Figürchen am Pott aus dem Oseberg-Totenschiff
 
DIE OSEBERG-MEDITATION
 
„Sowilo-9“ heißt unser Zeichen !
Unser Schweifkreuz-Sonnenwirbel
meint doch ebenso den großen,
ganzen kosmisch weiten Zirbel.
 
Balkenkreuz zeigt Erd‘ und Himmel,
kreuzen Höhen sich mit Tiefen,
Mann und Weib, wie Gott und Göttin,
wenn sie nach Ergänzung riefen.
 
Senkrecht steht der Männer Achse,
waagerecht breiten sich die Weiber,
also meint das Kreuz das Ganze
jedem Symbolismen-Schreiber.
 
Vier Sonnenwirbel in Quadraten:
Vier mal neun ist sechsunddreißig.
Auf den Graden der Ekliptik,
wirken Zodiak-Zeichen fleißig.
 
Die vierundzwanzig Runen-Stäbe
fokussieren sich zur Sechse,
sechs mal sechs ist sechsunddreißig,
rechnet flugs die weiße Hexe.
 
Runen-Seele weist zum Kosmos,
ODING spiegelt sich am Himmel,
denn der Runen Kronen-Sechse,
misst das ganze Sterngewimmel.
 
Und die Drei meint „Alles Gute“,
darauf lasst uns sicher sitzen,
in der Schneider-Hocke sinnen,
tief im Geist die Runen ritzen.
 
Die Irminsul im Geist-Gesichte,
Augen sind uns Mond und Sonne,
Zahlen fassen uns den Kosmos
und der Gotterkenntnis Wonne.
 
Doch sechzehn mal Sowilo-Anblick,
bringt hervor Quadrat von zwölfe,
ergibt einhundertvierundvierzig.
Lichtritter jagen Sonnen-Wölfe !
 
Sechstausendhundertvierundvierzig
Einherjar stehen kampfgerüstet
einst zum Endkampf vor Walhalla,
wenn's dem Wolf nach Blut gelüstet.
 
Dafür schulen sich in Welten,
sei’s im Leben, sei’s im Sterben,
alle lichten Ritter-Seelen,
um das Zukunfts-Reich zu erben.
 
Das Oseberg-Totenschiff wurde in einem großen Grabhügel zwischen den Städten Tønsberg und Horten im Jahre 1904 in der Nähe vom Oseberg-Bauernhof, Vestfold Grafschaft, Norwegen gefunden. Es handelt sich um ein reiches wikingerzeitliches Schiffsbegräbnis des Jahres 834. Die oben vorgeführte Abbildung zeigt eine der beidseitig als Henkelscharniere am Fund des Oseberg-Holzbottichs angebrachten Figuren, im rituellen Lotossitz, welche unter dem Namen „Buddha von Oseberg“ bekannt wurden. Es sind zwei ca. 3 cm hohe Figürchen aus Bronzeguss. Die Figuren des Buddha-Bøtte (Buddha-Eimer) repräsentieren einen Mann, anscheinend in „Ekstatischen Trance“, der in der Schneidersitz-Position hockt. Sein Gesicht mit geschlossenen Augen trägt einen friedlichen und versunkenen Ausdruck. Die Brust des Mannes ist mit rotem und gelbem Chickenvé-Emaille sowie Tafeln von Millefiori verziert. Vier Hakenkreuze auf der Emaille-Dekoration sind in buddhistischer Tradition Symbole für überirdisches Glück. Allerdings scheint der Oseberg-„Buddha“ nicht aus Asien importiert zu sein. Die Forschung vermutet Irland oder England als mögliche Herkunftsorte. Sollte ein meditierender Nordmann, ein Schamane oder eine nordische Gottheit dargestellt werden ? Wir müssen uns nicht gedanklich nach Ostasien begeben, denn auch der keltische Gott Kernunnos wurde in dieser Sitzhaltung dargestellt, wie es der aus der La-Tène-Zeit stammende Silberkessel des jütländischen Moores von Gundestrup erweist. Kernunnos gehört mit seiner Hirschmaske in den Zusammenhang des keltischen Samonios, Allerseelen, im Angesicht der unvergänglichen, todlosen Seele. - Ein englischer Autor schreibt: „Der kleine Mann, dessen Beine in einer Meditationsposition gekreuzt sind, ist in der Tat ein menschliches Opfer. Die jungen, oft aristokratischen Männer, glaubten Boten zum Gott zu sein. Nach dem Opfer wurden die Leichen mit Hilfe eines an den Rücken gebundenen Holzstocks aufrecht gehalten und trocknen lassen. Danach wurde der Körper in einem kubischen Sarg begraben. Mehrere Erkenntnisse in Nordeuropa haben diese Art von Opfern gezeigt.“ Ob diese Verständnisvariante zutrifft entzieht sich meiner Kenntnis.
 
Ich will mich der mythischen Aussage des Fundes über die Zahlenmystik zu nähern versuchen. Vorweg: Was Plutarch von den Pythagogräern berichtete, „sie beehren Zahlen und Figuren mit dem Namen von Gottheiten“ (Iside et osiride c 76), trifft erkennbar auch auf die alten Weisen des Nordens und namentlich die Runen-Magier zu. Zuerst einmal betrachten wir das zentrale Kreuz der Brustplatte des Oseberg-Männchens. Das Kreuz ist in alter Zeit auch ein Sinnbild wie Ying und Yang gewesen, nämlich die Verbindung von den beiden großen Weltpolaritäten, der „männlichen“ Senkrechten des Weltstützen(er)halters mit der „weiblichen“ Waagerechten der Mutter Erde. Es handelt ich also vordergründig um ein Raumsymbol.
 
In den vier Quadranten des Allraumes zeigen sich vier Schweifkreuze, von der segnenden Bedeutung „Sonnenheil über allen vier Himmelsrichtungen“. Die Sonne, im 24er Runen-System altnord. „Sowilo“ geheißen, trägt im altgerm. ODING die Zahlengröße 9, weil sie an 9. Stelle der Reihe postiert ist. Die 9. ODING-Rune heißt Sowilo, meint also das übliche Sonnen-Sinnbild mit den 4 Schweifkreuz-Strahlen (einfaches sog. Hakenkreuz), aber das runische Sowilo-Buchstabenzeichen stellt sich mit nur einem einzigen Sonnenstrahl des solaren Schweifkreuzes dar, so dass der zahlenmythologische Gesamtwert des Schweifkreuzes 9X4 = 36 (QS: 3+6) 9 wäre. Da die Sowilo-Sonne vom Schweifkreuz versinnbildlicht wird, rechnen wir also - zum Deutungsversuch des Oseberg-Männchens - 9X4 = 36, womit der gematrische Zahlenwert der Ekliptik von 360 Grad erreicht wird. Auf diesem Himmelskreis sind die 12 astrologischen Sternzeichen beheimatet. Mit ihm ist aber darüber hinaus die Gesamtheit der Himmelshöhe gemeint, also der gestirnte Zirbel bzw. die gesamtkosmische Drehung. Die Zahl 6 (Hexagramm) ist die Runen-Oding‘sche Metapher für das Weltall, beträgt doch die Quersumme der 24 Runen (2+4) die 6. Wird die 6 im mythischen Verständnis so hoch geschätzt, muss die Super-6, oder Kronen-6, nämlich die 6X6, ebenso das All markieren können, sie tut es durch die Zahl 36, welche sich in der Quersumme wieder zur (3+6) Licht-9 zusammenziehen lässt. Daraus ist das Verständnis abzulesen, dass unsere Sonne - oder eine göttliche Zentralsonne - die wahre allerhaltende Energiequelle des Kosmos sei. Die Kern-Zahl der 6 ist jedoch die 3, denn 1+2+3 ergibt 6. Dieser Gedanke hat in den verschiedenen religiösen Systemen, z.B. der hinduistischen Trimurti („drei Formen) von „Brahma-Vishnu-Shiva“, der christlichen Trinität („Dreieinigkeit“) von „Vater-Sohn-Hl.Geist“, der germanischen Gottesschau von „Wodin-Wili-Weih“ und schon in der altägyptischen Sicht von „Isis-Osiris-Horus“, Form gewonnen. „Aller guten Dinge sind drei !“ Auch die Oseberg-Figur stützt sich sinnvoller Weise auf 3 Klötzchen, 2 unter den Ellenbogen, eines unter den Füßen. Die Steigerung der 3 wäre durch ihre Potenzierung (3X3) zu erreichen, woraus sich wieder die 9 ergibt, deren Potenzierung (9X9) mit 81 (8+1) die Licht-9 beibehält, also bestätigt. Die 4 Schweifkreuze auf dem Brustfeld des Männchens sind derart gestaltet, dass sie aus jeweils 4 Sowilo-Runen des Zahlenwertes 9 gebildet werden. Wir müssen also rechnen: 4X4=16 Sowilo-Runen des Wertes 9 (16X9) ergeben 144, mit Quersumme (1+4+4), der runisch-oding’schen Licht-9. Die Zahl 144 gilt in der Zahlenmystik als eine Zahl von großer Vollkommenheit. Sie ist das Quadrat von 12. Die 12. ODING-Rune ist das Welt-Eiben-Zeichen, also der germ. Weltenbaum, welcher für die Gesamtheit der polaren Welt steht (3x4 = Geist mal Stoff). In der Astrologie gibt es z. B. 12 Sternzeichen-Aszendent-Kombinationen und überhaupt überall, wo die 12 Verwendung findet, kann sie durch Quadrierung ebenso zur 144 erhoben werden. Sie erscheint vordergründig als judäo-christlichste Zahl, denn in der Bibel werden aus den „12 Stämmen Israels“ jeweils 12.000 Mann „versiegelt“, das ergibt insgesamt also 144.000 „Auserwählte“.
 
In der neutestamentlichen „Offenba­rung des Johannes“ (14/1+3; 21/17), einer aus iranisch-indogermanischer Gnosis kom­menden, eigentlich ganz heidnischen Schrift, wird in visionärer Schau die himm­lisch-gei­stige heilige Stadt beschrieben, die sehr wohl mit der germanischen Walhalla zu verglei­chen ist. Ihre Mauerhöhe soll „144 Ellen“ und 144.000 Stadien der Umfang der apokalypti­schen Himmelsstadt betragen. An anderer Stelle werden die erwähnten 144.000 Auserwählten, die „Erstlinge Gottes“, gepriesen. Es sind jene, die vor Beginn des letzten Ge­richtes um ihren Gott geschart auf dem Nordberg stehen (hier Berg Zion genannt); die ihrem Geistvater verschrieben sind, ihm also bedin­gungslos angehören. Auf ihren Stirnen prangt sein Zeichen. Ebenso wie die zum „Letzten Ge­fecht“ bereiten Einherier Odins, sind das die reinen got­testreuen kämpferischen Menschenseelen, an denen nichts Falsches gefunden wurde. „Denn wenn die Guten nicht kämpfen siegen die Schlechten“, so lautet der altiranische und altgermanische Lichtglauben.
 
Doch in jedem Religionssystem in dem die Zwölfzahl Hoch­schätzung erfährt, muss die (12X12=) 144 ge­steigerte Bedeutung erlangen. So benötigen die zorastischen Priester 144 Tage oder fünf Monate, um die Gesamtheit der 144 Ritualtexte (Yasnas) und 144 Ri­tualgesetze (Vendi­dads) des mazdayasni­schen Messopfers zu rezitieren. Die bedeutsamste Zahlenangabe im Snorri-Rest des nordischen Weisheitsbuchs „Edda“ findet sich im Grim­nismål“, dem Grimnislied, Vers 23. Da heißt es darüber wie viele Tore Walhall aufweist: „Fimm hundruð dura - oc um fiórom togom.“ Verdeutscht: „Fünfmalhundert Tore und vierzig dazu sind in Walhalls weitem Bau; achtmalhundert Einherier gehen aus einem Tor, wenn sie ausziehen, zu wehren dem Wolf.“ Die Deutung schien problemlos: „Fünfhun­dert Tore und vierzig dazu“, also 540 Tore sollen es sein. Multipliziert man diese Walhall-Zahl mit den 800 Ein­heriern, entsteht die Zahl 432.000 (3X144 = 432). Also werden räumliche Gegebenheiten Walhalls beschrieben. Wir erhalten Angaben über die Bauweise der jenseitigen Totenhalle seliger Geister. Und es ist zu erfahren, dass aus einem jeden der himmlischen Tore 8 x 100 Einherjar (altnord. „Einzelkämpfer“ / „ehrenvoll Gefallene / Helden“), also Lichtritter­seelen heraustreten werden, um den Endkampf gegen die wölfischen Fin­sternis- und Chaosmächte auszufechten. Beachtet muss aber werden, hätte der Autor der betreffenden Edda-Strophe wirklich die Zahl 100 nach dem Zehnersystem gemeint, so hätte er entweder „tio tiger“ oder „hundruð ti­rott“ geschrieben. Er gebrauchte jedoch die Bezeich­nung „hundruð“, die für das Großhun­dert von 120 Einheiten im alten Norden üblich war. 144 galt als das „dicke Dutzend“, eine Verviel­fältigung der heiligen 12-Zahl. Schon der Germanist Hugo Gering interpre­tierte in diesem Sinne (Komm. I, 1927, S. 196). Der ältere Wortgebrauch ging von 120 Einheiten aus, der jüngere, wie auch im heutigen Island, von 100. Wollen wir das „Grim­nis­mål“ als eine eher urtümliche Dichtung verstehen, müssen wir mit den Anga­ben von 120er Werten zurechtkommen. Die Walhalla-Zahl errechnet sich also: 5X120 = 600 und 40 dazu = 640. Es heißt demnach, dass aus jedem einzelnen der 640 Tore Walhalls 960 Gottesstreiter dem Welten­wolf entgegentreten werden. Das wären 640X960 = 614.400 Helden-Geister. Die Frage erhebt sich: Welche my­thisch-symbolische Aussage liegt in der Zahl 614.400 ver­schlüsselt ? Diese Edda-Zahl könnte aufgeteilt werden in 600.000 und 14.400. Die mythische Bedeutung der 6 wurde beschrieben, der Sinn der 14.400 bzw. 144 ebenso. Die gnostische Anzahl der Lichtritterseelen ist in die Gesamtsumme sicherlich nicht zufällig eingewoben.
 
Die Multiplika­tion der beiden wichtigsten Zahlen des Ur-Ru­nensystems - 6X24 - lässt ebenso 144 entstehen, wie auch die Addition aller ungeraden Runen-Zah­len von 1 bis 24 (1+3+5+9+11+13+15+17+19+21+23 = 144). Die soge­nannte Präzession, der jährliche Rücklauf des Frühlingspunktes um 1° in 72 Jahren, ergibt 72 mal 360° den Rundlauf des Frühlings­punktes einmal um die gesamte Ekliptik. Die­sen Zeitraum von 25.920 Jahren nannte man ein Äon oder das Große- bzw. Gottesjahr. In 1440X18 = 25.920 Jahren rundet sich das Gottesjahr, kehrt der Frühlingspunkt an seinen Aus­gangsort zurück. Die Zahl 1440 erweist sich also auch als eine nicht unwichtige Zeitrechnungsgröße.
 
Die Gesichtszüge des Oseberg-Männchens machen weitere Aussagen. Über dem Mund, der Quelle der Weisheit, steht unmittelbar darüber, in Gestaltung von Nasenlänge-Augenbrauen-Bögen, eindeutig die Weltenstütze, wie sie sich auf mehreren keltischen Bildnissen dergestalt wiederholt. Unter der Irminsul-Himmelsstütze die geschlossenen Augenlider, unter denen man die runden Pupillen weiß, welche die beiden Jahresgestirne meinen, nämlich Sonne und Mond. In der Fläche der abgeflachten Kopfkalotte sind zentrische Kreislinien eingearbeitet, sie dürften den 8. Himmel, den kreisenden Fixsternhimmel versinnbildlichen wollen. Damit gibt sich das Oseberg-Männchen als symbolistische Gottheiten-Figur zu erkennen, die in ritueller Trance, möglicherweise in kosmogonischer Meditation verharrt und damit als Vorbild für jeden ihr nachfolgewilligen Adepten herhalten kann. Bei ihrem Holzbottich handelt es sich um ein Relikt der Toten-Weihe, denn er gehörte zum Bestand des Oseberg-Totenschiffes dessen Fahrt in Richtung der jenseitigen Totenort der Walhalla abgehen sollte. Deshalb liegt es nahe, in der Figur und ihren Attributen auch ein religiös-visionäres Bild des sich zur göttlichen Heroenseele verklärenden Toten zu vermuten, mit bereits all den höheren Bezügen der gängigen Welterkenntnis-Sinnbilder.