„Erberinnerer“ Karl Maria Wiligut und seine Quellen
 
Aus einer Arbeit von Hans-Jürgen Lange über Karl Maria Wiligut sind einmal die verwirrende Widersprüchlichkeit der besprochenen Person, zum anderen insbesondere ihre unlauteren Verquickungen von germanisch-altreligiösen mit jesuisch-christlichen Ideenmustern zu erkennen, welche - zur Verhinderung der Entwicklung eines echten Heidentums - bis heute etliche scheinheidnische Gruppen konservieren. Ich habe, in eigentlich unzulässiger Weise, diesen Text streckenweise gekürzt, es ging mir allein um die fundierte Information:
 
Als Runenmystiker und selbstpropagierter Träger einer geheimen Familientradition hatte Wiligut / Weisthor von 1933 bis 1938 einen gewissen Einfluss auf Heinrich Himmler und wird deshalb nicht ganz zu unrecht als „Himmlers Rasputin“ bezeichnet. Mit dieser Sonderstellung war es allerdings sofort vorbei, als bekannt wurde, dass der Schöpfer des SS-Ringes (siehe Abb.) über zwei Jahre in einer Salzburger Nervenheilanstalt verbracht hatte. [August 1938 fiel er in Ungnade]
 
Sein schriftliches Werk besteht aus nur wenigen Aufsätzen, die in den „Hagal-Heften“ erschienen, dazu kommt dienstliche Post und Ausarbeitungen aus seiner Zeit in der SS, die im Bundesarchiv Potsdam archiviert sind. Desweiteren verstreute Briefe, zwei im Nachlass des Germanenforschers Wilhelm Teudt und zwei im Nachlass seines „Schülers“ Emil Rüdiger. Dieser früh pensionierte Ingenieur zeichnete auch die sogenannten „Hagalrita-Sprüche“ auf, die den Überlieferungskern „der Viligoten“ bilden. Trotz des eigenen, dünnen Werks umgibt den k. u. k. Oberst Wiligut heute noch ein Mythos. Diese Verehrung, man schaue im Internet, unter den beiden Suchbegriffen „Wiligut Weisthor“ nach, stellt die Frage nach der Wirklichkeit der geheimnisvollen „Überlieferungen“ und der von seinem zeitweiligem Dienstherrn H. Himmler geschätzten „Erberinnerungen“, die durch die „Halgarita-Sprüche“ geweckt werden sollten.
 
Da es verschiedene Zugänge zum „Wissen“ gibt, kann es natürlich auch bei Wiligut / Weisthor Aussagen geben kann, die gut sind und Bestand haben. Die entscheidende Frage ist nur: Um was handelt es sich ? Denn auf der anderen Seite lässt sich nachweisen, dass einiges aus seiner „Familientradition“ doch recht fragwürdig ist. Dazu gehören die unübersehbaren Anleihen, die Wiligut-Weisthor aus Ernst Bethas Buch „Die Erde und unsere Ahnen“ von 1913 macht, also weit vor seiner Zusammenarbeit mit der SS. An diesem Punkt ist sogar die weitergehende Frage angebracht, was ist eine Überlieferung wert, die vielleicht gar keine Überlieferung ist ?
 
Denn unabhängig von den inhaltlichen Qualitäten, steht die Glaubwürdigkeit Wiligut-Weisthors als Mensch und Persönlichkeit auf unsicheren Beinen. Sicher ist es verständlich, wenn der Arbeitgeber „SS“ heißt, dass der „Alte“ seinen Aufenthalt in der Salzburger Nervenheilanstalt verschleierte. Aber auch ohne triftigen Grund, das belegt die Zeitzeugin Gabriele Winckler-Dechend, trug der Oberst mächtig dick auf und gab gerne Märchen über seine Jugend zum Besten. Dazu gehörte, dass er freundschaftlichen Kontakt mit den Erzherzögen und Erzherzöginnen des österreichischen Kaiserhauses gehabt habe und dass er dabei immer die gemeinsamen Eskapaden bezahlte, da die Hochwohlgeborenen kein eigenes Geld besaßen. Frau Winckler-Dechend erinnerte sich in einem persönlichen Gespräch auch daran, dass Wiligut-Weisthor erzählte, bei einem solchen Treffen hätten sich ihm die blutjungen Erzherzöginnen sogar fast nackt und im durchsichtigem Kleidchen gezeigt. [Obschon das durchaus nicht frei erfunden sein muss.]
 
Wie aus seiner umfangreichen k. u. k. Militärakte hervorgeht, sah die Realität des heranwachsenden Volksschülers Wiligut weit bescheidener aus. In die gleiche Kategorie gehören die Aussagen: Seine Frau sei die Tochter des letzten Dogen von Venedig und sein Vater wäre mit der Untersuchung um den mysteriösen Tod des österreichischen Thronfolgers Mayerling betraut gewesen. Beides ist unrichtig und steht hier nur stellvertretend für weitere Beispiele. Das alles wirft auf den „Erberinnerer“ kein gutes Licht. Auch kleinere Details wie seine beiden Vornamen stimmen nachdenklich.
 
Dazu folgende Geschichte: So erkannte 1918, nach eignen Angaben Wiligut-Weisthors, der spätere Papst Pius XI. ihn als Mitglied einer „verdammten“ Familie. Nun mag es noch verständlich sein, dass eine solche geächtete Familie sich vor den vermeintlichen kirchlichen Gegnern mit dem katholischen Glaubensbekenntnis tarnte, unverständlich ist dagegen, dass die Eltern ihren Sohn, als nächstem „Überlieferungsträger“, ausgerechnet die beiden Vornamen Karl und Maria gaben, wo doch Karl der Große, in völkischen Kreisen der damaligen Zeit, durch die gewaltsame Christianisierung keinen guten Ruf besaß und die Gottesmutter Maria für den Katholizismus schlechthin steht. Hier hätte es für die Familie, die ja dieses „heidnische-ursprüngliche“ Wissen bewahrte, sicher eine passendere Alternative gegeben. Bezeichnender Weise trat Wiligut-Weisthor denn auch erst am 13.10.1936 aus der katholischen Kirche aus, obwohl dies ohne Nachteile schon nach seiner Pensionierung möglich gewesen wäre. Laut der Geburtsurkunde lauten die vollständigen Vornamen: Carl Bor. Johann Bapt. Maria. Wiligut-Weisthor schien mit diesen Namen ebenfalls nicht so recht glücklich gewesen zu sein, denn er bemühte sich immer wieder um eine „völkische Schreibweise“, wie Jarl, Marja Viligot und er hatte einen Hang zu Pseudonymen wie „Lobesam“ aus seiner Zeit als Logenmitglied, „Jarl Widar“ als völkischer Esoteriker und letztendlich als „Weisthor“ innerhalb der SS.
 
Zu der „Familientradition“ selbst lässt sich feststellen, dass man die Aufmerksamkeit bisher immer nur auf seine Person gerichtet hat und dass über die Biographien seiner Eltern, Geschwister und Verwandten so gut wie nichts bekannt ist. Hier liegt der Schlüssel, ob es überhaupt eine solche „Tradition“ gegeben hat. In seinem ersten, 1903 in Wien erschienenen Buch „Seyfrieds Runen“ gibt es keinerlei Hinweise oder Andeutungen auf eine solche Überlieferung.
 
Erst 1908 fixiert Wiligut-Weisthor „Die neun Gebote Gots“, zu denen er anmerkt: „Aus der mündlichen Überlieferung der Asa-Uana-Sippe, zum erstenmal seit 1200 Jahren wieder schriftlich niedergelegt, da die bezüglichen Aufzeichnungen durch Ludwig 'den Frommen' am Scheiterhaufen öffentlich verbrannt wurden ...“ Interessant ist, dass diese Niederschrift in die Zeit fällt, da er vom täglichen Militärdienst befreit, einige Vorlesungen an der Technischen Hochschule von Wien besuchte und durch seinen Vetter, Willy Thaler, Kontakt zu einem völkisch-esoterischen Kreis hatte, der sich in den Privaträumen des Burgschauspielers und seiner Frau Marie traf. Wenn man sich die Chronologie weiter anschaut, Ernst Bethas Buch „Die Erde und unsere Ahnen“ ist ja, wie schon erwähnt, 1913 erschienen, wird man feststellen, dass Wiligut-Weisthor, bis auf die vorher genannte dienstfreie Zeit zwischen 1908 und 1909, erst nach der Auflösung der k. u. k. Armee 1918 und nach seiner Pensionierung 1919 die Zeit fand, einen regen Gedankenaustausch mit völkisch-okkulten Kreisen zu pflegen, was dafür spricht, dass Wiligut-Weisthor einen Teil seiner Inspirationen von anderen bezog.
 
So waren ihm neben Ernst Betha auch die Schriften des Guido von List bekannt, denn seine Reime zu „Seyfrieds Runen“ erschienen bei dem Verleger Friedrich Schalk, der schon 1900 List mit seinem Buch „Der Wiederaufbau von Carnuntum“ veröffentlicht hatte.
 
Was ebenfalls nicht so recht zu dem Bild des völkischen Überlieferungsträges passt, ist, dass Wiligut-Weisthor von 1889 bis 1909 Mitglied einer logenähnlichen Vereinigung war und dass später der Prähistoriker Dr. Rolf Höhne aus dem Rasse- und Siedlungsamt eine Fotografie besaß, die den österreichischen SS-Brigadeführer als ehemaligen Freimaurer auswies. Als er eine Logenerklärung Himmlers ausfüllen musste, erklärte Wiligut-Weisthor, er habe dort „Spionagezusammenhänge mit dem jetzigen Italien untersucht und deshalb den Antrag zur Auflösung aller 'Schlaraffia' beim Reichsführer-SS gestellt." Weisthor war also vier Jahre länger Logenmitglied, als er Himmler diente. Wie man weiß, standen Freimaurer mit an der Spitze der Missliebigen im NS.
 
Hier wird neben seinem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt erklärlich, warum Wiligut-Weisthor mit seinen „Lebenslauf“, den er mit mehrjähriger Verspätung bei der SS abgeben musste, einen solchen „Fackelzug“ veranstaltete, wie er in den Akten dokumentiert ist. Als er schließlich auf Anweisung Himmlers das Papier ablieferte, wird es „versiegelt“ und separat von seinen Personalakten aufbewahrt. In diesem Lebenslauf erwähnt er, neben geschönten Angaben weder seine Geschwister, noch findet er auf den zweieinhalb Seiten Platz für seine Ehe oder seine beiden Töchter. Und er geht in seinem „Verfolgungswahn“, für den es schon 1906 Hinweise gab, so weit, ein astrologisches Pseudonym zu verwenden um nähere Zeitangaben zu seinem Geburtstag zu verschleiern. Natürlich ist von einem obligaten arischen Stammbaum, den alle SS-Führer bis 1750 erbringen mussten, bei ihm niemals die Rede.
 
Dies alles passt nicht schlüssig zum Bild eines völkischen Überlieferungsträgers, der nach seinen eigenen Grundsätzen eigentlich ein Mann von Ehre sein sollte. So erscheint Karl Maria Wiligut als ein möglicherweise hellsichtiger Mann, der im Gravitationsfeld Himmlers seine eigenen Unklarheiten nicht mehr erkennen konnte und für gewichtige Realität hielt. Im Gegensatz dazu sind die „Hagalrita-Sprüche“, die Wiligut-Weisthor zwischen 1920 und 1928 Emil Rüdiger überließ, mit einigen Abstrichen, das interessanteste, das der „Alte“ hinterlassen hat. Obwohl er einen Merseburger Zauberspruch und einen schon damals bekannte Runenspruch für seine Familientradition vereinnahmte. Dagegen sind Emil Rüdigers umfangreiche Kommentare zu den Sprüchen eine eigenständige Arbeit. Dass die Ursprünge dieser Sprüche vielleicht in Wiliguts psychotischer Erkrankung zu suchen sind, beinhaltet keine abschließende Wertung. In diesem Zusammenhang möchte ich Manfred Graf Keyserling zitieren, der heute den Nachlass von Emil Rüdiger verwaltet: „Wiligut war nach seiner Krise hellsichtig. - Gesunde sind unempfänglich.“
 
Und obwohl Zeitzeugen Wiligut-Weisthor nicht als jemanden bezeichneten, der die Leute wissentlich täuschte, zeigen seine schriftlichen Ausarbeitungen, dass er Angelesenes immer wieder zu selbst erfahrenem Wissen transformierte. In diesem Zusammenhang ist ein Brief an einen „Kampfgenossen“ interessant, der Franz von Wendrin erwähnt, welcher 1924 das alttestamentarische „Paradies“ in Mecklenburg/Vorpommern entdeckte. Wiligut-Weisthor schrieb: „Wenn Herr v. Wederin im Hinblick auf seine Entdeckungen noch Beweise braucht - er mag sich nur erinnern, wieviel biblische Ortsbezeichnungen in Deutschland namentlich in Süddeutschland - Österreich aufzufinden sind ! Heute noch zu finden ! Das ist kein Zufall, sondern schlagende Beweise, über die niemand hinwegzukommen vermag !“ In dem gleichen Schreiben erwähnt Wiligut-Weisthor seine „Baldur-Krestos-Saga“, zu der auch die mythische Überhöhung der Stadt Goslar gehörte, die er als „Jöruvalla-Gosslar-Rom“ bezeichnete. Diese Formulierung stammt wörtlich aus „Die Erde und unsere Ahnen“ von Ernst Betha.
 
Diese Verbindung zu Betha stellte bereits Nicholas Goodrich-Clarke fest und, unabhängig von ihm, Hans-Günther Griep in seinem Buch „Harzer Legenden“, dabei zeigt Griep in seinen Ausführungen kritische Distanz und er weist auf die Entstehung neuer Legenden hin. In Bethas Werk finden sich, wie bei Wiligut-Weisthor, die gleichen Verbindungen von Goslar mit historischen Städten wieder. Betha schreibt: „In der Edda steht Jerusalem alias Goslar unter dem Namen 'Jöruvalla' (und Valaskialf) da !“, einige Seiten weiter ergänzt er die Namensreihe der Orte, die er mit Goslar gleichsetzt: „Jerusalem-Jörsal-Jörnvalla-Valaskialf-Hiero Solyman-Klein Rom und Troja“. Auch für Landschaftsmerkmale gibt es bei Betha entsprechende Findungen, so ist der Brocken im Oberharz, der Berg Zion: „Der Brocken, der zerbrochene Berg, hatte zur Zeit des Tempelbaus Salomons 4 Gipfel ! Der Berg hieß auch Libanon, Babylon, Nebo, Bel, Olympos, Himmel, Ida, Ilion, More, Horeb, Moria !“
 
In Bethas krudem Durcheinander aus völkischer Germanengläubigkeit und haarsträubendem Unsinn, findet man noch andere wichtige Bestandteile von Wiligut-Weisthors „Baldur-Krestos-Saga“, so die wiederholte Kreuzigung des germanischen Christus, die Wiligut-Weisthor in späteren Gesprächen um einen dritten Kreuzigungsakt erweiterte. Das Vorbild Betha schreibt: „Der Oelberg war ein langgestreckter, hoher Hügel mit 2 Erhöhungen (2 Hügelspitzen) und lag östlich der Stadt vorgelagert; er brach bei dem nächsten Erdbeben an 2 Stellen durch, so dass aus einem Berge 3 Teile wurden. Auf und an dem Oelberge lagen also die beiden Stätten Gethsemane und Golgatha. Reste des einstigen Oelberges sind der Petersberg und der Georgenberg23, wirklich unverändert erhalten ist nur das jetzt Petersberg genannte Stück. Auf dem Georgenberg liegt Köppelsbleek, der Ort der einstigen Opferstätte [...] Jesu erste Kreuzigung geschah in Adummin auf dem Hofe Gethsemane auf dem nördlichen Teil des Oelberges, in der Gegend des heutigen Georgenbergs, an der gewöhnlichen Opferstätte. Er wurde mit Stricken an einen Baum gehängt und dem ,Odin’ - also einem toten Ahnen - geweiht.“
 
Und zur zweiten Kreuzigung: „Jetzt war ein Entrinnen unmöglich - meinte Roboam-Nero und seine Priester. Es fanden sich entmenschte Soldaten, welche Jesum ans Kreuz nagelten. Ja, diese Rothäute riefen ihm noch höhnend zu: 'Nun steig herab, wenn du kannst !'" Nach dem Autor überlebte Christus selbst diese Tortur und die „Jöten“, die ihn ans Kreuz schlugen, beschreibt er so: „Echte Israeliten sind Iranier, doch werden vielfach alle Nachkommen Adams einfach Israeliten genannt - ebenso nannten sich der einäugige Odin und sein Stamm 'Asen', ohne Asen zu sein, denn sie waren Römer alias Jöten, Jovdaios, welche jetzt unseligerweise für Juden gehalten wurden.“ Im Gegensatz dazu sind bei Wiligut-Weisthor die Nachkommen dieser Jöten die heutigen Juden, anscheinend wollte er selbst bei der Existenz eines germanischen „Christus“ nicht auf die Juden verzichten.
 
Ein weiterer Bestandteil von Wiligut-Weisthors Baldur-Krestos-Saga, ist Swanhild-Maria, die dort die Schwester des Baldur-Krestos ist. Auch diese Figur findet sich bei Betha wieder, allerdings als Swanhild-Hermione, Ehefrau und Halbschwester des Jesus. Das Betha seinen Mythologien um die Stadt Goslar besonderes Gewicht beimißt, zeigt sich daran, dass er von den insgesamt 359 Seiten, die sein Buch umfassen, allein 75 Seiten und fast alle Bildtafeln, diesem Thema widmete.

Da bei wichtigen Punkten Übereinstimmungen vorliegen, kann man den Schluss ziehen, dass Himmlers „Erberinnerer“ aus diesem Buch sein esoterisches Wissen über Goslar und seine Begeisterung für Goslar bezog. Und da Wiligut-Weisthor ohne Zweifel eine charismatische Persönlichkeit war, folgte wahrscheinlich der Reichsbauernführer Walter Darré seinem Rat, als er 1934 Goslar zur Reichsbauernstadt machte.
 
Aus heutiger Sicht ist es kaum fassbar, dass Betha Bewunderer und Nachahmer fand, denn seine zusammengeschriebenen Abstrusitäten tragen selbst bei nüchternster Betrachtung pathologische Züge. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, zu erahnen warum all das, was Wiligut-Weisthor so begeisterte, bei Bethas zweiter, neubearbeiteter Auflage von 1922 vollständig fehlt. So wird Goslar ohne phantastische Zusammenhänge nur noch zweimal erwähnt. Aber selbst bei dieser „entschärften“ Fassung steht in einer „positiven“ Kritik: „Ich hatte manchmal den Eindruck, dass der Verfasser, der über ein fabelhaftes [sic!] Wissen verfügt, mit seinem Buch gewisse Philologen, die aus sprachlichen Zusammenhängen einen ganzen Kosmos aufbauen möchten, persiflieren wollte.“
 
Dass Bethas Erstausgabe in völkischen Kreisen Anklang fand, zeigen die zeitlich nachfolgenden Veröffentlichungen von Franz von Wendrin und eines weiteren Autors, der unter den Namen Friedrich Döllinger und Hermann Wieland schrieb. In Wielands Buch „Atlantis, Edda und die Bibel“, deren Erstausgabe 1922 erschien, wird „E. Beta“ an einer entscheidenden Stelle erwähnt, desweiteren findet sich dort ein interessanter Hinweis auf Wiligut-Weisthor: „Bei der fortschreitenden Vermischung der galiläischen und samarischen Germanen mit den Juden im Süden kamen ihre Geschichts- und Sagenbücher in die Hände der letzteren. Um nun bei den feindlichen Germanen Vorderasiens herrschenden Einfluss zu erlangen, ließen sich Juden durch die Taufe in die Gemeinschaft der germanischen Verehrer ihres Ahnen Jesus aufnehmen und fälschten die Geschichte und die Sage von Esus und die Geschlechtsregister von Jesus so um, dass derselbe als Judensprößling und das Schlangen- und Drachen-Volk als das 'Auserwählte Heilige Volk Gottes' erschien, ein politischer Schachzug erster Güte, der in der Folge für das Germanentum in jeder Beziehung verhängnisvoll geworden ist. Wenn diese Darstellung richtig ist, dann müsste sich die Jesussage auch in Deutschland finden. Gewiss ! Die uralte, als Geheimnis gehüteten Traditionen eines alten Irmingeschlechtes, die ich jetzt mitteilen darf, besagen, dass vor der großen Flut in Goslar (Idarvalla-Jöruvalla) ein deutscher Königssohn Esus-Jesus an einen Baum gebunden und gemartert wurde. Ähnliches berichten Thüringer Sagen (mitgeteilt bei E. Beta: Die Erde und unsere Ahnen).“
 
Der wissende, geheime Irmine in diesem Zitat ist ganz unzweideutig Wiligut-Weisthor. Der von Betha inspirierte Wissensträger unterschrieb seine Briefe mit Irmins-Heil, Irmins-Segen oder in Irmins-Treue. Bis zu seiner Entlassung aus der SS gab er auch offiziell vor, als letzter Irmine in der Traditionsreihe eines geheimen deutschen Königs zu stehen.
 
Hermann Wieland verwendet diesen Hinweis auf Betha, nach der auch heute noch gern praktizierten Methode, dass ein Schwärmer den anderen zitiert und dies einen Beweis nennt. Einige Jahre später veröffentlicht der Autor unter dem Namen Friedrich Döllinger „Baldur und Bibel“, ein Buch, das schon im Titel auf den in völkischen Kreisen mittlerweile so virulenten „Baldur Chrestos“ anspielt. Auch „Das Spiegelbild der Weltgeschichte“, eine Arbeit, die Walter Sommer 1932 im Selbstverlag veröffentlichte, nennt „Baldur Chrestos“ zahlreiche Male. Nun wäre das nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht seitenlang ein gewisser Günther Kirchhoff dort zu Wort kommen würde. Denn 1934 empfahl Wiligut-Weisthor Günther Kirchhoff der SS-Führung als wertvollen Laienforscher. An Himmler berichtet er erleichtert, dass „es Gottlob doch auch noch andere 'Wissende' gibt, welche die Zeit richtig erfassen und erkennen [...]“ Und im Juli 1936 unternimmt Wiligut-Weisthor eine 22-tägige Dienstreise in Gebiet zwischen Gaggenau und Baden-Baden, jenen Landstrich, den Kirchhoff bei Walter Sommer so ausführlich beschreibt.
 
Die Wissenschaftler aus Himmlers „Ahnenerbe“ sahen Kirchhoff allerdings ganz anders; für Herman Löffler, den Leiter der Forschungsstätte für mittlere und neuere Geschichte, war er ein Spintisierer übelster Sorte, der Kirchhoffs Ausarbeitungen so wertet: „Das Geschreibe ist vollkommen wertlos.“ Als Beispiel mag hier ein Zitat aus einem Brief genügen, den Kirchhoff im März 1936 an Wilhelm Teudt schrieb: „Gibor als Rune ist bekannt, Gibor als Gottesname bezeugen die Wandaler, die auf der Südspitze Europas dem Gibor einen Altar errichteten, den 'Gibor -Altar' aus dem Gibraltar wurde. Das Zeichen für Mani ist zugleich das mittelalterliche Symbol für 'Maria'. Dass es älter ist, beweist die buddhistische Formel: Om Mani....Om...“ Immerhin erkennt Kirchhoff am 26.1.1948 in einem Brief an seinen „Bruder“ Emil Rüdiger das Wesen seines alten Förderers: „Was Dir also Wiligut mitteilte, ist ein Gemisch aus Wahrheit und Dichtung, allerdings war er sich dessen vielleicht selbst nicht bewusst. Aber ich habe Beweise dafür, dass er sehr hinterhältig handeln konnte und dabei es verstand, den Leuten das Gegenteil freundlich und in glaubwürdiger Weise ins Gesicht zu behaupten.“

Bemerkenswert ist noch, dass Kirchhoff in Walter Sommers Buch das Vorbild seiner eigenen „Arbeit“ nennt, die 1891 erschienenen „Deutsch-mythologische Landschaftsbilder“ des Guido von List. Auch Wiligut-Weisthor wanderte inspiriert von dem gleichen Buch 1932 durch den Deister bei Hannover. Den Gehalt der Listschen Arbeiten, den man als dem ariosophischen „Urvater“ der völkischen Esoterik bezeichnen kann, hatte schon 1919 Otto Hupp kritisch durchleuchtet und selbst 1939 ordnete der nicht gerade für seine Wissenschaftlichkeit bekannte Sinnbild-Forscher Theodor Weigel, den Österreicher in der Kategorie „Schwarmgeister“ ein. [Was allein kein abwertendes Urteil sein muss, denn auch Schwarmgeister sind zu guten wissenschaftlichen Leistung befähigt.]

Die aufgezeigten Verflechtungen belegen, dass Wiligut-Weisthor die Autoren List, Betha, Wendrin, Wieland und Kirchhoff assimilierte, was den Schluss nahe legt, dass die meisten Verlautbarungen von Himmlers Erberinnerer wenig Gewicht besitzen; eine neue Veröffentlichung rückt den psychisch kranken Greis denn auch effektvoll in die Nähe eines hellsichtigen Drogenabhängigen. Schon Wiligut-Weisthors erster Biograph Rudolf Mund versuchte die Ungereimtheiten und Selbstlügen des Alten mit einer geheimen medikamentösen Behandlung durch die SS zu rechtfertigen.
 
Der erste Präsident des „Ahnenerbe“, Prof. Dr. Herman Wirth, schrieb im November 1958 an den Buchautor Rudolf Mund: „Was ich Ihnen raten kann, ist: verschwenden Sie keine Arbeits- und Lebenszeit an die Ermittlung von ,Forschungsergebnissen' des angeblichen Obersten Weisthor oder Wiligut, oder wie er sich sonst nannte. Ich habe Himmler und Darré gegenüber vom ersten Augenblick an, wo er mir vorgestellt wurde und seine Runengeheimwissen an Hand eines schwedischen Runenkalenderstabes vom Ende des 17. Jahrhunderts (Museum Nürnberg) zum Besten geben musste, klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass der Mann ein notorischer Schwindler und Hochstapler sei. Alles, was ich später weiter von ihm persönlich noch erfahren habe, auch infolge der von Himmler versuchten forcierten ,Verständigung' zwischen ,Weisthor' und mir, haben diese sachliche Feststellung nur bestätigt. Was ich von seinem Runenweistum an schriftlichen Auslassungen von ihm noch im Archiv irgendwo habe, beweist, dass er den Guido von List ausschlachtete und weiter verwertete. Alles dies, seine Deutungen der 'geheimen Runenweisheiten' der Fachwerkhäuser, die Himmler und Darré gläubig als uralte Überlieferung, Familientradition seines Großvaters, hinnahmen, ist völliger Blödsinn und Unsinnswust. Das wird Ihnen hart klingen. Es ist aber die nüchterne, sachliche Wahrheit. Aus einem Trümmerhaufen missbrauchter, missverstandener, im Grunde nicht gekannter Werte, die verrufen, diskriminiert, abgewertet wurden, müssen wir mühsam wieder aufbauen, auf neuen Tiefengrundlagen, mit neuen wissenschaftlich fundierten Methoden, - wenn es noch nicht zu spät ist. Lassen Sie solche Parasiten und Schädlinge, einen senilen Erotiker und Alkoholiker, einem jener dunklen Erscheinungen in einem verlorenen Aufbruch unseres Deutschtums verschollen und vergessen sein.“
 
Was von Karl Maria Wiligut bleibt, ist nur ein merkwürdiges menschliches Schicksal. Nach seiner Entlassung aus der SS und der Streichung von der Dienstältestenliste verbrachte er ab 1940 noch drei Jahre in seinem geliebten Goslar. Er starb am 3. Januar 1946 und wurde in Arolsen, der Heimatstadt seiner letzten Lebensgefährtin Else Baltrusch beigesetzt, auf dem Grabstein steht: „Unser Leben geht dahin wie ein Geschwätz“. Hans-Jürgen Lange (im Hauptstück)
 
Bild: Der von Karl Maria Wiligut entworfene Ring der SS