. Mehrere Jahrtausende vor unserem heutigen Zeitrechungsbeginn galt dieser Frühaufgang der Plejaden als astronomischer Frühlingsbeginn Ende März und diente als Hinweis, mit der Aussaat zu beginnen. Das Abendletzt der Plejaden trat z.B. in der frühen Bronzezeit, um 1.600 v.0, europaweit 10 Tage vor dem Frühlingsäquinoktium ein. Ihr Morgenletzt fand 15 Tage nach dem Herbstäquinoktium statt. Die Plejaden und ihre Phasen wurden auch von Hesiod, um 700 v.0 in „Werke und Tage“, als wesentlich für den Bauernkalender beschrieben. Auf der Himmelsscheibe von Wangen-Nebra, die auf etwa 1.600 v.0 datiert wird, ist dieser Sternhaufen abgebildet, der wahrscheinlich das Morgenletzt der Plejaden in symbolhafter Form anzeigt. Man kann deshalb aufgrund der Quellen- und Fundlage von einer wichtigen kalendarischen Funktion der Plejaden ausgehen. Die germanischen Nordlandbewohner betrachteten zur Zeit der Antike den plejadischen Frühaufgang, Ende April/Anfang Mai, den Sommerbeginn und den Frühuntergang des Siebengestirns, Anfang bis Mitte November, als das Zeichen des Winterbeginns.
Im 11. Schwarzmond-Neumond nach Jahresbeginn in der WS (Solstitium) steht die 23. Rune, das Ur-Urstier-Zeichen, dessen Stierkopf-Gestalt - mit beiden Hörnerspitzen nach unten - auf den Opfertod des Sonnen-Stieres deutlich hinweist. Die Mondschwankungen ergeben für den U-Runenstand ein Mittel von Mitte November. Das Stieropfer an der Säule des Poseidon ist aus dem Atlantisbericht des griech. Philosophen Platon bekannt, aber ein bronzezeitliches Hellbild (Felsgravur) aus der Region Kasen in Bohuslän/Schweden zeigt das Stieropfer vor der Welten- bzw. Sonnenspiralsäule ebenso. Dass auch der Stier, der gewaltige Auerochse nordischer Wälder, ein Sonnen-Herr-Gleichnis gewesen ist, erweisen die vielen Stierbilder schwedischer Hellbilder aus der Bronzezeit, wo z.B. die Hörner zum Sonnenkreis geformt wurden. Älter sind die Stieropfer-Funde vom Mittwinterheiligtum bei Goseck in Thüringen. Dort fand man am Pallisadenkreis insgesamt 19 Stiergehörne, am nördlichen Ausrichtungstor 6, am östlichen Sonnenaufgangstor 2, am westlichen Sonnenuntergangstor 9. Das Stieropfer gehörte demzufolge zum Mittwinterbrauchtum, einer sog. Jul-Festzeit, die zwei synodische Monate umfasste (wie Beda Venerabils angab, in „De temporum ratione“, vom Jahr 725), die im ODING-Kalender von > bis >, also von der Tauroktonie bis zur Frō-Begrüßung, währt (etwa Mitte November bis Mitte Januar).
Die uralten Sonnenwarten, die Kalender-Heiligtümer Nordeuropas
„Bei der Beobachtung der auf- und niedergehenden Sonne bilden natürlich die Wendepunkte ein besonders auffallendes, ja empfindungsmäßig bestimmt bedeutungsvolles Ereignis, das bei den Kulturvölkern durch die Anlage von Sonnenwarten oft mit geradezu erstaunlicher Genauigkeit fixiert wurde“, schreibt der Astronom Rolf Müller auf S. 10 in „Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit“ (1970). Das berühmte megalithische Monument, der Steinkreis von Stonehenge im südenglischen Wilsthire, hatte nach neuen Erkenntnissen einen Vorläufer im 200 km entfernten „Waun Mawn“ in Wales, dessen Kreis exakt den gleichen Durchmesser hat wie der äußere Graben von Stonehenge (110 m). Archäologen halten es für das „erste Stonehenge“. Die aus Wales stammenden Blausteine wurden vor rund 4.000 Jahren in Stonehenge verbaut, dessen Errichtung um 1.000 früher begonnen hatte. Beide Ringheiligtümer weisen eine auf den Sonnenaufgangspunkt zur Mitsommersonnenwende ausgerichtete Konstruktion auf. In Stonehenge, ist die um 500 m lange sog. „Prozessionsstrasse“ mit einer Exaktheit von ca. 5 Bogenminuten zum Sonnenaufgang des Sommersolstitiums ausgerichtet, eine Himmelsrichtung die zu den Haupthimmelsrichtungen vorchristlicher Kultplätze gehört. Auf den gleichen Azimut ist das gesamte Agisterstein-Arrangement ausgebaut worden. In der Blütezeit von Stonhenge lebte eine bedeutende Persönlichkeit - die englische Presse nannte ihn „den König von Stonhenge“ - deren Grab bei Amesbury, rund 6,5 Kilometer südöstlich von Stonehenge, aufgedeckt wurde. Die Grabstätte ist um 4.300 Jahre alt. Die Forscher der „Wessex Archaeology“ fanden das Skelett eines 35 bis 50 Jahre alten Mannes, sowie eine Vielzahl von Grabbeigaben. Neben Wildschweinzähnen, alten Töpfereien und steinernen Pfeilspitzen enthält das Grab unter anderem auch ein Paar goldene Ohrringe. Üblicherweise enthalten Grabstätten aus dieser Zeit nur einzelne Gegenstände. Dadurch erfolgte im Jahre 2003 ein Schock für den Nationalstolz der Briten, zumindest musste es so erscheinen, gemäß der erfolgten Presseäußerungen. Analysen seines Zahnschmelzes ergaben, dass der Mann seine Jugendzeit im voralpinen, süddeutschen Großraum verbracht hatte. War er der Initialzünder oder gar der Baumeister des berühmten Steinkreises Stonehenge ? Um 2.300 vor Beginn unserer Zeitrechnung hat der „Urteutone“ gelebt, etwa zu jener Zeit, als die ersten mehrere Tonnen schweren Steinblöcke von Stonehenge aufgerichtet wurden. Zahlreiche aus dem Grab geborgene Pfeilspitzen, drei Kupfermesser, zwei Armschützer sowie goldene Spangen - die ältesten je in Großbritannien entdeckten Goldobjekte - zeigen, dass der Bestattete eine hoch gestellte Persönlichkeit war. Wissenschaftler vermuten, der Mann könnte am Bau von Stonehenge beteiligt gewesen sein, möglicherweise spielte er dabei sogar eine zentrale Rolle. Ein nahe gelegenes zweites Grab enthält die Überreste eines 20 bis 25 Jahre alten Mannes, der den Untersuchungen zufolge mit dem Einwanderer verwandt war und in Südengland aufwuchs, wahrscheinlich war er der Sohn. Aus der Herkunft des älteren Mannes und seiner Grabbeigaben - die Kupfermesser stammen aus Spanien und Frankreich - können sie auf das weit verzweigte Handelsnetz schließen, dass nachweislich bis in die frühe Bronzezeit existierte. Zudem untermauert das Grab die Vermutung, wonach Händler und Siedler aus Mitteleuropa handwerkliche Fähigkeiten wie die Metallverarbeitung nach Großbritannien brachten und dem Inselreich damit aus der Steinzeit halfen. Als sog. „deutsches Stonehenge“ wird das südlich von Magdeburg freigelegte und rekonstruierte große Ringheiligtum von „Pömmelte“ (Durchmesser 115 m) angesehen, ein Kultplatz vom Ende des dritten Jahrtausends vor Ztr., also die Nachlassenschaft einer mehr als 4.000 Jahre alten frühbronzezeitlichen Siedlung, mit zahlreichen Langhäusern. Eine zweite ähnliche Anlage der gleichen Kultur, die von „Schönebeck“, liegt 1,3 km nordwestlich von Pömmelte, sie besteht aus einem Doppelgraben mit einem Durchmesser von etwa 80 m. Beide Heiligtümer gehören zur „Aunjetitzer Kultur“ (ca. 2.300-1.600 v.0). Deren Verbreitungsgebiet umfasste Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Böhmen, Mähren, Schlesien, Slowakei bis Niederösterreich, nördlich der Donau. Um 200 derartige Ringheiligtümer wurden bisher aufgefunden. Südlich von Pömmelte zeigen Luftbildaufnahmen eine 6.000 Jahre alte Grabanlage aus der sogenannten Baalberger-Kultur. Das nahe Naumburg, bei Goseck, gelegene Ringheiligtum (Durchmesser 75 m) ist eine vor etwa 6.900 Jahren errichtete astronomische Anlage der Stichbandkeramischen Kultur; sie wird als „ältestes Sonnenobservatorium der Welt“ bezeichnet. Nicht weit davon entfernt (25 km) erhebt sich der „Mittelberg“ (252,2 m) bei Wangen-Nebra, über der Unstrut. Dort wurde die berühmte 3.700 bis 4.100 Jahre alte bronzene Himmelsscheibe - ein Sonnenkalender - gefunden. Von der Bergkuppe aus, die in der Bronzezeit keinen Baumbewuchs aufwies, konnten die Kalenderweisen mittels der Sichtachse zum Brocken (1141,2 m), dem höchsten Berg im Mittelgebirge Harz, die Sonne zur Sommersonnenwende (21.06.) untergehen sehen. Man darf annehmen, dass der Mittelberg, mit seinen Wallanlagen, die Funktion einer kultischen Sternwarte besaß. Die seitlich der bronzenen Himmelsscheibe (Durchmeser ca. 32 cm) aufgebrachten/tauschierten goldenen sog. Horizontbögen beschreiben die Strecke der Sonnenauf- und -untergangsorte im Jahresverlauf. Verbindet man die vier Endpunkte der beiden Horizontbögen, entsteht ein Malkreuz, dessen Winkel von 82° - zwischen SS und WS - Pendelwinkel (innerhalb dem, je nach Breitengrad, der jährliche Sonnenweg pendelt) heisst. Die in Abb. 6 vorgeführten Sonnen-Pendelbögen des Sonnenkalenders vom Mittelberg beziehen sich auf einen Breitengrad des Raumes Magdeburg, wo folglich die Scheibe vor ca. 4.000 Jahren produziert worden sein muss. Ein Gebrauch der „Himmelsscheibe“ funktioniert folgendermaßen: Der Benutzer hält, auf der Nord-Süd-Achse stehend, die Scheibe waagerecht so über den Kopf, dass ihr Symbol der Sonnenbarke nach Süden gerichtet ist. Die solaren jährlichen Pendelbögen werden dann durch die beiden - den westlichen und den östlichen - Horizontbögen dargestellt. Ihre nördlichen Endpunkte markieren dann die SS-Auf- und -Untergangs-Azimute, die südlichen Endpunkte markieren die entsprechenden WS-Azimute. Die Präzession sowie die Neigungsschwankungen der Erdachse haben auf die solaren Deklinationswerte und damit auch auf die Horizontazimute so gut wie keinen Einfluss, zwischen den Solstitien von 2000 vor und nach der Ztr. beträgt lediglich ca. 0.5°.
Abb. 6 - Gestaltung nach Richard Walker, „Die Analyse archäoastronomischer Ausrichtungen“, Version 6.0, Dez. 2019 -