Gesamtheit des Artikels: Copyright, 2014 © Gerhard Hess
R U N O
- DAS JAHRTAUSEND DER RUNEN -
VORWORT
„Ohne Begeisterung schlafen die besten Kräfte unseres Gemütes. Es ist ein Zunder in uns, der funken will“, sagte Arthur Schopenhauer. Alles Geheimnisvolle, Rätselhafte zog mich zeitlebens magisch an, die Begeisterung für das Runen-Thema ist mir also gewissermaßen in die Wiege gelegt. Auf den Weg zu den Runen brachte mich das früh gelesene Werk „Über deutsche Runen“ von Wilhelm Carl Grimm. Daraus vernahm ich, der Sinn der runischen Buchstabenreihenfolge sei noch unbekannt. Seither gewitterte es in meinem Kopf, der Runenschlüssel müsse doch gefunden werden können. So stark mich auch das Thema beschäftigte, fehlten mir aber die Voraussetzungen eines einschlägigen Hochschulstudiums, um meiner selbstgesetzten Aufgabe gerecht werden zu können -, doch mancher Mangel ist - so hoffe ich - durch Fleiß und Begeisterung für die Thematik auszugleichen, indem ich die Gelehrsamkeit der Fachwissenschaftler sprechen lasse, so dass in ausgewählter Zusammenschau ein neues, faszinierendes Bild entsteht. Auf meinen Wegstationen bin ich einigen so liebenswerten wie wissensschweren Menschen begegnet, deren Schüler ich sein durfte und denen ich zu danken habe. Da war mein Mentor und Freund Dr. Kurt Kibbert, der Mathematiker und Frühgeschichtler, der mich eindringlich vor dem esoterischen Runenspuk des Guido List und seinem schwärmerischen Anhang warnte. Er, der die ernsthafte Runenliteratur durch und durch kannte, wies mir den Weg der schulwissenschaftlichen Nüchternheit und strengen Belegbarkeit aller Aussagen, verbunden mit seinem immerwährenden jugendlichen Enthusiasmus. Dass er mir seine umfängliche Bibliothek hinterließ, gab mir ein vorzügliches Instrumentarium an die Hand. Herrn Dr. Walter Mehlo aus Schladming danke ich, wie er mich in unaufdringlicher, nobler Weise mit der Philosophie, insbesondere auch mit dem tiefsinnigen christkritischen Werk der Mathilde Spieß-Ludendorff bekannt machte. Herrn Prof. Dr. Werner Koch habe ich zu danken für seine unvergesslichen Skaldenvorträge eddischer Lieder, die uns so rechte Einstimmungen in den altnordischen Mythengeist schenkten. Dankbar auch denke ich gern zurück an die gastliche Aufnahme im Hause des heidnischen Isländers Þorsteinn Guðjónsson und seine Erklärungen zum alten und jungen isländischen Heidentum. Herrn Jürgen Spanuth gegenüber, der mir in nobler Geste das Duplikat der Dia-Serie seines Atlantis-Vortrages überließ, fühle ich herzlichen Dank. Mit Brief vom 24.10.1980 schrieb er mir zur Geschenkbeilage „Und doch: Atlantis enträtselt !“, von seinen so virulenten, ideologisch motivierten, unwürdigen Gegnern: „Ich habe s.Zt. diese Broschüre geschrieben, weil ich bei den sogenannten ,Diskussionen’, bei denen ich nicht zu Wort kam, in mehr als hundert Fällen mit Fälschungen meiner oder anderer oder gar der eigenen Veröffentlichungen meiner damaligen Widersacher, die Herr Gripp gegen mich aufgeboten hatte, eingedenk wurde.“ Das hier angesprochene Geschehen um den Forscher J. Spanuth verdient als bleibende Mahnung festgehalten zu werden, erinnert es doch in bestürzender Weise an die alten „Dunkelmänner“, die in Gestalt moderner Dominikaner das freie Wort und die freie Forschung bedrohen und behindern. Spanuth schenkte meinem Wissensdurst in Sachen Atlantis-Forschung den tragfähigen Boden, so dass ich bald darauf selbst nach Ägypten reiste, um die Seevölker-Reliefs im Tempel von Medinet-Habu zu studieren. Dem jugendlichen Greis „Vater Herman Wirth“ danke ich für seine gütige Langmut, meine vielen laienhaften Fragen nach Vermögen beantwortet und mich auf die jäger- und bronzezeitliche skandinavische Felsbilderwelt als Quellen ersten Ranges hingewiesen zu haben. Er verfügte in Thallichtenberg mit dem 13.01.1981, die Übergabe seines geistigen Nachlasses an mich, zwecks reprotechnischer Erhaltung, Aufbewahrung und Katalogisierung, so dass ich in die überraschende Lage versetzt wurde, die Gesamtheit seiner umfänglichen Darlegungen zu sichten und zu prüfen. Viele der Wirth’schen Argumente basieren auf dem Bildmaterial nordischer Felsgravuren, die meinen Überprüfungen durch Feldforschung vor Ort nicht im vollen Umfang standhalten konnten. Das Vermögen zur kritisch vergleichenden Bestandsaufnahme erlangte ich durch jahrelange Felsbildexkursionen nach Schweden und Norwegen, zusammen mit meiner tapferen Frau Elke Vester, der ich sehr zu Dank verpflichtet bin dafür, dass sie die ermüdenden Autofahrten und alle Strapazen in den skandinavischen Wäldern mit mir ohne zu Murren teilte und sich sogar von meinem nimmermüden Felsbildfanatismus anstecken ließ. Die Abreibe-Technik der Felsbildritzungen verdanke ich dem befreundeten, vielseitig talentierten Graphiker, Künstler, Wissenschaftler Dietrich Evers aus Wiesbaden-Naurod, der sich mit unermüdlicher Hingabe der experimentellen Archäologie verschrieben hatte und uns, als profunder Hällristninga-Kenner, manchen wertvollen Tipp über die Lage versteckter Felsbilder geben konnte. Zu größtem Dank fühle ich mich gegenüber dem Werk von Herrn Prof. Dr. Heinz Klingenberg verpflichtet. Es gab für die Wissbegierigen den Schlüssel zum verborgenen gematrischen Runenverständnis an die Hand. Der Autor selbst beeindruckte mich durch die Art seiner Wissensvermittlung nachhaltig, anlässlich einer Reise zu den südjütländischen Fundstätten der „Goldhörner von Gallehus“, wo er mir als runenmeisterlicher „Erilar“ in prägender Erinnerung blieb. Dem erlebnisreichen Hans Stühmer, damals Hafenmeister von Helgoland, verdanke ich faszinerende Berichte und Denkanstöße um die altheilige Insel. Er hob als Taucher am Helgoländer Süder-Riff die Kupferrohlinge empor, die als Nachweise für die dortige frühe Kupferverhüttung gelten. Besonderen Dank schulde ich dem geschätzten skandinavistischen Mediävisten Herrn Prof. Klaus Düwel, der mir nach Erscheinen meines Runenbuches, in dem ich das Strukturprinzip der älteren Runenreihe erkläre, mit einem handschriftlichen Brief vom 23.01.1994 sagte: „Ich bezweifele nicht, dass die von Ihnen vorgelegte Lösung zur Reihenfolge des älteren Futharks in sich stimmig und wohl auch richtig ist. …“ Schließlich gilt mein Dank allen jenen lieben, ahnungsvollen Menschen, die mir Mut machten, mit der Suche nach den verschütteten Urwahrheiten unserer gallo-germanischen Urmütter und Urväter fortzufahren.
INHALTSVERZEICHNIS:
Vorwort
Vorrunische Zeichen - Runenfunde
Aufgang der Fragen
(Helme „Negau-B“ / Negau-A“)
Das Gottesurteil des Teiwaz
(Hauptmann Eruls Idee)
Der Weg in die Freiheit
(Erschütterung und Glaubensreform
Eruls Schüler, die Erilari)
Odenwald - Wotanswald
(Wotan - Teutates)
Kimbern-Heruler im Asenland
(Blutdurst der römischen Wölfin)
Asen und Wanen
(Himmlische und chtonische Mächte)
Germanisches Gemeinschaftsbewusstsein
Erzvater Erul, der Runenschöpfer
Weltfahrt und Landnahme
(Heruler - Sueben/Alamannen -
Untergang der Heruler - Aufgang der Sachsen -
Angeln, Sachsen, Jüten - Festlandsachsen -
Sklavenen - Wandalen - Ur-Atlanter -
Die Langobarden)
Zwei Schlachten um Rom
(Hunneneinbruch - Völkerwanderung)
Zurück nach Thule
Christus-Jesus oder Heilgott-Wodan ?
Die Runenschrift
Das herulische Runen-Myterium
Der Kultkalender der Odingis
(Sonnenwagen von Trundholm -
Sonnenjahr und Mondjahr)
Wodanische Runenreligion
(Runenzauber-Goldhörner des Hlewagast -
ODI-Wata - ODI-Wala -
Die Silbe OD - OD-Inge -
Odal-Haar-Seelenschlaufe
Lebensschlinge -
Die Doppelschlange -
Schlinge und Schlange -
Seelenhauch-Schlange -
Schlinge und Valknut -
Ein germanisches Weltmodell -
Zusammenfassung -
Wodins gefiederte Hilfsgeister -
(Das Genie unter den Vögeln)
ABKÜRZUNGEN:
VAG = Jan de Vries, „Altgermanische Religionsgeschchte“ I. + II., 1957
KJRS = Wolfgang Krause u. Herbert Jankuhn „Die runeninschriften im älteren Futhark“, 1966
KRS = Heinz Klingenberg, „Runenschrift, Schriftdeken, Runeinschriften“, 1973
HWA = Karl Helm, „Wodan – Ausbreitung und Wanderung seines Kultes“, 1946
GÜR = W. C. Grimm, „Über deutsche Runen“, 1821
HGS = Karl Hauck, „Goldbrateaten aus Sievern“, 1970
VORRUNISCHE ZEICHEN - RUNENFUNDE
Das Steinkammergrab der Wartberg-Kultur von Züchen bei Fritzlar, aus dem 4.-3. Jt.v.0, zeigt Stier-Bildkürzel als U- und Y-förmige Zeichen, ebenso wie der Deckstein des Warburger Großsteingrabes (Kr. Höxter), der aufgrund von Begleitfunden auf 2.974 v.0 zu datieren ist. Auch erscheinen undeutbare kammartige Chiffren, während kleine Ringe als Sonnensymbole und die Stier-Chiffre als frühe Vorläufer der 3. und 23. ODiNG-Futhark-Buchstabenreihe zu verstehen sind. Die jungsteinzeitliche Sonnenkultstätte Newgrange auf Irland (3.150 v.0) scheint das Sonnenzeichen bereits als Raute zu kennen. Die doppelkonischen, schöngestaltigen Tontrommeln der mittel- und jungsteinzeitlichen Walternienburg-Bernburger Gruppen (3.600-3.300 v.0) als Teile der Trichterbecher-Kultur Mitteldeutschlands, sind reich verziert und führen diversen Symbole, wobei zwei Trommeln des Museums Erfurt, die eine von Horsömmern (Kreis Langensalza) erklärbare kalendarische Ordnungssysteme aufzeigen, mit z.B. strahligen Sonnen-, Kreis-, Spiral-, Winkel-, Kreuz-, Hakenkreuz-, Malkreuz- und rundbogigen Gabelstützen-Zeichen. Oft kommt das vierspeichige Radkreuz vor, so wie auf dem jungsteinzeitlichen Schalenstein von Bunsoh in Dithmarschen. Der Dolmen von Schülldorf (Kreis Rendsburg) erbringt ein Kreuz und eine Axtdarstellung. Die endneolithischen bis frühbronzezeitlichen Doppelaxt-Zeichen () auf der Keramik vom nödlichen Oberrhein (Oberolm, Horchheim, Sieversheim, Frankenthal), sind als Ikonographien der verzierten, kupfernen, hohheitlichen Kult-Beile vom „Typ Zabitz“ zu verstehen, wie sie in der Umgebung von Mainz, Friedelsheim, Worms/Weinsheimer Zollhaus, Flonheim gefunden wurden. Ebenso findet sich das Zeichen, nicht zu verwechseln mit ähnlichen geometrischen Mustern, auf den Blattbügelfibeln von Gemeinlebarn, Bad Kreuznach, Illmitz, Eltheim, Weißenbrunn, Taimering, Eppstein usw. (s. Kurt Kibbert, „Die Äxte u. Beile im mittleren Westdeutschland I.“, S. 35ff) Auch auf bronzenen Griffdornmessern der Urnenfelderzeit z.B. aus Klentnitz (Südmähren) und Pottschach (Niederöstreich). Der reich verzierte prähistorische Figurenstein von Latsch, im südtiroler Vinschgau, kam in der profanierten Kirche zu „Unserer lieben Frau“, der „Bichlkirche“, auf dem Bichl als Altarplatte zum Vorschein. Er gibt Auskunft über Gerätschaften und Leben des kupferzeitlichen Menschen vor ca. 3.000 Jahren. Vor einer Hirschdarstellung und unter einem Sonnensymbol schießt ein Mensch einem anderen in den Rücken; wer denkt da nicht an den germ. Baldur-Mythos ?! Die zweite Seite trägt eine große - bzw. G-Rune, flankiert von zwei Sonnensymbolen. Es ist davon auszugehen, dass der ursprüngliche Standort im Bereich der heutigen Kirche zu suchen ist. In Niederösterreich, unweit der Donau, liegt „St. Andrä vor dem Hagental“, wo ein späturnenfelderzeitliches Gräberfeld (1.300 bis 800 v.0) wissenschaftlich ausgewertet wurde. Im Grab 28 fand sich ein Henkelgefäß mit kalendersymbolischen Merkzeichen welches Clemens Eibner ebenso plausibel beschrieb, wie auch den Schriftstein aus Grab 17, auf dem eine Zeichenfolge von etwa ( ) erkennbar ist. Bronzezeitliche Ziernadeln und Anhänger zeigen, von Niedersachsen bis Südwestdeutschland und Nordbayern, Kreuze im variablen Speichenstil.
Abb. 1 1 a
1 b
Schon ein ca. 4.100 v.0 datiertes anspruchsvoll gestaltetes Gefäß mit Spiraldekoration und runenartigen algiz-Zeichen wurde aus dem linienbandkeramischen Brunnen von Schkeuditz-Altscherbitz (Kr. Nordsachsen) geborgen, es besitzt Intarsien-Verzierungen aus Rindenstreifen und Pech (Abb. 1 - Ausschnitt). Im schwed. Bohuslän fand sich auf Rückseite einer abgebrochenen bronzezeitlichen Plattenfibelschale die rechtwinklig gekreuzten doppelten Algiz-Runen (s. Oskar Montelius, „Bohuslänska Fornsaker från Hednatiden“, 1877, S. 6, Fig. 8b). Ein bronzenes Tüllenbeil von Grabow (Kr. Ludwigslust) aus jüngerer Bronzezeit bzw. ab Wende des 1. Jt. v.0 trägt das -Symbol, wie auch das Tüllenbeil aus Midlum (Krs. Wesermünde) auf dem ein Tannenzweigmuster in selbigem Zeichen endet. Gleiche -Zeichen finden wir auf den bronzezeitl. Plattenfibel-Funden Niedersachsens von Buendorf u. Franzensburg. Das bronzezeitliche Horn aus dem Torfmoor zu Wismar zeigt S-Zeichen. Sicher trug die gegenläufige Doppelspirale, als Chiffre des jährlichen Sonnenweges, einen weithin bekanntem Aussagewert. Sie erscheint auf dem Jahresschema der bronzezeitl. Felsritzung von Lilla Ryland (Bohuslän, Schweden) und der Plattenfibel von Corcelettes, Genferseegebiet. Frühe prärunische Markierungen kennt man von einem Bohlenweg-Balken aus Oltmannsfehn, Niedersachsen, der mit Hilfe der Baumringmethode auf die Zeit von 713 v.0 datiert wurde. Ein eisenzeitlicher (ca. 7. Jh.) gerippter Bronzeeimer mit Schriftzeichen auf dem Innenrand aus dem Grabfund von Pansdorf (Kr. Ostholstein) sind -, H- und ein -Zeichen eingeritzt. Auf der ältereisenzeitlichen Urne von Börnicke, Osthavelland, ist klar die -Rune geritzt. Diese alle sind Begriffszeichen, sind Markierungen von zum Teil begreifbaren Bedeutungen, aber keine Runen im strengen Sinne einer systematischen Buchstaben-Ordnung. (s. Hermann Müller-Karpe, „Bronzezeitliche Heilszeichen“, in „Jahresber. d. Inst. f. Vorgesch. d. Uni. Ffr./M.“ 1978-79, Mü. 1980) Eine verzierte Scherbe aus Dedelow, Uckermärker Trichterbecher-Kultur, zeigt den Zierfries bestehend aus vorrunischen „o-Runen“ (Abb. 1a). Der Scherbenfund aus der jüngeren Steinzeit der Uckermark stammt von einem Brandgrab bei Dedelow. Ernst Sprockhoff setzte ihn auf die mittlere Stufe der jüngeren Steinzeit, entsprechend der nordischen jüngeren Ganggräberzeit, also: 2.800-2.400 v.0. (Megalithkeramik: Tafel 6/b, Fund von Dedelow, Kreis Prenzlau (Dorf im Nordosten Brandenburgs), Uckermark, aus Ernst Sprockhoff, „Die Kulturen der jüngeren Steinzeit in der Mark Brandenburg“, 1926, S. 16f) Aus einem eisenzeitlichen (200 v. bis 200 n.0.) Grab von Wotenitz stammt die Urne mit dem Algiz-Ideogramm (Abb. 1c). Wotenitz ist ein Ortsteil von Grevesmühlen, zwischen Lübeck und Wismar, ca. 15 km von der Ostseeküste entfernt. Aus dem Urnengrab wurden mehrere wichtige archäologische Funde gehoben, außer der Sinnzeichen-Urne, eine goldene Kette mit fein gearbeiteter Bommel und die Silberspange. Die Funde stimmen typologisch mit ähnlichen dänischen Funden überein, so dass ein germanisch dänisch-mecklenburgischer Kulturkreis erkennbar wird. (Georg Christian Friedrich Lisch, „Ueber das Alter der Eisenperiode und das Grab von Wotenitz“, in: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde", Bd. 26, 1861, S. 161-168)
Zur Entstehung des Runensystems ist bei heutigem Erkenntnisstand, anhand der Fundlage, noch kein abschließendes Urteil abzugeben. Wahrscheinlich ist aber, dass ein Angehöriger der Kimbern- und Teutonenzüge (Germanen und Kelten) nach den verlorenen Schlachten (im Herbst 102 v.0 bei Aquae Sextinae und im Juli 101 v.0 bei Vercellae) in den Alpenraum ausweichen konnte und dort die Anregungen erhielt, die germanische Buchstabenordnung zu erschaffen. Erschütternde Kampf- und Notzeiten sind es, welche große geistige Schöpfungen und Neuausrichtungen hervorbringen. Zur zeitlichen Einordnung der Runenentstehung ist die aus ca. 50 n.0 stammende Rollenkappenfibel von Meldorf in Dithmarschen beachtenswert. Auf ihr steht das Runenwort „hiwi“. Nicht jünger, eher noch älter ist die Inschrift auf dem kleinen Pokal von Vehlingen, Niederrhein. Der Kamm vom dänischen Moor bei Vimose wird auf ca. 160 n.0 datiert. Vom Thüringer Königreich, aus dem Opferschacht bei Frienstedt/Erfurt geborgen, gibt es den Fund eines zerbrochenen Kammes aus Hirschgeweih mit sauberem Schriftzug „kaba“ (Kamm). Er kommt aus ungestörtem Befund, der, aufgrund der Keramik, ca. in zweite Hälfte des 3. Jh. datiert wird. Altsächsische Grabfunde, wie die Urne von Wehden, Landkr. Cuxhaven (erste Hälfte 5. Jh.), zeigen eingestempelte Odal-Runenreihen (Bedeutung „Erbbesitz“), auch dreiringigen Sonnenzeichen und Fußabdruck-Darstellungen, denen Bezüge zum Geistesleben bzw. zum Totenkult zugesprochen werden müssen. Die Urne von Salenburg, Stadt Cuxhaven, trägt Hakenkreuzstempel, Strahlensonnen und vermutlich Feuerzeichen, Dreiecke mit Kammform und Kleeblatt-Förmchen (Blüten ?). Die Urne von Wanna (Lkr. Cuxhaven) kursives Hakenkreuz und Kreuz. Kämme als Grabbeigaben in altsächsischen in großer Zahl, was mit der profanen Haupthaarpflege nicht erklärt werden kann, aber mit dem Haar als dem geglaubtem Seelensitz, oder genauer getroffen, mit einem seelischen Energieanzeiger. Ein Ortband vom Thorsberger Moor wird auf 200-250 n.0 eingeschätzt -, das Speerblatt von Kowel, Südrussland um 230 -, eine beschriftete Speerspitze von Övre Stabu, Südnorwegen um 200. Das Themse-Messer, in seiner wahrscheinlich kentischen Inschrift aus der Zeit um 700, trägt eine verlängerte Runenreihe von 28 Stäben.
Abb. 2
Von diesen, bislang als älteste Runeninschriften geltenden Funden ausgehend, hat man - parallel zu anderen Schriftentwicklungen - die Entstehung der Runen um etwa hundert Jahre früher anzusetzen, also in die 1. Hälfte des 1. Jh. v.0. Das runische Buchstabensystem ist konzeptionell als eine linksläufige, mythisch-kalendarische Kreisanordnung zu deuten, was ab 1993 durch die veröffentlichte ODiNG-Wizzod-Recherche in die Überlegungen eingebracht wurde. (G. Hess „ODING-Wizzod“) Doch schon durch Funde der Runenbrakteaten, den goldenen Amulettscheiben von Vadstena (Abb. 2) und Motala aus Östergötland/Schweden (5./6.Jh.) möglich erschien. Sie zeigen die kreisförmig angeordnete 24-er Runenreihe. Dazu kommen die unvollkommenen Runen-Brakteaten von Lindkær und Over Hornbæk. Da es aussichtslos ist, auf ein Interview mit dem Ur-Runenschöpfer zu hoffen, müssen wir uns um das Kombinieren bemühen und damit begnügen, um eine Indizienlösung anzustreben. Ein schöneres Indizienergebnis als das ODiNG-Wizzod ist kaum denkbar. Würde es nicht als solches angedacht worden sein, müssten wir von einigen Dutzend Zufällen ausgehen, was unrealistischer wäre, als es zu akzeptieren. Mit dieser Eröffnung tritt hinter dem oft aus durchsichtigen politischen Gründen beschworenen „furor Teutonicus“ die bisher unbeachtet gebliebene „ratio Teutonica“ ins helle Tageslicht.