29.09.2024
Kupferstich von Franz Hegi (1774-1850) - betitelt: „21 Juny 1576“
Hirsebreifahrten (1456 + 1576)
1455 - Eine Freischar aus mehreren Orten, voran Zürich, befreiten Strassburger Handelsleute, die vom Grafen Allwig von Sulz in Eglisau gefangen gehalten wurden. 1456 - Diese kriegerische Tat war wohl der Anlass, dass die Zürcher ein Jahr später 1456 an einem Freischiessen, das Strassburg ausgeschrieben hatte, teilnahmen. Zum ersten Mal wagten junge Zünfter der Schiffleuten und Schützen der Stadt den Versuch, in einem Tag von Zürich nach Strassburg zu fahren. Es gelang, Strassburg innerhalb von 22 Stunden zu erreichen und den warmen Topf zu übergeben.
Die „Hirsebreifahrt“ geht aus einer Wette zwischen Zürich und Strassburg hervor: Wären im Ernstfall die Zürcher imstande, ihren Verbündeten innerhalb von 24 Stunden zu Hilfe zu eilen? 1456 reist eine Gruppe Zürcher Bürger per Schiff nach Strassburg, um an einem Schiesswettbewerb teilzunehmen. Auf ihrer Reise nehmen die Zürcher einen Topf voll Hirsebrei mit, der noch warm war als sie in Straßburg anlandten. Der berühmte Dichter Johann Fischart (1546-1591) veröffentlicht 1577 ein 1’174 Verse zählendes Gedicht zur Zürcher Leistung von 1576 mit dem Titel Das Glückhafft Schiff von Zürich. Der vollständige Text ist auf der Webseite der Deutschen Digitalen Bibliothek zugänglich. Um nach Strassburg zu gelangen, folgen die Zürcher auf ihrem Schiff der Limmat, der Aare und dem Rhein; am Ufer des Rheingiessens, ein 1874 zugefüllter Flussarm des Rheins, legen sie beim Krutenauviertel an. Ihre Errungenschaft ist es, an einem einzigen Tag eine Reise gemeistert zu haben, die normalerweise drei beanspruchte.
Der Hirsebrei wurde in einem 140 Pfund schweren Kochtopf transportiert, der vor dem Aufbruch in erhitzten Sand gepackt worden war. Am Ziel ist das Mahl noch warm und zeugt von der Zügigkeit der Zürcher. Die „Hirsebreifahrt“ wird schon ab dem 16. Jahrhundert Gegenstand von Gedenkfeiern, die auch an die Freundschaft zwischen den beiden Städten erinnern sollen. 1576 wird Strassburg in nur 22 Stunden erreicht, und auch im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Reise mehrmals unternommen. Seit 1946 finden Reise und Kommemoration alle zehn Jahre statt. Neben dem oben zitierten Gedicht Johann Fischarts finden sich Spuren der Hirsebreifahrt von 1576 in verschiedenen Chroniken und auch in privaten Dokumenten. Der Stadtarzt Georg Keller, einer der 54 Bürger Zürichs, die bei der Fahrt dabei waren, hat einen Bericht geschrieben, der den berühmten Vers bestätigt, in dem Fischart erzählt, die Strassburger hätten sich am Hirsebrei die Lippen verbrannt: „Als wir nun ze tisch gesessen, hat man auch den hirshafen dahin getragen und hat in der diener uf des ammeisters stuben ufgetan und in kleine blättli angericht und allenthalben uf die tisch usgeteilt, welcher noch so warm gewesen ist, dass er einen an die lefzen (Lippen) gebrennt hat.“ Die Zürcher Leistung hat auch Spuren in der materiellen Kultur hinterlassen. Zu erwähnen wäre der 1884 erbaute Zürcher Brunnen in Strassburg oder der Fusspokal des Zürcher Goldschmieds Abraham Gessner. Diesen Pokal hat Gessner infolge seiner Teilnahme an der Gedenkfahrt von 1576 erschaffen. In der Sammlung des „Musée d’Histoire in Strassburg“ befinden sich die Fragmente des Kochtopfs, der bei der Gedenkfahrt von 1576 benutzt worden sein soll. Überliefert sind auch viele Gebäckformen, die die Zürcher Tat zelebrieren. Einige dieser Objekte können in der Ausstellung „Alarm!“ im Museum Altes Zeughaus in Solothurn betrachtet werden.
DIE HIRSEBREIFAHRT
Zwei deutsche Städte taten sich kund,
zu stehen im trutzigen Freundesbund,
Zürich und Straßburg, wie ein Gespann,
das sich gegenseitig beistehen kann.
Die beiden fußten auf Luthers Lehr‘,
Freiheit und Frieden war ihr Begehr‘.
Die Züricher sprachen: „Wir sind dabei,
zu zeigen wie rasch unsere Hilfe sei.
Wir rudern euch den Rheinstrom runt
einen heißen Hirsebrei in den Mund.“
Die Zürichter Frauen sputeten sich,
garten das Breilein, mit Kräutern frisch.
Von der reißenden Limmat in die Aar,
das Boot des Morgens gestartet war.
Der Hirsebrei-Topf in Mitten stand,
ummantelt war er von glühendem Sand.
In Laufenburg wurden Boote getauscht,
weil um die Klippen der Strudel rauscht.
In Basel stand das Volk auf der Brück‘
den Ruderern riefen sie Heil und Glück.
Bei Breisach hielten die Ruderer Rast,
eine kleine Weile nach hurtiger Hast.
Gegen Abend waren sie angelangt,
der Pritschenmeister stand am Strand.
Trommelwirbel klang mit Trompetenton,
die Zürichter Fahnen stiegen zum Lohn.
Obmann Kaspar Thomann trat hervor
und rief das Willkommen unter dem Tor.
Die Volksmenge harrete Kopf an Kopf,
zu gewahren den dampfenden Hirsetopf.
Die Straßburger Jugend erhielt verzückt,
Züricher Brezeln in Händchen gedrückt,
So knüpften die Städte den Bundesring,
als es noch ehrsam und deutsch erging.
Doch lang sind die heilen Zeiten vorbei,
als man bieder sich labte am Hirsebrei !