29.07.2019 / 29.09.2025
 
Foto von Christine May im Wald von Ketternschwalbach im Untertaunus.
 
BEGEGNUNG IM WALDE
 
Ich wanderte Wege zum Sommerwald,
goldgelb hing die Linde in Blüte.
Ich bog eine Ranke hinab und roch
den betörenden Duft ihrer Güte.
 
„Mutter Linde, ich achte die Göttin in Dir,
die uralte, schützende Reine,
die in allem Linden und Liebenden lebt,
was immer auf Erden erscheine.
 
Meine Ahnen hielten Dich hoch in Acht,
so will ich es geradezu halten -,
Lindengöttin, gewähr‘ mir die Huld,
in Deinem Wohlsinnen zu walten.
 
Ich ehre die Wesen in Wald und Flur,
die Heimchen, die Alfen und Elfen.
Wer immer sie achtet dem zeigen sie sich
ihr Anblick - so hieß es - mag helfen.“
 
Vom Waldessaum riefen die Tannen mich,
die Wächter im dunklen Gewande:
„Walle nur zu, Du wirst sie gewahr,
was wir lieben hat uns am Bande !“
 
Still ruhte der Forst, keines Vögleins Laut
unterbrach die Andacht der Fichten,
sie hoben die Häupter zur Höhe hinan,
ihre Wipfel wogten im Lichten.
 
Längst kam ich querab, tief in den Hag,
der Duft von Pilzen und Moosen,
gemischt mit wolligen Waldgrases Schaum,
das schien wie ein Streicheln und Kosen.
 
Und da saß Eine, die winkte mir zu,
das Herzblut schoss heiß mir zur Wange.
Gute Geister spenden denen die Gunst,
die da suchen im süchtigen Gange.

 

Linden-Mythologie

Unsere Ahnen, die Germanen, verehrten die Linde als der Göttin „Freya“ geweihten Baum. Sie war die Göttin der Liebe, des Glücks, der Fruchtbarkeit und des guten Hausstandes. Die heiligen „Freya-Linden“ waren zumeist Sommerlinden und galten den Germanen als Sitz der guten Geister. Die Verehrung der Linde lag darin begründet, dass sie eine Vorstellung von einer Wesensgleichheit von Mensch und Baum hatten. Dies bildete die Grundlage für zahlreiche germanische Mythen und Legenden. Was sich auch in der Siegfried Sage widerspiegelt, die zum bedeutenden deutschen  und und nordischen Kulturgut zählt. Siegfrieds Schicksal steht in enger Verbindung mit der Linde. Unter ihr tötete er den Drachen Fafnir. Bei seinem Bad im Drachenblut fiel ein Lindenblatt zwischen seine Schulterblätter und verhinderte somit seine vollständige Unverwundbarkeit. Außerdem wurde Siegfried unter einer Linde von seinem Mörder Hagen getötet, indem ihm dieser einen Speer durch eben diese ungeschützte Stelle in sein Herz stieß.

In vielen Stammesgebieten der Germanen war die Linde der sinnbildliche Omphalos und hatte somit die Funktion als Mittelpunkt und Treffpunkt für alle Angelegenheiten der Gemeinschaft, da sie gleichzeitig als eine Art Manifestation von Wahrheit, Gerechtigkeit, Klarheit, Entschlossenheit, Mitgefühl und göttlichem Wissen galt. Die alten germanischen Stämme trafen sich unter den Linden, um Signale aus der Geisterwelt zu empfangen.

Die gewaltsame und erzwungene Christianisierung machte auch vor den Linden nicht halt. Die alten Statuen der Gerichts- und „Freya-Linden“ wurden zerstört und durch Marienbilder ersetzt. So wurden aus den alten „Freya-Linden“ „Maria-Linden“, die heute die einzig noch vorhanden Baumheiligtümer sind. Auch die weltberühmte Altöttinger Madonna, die sogenannte „Schwarze Madonna“, im Stil der Frühgotik, ist aus Lindenholz geschnitzt. Typisch für Deutschland sind auch die so genannten Apostellinden. Um sie zu erhalten, wurde ein gekappter Baum auf zwölf Hauptäste gezogen, die man dann nach den 12 Aposteln benannte. Heute gehört es zum Charakteristikum von Kirchen und Klöstern, dass vor ihnen Linden stehen.

In Skandinavien war die Linde der wichtigste von drei so genannten „Våträd“, den Schutzbäumen für Haus und Hof. Ihnen wurden regelmäßig Opfer dargebracht.

Den Slawen galt die Linde als heiliger Baum. Sie besaßen eine eigene Lindengöttin, „Libussa“, vom slawischen Wort „liba“ für Linde. Sie wurde unter Linden als Rechtssprecherin und Orakelgöttin verehrt, vor allem in Liebesangelegenheiten. Bei den Kelten umstanden Winterlinden die heiligen Plätze im Hain. Sie grenzten ihre Kultstätten ein. Die Linde galt somit in vielen Kulturen als Zeichen bzw. Baum der Liebe. Die Seher der alten Skythen trafen mit Hilfe von Lindenrinde Vorhersagen. Solche Praktiken gab es auch im alten Griechenland.

Der Liebesgöttin „Aphrodite“ opferten die Griechen unter Linden. Die im Dienste von „Aphrodite“ Stehenden, wanden sich Kränze aus duftenden Lindenblüten. Im antiken Griechenland galt die Verwandlung in einen Baum als eine Gnade der Götter. Laut griechischer Sage ist die Linde eng mit dem Geistwesen „Phylira“ verbunden. Sie war eine Nymphe, die von den Göttern in einen Baum verwandelt wurde, und zwar in eine Linde, daher auch das griechische Wort „Phylira“, das Linde bedeutet.

Die Götter „Hermes“ und „Zeus“ erfüllten dem Ehepaar „Philemon“ und „Baucis“ als Dank für deren Herberge und Unterkunft bei ihrer Wanderung auf der Erde einen Wunsch, nachdem sie bei den anderen Stadtbewohnern keine Gastfreundschaft erfahren hatten. Sie verwandelten die Hütte des Ehepaares in einen Tempel und beide am Ende ihres Lebens in Bäume, so dass sie nie getrennt sein müssen, da dies ihr Wunsch war. „Baucis“ wurde zu einer Linde und „Philemon“ zu einer Eiche.