Karikatur von Honoré Daumier (1808-1879),
in „La Caricature“ - 14.05.1835 -
„Sie haben das Wort, reden Sie, Sie sind frei !“
 
GESINNUNGSSCHNÜFFLER -
GESINNUNGSJUSTIZ
 
Es gibt die Spezies menschlicher Kröten,
die woll‘n die Freiheit des Geistes töten.
Und ganz egal, sie sind immer dabei,
wenn ein geistig‘ Werk zu verbieten sei.
 
So ist‘s bis heut‘ -, bis auf unsere Tage,
nur diskutieren die Häscher die Frage,
welcher Foltergrad wohl zumutbar wär‘ ?
Nur bis zum Bankerott, so ungefähr !
 
Wer anders denkt als man‘s erlaubt,
wer gar an verbotene Götter glaubt,
der wird erschnüffelt, der wird erkannt
und auf‘s „Prokrustesbett“ gespannt.
 
Was „falsch“ ist weiß der Staatsanwalt.
Und Krötenaugen glotzen kalt -,
das Krötenmaul verzieht sich, grinst:
„Geistfreiheit ist ein Hirngespinst !“
 
Gedeckt von Roben, Soutanen, Talaren
hocken „Gerechte“ seit tausend Jahren
auf Richterstühlen der Inquisition,
vom klerikalen und staatlichen Thron.
 
Berufene Kröten erspähen die „Ketzer“,
besolden denunziantische Schwätzer -,
so hat es die Kirche allzeit gemacht,
das hat nicht erst Calvin sich ausgedacht.
 
Sie schmähen „falsche“ Fahnentücher,
sie indizieren „gefährliche“ Bücher,
sie bringen Menschen in Not und Haft;
das wird in allen Systemen geschafft.
 
So lange wir leiden an Krötenplagen,
wird niemals enden das „Hexenjagen“,
denn das Problem hat einen Kern:
Der Unmensch jagt den Menschen gern !
 
Der geistige Terror, der die „Gerechten“ und „Rechtgläubigen“ von den „Verworfenen“ und „Heiden“ schied, begann mit der staatlichen Einzwingung der Christenkirche in die abendländische Gesellschaft. Dies geschah zunächst aus dem Machtkalkül der Karolinger, die sich die fehlende, weil usurpierte, Herrscherlegitimation über die fremdländisch-römische angemaßte Kirchengewalt der Päpste zu sichern suchten. Wer per se die Mehrheit seiner Untertanen in Glaubensfragen schuldig spricht, hat ein jederzeit greifbares Instrumentarium zur Hand, nach Belieben zu maßregeln, bis hin zur Aneignung des fremden Besitzstandes. Man spielte - wie es bei Falschspielern üblich ist - sich gegenseitig die gezinkten Karten zu. Der machtversessene höhere Klerus, bis hinab zu den hungrigen Bettelmönchen, machte mit der ortsbehördlichen Staatsgewalt gemeinsame Sache zwecks der Bereicherung auf Kosten derer die im abgekarteten Spiel nicht mitspielen wollen. Auf diese Weise gingen im Laufe von Jahrhunderten unfassbare gigantische Eigentumswerte in den Besitz der christlichen Potentaten und der Kirchenoberen über. Um „Schuldige“ herauszufinden, setzte man von Beginn an auf die Züchtung eines Denunziationssystems, was die Besoldung und Belohnung von Angebern und Verrätern mit einschloss. Die Christenkirche hat die Beschnüffelung, Bevormundung und geistige Uniformierung des Menschen legalisiert -, das war ihre Drachensaat. Damit hat sie schlimme Schule gemacht bei den von ihr uneingeschränkt dominierten staatlichen Institutionen. Die Menschenbevormundung wurde zur Normalität im Abendland und zwar bis zum heutigen Tag. Das Prinzip blieb, nur die Ausrichtungen schwanken, nämlich dass einmal diese und einmal jene als „Staatsfeinde“ verfolgt werden. So gleicht im übertragen Sinne bis heute Kirche und Staat dem gewalttätigen Wegelagerer Prokrustes der altgriechischen Sage. Dieser zwang die Reisenden auf ein Bett nach dem sie bemessen wurden. Wenn sie zu groß für das Bett waren, hackte er ihnen die Füße bzw. überschüssigen Gliedmaßen ab; waren sie zu klein, hämmerte und reckte er ihnen die Glieder auseinander, indem er sie auf einem Amboss streckte. Das „Bett des Prokrustes“ wurde zum Sinnbild für den Zwang des Menschen gegen Andersdenkende, um sie zu zerstören.
 
Am perfektesten - nach den Paderborner Blutgesetzen „Karl des Großen“, 782 - hat der hochintelligente evangelische Fanatiker Johannes Calvin (1509-1564) das christliche Menschenversklavungssystem organisiert und perfektioniert. Heute - mittels eines jetzt technisch möglich gewordenen lückenlosen Überwachungsapparates - ist die Menschenbespitzelung zu einer Qualität entwickelt worden, von der die alte Kirche und Calvin nur träumen konnten. Calvin erarbeitete eine Gemeindeordnung mit strenger Kirchenzucht, die das gesamte öffentliche und private Leben einer minutiösen Regulierung unterwarf und durch äußerst effiziente Überwachungsmaßnahmen sowie ein rigides weltliches und geistiges Strafregiment selbst bei geringfügigen Verstößen eine Atmosphäre der Denunziation und Angst verbreitete, in der es keinerlei individuellen Spielraum mehr gab. Im Kern ging es um die Verpflichtung zur regelmäßigen Beteiligung an Gottesdienst und Predigt sowie um die Unterdrückung sämtlicher privater Vergnügungen und Neigungen. Seitdem Calvin der mächtigste Mann in Genf war, 1555, machten seine Anhänger von der Macht, die sie legal ergriffen hatten, gegen die politische und kirchliche Opposition rigoros Gebrauch. Sie verbannten ihre Gegner, ließen Todesurteile fällen und konfiszierten das Vermögen der Missliebigen. Calvin, der immer wieder bei Sitzungen der verschiedenen mit den Urteilen befassten Ratsgremien gehört wurde, setzte sich in Wort und Schrift persönlich vehement für Verfolgung und Verurteilung Andersgläubiger ein und drohte während seiner Sonntagspredigten solchen Ratsmitgliedern den Kirchenbann an, falls sie nicht in seinem Sinne stimmten. Calvins Hexenverfolgung stand der katholischen in keiner Weise nach. In der wörtlicher Befolgung der Aussagen aus Bibel (Ex 22,17): „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“, befürwortete er die gnadenlose Verfolgung der „Hexen“ und deren Hinrichtung. Er rief dazu auf, „Hexen“ aufzuspüren und „auszurotten“. In seinen Predigten über das erste Buch Samuel tadelte er darum jene, die die Verbrennung der Hexen ablehnten, und forderte, sie als Verächter des göttlichen Wortes aus der Gesellschaft zu verbannen. Besonders gut dokumentiert ist Calvins Haltung in den „Hexenprozessen von Peney“, Calvin glaubte, dass drei Jahre lang Männer und Frauen in Genf durch Zauberkünste die Pest ausbreiteten, und hielt alle durch Folter abgepressten Selbstanschuldigungen für wahr, nachträgliche Widerrufe jedoch für unwahr. 1545 wurden innerhalb weniger Monate 34 Unglückliche nach entsetzlichen Martern vor den Häusern, die sie angeblich mit Pest behext hatten, verbrannt. Heute verbrennt man nicht mehr die Verfolgten „Falschdenker“, man fügt ihnen hohe Haft- und Geldstrafen zu, um sie auf diese „humane“ Weise zu zerstören.
 
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Die karolingischen Blutgesetze vom Jahre 782, als Vorbilder für die Umerziehung und Kriminalisierung einer Nation, mit dem Zweck ihre Identität zu zerstören:

1. Die Kirche Christi soll nicht geringere Ehre haben sondern größere und hervorragendere als die heidnischen Heiligtümer.
2. Mit dem Tode wird bestraft, wenn jemand die heilige vierzehntägige Fastenzeit des Christentums verschmäht und Fleisch isst.
3. Mit dem Tode wird bestraft, wenn jemand fürderhin sich versteckt und es verschmäht zur Taufe zu kommen und ein Heide bleiben will.
4. Mit dem Tode wird bestraft, wenn sich jemand gegen die Christen verschwört.
5. Jede Gemeinde hat der Kirche einen Hof und zwei Hufen Land auf 120 Menschen zu schenken.
6. Durch die Gnade Christi ist es beschlossen, dass von allen Abgaben an den Staat der zehnte Teil an die Kirchen und den Pfarrer gegeben werden muss.
7. Nach den Geboten Gottes ist der zehnte Teil des Vermögens und des Einkommens aller an die Kirche und Pfarrer abzugeben.
8. Wer bei Quellen, Bäumen oder in Hainen seine Andacht verrichtet oder nach der Sitte der Heiden Opfer darbringt und zur Ehre der Dämonen isst, wird bestraft.
9. Heidnische Weissager und Priester sind den christlichen Kirchen und Geistlichen auszuliefern.
10. Niemandem ist es erlaubt, Entäußerungen seines Erbes vorzunehmen außer an die Kirche und den König.
11. Alle Kinder sind innerhalb eines Jahres zu taufen. Wer es nicht tut, wird bestraft.
12. Vor allen Strafen, auch der Todesstrafe ist geschützt, wer in eine Kirche flieht, dem christlichen Priester beichtet und Buße tut.