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Wodan - Teutates
 
 
Seit Beginn ihres historischen Erscheinens sind Kelten und Germanen in vielerlei Betrachtungsbereichen nur schwer oder kaum zu unterscheiden; was ihr körperliches Bild anbelangt, so werden sie von den antiken Historikern in gleicher Weise beschrieben. Man sehe sich die Marmor-Skulptur der „Sterbende Gallier“ (Abb. 4) in den Kapitolinischen Museen Roms an und vergleiche sie mit den Germanen-Darstellungen auf der Markussäule in Rom ! Die südlich wohnenden Kelten haben wegen der Nähe zu den klimaverwöhnten Mittelmeerkulturen und den reichen Erzlagerstätten der Alpen ein reicheres metallurgisches Industrie- und Kunstschaffen hervorgebracht. In den meisten Siedlungszonen, außer den Skandinavischen, geht keltisches und germanisches Volk durcheinander, so dass man legitim von Gallo-Germanen reden muss. Ebenso beim Merkur-Teutates-Wodan-Kult. Julius Cäsar (De Bello Gallico, 6,17,1) erklärt über die Götter der Kelten: Ihr erster Gott ist Mercurius, den man bei ihnen am häufigsten in bildlichen Darstellungen trifft. Er gilt als Erfinder aller Künste, als Geleiter auf Wegen und Straßen und als wichtigster Förderer des Geldwesens und des Handelns. Ihm zunächst folgen Apollon, Mars, Jupiter, Minerva. Über diese haben sie mit anderen Völkern eine annähernd gleiche Vorstellung: Apollon vertreibt die Krankheiten; Minerva lehrt Künste und gewerbliche Fertigkeiten; Jupiter ist der König der Götter; Mars ist Kriegsgott.“ Die Interpretatio Romana setzte, wie anhand von Inschriftfunden klar wurde, den Mercurius dem Teutates (kelt. touto-tati-s = „Vater des Volkes“) gleich. Da Teutates auch Züge des Kriegsgottes besaß wurde ihm mitunter der Beiname des Mars beigefügt, so wie beim Silberplattenfund von Rockywood / Barkway (Grafschaft Hertfordshire / England): „Marti Toutati“. Weihedenkmäler die dem gallischen Merkur gewidmet waren finden sich mehrere. Im sächsisch besiedelten „Gelderland“ bei Nijmegen / Nimwegen, der heute niederländisch-deutschen Grenzregion, fand sich der Inschriftstein mit dem Text: „Mercurius Rex“. Setzen wir die innige Schicksalsverwobenheit von keltischem bzw. gallischem und germanischem Volk in Rechnung, resultiert daraus automatisch die Einsicht hinsichtlich einer gegenseitigen Durchdringung auch auf religiösem Sektor. Der Kimbern-Teutonen-Zug war ein germanisch-gallisches Unternehmen, wie auch der spartacus’sche Sklavenaufstand. Im gallischen Pantheon war „Taranis / Taranucnos“ der Himmelsgott, vergleichbar dem lat. Jupiter und germ. Donnergott Donar-Thor, einer kämpferischen Emanation des indogerm. Himmelsgottes Tiwatz / Tiu / Tyr, den die Gallier als Dis kannten, wie Cäsar angibt: „Die Gallier geben insgesamt den Dis als ihren Stammvater aus und berufen sich dabei auf das Wort der Druiden.“ (De Bello Gallico, 6,18,1) Bei Kelten werden sich nach den großen Niederlagen ähnliche Prozesse abgespielt haben wie bei Germanen, nämlich die Abwertung des Himmelsgottes zugunsten des Teutates-Merkurius, sie konnte sich nur nicht mehr entfalten wegen der cäsarischen Zerstörung gallischer Eigenständigkeit. Ohne komplizierte Verrenkungen ist die Verständnisvertiefung des Wodanaz-Wodan zum väterlichen Volks- und Allgott durch die Anlehnung an die Charakterzüge des gallischen Teutates erklärlich. (VAG II., S. 27 ff)
 
Abb. 4
 
Ich frage mich, kann es allein purer Zufall sein, dass sich hier im Odenwald, einem frühen Zentrum deutscher Religionskultur, der dramatische Höhepunkt des deutschen Nationalepos, mit dem mythischen Tod der deutschen Seeleninkarnation Siegfried - dem immer herbeigesehnten Siegfrieden-Bringer - abspielt ?  Auch Wodan ist ja, als Vorbild des späteren Erzengels Michael, von seinen gläubigen Jungmannschaften als Siegfrieden-Schenker verstanden worden. Das Nibelungenlied, in seiner C-Fassung, erzählt von der Ermordung des strahlenden Drachentöters Siegfried beim Trinken an der Quelle, durch den düsteren Albensohn Hagen. Beide Protagonisten tragen wodanische Charakterzüge. Es heißt im Lied: „Vor dem Odenwalde ein Dorf liegt, Otenheim. Dort fließet noch der Brunnen, daran kann kein Zweifel sein.“ Nur das im „Lorscher Kodex“ schon 772 als „Otincheim“ erwähnte heutige Dorf Edigheim (Ludwigshafener Stadtteil) etwa 11 km von Worms entfernt, kommt als gemeinter Tatort in Frage. In Siegfried-Sigurd und Hagen-Högni erkennen wir unschwer die verfeindeten sagenhaften „Göttersöhne“ des „Allvater“ Wodans der germ. Mythologie: Baldur und Hödur. Nicht allein die spätnorröne Edda erzählt von ihrem Schicksal, sondern auch die mittelalterlichen Kleinbildwerke der „Brakteaten-Religion“; (HGS, S. 442 ff) wir kommen darauf zurück.
 
KIMBERN-HERULER IM ASENLAND
 
Außergewöhnliche Glücksfälle und gelungene Husarenstückchen sind immer möglich, doch wenn wir nach einem realistischen Zeitfenster Ausschau halten, kommen für Italien-Flucht, Rückwanderung, Heimkunft und Runenschöpfung des Erul mit seiner erulischen Kerntruppe und Anhängerschar die Jahre von 71 bis 61 v.0. in Betracht -, auch wegen der Grenzen die der Ablauf eines Menschenlebens setzt. Eines Tages müssen die Rückkehrer mit Erul als „Hauptmann“ und geistigem Meister in der alten Heimat Jütland, dem Teutonen- und Kimmererland (heute „Himmerland“), wieder eingetroffen sein. Die Verbindung zwischen Auswanderern und Zurückgebliebenen war nie ganz abgerissen, das beweist auch der Fund des prächtigen „Silberkessels von Gundestrup“, der als Beutestück, Tribut oder Friedensgeschenk, jedenfalls als stolze Trophäe, aus den südkeltischen Heimsitzen und Werkstätten in die Heimat geschickt worden war. Es mutet uns Heutige wie ein Wunder an, aber es ist doch so, dass germ. Auswanderer mit ihren Daheimgebliebenen über unerhört weite Strecken in Verbindung blieben. So erwähnt Prokop in seinem „Vandalenkrieg“ (Kap. 22) die hin- und hergehenden Botschaften zwischen den wandalischen Nordafrika-Aus­wanderern und den in den Schlesischen Ursitzen Zu­rückge­bliebenen. Die erulischen Schicksalsgefährten blieben beisammen, sie vereinzelten sich nicht, suchten sich ihre Frauen, mehrten sich und fristeten ihr Leben wie es die Nordländer seit Urzeiten nicht anders gewohnt waren. Wäre es anders, hätten die nachbarlichen Teutonen und Kimmerier sie nicht „die Eruler“ genannt. Sie siedelten hauptsächlich im Hinterland der Aalborgbucht  zwischen Limfjord und Mariagerfjord, wo möglicherweise noch jetzt die mittelalterlichen Ortsnamen ihren wotanischen Asen-Glauben (Ahnen-Religion) bezeugen: Aså (Asaa), Åstrup-Østrup, Asbækhede, Asferg, Ask, Askildrup, Asklev, Askov, Asløkke, Asp, Assedrup, Assendrup, Asmild Kloster (1179: Asmiald; Asmind), Assentoft, Assing, Åsted, Åstedbro, Astrup, Erslev, Esby, Esbøl, Eskerod, Essig, Estrup, Estrup Gårde, Estvad. Das Zentrum des herulischen „Asenlandes“ ist beim nordjütländischen Nørresundby zu lokalisieren. Die Endungen „-trup / -trub / -rup / -torb“ meinen einen abgelegenen Bauernhof, aus dem sich eine neue Siedlungsgruppe gebildet hat, genau wie das schwed. „torb“ oder altdeutsche „dorf“. Selbst wenn die Vorsilbe „As-“ sich nicht auf „Asen“, sondern auf die Esche bzw. den Speer bezöge, änderte sich nichts an meinem Befund, denn die die Massierung der Ortsnamen welche vom Odin-Kult zeugen sind in keiner dänischen Region so häufig wie in Nordjütland. (VGR II., Karte S. 53)
 
Es ist der Stadtteil vom Aalborg, der auf nördlicher Seite des Limfjordes liegt, dort befindet sich „Lindholm Høje“ (Lindholm-Höhe), das größte dänische Gräberfeld, dessen Funde von der Wikingerzeit bis zur späten nordischen Eisenzeit zurückreichen. Hunderte Steinkreise, viele davon schiffsförmig, zeugen von den Brandgräbern -, nördlich davon wurde die zugehörige Siedlung erkannt. Gefunden wurden u.a. Fragmente mehrerer Schnabelfibeln des 7. Jhs., eine Vogelfibel des 8. Jhs., Reste von Schnallen aus ca. 9. Jh., ein knöchernes Messerheft mit einer zweiteiligen Runenritzung. Aus Wikingerzeiten stammt ein kleiner Thorshammer aus Bernstein. Ich möchte diese Nordjütländische Region als die herulischen Ursitze der zurück gewanderten Kimbern verstehen. Runensteine fand man in Asferg, Egå Glenstrup, Hune und Jetsmark. Die alten Siedlungsplätze der Kimmerier-Kimbern, von denen sie i.J. 120 v.0 zu ihrer historischen Südwanderung aufgebrochen waren, liegen etwas weiter westwärts, in „Vesthimmerland“ im Bereich eines ausgedehnten Hochmoorgebietes bei der Kleinstadt Års (Aars). Hier hat man die „Festung Borremose“ ausgegraben, die in der Zeit von 300 bis 100 v.0 in Nutzung war. Sie ist die größte bekannte Anlage Jütlands aus dieser Zeit. Ein breiter Graben von 5 bis 6 m Breite und eine 4 bis 5 m hohe Wallanlage schützte das Areal. Man ergrub Häuserreste und eine gepflasterte Straße. Tausenden Gefäßscherben aus dem 1. Jh. v.0 bezeugen den Aufbruchplatz einer großen Menschenmenge. Nicht weit davon, im nahen Rævemose hob man den berühmten „Kultkessel von Gundestrup“, den die südgewanderten Kimbern und Teutonen nach Hause geschickt hatten.
 
Die heimgekehrten erulischen Kimbern verschmolzen mit den kimbrisch-teutonischen Landsassen. Dass sie bestrebt gewesen sein müssten, sich nicht allein innerhalb ihrer Regionalversippungen zu vermehren, liegt auf der Hand: „Aber unter den Asen war es verboten, in so naher Verwandtsaft zu heiraten.“ („Ynglingasaga“, Kap. 4) Ihre geistige Vormachtstellung bewirkte, dass im Wachsen einiger Generationen sich das gesamte in Nordjütland lebende Volk Eruler-Heruler nannte. Sie griffen nach dem südlichen Jütland aus, sowie den östlichen Inseln Fünen und Seeland, bis sie von den herandrängenden Dänen in Not kamen. Es gibt mehrere jütländische Ortschaften des Namens Astrup (Asendorf), aber auch zwei niedersächsische, im Kreis Wardenburg und bei Visbek. Eine Ortschaft Astrup liegt in Westmitteljütland bei Ringkøbing, eine im südwestlichen Jütland bei Hadersleben, eine zur Kommune Hjørringan gehörend, an der Nordspitze Jütlands, eine in der Kommune Mariagerfjord, nordwestlich vom Hadsund, inmitten des kimbrischen Asenlandes und eine um 40 km südlich der Ajstrup-Bucht von Hadsund, nahe Hadsten, ca. 35 km nördlich von Illerup-Aadal, wo hoch bedeutende Opferseen und -moore genutzt wurden. In den „Alken Enge“ (Alkenwiesen) liegt eine eisenzeitliche Stätte mit weit über 200 Toten in einem verlandeten See. Tausende Waffen, die Ausrüstungen mehrerer Heere - 15.000 Einzelfunde - hob man aus der Tiefe. Hier im Moor fand man einige der ältesten Runeninschriften, die sämtlich der Zeit um 200 n.0 angehören. Zu den wichtigsten zählen: Ein Schildfesselbeschlag mit rechtsläufiger Aufschrift „suarti“ (Schwarzer) -, eine linksläufige Herstellerinschrift „laguthewa“ (die die Sprachwissenschaft neben den erulischen Kultname „Sumpfdiener“ stellt), den Feuerstahlgriff auf dem „gauthz“ (Beller) steht, die Lanzenspitze mit linksläufig „wagnijo“ (Beweger). Etwas weiter südlich, im mittleren Jütland liegt das „königliche Jelling“, ein Ort der schon zur Bronzezeit kultische Hochschätzung erfuhr -; dem die heidnischen Dänenkönige des 10. Jhs. seine große geschichtliche Bedeutung gaben.
 
Blutdurst der römischen Wölfin
 
Während sich die Eruler-Gemeinschaften in Jütland konsolidierten, erstarkte die südliche Militärmacht Rom unablässig, wurde immer schrecklicher und bedrohlicher. Der Kaiser des Römerreichs, Augustus (63 v.0 - 14 n.0), plante die Versklavung der Germanen in einer Großgermani­schen Provinz („Provincia Germaniamagna“) mit der Elbe als Nordostgrenze, in einer gleichen Vergewaltigungsaktion wie sie Cäsar mit Gallien vorexerziert hatte. Roms politische Strategen schauten nach Norden. Der römische Historiker und Senator Publius Cornelius Tacitus (um 58 - 120 n.0) beschreibt die Germanen folgendermaßen: „Wilde blaue Augen, rötliches Haar, große, allerdings nur zum Angriff tüchtige Leiber“, gewisse Ausdauer gegen Kälte und Hunger, wenig Neigung zu „Strapazen und Arbeit“, erst recht Scheu vor „Durst und Hitze“. Die Merkmalliste im vierten Kapitel seiner „Germania“ klingt oberflächlich und verallgemeinernd, sobald es aber um Einzelheiten wie Mut und Gemeinschaftsleben geht, fand Tacitus erstaunlich positive Bewertungen. Ausführlich beschreibt er den urkräftigen Freiheitssinn der Germanen, erwähnt respektvoll ihre Genügsamkeit, eheliche Treue, weiblichen Wagemut und Familiensinn. Ganz offenkundig fanden sich bei den fremden Gegnern einge vorbildliche Charakterqualitäten, die zu erfahren für das Römervolk lohnend erschienen. Dass man es mit gewaltigen Biertrinkern zu tun hatte, die gern Gelage veranstalten, zuweilen in den Tag hineindösen mochten, aber auch zum Jähzorn neigten -, alle diese Anmerkungen steigern den Eindruck einer sachlich orientierten Ausgewogenheit der Berichterstattung. So scheint Tacitus seine „Germania“ als informierter Vermittler im Sinne von „sine ira et studio“ (ohne Hass und Neigung) verfasst zu haben, so wie er es am Anfang seiner „Annalen“ verkündete.
 
Die ersten germ. Unternehmungen, eine Einigung der Stämme und Reichsgründung zu versuchen, wurden von Rom durch Intrigen, Bestechungen, Meuchelmord und Waffengewalt vereitelt. Der röm. Feldherr Drusus erkundete Germanien 12 v.0 bis zur Nordsee, griff 10 v.0 die Chatten an, 9 v.0 die Markomannen der Maingegend. Im folgenden Jahr führte Marbod (um 30 v.0 - 37 n.0) seine Markomannen nach Böhmen und Mähren, wo es ihm gelang, einen germ. Völkerbund zu errichten, bestehend aus Hermunduren, Langobarden, Semnonen, Lugier und Wandalen -; ihr Königssitz war Marobudum. Obwohl er alles tat, um mit Römern in Frieden auszukommen, blieb seine Romfeundlichkeit unbelohnt. Auch Tiberius (42 v.0 - 37 n.0), zweiter Kaiser, griff weit nach dem germ. Norden aus. Er zog 4 n.0 aus dem unterjochten Gallien bis ins Mündungsgebiet des Rheins, drang zur Weser vor, überwinterte im eingerichteten Militärlager an der Lippe, zog im folgenden Jahr elbaufwärts, überfiel die Langobarden an der Unterelbe und soll bis zu den Semnonen und Hermunduren vorgestoßen sein. Um sie besser kontrollieren zu können, zwang er zehntausende Sugambrer und Sueben ins linksrheinische Gebiet umzusiedeln. Die Führungsschicht wurde unter einem tückischen Vorwand versammelt, überwältigt und in Ketten deportiert, wer nicht fügsam war wurde erschlagen. Die Streitmacht von 12 Legionen wurden 6 n.0 in Marsch gesetzt, in einer gewaltigen Zangenbewgung das junge Germanenreich des Marbod zu zerschlagen. Um sich eine Vorstellung zu machen, wie die Römer mit dem Instrumentarium ihrer Vielvölkerheere in ihren Unterjochungsgebieten gehaust haben, bedenke man den röm. Schlachtruf: „trucide, trucide“ (Metzelt sie !). Den ersten Rückschlag erfuhr Rom in Gestalt des Cheruskerfürsten Armin(ius) (17 v.0 - 21 n.0), der den Römern „Habgier“ (avaritia), „Grausamkeit“ (crudelitas) und „Hochmut“ (superbia) vorwarf. (Tacitus, „Annalen“ II. 15,1) Seinem ränkevollen, tatkräftigen Befreiungswerk ist es zu verdanken, dass 9 n.0 drei röm. Legionen samt Hilfstruppen und Tross vernichtet werden konnte -, was Römer als „Varusniederlage“ bezeichneten. Tacitus schrieb, das Schlachtfeld sei im „saltus Teutoburgiensis“ zu finden. Die vernichteten Truppen hatten unter dem Kommando des Quinctilius Varus gestanden, der als erfahrener, rücksichtsloser Verwaltungsfach­mann das militärisch scheinbar unterworfene Gebiet „organisieren“ d.h. ausbeuten sollte. Es lässt sich kaum einen lobenderen Nachruf denken, den Tacitus („Annalen“ II. 88) dem überragenden Helden gewidmet hat: „Unzweifelhaft der Befreier Germaniens und ein Mann, der nicht wie andere Könige und Heerführer das römische Volk in seinen Anfängen, sondern das römische Reich auf der Höhe seiner Macht herausgefordert hat. In der Schlacht hat er mit wechselndem Glück gekämpft, aber im Kriege ist er unbesiegt. 37 Jahre hat er gelebt, davon zwölf im Besitz der Macht. Noch jetzt wird er von den germanischen Völkern besungen.“ Das Phänomen „Armin der Cherusker“ ist nach den Ausführungen des römischen Historikers Tacitus von etlichen späteren Autoren beleuchtet worden, doch nie konnte so recht plausibel gemacht werden, woher eigentlich die Initialzündung zum großen Aufstand des in viele Stämme zersplitterten Germanentums gekommen ist. Ich gehe davon aus, es war bereits der um sich greifende Wodankult, dem die gemeinschafterzeugende neue Kraft innewohnte. Die alte universale indogermanische Religion des Himmelsgottes Tiu, des Zeus und Jupiter besaß einen katholischen Impuls, sie war allumfassend -; der himmelsgöttliche Schutz wird ohne Unterschied allen gerechten Völkern gleichmäßig zuteil. Doch der wodanische Ahnengötterkult speist sich aus völkischen, aus unverkennbar nationalen Emotionen und Traditionen. Damit wirkt er gemeinschaftsbildend über die engen Stammesgrenzen hinaus. Dass es bei Armin ein Volksbewusstsein gab, welches alle Genossen gleichen Blutes einschloss, berichtet Tacitus im Streitgespräch der Brüder Armin und Flavus über die Weser hinweg. Wie konnte es dem Empörer gelingen, drei Legionen zu vernichten ? Das bewegte und bewunderte schon die Antike. „Der Erfolg ist bis heute ein Rätsel“, meint auch der Althistoriker Alexander Demandt. Ein genialer Plan reicht nicht aus, auf jeden Fall setzte er monatelange geheime Planung voraus. Arminius musste seine Leute dafür erstmal gewinnen. Der Stamm der Cherusker war gespalten. Es gab, wie überall damals, eine national-germanische und eine pro-römische Partei. Doch der Anführer hatte enormen Zulauf. Bereits in der Varusschlacht 9 n. 0 kämpften Krieger aus elf germanischen Stämmen mit ihm. („Germanischer Schlachtenheld Arminius: Er thront über allen“, „Der Spiegel“, 17.12.2008). Später, während der Kämpfe gegen „Germanicus“ in den Jahren 14 bis 16 standen im Arminiusheer um 50.000 Mann unter Waffen. Nur eine neue zündende Idee, ein neues Volksgefühl, wie es eine neue Predigt, also die Verkündung einer bis dahin unbekannten Religion mit sich bringt, kann diesen Befreiungsrausch verursacht haben. Und ebenso erklärt er einleuchtend die bösartigen Anfeindungen gegen das Neue, das die altgewohnte Götterverehrung ketzerisch in Frage stellte. Es standen damals offenbar nicht allein eine pro- und contra-römische Partei in der Diskussion, vielmehr auch eine der Älteren, der kultischen Tradition sich verpflichtet fühlende und eine der Jugend, die sich stürmisch dem Wodankult mit seinen Trinkgelagen und seinem Berserkertum hingab. Sowohl sein fürstlicher Vater Sigimer oder Segimer, wie dessen Bruder Inguiomer, standen im weiteren Verlauf gegen Armin, ebenso Segestes, dessen Tochter Thusnelda Armin als Ehefrau begehrte. Auch Markomannen-Führer Marbod verweigerte sich einem gemeinsamen Vorgehen gegen den Landesfeind Rom. Der tiefgehende Riss im damaligen Cheruskervolk wird erschreckend sichtbar, wenn wir erfahren, dass die schwangere Thusnelda vom eigenen Vater dem römischen Wüterich „Germanicus“ im Jahre 15 ausgeliefert wurde, wohl um Armin zum Nachgeben zu zwingen. Der Chattenfürst Adgandestri machte Rom ein briefliches Angebot, Armin mit Gift töten zu lassen und schließlich ist er tatsächlich im Jahre 21 n.0 von Verwandten ermordet worden. Kaum etwas anderes als religiöse Gegensätze wäre eine sich anbietende Erklärung für derart hassvolle - die Sippengesetze beiseite schiebende - Konfrontationen. 
 
Die röm. Heerzüge und Verwüstungen in Germanien gingen mit so gut wie ungebremster Heftigkeit weiter, um oft genug den Charakter reiner Vernichtungs­kriege anzunehmen, wie die Unternehmungen des Feldherrn Nero Claudius Germanicus (15 v.0 - 19 n.0), welcher 14 n.0 das feiernde Volk der Marser abschlachten ließ. Ein Gebiet von 50 röm. Meilen wurde durch Brand und Mord verwüstet: „Kein Geschlecht, kein Lebensalter fand Erbarmen.“ (Tacitus, „Annalen“ I. 51) Auch 16 n.0 an der Weser kommandierte er seinen Soldaten, „sie brauchten keine Gefangenen, nur die Vernichtung des Volkes mache dem Krieg ein Ende“. (Tacitus, „Annalen“ I. 49-51 / II. 5-26) Doch von einer gelungenen „Rache für Varus“ konnte trotzdem nicht die Rede sein. Denn erstens befand sich einer der drei verlorenen Legionsadler noch bis 41 n. 0 in germanischer Hand, zweitens fand eine „deditio“ (Unterwerfung) des Jungvolkes der aufständischen Stämme nicht statt, drittens befand sich Arminius noch an der Spitze einer starken Armee aus mehreren Stammesmitgliedern und viertens konnte dieser im Jahre 17 n. 0 unwidersprochen behaupten, dass er die Römer aus seinen Gauen
„hinausgeworfen“ habe, ohne dass dies unglaubhaft erschien.
 
Abb. 5
 
Das rigorose römische Vorgehen, das zweifellos seinen schrecklichen Ruf bis in den höchsten Norden bewirkte, gab dem sich ausbreitenden Wodankult beste Nahrung für die Entwicklung seiner kriegerischen Seite. Und diese Herausbildung einer militaristischen bzw. kämpferischen Lebenseinstellung war unverzichtbar, wollte ein Volk im Ringen mit Rom eine Überlebenschance bekommen. Denn der röm. Senat hat sich seit seiner Frühzeit vor dem blutigen Spektakulumdes systematischen Völkermordes nie gescheut. Um Ruhe vor den blonden keltischen „Barbaren“ in Oberitalien zu bekommen, rückten die Römer nicht dem Heer der Senonen entgegen, vielmehr stießen sie in deren Wohngebiete vor, die Küstenregion südlich von Rimini, um mit kalter Grausamkeit unbefestigte Dörfer niederzubrennen, Frauen, Greise, Kinder, kurz die ganze nichtwaffenfähige Bevölkerung erbarmungslos abzuschlachten und wandelten nach blutiger Befriedung das Gebiet zum „ager Gallicus“, in das sie 283 v.0 eine starke Militärkolonie gründeten. Die über Jahrhunderte währende röm. Mord- und Verschleppungswillkür in Germanien hat sich in etlichen imperialistischen Bildwerken niedergeschlagen, wie auf der „Markussäule“ zu Rom, auch in dem Relief der mit schweren Ketten gefesselten Germanen (Abb. 5) auf einem Säulensockel des Mainzer Legionslagers des 1. Jhs. n. 0  (Landesmus. Mainz). Ohne den sprichwörtlichen „Furor Teutonicus“, die „teutonische Kampfeslust“ bzw. den wodanisch inspirierten „germanischen Angriffsgeist“ hätten die nordischen Völker nicht überlebt.
 
Die röm. Gewaltpolitik auch gegenüber Mitteleuropa zeichnete sich mit erbarmungsloser Härte immer deutlicher seit Kaiser Augustus (63 v.-14 n.0) ab, so dass sich die Kimmerier-Kimbern vorsorglich entschlossen, ihr Verhältnis mit Rom möglichst zu glätten. Sie schickten ihm 5 n.0 über die weite Strecke eine Gesandtschaft, die einen sakralen Mischkessel als Geschenk überführte, verbunden mit der Bitte um Freundschaft und Vergebung für das einst Geschehene bzw. „für die früheren Missetaten“. Man gab ihnen verbal Pardon und ließ sie heimwärts ziehen. (Strabo 7, 2, 1-2) Cornelius Tacitus (ca. 55-115 n.0), der relativ faire röm. Historiker und Senatorurteilte in seiner „Germania“ über die jütländischen Kimbern voller Achtung: „jetzt ein kleiner Stamm, aber von ungeheurem Ruhm“. Für einen nebensächlichen Vorfall aus dem Jahr 58 verbürgte sich der Geschichtsschreiber Tacitus in seinen „Annalen“. Zwei Friesenfürsten namens Verrit(us) und Malorix hatten den beschwerlichen Weg nach Süden unternommen, um Roms imperialen Druck durch persönliche Vorsprache möglichst zu mildern. Während sie auf ihre Audienz bei Kaiser Nero (37-68) warteten, konnten sie sich als Gäste in der Hauptstadt umschauen. Im riesigen Pompeius-Theater der Stadtmitte hatte man ihnen nur bescheide Plätze auf den höheren Rängen angewiesen. Der Theaterklamauk erschien ihnen wenig bedeutend, aber sie wollten erklärt bekommen, wer all die Besucher seien und woran man wichtigere Leute erkennen würde. Man teilte es ihnen mit. Weit unten auf den Ehrentribünen hatten die Senatoren ihre Plätze eingenommen. Aber man sehe dazwischen auch Männer in fremdländischer Tracht, bemerkten die Friesen. Allerdings, so erklärten man ihnen, das seien Abgeordnete befreundeter Völker, die „treu und tapfer“ an der Großmacht Seite stünden. Die beiden Germanen reagierten bei diesem Stichwort: „Kein Volk auf der Welt kann an Tapferkeit und Treue die Germanen übertreffen !“. Und entrüstet, stiegen sie das Halbrund hinab und suchten sich Plätze inmitten der Senatoren, wo sie meinten, ehrenhalber hinzugehören. Nero bot den beiden dann zwar das römische Bürgerrecht an, doch aus den Gebieten, die sie angeblich ohne Roms Einverständnis besetzt hätten, müssten die Friesen wieder abziehen, gebot der Kaiser. Als das späterhin nicht geschah, hatte das gespielte Wohlwollen der Terrormacht ein Ende. Lapidar meldete Tacitus: „Umgehend wurden Reitertruppen der Bundesgenossen losgeschickt, die die Forderung durchsetzten, wer aufsässig blieb, wurde gefangen genommen oder getötet“. So weit griff der Arm Roms schon in innergermanische Verhältnisse im ersten Jahrhundert ein. 
 
Markomannen-König Marbod versuchte mit den Römern in Frieden auszukommen, deshalb hatte er sich einem von Arminius angeregten Bündnis gegen Rom verweigert, schickte sogar 9 n.0 liebedienerisch dessen Siegeszeichen, den abgetrennten Varus-Kopf, dem Kaiser Augustus zu und bekämpfte ohne Erfolg 17 n.0 den kleineren Germanenbund des Cheruskers. Roms Intrigen führten schon im folgenden Jahr zu Marbods Sturz, den Kaiser Tiberius im Senat als Erfolg seiner Politik herausstrich. Dem entmachteten Marbot wurde in Ravenna Asyl gewährt, wo er noch 18 Jahre lebte. Der geplante röm. Angriff 6 n.0 gegen das Marbod-Reich musste wegen des ausbrechenden Aufstandes in Pannonien verschoben werden. Die aufmarschierten 12 Legionen wurden vorerst im Osten gebraucht. Im Jahre 169 sollte eine neue Offensive beginnen. Für Kaiser Mark Aurel (121-180) schien nach Beendigung der Partherkriege, die Zeit reif, das Volkstum der Markommen auszulöschen. Zu Beginn gab es prekäre Rückschläge, Markomannen und Quaden stießen über die Ostalpen nach Oberitalien vor, auch 177 brachen erneut Kämpe aus, letztlich walzte die röm. Militärmaschinerie jeden südgerm. Selbsterhaltungsversuch nieder, errichtete 179 bei Regensburg eine riesige Garnison, um die Überlebenden der Unterjochung einer endgültigen Romanisierung entgegenzuzwingen. Die Siegessäule des Mark-Aurel in Rom schildert in ihrem Spiralbildband die röm. Markomannen-Abschlachtungen in schauerlicher Deutlichkeit. Den selten möglichen Blick auf ein germanisches Selbstbildnis aus gleicher Zeit, nämlich der 2. Hälfte des 2. Jhs., gesattet uns die Kunstproduktion des Bronzekessels mit vier Ringgriffen um fein modellierte Sueben-Büsten mit ihren typischen Frisuren der seitlich am Kopf gebundenen Knoten, aus dem fürstlichen Kammergrab vom südmährischen Muschau (tschech. Mušov) - (Abb. 6).
 
Abb. 6