09.10.2025

Goldbrakteat.JPG

Odin-Brakteat von Kjøllergård im Nationalmus. Kopenhagen

Charlotte Behr, „Forschungsgeschichte, in: Wilhelm Heizmann and Morten Axboe „Die Goldbrakteaten der Völkerwanderungszeit - Auswertung und Neufunde“, 2011 (im Auszug)

Das reiche Material, das die nunmehr über 1.000 Brakteaten für unser Verständnis religiöser, sozialer und politischer Entwicklungen während der Völkerwanderungszeit Nordeuropas bieten, wird auch weiterhin eine wichtige Rolle in der archäologischen, historischen, kunsthistorischen, religionswissenschaftlichen und runologischen Forschung spielen.

5. Brakteaten und Runen - Zur gleichen Zeit, als Thomsen, Worsaae, Müller und Montelius die Brakteaten unter archäologischen Gesichtspunkten katalogisierten, datierten und interpretierten, interessierten sich zunehmend auch die Runenforscher für die goldenen Amulette, da sie die größte Objektgruppe mit frühen Runeninschriften waren. Die erste wissenschaftliche Diskussion der Runen- inschriften auf Goldbrakteaten stammt von Wilhelm Grimm. Bereits 1821 hatte der dänische Literaturprofessor Rasmus Nyerup, der auch ein Mitglied der Kommission zur Bewahrung und Sammlung von Altertümern in Kopenhagen war, Wilhelm Grimm einen Satz der oben erwähnten sieben Tafeln mit Brakteaten, die Thomsen 1820 hatte stechen lassen, geschenkt. Sie boten die Grundlage für Grimms bemerkenswerte, wenn auch heute überholte, Interpretationen der Bilder und Inschriften der Brakteaten. So erkannte Grimm bereits, dass die Goldbrakteaten eine Gattung bildeten, deren Objekte demselben Zweck dienten und deren Bilder demselben Themenkreis angehörten. Auch erkannte er, dass auf den anthropomorphen Brakteatenbildern ein Herrscher dargestellt wurde. Er identifizierte ihn als den germanischen Gott Thor, der als Weltbeherrscher den Lindwurm besiegt hatte. Als diesen bösen Geist und Feind der Menschheit hatte er den Vierbeiner auf den C-Brakteaten identifiziert. Seine Inschriftendeutungen, von denen er selbst sah, dass sie „zum Theil auf Vermuthungen beruhen“, scheinen von seiner Bildinterpretation beeinflusst zu sein. Doch trotz aller Kritik, die vom heutigen Kenntnisstand aus an Grimms Lese- und Deutungsversuchen möglich ist, ist es bemerkenswert, dass er die inhaltliche Zusammengehörigkeit von Bild und Text auf den Brakteaten erkannte, eine Einsicht, die in vielen späteren Studien zu den Runeninschriften unberücksichtigt blieb und erst in neueren Forschungen wieder thematisiert wurde. Die zunehmend genauere archäologische Datierung der Brakteaten war von entscheidender Bedeutung für die Chronologie der Runeninschriften. Die Runenbrakteaten wurden zum ersten Mal systematisch erfasst und beschrieben von George Stephens in den vier Bänden The Old-Northern Runic Monuments of Scandinavia and England, 1866–1901. Lesung, Interpretation und Funktion der Brakteateninschriften blieben Forschungsprobleme. Die kontroversen Diskussionen um die Runeninschriften, ihre religiöse, magische oder säkulare Deutung, die Rolle von Zahlenmagie und die Bedeutung von Schriftlichkeit und Schriftkundigen im völkerwanderungszeitlichen Skandinavien haben auch die Erforschung der Brakteateninschriften geprägt. Auf die Überlegung hin, dass auf einigen Brakteatenbildern Brakteaten selbst abgebildet sein könnten, wurden auch die Runeninschriften daraufhin untersucht, ob sich in ihnen ein Terminus für die goldenen Anhänger findet, mit dem ihre Träger sie bezeichnet haben könnten. Klaus Düwel erwog walhakurne, das als ‘welsches Korn’ übersetzt werden kann, auf dem C-Brakteaten aus Tjurkö (IK 184) „als kenningartige Umschreibung for ‘Gold’ und damit für den Brakteaten selbst“. Ein weiterer Begriff, der als Bezeichnung in Frage kommt, ist nach Düwel kingia, der als ‘Spange, Bügelfibel, Brustschmuck’ verstanden werden kann und auf einer Fibel aus Aquincum in Ungarn aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts überliefert ist.

6. Salin – regionale Gruppierungen von Brakteaten Nachdem die Schwerpunkte der Brakteatenforschung zunächst vor allem auf Typologie, Chronologie und Bildinterpretation lagen, wandte sich als erster Bernhard Salin (1861–1931) in seiner Studie „De nordiska guldbrakteaterna“, publiziert 1895, der regionalen Differenzierung der Brakteaten zu, einem Thema, das seit dem späten 19. Jahrhundert und dem wachsenden Interesse an ethnischen und kulturellen Unterschieden zunehmend an Bedeutung in der archäologischen Forschung gewonnen hatte. In einem ersten Teil ergänzte Salin zunächst Montelius Katalog mit schwedischen Neufunden seit dessen Publikation 1869. Im zweiten Teil teilte er die Brakteaten in insgesamt 22 Gruppen ein, davon elf für die C-Brakteaten, die er im Gegensatz zu den A-, B- und D-Brakteaten nach geographischen Regionen benannte, auch wenn nicht alle Brakteaten in einer Gruppe in dieser Region gefunden worden waren. Die Gruppen der C-Brakteaten beruhten auf „charakteristischen Details“, wie der Beinhaltung des Vierbeiners, seiner Kopfform und der Gestaltung des menschlichen Hauptes ganz im Sinne der typologischen Methode von Montelius. In Tabellen im Anhang listete Salin auf, ob Inschriften, Beizeichen und Vögel den Bildern zugeordnet waren. Er machte als erster die Beobachtung, dass die Zuordnungen nicht willkürlich waren und dass es deutliche regionale Unterschiede gab. Salins Studie zeichnete sich auch dadurch aus, dass er Details der Brakteatendarstellungen mit zeitgenössischen Bildern verglich und Parallelen zu anderen Anhängern und Fibeln zeigen konnte. Wie schon Thomsen, unterschied auch Salin zwischen Odins- und Thorsdarstellungen. Allerdings identifizierte er Thor auf den Brakteaten, auf denen der Vierbeiner einen Bart hat und somit einen der beiden Böcke Thors darstellte, wie sie aus den späten mythologischen Texten bekannt waren, während ein oder mehrere Vögel Odin begleiteten. Er wandte sich gegen die Identifizierung von Thor durch eine Swastika, da Swastiken nach seiner These sowohl auf Thors- wie auf Odinsbrakteaten vorkamen. Er schloss daraus, dass Swastiken, wie auch die anderen Zeichen weder eine festgelegte Bedeutung hatten, noch mit einem bestimmten Gott oder einer Religion verbunden waren. In seinem berühmten Werk „Die altgermanische Thierornamentik“ kam Salin einige Jahre später wieder auf die Brakteaten zurück, diesmal um die Entwicklung eines charakteristischen Merkmals der germanischen Tierdarstellungen, die Konturlinien, zu erklären. Demnach verdeutlichte die Entwicklung der Brakteaten von den frühen Exemplaren, die den römischen Vorbildern nahestanden, zu den unabhängig gestalteten späteren Kreationen die künstlerische Unfähigkeit der germanischen Goldschmiede die römische Tradition der Reliefgestaltung fortzusetzen. An deren Stelle benutzten sie Konturlinien, um die Darstellungen von der Grundfläche abzusetzen. Aus der Beobachtung, dass die Tierdarstellungen der Brakteaten stets von Konturlinien gerahmt waren, die Darstellungen des Hauptes dagegen erst allmählich gerahmt wurden, schloss Salin, dass, im Gegensatz zu den Häuptern, die Tiere nicht römischen sondern germanischen Ursprungs waren.

7. Das römische Vorbild und die Entstehung der Brakteaten Dass die Anregung für die Brakteaten aus römischen Quellen stammte, ist nie bezweifelt worden. Auch ein Zusammenhang zwischen römischen Medaillons und Münzen, von Germanen als Anhänger gefasste und imitierte Medaillons und den Brakteaten war stets unumstritten. Brakteaten boten so ein gutes Beispiel für die Erforschung kultureller Einflüsse, die verschiedene Kulturen aufeinander ausüben konnten. Die Brakteatenforschung machte aber auch die großen methodischen und theoretischen Schwierigkeiten deutlich, kulturelle Einflüsse in den materiellen Hinterlassenschaften zu erkennen, zu definieren und zu interpretieren. In seiner Studie zu eisenzeitlichen Gewichtseinheiten Ertog og Øre untersuchte Anton Wilhelm Brøgger 1921 die Verbreitung römischer Medaillons und Medaillon-Imitationen außerhalb des römischen Reiches. Er konnte zeigen, dass alle originalen Prägungen wie auch die Imitationen, die in Skandinavien gefunden worden waren, aus dem nur kurzen Zeitraum zwischen den Kaisern Konstantin dem Großen (274/288–337) und Valens (ca. 328–378) stammten und erwog die Möglichkeit, dass alle diese Medaillons aus Gallien stammten und im Zusammenhang mit den Unruhen an der Rheingrenze in den Jahren zwischen 360 und 370 nach Skandinavien gelangt waren. Die Abhängigkeit der Brakteaten von Prägungen der konstantinischen Dynastie war bereits seit Thomsen wiederholt erwähnt und hier durch Brøggers Beobachtungen bestätigt worden. Sune Lindqvist wies 1926 auf die Ähnlichkeit des Goldmedaillons Kaiser Gratians (367-383) aus dem Schatzfund von Szilágy-Somlyó (jetzt: ùimleu Silvaniei) in Transsilvanien mit mehreren Brakteatenfunden aus Schonen (IK 11; IK 144,1 Gotland), Gotland (IK 57,1 und 3; IK 62,1), Öland (IK 45) und Polen (IK 211) hin. Während das Medaillon in einem mit anthropomorphen Masken verzierten Schmuckrand gefasst ist, schmücken fast identische Masken die Ösendreiecke dieser Brakteaten. Lindqvist schloss daraus auf den Vorbildcharakter der gefassten Goldmedaillons für die Brakteaten. Diesen Gedanken weiterführend diskutierte Forssander weitere Beispiele von gotischen Medaillon-Imitationen, die im unteren Donauraum gefunden worden waren, und die enge künstlerische Parallelen zu Brakteaten aufwiesen, wie etwa die Punzverzierung in den Randzonen des A-Brakteaten aus Torps- gård/Senoren in Blekinge (IK 354). Deswegen argumentierte er gegen Brøggers These, nach der die Impulse zur Brakteatenherstellung aus dem westlichen Reich kamen, für südosteuropäische Einflüsse, wobei er westgotische Werkstätten geradezu als Vermittler zwischen Kaisermedaillons und Brakteaten ansah. Lindqvist und Forssander zeigten auch, dass Brakteaten nicht die einzigen Zeugnisse dieser kulturellen Kontakte mit Südosteuropa, besonders Pannonien, im 5. Jahrhundert waren. Andere Beispiele dafür waren etwa Metallfunde aus dem Opferfund in Sjörup oder die zeit- genössischen Goldhalskragen. Per-Olof Bohlin differenzierte in seiner Brakteatenstudie, die in erster Linie technischen Details der Brakteaten gewidmet war, stärker, wenn er darauf hinwies, dass bei einzelnen Brakteaten künstlerische Impulse aus ganz unterschiedlichen Richtungen in ihrer Gestaltung zum Ausdruck kommen konnten. So zeigte er etwa, dass die zentralen Bilder der frühen schwedischen Brakteaten Anregungen aus der Brakteatenkunst auf den dänischen Inseln zeigten, dagegen die Rahmengestaltung und ihre Stempel mit Einflüssen aus dem südosteuropäischen Raum erklärt werden können. Umstritten war nicht nur die Gegend, woher die Anregung zu den Brakteaten kam, sondern auch die Rolle, die die kleine Zahl von Medaillon-Imitationen, die in Nordeuropa gefunden worden waren, dabei spielten. Salin wie auch Holmqvist hatten die Medaillon-Imitationen als einen Schritt auf dem Weg von den römischen Medaillons zu den Brakteaten gesehen. Dagegen argumentierten etwa Mackeprang und Axboe, dass die Brakteaten direkt von den Medaillons abgeleitet worden waren und die Medaillon-Imitationen eine parallele, davon unabhängige Entwicklung darstellten, die nicht fortgeführt worden war. Mackeprangs Argumentation basierte auf den engeren stilistischen Ähnlichkeiten der Brakteaten mit den Medaillons als mit den Medaillon-Imitationen, während Axboe zusätzlich die unterschiedlichen Motive und Themen der Medaillon-Imitationen und Brakteaten hervorhob. Die ersten Brakteaten waren in Skandinavien hergestellt worden. Auch daran bestand kein Zweifel. Ein Schwerpunkt in der Fundverteilung der frühesten A-Brakteaten, das heißt, derjenigen, die sich stilistisch am stärksten an den römischen Vorbildern orientierten, und auch der frühesten C- Brakteaten, die zeitgleich waren, liegt auf den dänischen Inseln. Deswegen galten insbesondere Fünen und Seeland als die Gegend, in der Brakteaten ‘erfunden’ worden waren. Dieses Argument wurde untermauert und präzisiert in dem Vorschlag von Karl Hauck, Gudme im Südosten Fünens als das Zentrum der Brakteatenentstehung zu betrachten. Diese These beruhte auf der Interpretation des Brakteatenhortes in Gudme II (IK 51,3, IK 391, IK 392, IK 393, IK 455,2), dessen Bildformulare Hauck als „die vorchristliche politische Theologie der Aristokraten von Gudme“ zusammenfasste. Diese politische Theologie wurde mit den Bildformularen von Gudme aus verbreitet. Aus numismatischer Sicht bestätigte Anne Kromann diese These, denn im Gebiet von Gudme waren zahlreiche Goldmedaillons und -münzen gefunden worden, die als Prototypen für die Brakteaten in Frage kamen. Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass die Brakteatenidee an mehreren Orten unabhängig voneinander entstanden war. Eine weitere ungeklärte Schwierigkeit in dem Verhältnis der Brakteaten zu den römischen Medaillons ist der zeitliche Abstand zwischen den römischen Medaillons der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts und den frühesten Brakteaten, die zwar ganz unterschiedlich datiert wurden, aber selten vor dem 5. Jahrhundert. Die Zeitdifferenz muss also mehrere Generationen betragen haben, die es zu erklären galt. Maguire wies darauf hin, dass die Vorbilder für Münz- und Medaillon-Imitationen, wie sie etwa auch aus dem byzantinischen Raum bekannt sind, oft wesentlich älter als die Nachahmungen waren. Er begründete seine Beobachtung damit, dass das Heraufbeschwören des kaiserlichen Porträts entscheidend war nicht jedoch das Porträt eines bestimmten Kaisers, um die übernatürliche Macht der Münzen und Medaillons, wie auch der Medaillon-Imitationen und Brakteaten zu demonstrieren. Diese Schwierigkeiten, die Rolle der Medaillons und der Medaillon-Imitationen, ihre geographische Herkunft und ihre Datierung im Verhältnis zur ‘Erfindung’ der Brakteaten zu bestimmen, zeigen bereits, wie problematisch es ist, ein genaueres Verständnis der Prozesse zu erlangen, die der Entwicklung dieser neuartigen Anhänger und ihrer Ikonographie im skandinavischen Milieu zugrunde lagen. In den Beiträgen zur Diskussion der Entstehung der Brakteatenikonographie wurden zwei grundsätzlich unterschiedliche Betrachtungsweisen archäologischer Objekte deutlich, wie sie seit dem 19. Jahrhundert die archäologische Forschung in Nordeuropa prägten, zum einen der typologisch-evolutionäre, und zum anderen der kulturhistorische Ansatz. So wurde die Herkunft und Gestaltung der Brakteatenbilder entweder mit Hilfe formaler und stilistischer Kriterien oder auf Grund inhaltlicher Überlegungen erklärt. Die unterschiedlichen Hypothesen spiegeln das Bemühen wider, das Verhältnis zwischen Nachahmung der römischen Vorbilder und formaler Umgestaltung einerseits und Motivation zu eigenständischem Kunstschaffen der nordischen Brakteatenmeister andererseits zu klären. Da der vielschichtige Prozess der Aneignung römischer Vorbilder im skandinavischen Milieu, der künstlerischen Umgestaltung und inhaltlichen Neuinterpretation nur lückenhaft belegt ist, sind Entstehung, Funktion und Ikonographie der Brakteaten entsprechend schwierig zu analysieren. Trotz der kontroversen Diskussionen um Entstehung und Deutung der Brakteaten und ihrer Bilder bestand doch immer Einigkeit darin, meist unausgesprochen, dass ihre Bedeutung in allen Verbreitungsgebieten Skandinaviens in gleicher Weise verstanden wurde. In den Untersuchungen, in denen die formale Ableitung der Brakteatenbilder von römischen Vorbildern diskutiert wurde, war nicht nur umstritten, um welche römischen Objekte es sich handelte, sondern auch auf welche Weise sie umgestaltet wurden und ob es sich um ein Vorbild handelte, das dann weiterentwickelt wurde, oder um mehrere, die für die verschiedenen Brakteatenmotive verantwortlich waren. Entgegen Salins These, wonach das Haupt der C-Brakteaten römischer und der Vierbeiner germanischer Herkunft waren, schlug Brøgger vor, wie schon Montelius, die Rückseiten römischer Münzen mit Reiterdarstellungen als Vorbilder für die C- Brakteatenbilder in Betracht zu ziehen. Gjessing unterstützte diesen Vorschlag, wobei er zwischen Aversen, von denen die A-Brakteaten abgeleitet worden seien, und den Reversen, die zu den C-Brakteaten führten, unterschied. Der Neufund des C-Brakteaten aus Gerete auf Gotland (IK 62, 1) veranlasste Sune Lindqvist 1927 einen neuen Vorschlag zur Entstehung des C-Brakteatenmotivs zu machen. Demnach war das Motiv ‘Haupt über Vierbeiner’ aus dem Kaiserbild der römischen Goldmedaillons entwickelt worden und zwar indem der faltenreiche Mantel, der auf den Kaiserbüsten der Medaillonbilder zu sehen war, in das Tier unter dem Haupt umgewandelt worden war. Forssander führte 1937 diesen Gedanken weiter, indem er das Kaiserbild mit einem erhobenen Arm zum Vorbild erklärte und aus- führte, dass die Phantasie der nordischen Brakteatenmeister [...] nicht allzu üppig gewesen sein [braucht], um sie zu veranlassen, aus einem solchen Spiel der Linien ein Tier aufzubauen, wo die zum Gestus gehobene Hand zu Kopf und Hals wird und aus der Faltung des Mantels ein Tierkörper hervorwächst [...]. Und in vergleichbarer Weise erläuterte Forssander die dem Haupt zugewandten Vögel. Sie seien aus der erhobenen Hand des Kaisers, in der er eine von einer geflügelten Viktoria bekrönte Kugel hielt, umgeformt wor- den. Diesen Thesen widersprach Peter Vilhelm Glob in einem im gleichen Jahr publizierten Aufsatz in Acta Archaeologica und argumentierte seinerseits, dass die Versuche zweiseitige Prägungen zu machen, um die römischen Medaillons nachzuahmen, sich als zu schwierig und unbefriedigend erwiesen, und deswegen die Bilder von Vorder- und Rückseite in einem Bild vereint worden seien. Da die meisten Medaillon-Imitationen, die man im Norden gefunden hatte, aus einer Männerbüste auf der Vorder- und einem Reiterbild auf der Rückseite bestanden, habe man diese beiden Bilder zusammengefasst. Wie diese Verschmelzung auf einem frühen Beispiel ausgesehen hatte, zeigte nach Glob der Brakteat aus Hjørlunde Mark, Seeland (IK 79), auf dem das Haupt der Kaiserbüste mit ausgestrecktem Arm über einem Pferd mit Reiter, auch wenn nur dessen Kopf gezeigt wurde, abgebildet waren. Obgleich es sich auch hier um einen formalen Erklärungsversuch handelte, so betonte Glob doch, dass die Brakteatenbilder keine „sklavischen Nachahmungen der Bilder einer fremden Kultur“ waren, wie schon die zahlreichen Umformungen am Haupt und Tier zeigten. Wilhelm Holmqvist wiederum zeigte, dass das C-Brakteatenmotiv „zusammengeschmolzen“ sei aus zwei ganz unterschiedlichen Motiven, dem Kaiserbild und dem Reiterheiligen, dessen Darstellungen besonders aus der koptischen Kunst bekannt waren. In einem späteren Aufsatz diskutierte er noch einmal Brakteaten als Zeugnisse für Einflüsse aus dem östlichen Mittelmeerraum. Diesmal jedoch beschrieb er die Hörner der Pferde, die Rosetten vor und die Swastiken hinter den Häuptern, etwa auf den C- Brakteaten aus Gerete (IK 62,1) oder Dödevi (IK 45), als Symbole, die auf die Verehrung der alten Himmelsgötter Ägyptens hinwiesen. In diese Diskussion mischte sich mit einem Beitrag in Acta Archaeologica 1940 wiederum Lindqvist ein, indem er seine frühere These weiter ausführte und zeigte, dass der Mantel der Kaiserbilder zu verschiedenen Experimenten angeregt habe, die dann zum größten Teil nicht weiter verfolgt worden seien. Das Tier, das aus den Mantelfalten entstanden sei, mutierte erst allmählich zu einem Pferd, während gleichzeitig der Vogel vor dem Haupt größer und detaillierter wurde. Lindqvist argumentierte hier auf der Grundlage einer chronologischen Abfolge der Brakteatenbilder, deren Kriterien er jedoch nicht nannte. Die Unterschiede zwischen den dänischen und den schwedischen Brakteaten, die meist ohne zusätzlichen Vogel und Runeninschriften waren, erklärte Lindqvist damit, dass auf den dänischen Brakteaten der Gott Odin als „runenkundiger Reitergott“ und seine Raben dargestellt seien, auf den südschwedischen Brakteaten jedoch der Gott Thor. Sein Bild sei Odins Bild mit kleinen, wenn auch entscheidenden Veränderungen. Wiederum eine andere Erklärung schlug Heinz Menzel 1951 vor. Er führte die C-Brakteatenbilder auf römische Medaillons zurück, auf denen die Büste des Kaisers zusammen mit der Büste eines Pferdes, das der Kaiser am Zügel hält, abgebildet war. Haakon Shetelig dagegen sah die Veränderungen einzelner Details des kaiserlichen Portraits, wie etwa der Schulterfibel des Mantels, die zu einem Vogelkopf umgestaltet worden war, als ein geringfügiges Versehen an. Bertil Almgren fügte dieser Diskussion ein weiteres Element hinzu, indem er nicht nur römische Münzen und Medaillons als mögliche Vorbilder der völkerwanderungszeitlichen figürlichen Kunst betrachtete, sondern auch die münzähnlichen Kontorniaten des 4. und 5. Jahrhunderts, die erst wenige Jahre vorher ausführlich von Andreas Alföldi behandelt worden waren. Ausgehend von dem A- Brakteaten aus Maglemose-Gummersmark (IK 299) und dem B-Brakteaten aus Skrydstrup (IK 166) verglich er verschiedene römische Münzen, Medaillons und Kontorniaten mit Brakteaten und schloss daraus, dass Einflüsse aus mehreren Richtungen für die Brakteatenikonographie verantwortlich waren. Auch Søren Nancke-Krogh ging davon aus, dass Einflüsse aus verschiedenen Richtungen die C-Brakteatenbilder geprägt hatten. Er lehnte die Thesen ab, nach denen Reitpferde auf römischen Medaillons das Vorbild für die C-Brakteatenpferde waren und schlug stattdessen vor, ausgehend von den Avers- und Revers-Darstellungen der Medaillon-Imitation aus Godøy, Møre og Romsdal (IK 256), die Pferde der abgebildeten Wagenlenker als Vorbilder zu betrachten. In diesem Artikel konzentrierte sich Nancke-Krogh auf die Gruppe der C-Brakteaten, die Mackeprang als ‘westskandinavische Gruppe’ bezeichnet hatte, und deren Häupter durch Vogelprotome charakterisiert sind. Das Vorbild dafür fand Nancke-Krogh auf sassanidischen Münzen des 3. Jahrhunderts, auf denen Vogelhelme abgebildet waren. Durch die kriegerischen Kontakte im 3. Jahrhundert zwischen den Sassaniden in Persien und den Römern, zu deren Bundesgenossen auch Germanen zählten, habe die Kenntnis von Vogelhelmen und anderer Symbole des persischen Sieggottes, wie etwa das Pferd mit goldenen Hörnern, die C-Brakteatenbilder beeinflusst. Anne Kromann wiederum führte verschiedene Medaillonbilder als Vorbilder für die Brakteatenikonographie auf. Dabei unterschied sie die A-Brakteaten, deren Vorbild die kaiserliche Büste als Soldat gewesen sei, von den C-Brakteaten, deren Vorbild die zivile Version der Kaiserbüste war, denn hier fehlte die Schulterfibel, die Teil des Militärmantels war. Das Model für die Brakteaten, die den „Kaiser mit erhobener Hand“ zeigten, war demnach die Medaillonvorderseite mit dem Bild des Kaisers in militärischer Kleidung, der in der linken Hand die Weltkugel hielt und die rechte Hand zum Gruß erhoben hatte. Der Vogel auf den C-Brakteaten war möglicherweise vom Adlerszepter inspiriert worden. Kromann diskutierte auch die Herkunft des Vierbeiners auf den C-Brakteaten und trotz ihrer Zuordnung der A- und C- Brakteaten zu den militärischen und zivilen Kaiserdarstellungen, hielt sie Lindqvists These für die wahrscheinlichste, wonach das Tier aus dem Militärmantel entstanden sei. Mats Malmer lehnte die Idee, dass römische Münzen oder Medaillons die Brakteatenikonographie inspiriert hatten, ab und machte den Versuch, die Entstehung der Ikonographie der C-Brakteaten mit Hilfe keltischer Gold- und Silbermünzen, die ein großes Haupt über einem Vierbeiner zeigen und in die letzten vorchristlichen Jahrhunderte datiert werden, zu erklären. In Skandinavien habe man entweder das Bild imitiert oder aber die dahinterliegende Idee kennengelernt und in die eigenen Vorstellungen integriert. 140Diesen durchaus unterschiedlichen Versuchen, die Entstehung der Brak- teatenbilder, besonders der größten Gruppe der C-Brakteaten, zu erklären, ist dennoch gemeinsam, dass rein formale Kriterien benutzt wurden, mögliche Deutungen des Bildinhaltes aber keine Rolle spielten. Noch ganz in dieser Tradition der Betrachtung formaler Entwicklungsstufen machte 1992 der Sprachwissenschaftler Elmar Seebold einen weiteren Versuch die Entstehung der Brakteaten zu erklären, indem er Entwicklungstypologien für A-, B- und C-Brakteaten erstellte. Er argumentierte, dass in Blekinge möglicherweise die Brakteatenentwicklung begann, da hier der nach Mackeprang älteste Brakteat in Torpsgård (IK 354) gefunden worden war. Die folgenden Entwicklungsstufen sah er gekennzeichnet durch das allmähliche Verschwinden römischer und dem Hervortreten germanischer Merkmale. Nach seinen Interpretationen entwickelten sich aus verschiedenen römischen Vorlagen zunächst die Medaillon-Imitationen, die Seebold als bloße Barbarisierungen verstand, erst bei den einseitig geprägten Brakteaten kamen neue als germanisch beschriebene Elemente hinzu. Seine anschließenden Deutungen der Bilder beruhten auf den vorgeschlagenen Entwicklungsstufen, hatten sie aber offenbar nicht beeinflusst. Dabei interpretierte er die hinzugefügten Vögel, Pferde und Runen als signifikante Attribute germanischer Könige, wobei er sich auf die Interpretation von Texten der römischen Autoren Tacitus und Procopius und dann der Rígsþula bezog. Demnach sei das römische Kaiserbild in das Bild eines idealen germanischen Königs umgedeutet worden, der die Sprache der Vögel verstand, fähig war Weissagungen aus Runen zu machen und die Pferde in den heiligen Hainen verstand. Aus diesem Grund hielt Seebold die Deutung der Brakteatenbilder als Götterbilder, und insbesondere als das Bild des Götterfürsten Odins, für eher unwahrscheinlich. Im Verlauf dieser Diskussionen zur Entstehung der Brakteatenbilder hatten sich auch die Wahrnehmung und die Beurteilung der künstlerischen und technischen Qualität der Brakteaten und der Fähigkeiten der Brakteatenmeister allmählich verändert. Thomsen hatte die Brakteatenbilder als erstaunlich roh und unvollkommen, ja kindlich beschrieben, auch wenn er die hohen technischen Fähigkeiten, die zu ihrer Herstellung nötig waren, hervorhob. Ähnlich urteilten Worsaae, der die Bilder als schwach, unsicher und glanzlos beschrieb, Salin, der die „nicht sonderlich gelungenen Versuche“ hervorhob und Müller, der „das Brakteatphänomen“ als „Bauernarbeit“ beschrieb. Die Brakteatenmeister handelten „unbekümmert“, machten „ganz sinnlose“ Zusätze zu den römischen Vorbildern und führten „kindlich unbeholfene Experimente“ durch. Unausgesprochen lagen diesen abschätzigen Werturteilen Vorstellungen zugrunde, die sich an den Idealen der klassischen Kunst und ihren Prinzipien der möglichst getreuen Wiedergabe der Natur orientierten. Die Archäologen verglichen die Brakteatenbilder mit den römischen Münz- und Medaillonbildern und beurteilten die Veränderungen als „unfreiwillige Missdeutung des Vorbildes“, Ergebnisse „unbeholfener Hände“ oder fehlender Ansprüche an künstlerische Qualität. Ausdrücklich infrage gestellt wurde diese Beurteilung der völkerwanderungszeitlichen Kunst zum ersten Mal 1911 von August Schmarsow im Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen. In seiner Aus- einandersetzung mit Salins Ideen zum germanischen Tierstil argumentierte Schmarsow, dass die Brakteatenkunst Ausdruck des „Kunstwollen[s] unter der Herrschaft eines religiösen Vorstellungskomplexes“ war. Schmarsow war hier beeinflusst von Ideen und Formulierungen des Wiener Kunsthistorikers Alois Riegl, der sich gegen die in der klassischen Archäologie seit Winckelmann vorherrschenden Auffassung gewandt hatte, dass die römische Kunst nur die letzte und dekadente Phase der klassischen Kunst gewesen sei, sondern sie nach den Anregungen beurteilte, die sie späteren Phasen der Kunstgeschichte geboten hatte. Demnach war auch die spätantike Kunst nicht etwa von unaufhaltsamem Niedergang gekennzeichnet, sondern im Gegenteil, vom Finden neuer künstlerischer Ausdrucksformen. Diese Neuorientierung erlaubte es auch die völkerwanderungszeitliche Kunst als eigenständige Kunst wahrzunehmen, und die hohen künstlerischen, intellektuellen und technischen Leistungen gerade auch der Brakteatenmeister anzuerkennen. So verglich Forssander die Medaillon-Imitationen, die „verblüffend plump ausgeführt“ seien mit den Brakteaten als „Kunstwerk von ganz anderer künstlerischer Qualität“. Zur gleichen Zeit beschrieben ihren Stil Shetelig und Falk als „zwar barbarisch jedoch von einer ganz eigenen Schönheit“.