ODINGs Urstoff-Folge
„Die Buchstaben des Alls“
Wenn es richtig ist, dass das Runen-ODING ein antikes (theosophisch-gnostisches) gottesweisheitliches Erkenntnissystem darstellt, dann müssten aus seiner Kreisgestalt die verschlüsselten Grundgedanken der Weltentstehung, des Weltbaues und des Weltgeschehens so gut herauslesbar sein, wie sie hineingeschrieben wurden. Die alten Weisheitslehrer versuchten die Werdung der vielgestaltig-wechselhaften Erscheinungsgesamtheit aus einem Urstoff (oder mehreren) zu begreifen, denn wenn etwas entstehen soll, so müssen als Ursprung der Dinge gewisse Baumaterialien, Ur-Sachen (griech. Elemente) vorausgesetzt werden. Diese nannten die Griechen (Demokrit) bereits „Buchstaben des Alls“.
Insbesondere Empedokles von Agrigent (490-430 v.0) lehrte, dass alles Materielle aus 4 Elementen, den „Wurzeln der Dinge“, erwachsen sei und diese gewissen Gotteskräften / Gottheiten zuzurechnen wären. Der Pythagoreer Philolaos (Ende 5. Jh. v.0) unterschied schon 5 Elemente: Erde, Wasser, Luft, Feuer, Äther. Er versuchte ihre Unterschiede als rein geometrische zu begreifen, indem er das Körperliche als ein Gewebe aus unsichtbar kleinen Partikelchen (Polyedern) auffasste. Aus Kuben bestünde die Erde, aus lkosaedern das Wasser, aus Oktaedern die Luft und aus Dodekaedern der Äther. Platon (427-347 v.0) folgte dieser Elemententheorie, insbesondere griff er die Idee vom 5. Urstoff auf dem Äther (belebender göttl. Welt-Seelenstoff). Dass er aber die wahre Ursache der Welt in der Vernunft und den Ideen der Gottheit erkannte, steht außer Zweifel. Besonders stolz war er darauf, sich für den ersten halten zu dürfen, der den Gedanken verfolgte, die Elemente seien nur Erscheinungsformen, also Aggregatzustände eines einzigen Ur-Grundstoffes (Tim. 48b) Aber schon die altindische Kosmogonie besagte etwas ganz ähnliches: Am Beginn der Weltschöpfung sowie zur Weltauflösung, jeweils am Ende eines Zeitalters, würde die Materie eine stufenweise Evolution und Absorption erfahren. Aus dem göttlichen Ur-Es Brahman komme Akaca (energiegeladener Ätherraum), daraus entstünde Luft, daraus Feuer, daraus Wasser, daraus Erde (Chand. 4,3,1). Solcher Auffassung liegt wohl die umgekehrte Beobachtung zu Grunde, wie Festes sich in Wasser auflöst, Wasser in der Feuerhitze verdampft, Feuer mit seinen Flammen in der Luft verflackert, Luft nach der Höhe zu sich mehr und mehr zum leeren Raum verdünnt. Diese Vedantalehre, von der periodischen Resorption und Neuschaffung der Welt durch Brahman, findet sich wieder in den Konzepten Anaximanders, Anaximenes, Diogenes, der Stoiker bis hin zur spätgermanischen Edda. (Völ. 59-66)
Über die richtige Reihenfolge der Elemente vermochten sich die griechisch-hellenistischen Denker nie zu einigen. In Platons Werken sind zwei Versionen enthalten, und sein Schüler Aristoteles (384-322 v.0) blieb ebenso unsicher; er fand, wie seine Schriften ausweisen (De Generatione, Meteorologie), keine widerspruchsfreie Lösung. Zu beachten ist, dass bei den Indern zwischen Wasser und Luft das Feuer, bei den Griechen hingegen zwischen Wasser und Feuer die Luft steht.
Der urgermanische Werkmeister des ODING folgte weder der einen noch der anderen Richtung; seine Konstruktion ist ohne Vorbild. Ob er sich aber eigengesetzlichen heimischen Traditionen verpflichtet fühlte, oder ob er ein persönliches Denkmodell entwickelte, bleibt ungewiss. Unzweifelhaft dagegen ist, daß er mit den ersten 5 Runen eine Urstoffregel und -folge aufzustellen beabsichtigte, denn wer in damaliger Zeit eine ernstzunehmende Schöpfungsgeschichte niederlegen wollte, kam nicht umhin, mit der Urstoffentstehung zu beginnen. Er schuf ein System, welches Mythos, Element und Zuordnungszahl harmonisch zusammenklingen lässt:
1. Rune /o Runenname: oðalan (altengl. oeðel, „Heimatland“) = Erbgrund, ERDE; 2. Rune /d Runenname: dagaz = Tagvater/Urgott mit der Doppelaxt = LUFT. 3. Rune /ng Runenname: ingwaz = Sonnen-/Fruchtbarkeitsgottheit = FEUER; 4. Rune / l Runenname: laguz = WASSER; 5. Rune /m Runenname mannaz: Urmensch = ÄTHER.
Der Runenschöpfer entwarf damit eine sinnvolle Zusammenschau der unterschiedlichen Elemententheorien und schuf eine aus vielerlei Betrachtungsebenen stimmige und folgerichtige Urstoffreihung, die bei hinreichender Kenntnis der antiken Götterlehren, Glaubensformen und Philosophien sehr gut nachvollziehbar ist.
ERDE Die Menschenheimat Erde, „Mutter Erde“, „die Urkuh“, mithin auch das Element ERDE, an den Beginn zu stellen, entsprach allgemeinen Einsichten und mythischen Denkgewohnheiten, denn das gebärende mütterliche Prinzip wurde mit dem irdischen Lebensraum des Menschen gleichgesetzt. Natürlich haben sich die in naturwissenschaftlichen Kategorien spekulierenden Philosophen bei dem Begriff „Element Erde“ keine grobe Erdscholle gedacht, sondern das feinste Partikelchen, aus dem eine Erdscholle aufgebaut ist, also eine Art Urmaterie-Atom, welches sich die Pythagoreer und Platon als Sechsflächner/Würfel vorstellten. Noch in den mittelalterlichen Lehren der Alchimie gilt die ERDE, geradeso wie schon bei Anaximenes und Xenophanes (griech. Philosophen 6./5. Jh.v.0), als das Symbol des Urstofflichen und erste Grundlage aller körperlichen Erscheinungen.
LUFT Dem indoarischen Mythos entsprechend, gebiert das weiblich-irdisch-geistige göttliche Ur-Es die männliche, spannungsgeladene Gotteskraft, den Demiurg, den Weltenbaumeister/Schöpfergott („Zimmermann“ / „Schmied“). Da Werdung ganz allein aus dem Spannungsfeld polar gegliederter Energien denkbar ist, musste dieser Urgott als Zweiwesiger (= Tuisto) begriffen werden, dem das sinnfällige Attribut Doppelaxt/Doppelhammer (der Zeugung und Vernichtung), beigegeben wurde. Die so verschieden erscheinenden Namen, die der indogermanische Himmelsgott bei den verzweigten Teilvölkerschaften trug - Dyaus-pita, Theos, Zeus, Jupiter / Diespiter, Ziu/Tiu/Tyr -, haben etwas mit dem Licht zu tun. Ihre Verwandtschaft mit lat. „dies“ = "Tag", ist sprachwissenschaftlich erwiesen. Der ursprüngliche Inhalt des Namens muss nach seiner sprachlichen Beschaffenheit „der Aufleuchtende" sein, der das Aufleuchten der Himmelsluft, des Tages und schließlich das glückliche Aufleuchten des Lebens überhaupt bewirkt.
Die Verknüpfung dieses Vatergottes mit dem Element LUFT dürfte sehr alt sein, denn Gott wurde zum einen vornehmlich in luftiger Himmelshöhe gedacht, und zum anderen ist die Atemluft leicht als Prinzip des Lebens, der Seele und des Geistes zu begreifen. Griechische Philosophen und Naturforscher des 6./5. Jh.v.0, wie Anaximenes, ldäus und Diogenes von Apollonia, lehrten, dass das Element LUFT der Schöpfergottheit zuzuordnen sei; Anaximenes sagte: „Die Luft steht dem Unkörperlichen nahe“. Diogenes identifizierte die LUFT unzweideutig mit dem Himmelsvater Zeus. Anaxagoras (500-428 v.0) stellte die Luft als männlich befruchtendes Prinzip der Erde, dem Weiblich-Aufnehmenden-Ernährenden, gegenüber. Von dem röm. Dichter Ennius (239-169 v.0) ist der Ausspruch erhalten: „Jupiter, den die Griechen Luft nennen“. Doch selbst nach dem Aufkommen der Äther-Lehre, als man begann, diesen fünften Urstoff dem Zeus beizulegen, hatte sich im Grunde nicht viel geändert, war doch auch Platon der Meinung, Äther, das göttliche Belebungselement, sei lediglich die reinste Form von LUFT (Tim. 58 d).
Aber schon die indoarischen Götterlehren des Veda setzten die LUFT - bzw. den Wind/ Weltatem Vayu - mit Gott Brahma in eins. Bei den Ägyptern war es Amon (Zeus), der die "Luft des Lebens" schenkte; man betete zu ihm: „Gib uns Luft“. Der Gotteshauch, der Lebenswind, den der Mensch atmet, ist nach weit verbreiteter Ansicht „Wind“, der „aus dem Munde Gottes“ kommt. Diesem Gedanken folgend, kann das Element LUFT nicht anders als an zweiter Position placiert werden; denn erst nach der göttlichen Belebungshauch-Spende kann im mythischen Sinne die weitere Schöpfung erfolgen.
Die Annahme, dass die Luftatome in Oktaederform, also der Gestalt regulärer Achtflächner gebildet seien, könnte mit der Bedeutung der Acht als Zahl des Himmelsgottes zusammenhängen.
FEUER Dass „Feuer aus Luft und Erde“ entsteht, lehrt der natürliche Anschauungsunterricht, und ebenso spekulierte Aristoteles in seinen Schriften (z.B. De Gen. 331 b 24-26). Wer wie er (De Gen. 331 b 2-4) und sein Lehrer Platon (Tim. 49 b-c) in naturwissenschaftlicher Absicht die Elemente in Ringform anordnet, um einen wandlungsfähigen Kreislauf der elementischen Aggregatzustände darlegen zu können, der muss das FEUER zwischen Luft und Erde stellen; wer hingegen nichts als eine Werdestufung schildern will, vermag schwerlich einer anderen Ordnung zu folgen als jener des Runenschöpfers.
Auch die Stoiker lehrten, wie vor ihnen schon Anaximenes, aus der Luft würde sich bei weiterer Verdünnung derselben das elementare FEUER entzünden. Wer das Bild vor Augen hat, wie der Sturm in Brände schlägt, um die Flammen rasend anzufachen, der versteht die Auffassung, dass Feuer ein Abkömmling der Luft sei.
Schon in den Gestirnstheorien der Vorsokratiker spielte das Feuerelement die zentrale Rolle. Geradeso verstand die Stoische Schule die Gestirne als Feuermassen. Anaxagoras vermutete, Felsmassive könnten durch den Umschwung, einstmals von der Erde losgerissen, dabei in Glut versetzt und zu Sternen geworden sein. Ebenso meinte Xenophanes, Gestirne seien Ausdünstungen der Erde. Sonne und Sterne müssten aus Feueratomen bestehen, wie alles was Licht und Wärme ausstrahlt, so lautete die zwangsläufige Vermutung. Ebenso naheliegend ist, dass die Sonne als Kind / Sohn (Sonne und Sohn gehören gleichem Wortstamm an) des Himmels-/Luftgottes (und der Erdmutter) begriffen wurde. Ohne Himmelsfeuer/Sonnenlicht und -wärme entsteht keine irdische Fruchtbarkeit; deshalb ist die runologische Einordnung des germanischen Sonnenfeuer- / Vegetationsgottes Ingo-Fro auf 3. Werdestufe als personifiziertes Feuer-Element, im Rahmen der natürlichen und naturmythologischen Denkgesetze, absolut richtig. Die Placierung des FEUERS darf in einer derartigen Elementenreihung nicht anders erfolgen. So beschrieb schon Anaximander (griech. Naturforscher / Philosoph 610-546 v.0) den Abtrennungsverlauf aus dem „bewegten Urstoff“ des „unendlichen Prinzips“: „Es sonderte sich die Erde, die Luft und der Feuerkreis ab.“ Aber zur runischen Ursachen-Folge, dass dem Tag / Luft-Komplex der Sonnen / Feuer-Komplex nachgeordnet ist, erscheint auch ein Satz des Empedokles sehr bezeichnend: „Die Sonne bewirkt nicht den Tag, sondern der Tag bewirkt die Sonne“.
Die pythagoreische und platonische Schule meinte, das Feueratom müsse die Gestalt des Tetraeders, also einer dreiwandigen Pyramide haben. Die ideale 3-Zahl harmoniert in besonderem Maße mit dem Feuerelement, dem noch in der mittelalterlichen Alchimie nachgesagt wurde, es repräsentiere das Reich des Geistigen und des Lebens.
WASSER Dem Feuer folgt in der runischen Elementenlehre das WASSER. Dies ist wenig verwunderlich, gab doch schon Anaximenes die Stufen, welche der Stoff bei seiner Verwandlung durchlaufen solle, so an: Durch Verdünnung werde die Luft zu Feuer, durch Verdichtung zuerst zu Wind, weiter zu Gewölk, hierauf zu Wasser. Heraklit (griech. Philosoph um 500 v.0) beschrieb seine Theorie, das Weltleben bestehe aus fortwährenden Wandlungsprozessen der Stoffe nach unten in die Verdichtung und wieder nach oben in die Verfeinerung. Unter dem „Weg nach unten“ verstand er Übergänge der Feuersubstanzen zu Wasser, schließlich Wasser zu Erde. Beide Prozesse - der der Erstarrung des Feuers zu Wasser und Erde und der der rückläufigen Wiederentfachung - würden überall auf der Welt in ewigem Wandel auftreten. Die Stoiker verstanden es in ihren Betrachtungen über die Urstoffwandlungen nicht anders, nämlich dass Feuer zu Wasser und dieses wieder zu Feuer werden könne. „Alle können ineinander übergehen“, glaubte Aristoteles (De Gen. 332 b 14-30). Empedokles formulierte ganz konkret: „Das Meer ist eine durch Sonnenhitze hervorgerufene Ausschwitzung der Erde“. Hieraus wird ersichtlich, dass die Urstoff-Folge „Feuer-Wasser“ im Denken der Alten ihren festen Platz besaß.
Wo sich Urmaterieteilchen zur lkosaederform, also regelmäßigen Zwanzigflächnern, zusammenstellten, ist Wasserzustand vorhanden, so spekulierte Platon. Noch in der Alchimie des Mittelalters galt WASSER als Symbol des Bindegliedes zwischen Stoff und Geist.
ÄTHER Die Elemententheorie der antiken Philosophen ging seit Platon davon aus, dass den 4 irdisch-stofflichen Elementen Erde, Wasser, Luft, Feuer eine 5., rein geistige Substanz, der Lichtäther, „das fünfte Seiende" (quinta essentia), gegenüberzustellen sei. Der ÄTHER galt dem Aristoteles und seiner Schule als Stoff der Weltseele; er wurde als „das Wirkende“, von den 4 Elementen als „den Erleidenden“ abgegrenzt. Aristoteles behauptete, dass der ÄTHER von der Gottheit selbst „berührt“ wird, so wie die in einem Samen schlummernde Keimkraft von der Frühlingssonne; in solchem Sinne reagiere der ÄTHER auf die göttliche Notwendigkeit; er sei der alleinige Ursprung aller Bewegung (Met. Kap. 2). Diejenigen, die in ihm das Element des Zeus sahen, für sie war es die kosmische Belebungs- und Wirkkraft, der göttlicher Geist, die Weltvernunft und schließlich die Summe aller Seelen, die Weltseele.
Die pythagoreischen sowie die neuplatonischen Schulen des 3./4. Jh.n.0 lehrten, die Ätheratome hätten die Gestalt eines Dodekaeders, den Jamblichos „Kugel aus zwölf Fünfecken“ nannte. Folgerichtig mutet der Gedanke an, die gesamte Welt in kugelförmiger Dodekaedergestalt (mit 60 Ecken) derart zu begreifen: Gott konstruierte das Dodekaeder und beschrieb nachher die kosmische Kugel darum.
Eine gottähnliche oder gottgleiche Seele rechnete man allein dem Menschen zu, er nur galt der rein theoretischen Betrachtung fähig, seine geistigen Aktivitäten gleichen qualitativ dem göttlichen „Denken des Denkens“ - so meinte Aristoteles. Der Mensch wurde als Herr und Meister über die 4 Elemente erkannt. Er ist aber nach allgemeiner Einsicht, doppelten Ursprungs und somit zwiefacher Natur; seinen Leib hat er aus der weniger guten sterblichen Materie, und seine ewige Seele mit der Geisteskraft ist vom „Guten Gott“. Aus dieser Sicht gleicht der „Mikrokosmos“ Mensch der Gesamtwelt, dem „Makrokosmos". Der Mensch ist gemischt aus den stofflichen Elementen Erde, Luft, Feuer, Wasser - aber ihm ist das geistige Wesen der Ätherseele dazugegeben. Der eine Teil seiner Beschaffenheit (sein „höheres Ich“) zieht ihn hinauf, seine materiellen Anteile aber ziehen ihn hinab. Insbesondere die iranisch geprägte Gnosis identifizierte die Weltseele mit der Idee des Urmenschen. Die Schulen des Valentinos (Theosoph 1./2. Jh. n.0) der Manichäer, der Mandäer u.a. lehrten, die Weltseele bzw. der Urmensch sei freiwillig in die Materie hinabgestiegen und versuche sich nun wieder von der Last des Fleisches zu befreien. Er ist im Persischen der Erneuerer der Welt, Träger der Gottesbotschaft und Gotteskraft, der Erlöser für das ganze Menschengeschlecht und zugleich der Erlöste selbst. Er ist Gott und zugleich der ideelle Vertreter aller Seelen; er ist die große Seele, die Weltseele. Diese Grundanschauung, dass der Urmensch die Seelengesamtheit repräsentiert, die er erlösen soll, ist für den Gnostizismus im allgemeinen typisch und von prinzipieller Bedeutung, denn der ganze Erlöserglaube (auch der christliche) wurde darauf aufgebaut.
Es zeigen sich schlüssige Beweise dafür, dass das ODING als Zeugnis einer germanischen Gnosis angesehen werden darf. Sein Schöpfer erwählte den Begriff „mannaz / mannus“, und die damit verbundene Idee des Urmenschen (der Weltseele) an einzig richtiger Runenstelle. Wer auf fünfter Werdestufe den Urmenschen folgen lassen will, richtiger gesagt, muss (!), da 5 die Menschenzahl ist, der musste ebenso zwanghaft auf vorausgegangener Position das Wasserelement erscheinen lassen. Der Satz des Thales (griech. Philosoph um 600 v.0): „Das Meer ist die Mutter und Wiege alles Lebendigen“, behielt bis heute uneingeschränkt seine Gültigkeit. Auch Anaximander lehrte ausdrücklich den Meeresursprung aller Organismen; der Mensch ist dabei eingeschlossen. Die altarioindische Weisheit drückte diese Erkenntnis nicht viel anders aus als die spätheidnisch-germanische. Der Veda sagt: „Das Universum [brahman] war anfangs Geist [atman] in Gestalt eines Menschen; dieser zog aus den Wassern den Urmenschen [purusha].“ Und die Edda (Völ. 17) sagt: „Es kamen zum Meeresstrand drei Asen [Gottheiten in menschlicher Gestalt], da fanden sie kraftlos Askr und Embla [das Urmenschenpaar].“
Die leibliche Wesenheit des Menschen ist aus dem Wasser, seine geistige aber aus dem ÄTHER, der Weltseele. Einen Fingerzeig auf das eigentliche Verständnis des germanischen Urmenschennamens „mannaz/mannus“ schenkt uns die Wurzelbedeutung des Wortes "man" (ahd. mano u. manin, also Mensch/Mann u. Menschin/Frau), welche in allen indogermanischen Sprachen auf "denken, geistig erregt sein" bezogen ist. Ihr darüber hinausgehender, auf die Weltseele bezogener Tiefsinn vermittelt die eranische bzw. manichäische Religion, in ihnen wurde von dem „mana“ d.h. der „Seele“ und „manuahmed“ d.h. „Weltgeist / Weltseele“, gesprochen. Im Arioindischen ist die Seele, „atma“ mit „brahman“, der Gottheit, identisch.
Es ist mit diesen Darlegungen deutlich geworden, dass jener Geist, der das ODING erklügelte, eine aussagestarke Urstoffreihung, unter Berücksichtigung der mit ihr harmonierenden Zahlenmystik, schuf. Wie unbedingt richtig ihm diese Regel erscheinen musste, geht noch einmal verstärkt aus dem folgenden hervor: Die 5-Zahl galt der Antike auch als „Ehezahl“, also der ermöglichten Verbindung von Geist und Stoff. Zum Zahlenwert des Urmenschen/Mannaz (der 5) addieren sich die „hinabziehenden“ Urstoffe: ( Erde 1) + ( Wasser 4) = ( Urmensch 5, als fleischlich-stoffliches Wesen), ebenso wie die „hinaufziehenden“ Urstoffe: ( Luft 2) + ( Feuer 3) = ( Ur-Mensch 5, als Seelen-/Ätherwesen); denn dem allgemeinem Verständnis zufolge galt ÄTHER als eine Art Feuer-Luft; Cicero drückte es so aus: „Die Seele ist ein feuriger Hauch“. (Disput. Tuscul. I 42)
Die pythagoräischen sowie platonisch-aristotelischen Schulen lehrten, die Ätheratome hätten die Gestalt eines Dodekaeders, den Jamlichos (Neuplatoniker 3./4. Jh.n.0) „Kugel aus 12 Fünfecken“ nannte. Einleuchtend ist der platonische Gedanke, auch dem gesamten Kosmos Dodekaedergestalt zuzumessen, ihn also als Hohlkugel mit 60 Winkeln zu verbildlichen. In gleichem zahlenmystischen Sinne verbindet die Mannaz-/ Äther-/ Weltseelen-Rune (als unverkennbares Hexagramm-Bildkürzel) die Seelenzahl 5 mit dem Sechsstern, dem Mikro-/Makrokosmos-Symbol.
Abschließend soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß der ODING-Schöpfer zwar eine ganz eigene Elementen-Reihe ersann, sich jedoch durchaus im Rahmen der Schulen seiner Zeit bewegte: Die Folge Erde-Luft findet sich bei Okkelos, Alexander, Xenokrates und Philolaos, die Folge Luft-Feuer bei Jamblichos, die Folge Feuer-Wasser wieder bei Okkelos, Alexander, Xenokrates, Philolaos und die Folge Wasser-Äther bei Aetios. Die ODINGsche Elementenfolge ist nur insoweit eine Besonderheit, als es mit ihr gelang, die damals junge Naturwissenschaft, den herkömmlichen Zahlensinn und das alte Gottesweistum widerspruchsfrei miteinander zu verbinden.
Quellenhinweise :
1 Gerhard Heß, ODING-Wizzod - Gottesgesetz und Botschaft der Runen, 1993
2 Eduard Zeller, Grundriß der Geschichte der griech. Philosophie, 1886
3 Eva Sachs, Die fünf platonischen Körper, 1917
4 Paul Gohlke, Die Entstehung der aristotelischen Prinzipienlehre, 1954
5 Gustav Adolf Seeck, Über die Elemente in der Kosmologie des Aristoteles, 1964
6 Kurt Rudolph (Hrsg.), Gnosis und Gnostizismus, 1975