20.10.2023

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DER WEISSE HIRSCH

Vier Würger jagten den Weißen Hirsch,
das herrlichste, heiligste Wesen im Wald.
Ihr Opfer wehrte gar tapfer dem Tod,
dann traf ihre Macht, zusammengeballt.

Von fernem Land war‘n sie herangerollt,
aus niederer Gier nach dem Opferfest,
erbärmlich der Jagtmeute Übermacht,
jauchzte im Tanz um den blutigen Rest.

Im Blutrausch wurde gewürgt, zerfleischt.
Soldaten standen im Bomben-Gedröhn,
der „Stalin-Orgeln“ Pfeiffen-Konzert
und sterbender Frauen schrilles Gestöhn.

Rundum nur Trümmer von Groß-Berlin,
zerfetzte Fassaden der einstigen Pracht,
Die blonde Hilde und Ewald, ihr Freund,
bedachten ihr End‘ in der Höllennacht.

Das Reich ist verloren, jetzt lockt der Tod,
zum Volkssturm gingen sie untergehakt,
die Maschinenpistole war längst vertraut.
„Wo ist der Feind?“, hat das Mädel gefragt.

Totentanz mit Pistole und Panzerfaust,
zwischen den Ruinen und Leichengestank,
im Russenlager, bei Schmutz und Kot,
das Reich mit jeglicher Hoffnung versank.

Hildegard entkam unterm Stacheldraht.
Bald gaben Besatzer-Bübchen sich fein,
doch sie war zu stolz als deutsche Frau:
„Ich lass‘ mich nicht mit Amerikanern ein!“

Aber die hatten aller Willküren Macht,
grüne Dollar-Papierchen im Übermaß,
einer ließ nimmer ab von der Pirsch,
bis er Hildegard für eine Weile besaß.

Jede Eifersucht ist ein nagender Wurm,
ein Hinweis erging aus dem Ami-Büro,
darauf nahmen die Russen den Ewald fest,
er wurde erschossen wie Tausende so.

Die Hildegard verfolgte mit Fleiß und Elan
ihre Welt-Karriere als Masken-Gesicht,
doch echt war sie nur ein einziges Mal,
als deutsches Mädel, gerufen zur Pflicht.

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Der „Weiße Hirsch“, mit dem Sonnenkreuz auf dem Haupt ist die schon bronzezeitlich-germanische Metapher, bis in die christenkirchliche Zeit hinein, für das helle Heil und den Heilbringer. Die NS-Zeit bzw. der NS-Staat war bemüht, in dieser Tradition verstanden zu werden.

Die 18-jährige Hildegard Knef (1925-2002) hatte bei der UfA in Berlin eine Anstellung als Zeichnerin, doch sie wollte mehr, sie wollte im Filmgeschäft eine Leinwandgöttin werden, was sie schließlich auch erreichte. Doch zunächst nahm der Große Krieg, den die Weltmächte gegen das NS-Reich angezettelt hatten, eine dramatische Wende; Russenhorden standen vor und bald in der Reichshauptstadt. Die unerfahrene Hildegard lebte in einer Affäre mit dem gut aussehenden, tüchtigen Chef von „Tobis-Film“, Ewald von Demandowsky (1906-1846). Dieser war ein Mitarbeiter des filmgewaltigen Joseph Goebbels, der die UfA ins Weltniveau gehoben hatte. Wie groß der Anteil reiner Liebe zu dem reiferen Mann war und wieviel Hoffnung auf Karriere-Beflügelung eine Rolle spielte, lässt sich nicht sagen. In seiner leeren Villa in Dahlem kam man sich näher. Die beiden erleben einen Liebesrausch im untergehenden Trümmer-Berlin, bei Luftallarm-Sirenen und Scheinwerfer-Fingern darüber, wie tausende andere auch. Man will nochmal leben vor dem Todesgrauen, die Moral lässt dazu gern den Vortritt. Er fährt sie auf dem Fahrrad morgens durch das zerbombte Berlin, Hildekind auf dem Gepäckträger. Er ist ein Ehrgeiziger, ein Fähiger, ein Beweglicher, der Wurzeln braucht, Wurzeln findet. So souverän wirkt er auf die 19-Jährige, so belesen, so erfahren, so klug. Ob die beiden Glücklichen an den Endsieg glaubten, wer wollte es wissen?! Glück ist ein Narkotikum. Die UfA-Gelände waren zerbombt, die Mitarbeiter wies man den Waffenproduktionen zu. Es gab überall viel zu tun. Dann kam der Aufruf zum Volkssturm, gegen die eindringenden Russen, die sich auch zum emsigen Beutemachen und schrecklichen Vergewaltigen zerstreuten. Ewald und Hildegard, Maschinenpistolen in der Faust, suchten sich Frontabschnitte im Trümmermeer. Sie habe auch geschossen und getroffen, gab sie an. Schließlich fanden sie sich hinter Stacheldraht in einem Russenlager wieder, Hildegard konnte fliehen. Was taten die Überlebenden in einer zertrümmerten, sterbenden Großstadt ? Sie suchten nach Hilfen in ihrer Not und nach Überlebenden von Familie und Bekanntenkreis. Während dem gingen die Sieger-Buben auf Frauenfang, mit Dollarnoten, „Lucky Strike“-Zigaretten und „Hersheys Sirup“. Kaum eine der verhungerten Mädels und Frauen entkam ihnen. Auch Hildegard wurde bedrängt. Bein ersten Aufeinandertreffen - sie zu Fuß im Regen, er im offenem US-Jeep - stieg sie nicht ein: „Ich will mit Amerikanern nichts zu tun haben!“ Der Typ hatte einen Job bei der US-Filmkontrolle, das schien den Ausschlag zu geben, irgendwann wurde Hildegard zugänglicher. Auch ihre Liebe, der Ewald von Demandowsky kam rasch frei, es kam auch zu zufälligen Begegnungen in dieser unsicheren Lage, in der keiner wusste, was ihm die Siegerwillkür als nächstes bescheren würde. Dann kam es zu einem Telefonat aus der Ami-Behörde mit dem sowjetischen Amt. Im Oktober 1946 wurde Demandowsky von den Russen erschossen, nachdem ihn zuvor die Amerikaner verhaftet und den Sowjets ausgeliefert hatten. Es war für Frauen und Männer eine sehr gefährliche Atmosphäre. Historiker Volker Ullrich: „Allein in Berlin wurden in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstagen Zehntausende Frauen zum Opfer von Vergewaltigungen. Durch Soldaten der Roten Armee. Man kann sogar sagen, es kam zu einer ungezügelten Explosion sexueller Gewalt. Vor allem für Frauen. Auch durch Soldaten der westlichen Alliierten, allerdings weniger als durch Soldaten der Roten Armee.“

Im Jahr 1973, die Knef war noch keine 50 Jahre alt, begann sich bei ihr Brustkrebs bemerkbar zu machen. Dass sie diese Krankheit anfiel ist kaum verwunderlich. Ihre Leidenschaft für die Schauspielerei hatte sie wohl gezungen, sich mit Leuten einzulassen, die sie zu brauchen glaubte, das fing schon mit dem emigrantischen Versager an, der ihr so hartnäckig in Berlin auf den Leib gerückt war. Die Entäuschungen in den USA gingen weiter. Mit all den mehr oder weniger einflussreichen, primitiven, geilen Typen, die nur den Leib der blonden Deutschen eine Weile zu genießen hofften, konnten sich keine tragenden seelischen Beziehungen aufbauen. Die hatte zum Teil wohl Geld und Macht, aber ihre Jugendliebe „E.v.D.“ hatte Geist, Ideale und Niveau. Viele schreckliche Erfahrungen mit Managern, die sie betrogen und sich mit Millionen ins Ausland abgesetzt hatten kamen hinzu. Als Künstlerin, die nach eigenen Angaben nicht gut rechnen konnte, war ihr das Thema Geld und dessen Verwaltung eher eine Last. Ein guter Ausgangspunkt für all die, die vom Erfolg der Hilde Knef mit profitieren wollten. Weil einige Manager für Hilde lange keine Steuern abführten, kamen Säumniszuschläge hinzu, die die Steuerschulden ins Immense steigerten. Aber die angeschlagene Gesundheit von Hildegard Knef hinderte den Star, ihre vielfältigen Begabungen zu Geld zu machen. 1970 schreibt sie den biografischen Bestseller „Der geschenkte Gaul“. Zu ihrem 75. Geburtstag 1995 wurde eine Film-Collage mit dem Titel: „Für mich soll´s rote Rosen regnen“, ausgestrahlt. Sie starb mit einem Haufen Schulden.