23.12.2013

Germanische Priester und Tempel
Von unseren germ. Ahnen schrieb der röm. Historiker Publius Cornelius Tacitus (58-120 n.0) in seiner „Germania“ (um 90 n.0), 3. Satz des Kap. 9: „Im übrigen entspricht es nicht ihrer Anschauung von der Größe der Himmlischen, die Götter in Wände einzuschließen oder sie irgendwie menschenähnlich nachzubilden. Sie weihen Haine und Wälder und benennen mit den Götternamen jenes Geheimnisvolle, das man nur in frommer Andacht schaut.“ Wahrlich, eine erhabenere Umschreibung der Religion ließe sich kaum denken. Von der Forschung wird diese Einschätzung weitgehend bestätigt: Die Germanen kannten Opfer und geheiligte Opferplätze, vereinzelt auch Götterbilder, „Tempel“ erst in den Spätzeiten -, denn diese waren in der Frühphase Steinschichtungen und Steinhegungen im Freien. Sie besaßen keinen Berufs-Priesterstand, vielmehr wählten sie ihre Priester wie Stammesführer aus bestimmten Adelsgeschlechtern nach einer Mischung aus aristokratischem Erb- (Geblüts-) und demokratischem Wahlrecht.
PRIESTER
Von germ. god, got. guð (Gott) ist abgeleitet guð(i)ja = der Gott dienende fromme Mann sowie sinista für den ältesten oder Oberpriester. Entsprechend ist goði im norweg. Mutterland der Priester, in Island mehr der Bezirkshauptmann. Tempeldienst pflegende Priester heißen z.B. hof(s)goði (Tempelgode), freysgoði (Gode des Gottes Freyr). Weibliche Entsprechungen sind: gyðja, hofgyðja, blotgyðja (Opferpriesterin). Altnord. þulr ist der Kultredner, den besonderes Wissen um mythische und magische Dinge auszeichnete, welches er vom hohen þulastoll vortrug. Die þulir waren die ältesten Pfleger dichterischer Überlieferungen bei Nordleuten und Angelsachsen. Während also der altisl. Gode nicht die Personalunion von weltlicher und religiöser Macht repräsentierte, war der altdeutsche é(o)wart, Pfleger des êwa, êa (weltliches und göttliches Gesetz) oder in etymologischer Übereinstimmung: der Wart, Wahrer des ewigen Gesetzes. Daneben gab es den é(o)sago als Rechtsprecher, bei dem mehr der juristische Aspekt im Vordergrund stand. Außer Priester- und Richteramt unterstand ihnen - nicht den Feldherren / Königen - bei Heerzügen auch die Zucht der Truppe, da der ganze Krieg gleichsam in Gegenwart der Gottheit geführt wurde (Tacitus, Germ. Kap. 7). Im „Heliand“ finden wir wihesward für Tempelaufseher. Weitere altdt. Bezeichnungen: harugari und parawari, beide aus Tempelbenennungen harug und paro hergeleitet; pluostrari (Opferpriester); wizzo, got. wita (Wissender), wizzago, ags. wit(e)ga (Weissager); der Begriff gotinc erscheint im Zusammenhang, wenn priesterliches Richteramt aufgezeigt werden soll. Von der Wortwurzel walus / völr (Stab) leiten sich die Namen germ. Priesterinnen ab: Weleda, Waluburg, Wala, Völva (Stabträgerinnen).
TEMPEL
Der Halbgote Wulfila, der die Bibel ins Gotische übersetzte, nutzte den altgläubigen Begriff alhs oder gudhus (Gotteshaus). Auch der sächsische Heliand-Dichter verwendete alhs, auch godes hûs oder hêlaga hûs (heiliges Haus), wih, fridu wih für gottgeweihte Stätte. Dem letzteren entspricht ags. vih, viges oder veoh, veos; altn. vé; nord. Vi. Ein weiteres altgerm. Wort ist ahd. haruc, harug, ags. hearg, altn. hörgr, dessen Bedeutung zwischen heiligem Hain und Haus schwankt, zuweilen auch den aus Steinen gebauten Altar meint. Der ursprüngliche Sinn ist aber ein von Steinen umzäunter heiliger Bezirk - wobei sich durch Erhöhung der Mauern schließlich der Tempelbau entwickelt hat. Gleiches bedeutete ahd. paro, ags. bearo. Wurden zur Umzäunung anstelle von Steinen Pfähle verwendet, war es der stafgardr. In altnordisch-norwegischer Skaldendichtung, der Edda und Gesetzesliteratur erscheint allein der Ausdruck altn. hof. Das ahd. Wort loh meinte das heilige Gehölz.
GOTTESDIENST
Heilige Stätten sind die Orte und Priester die Leiter des Gottesdienstes, dessen Hauptbestandteile Gebet / Opfer / Gedenken sind. Folgende altgerm. Ausdrücke wurden dafür benutzt: Wulfila übersetzte „anbetend sich niederwerfen“ mit inveita, dem altn. vita. Für bitten, beten steht gotisch bidjan, bida, ahd. pittan, peta, alts. bedan. Für Opfer(n) war verbreitet blotan, ahd. pluozan, altn. blóta, was etymologisch nicht mit Blut verwandt ist. Im Altschwed. ist blotkarl der heidn. Priester; überhaupt galt blóta als Begriff für die Religionsausübung. Das Gedenken eines Gottes oder der Verstorbenen heißt got. gaman, altn. muna, minni; ahd. Minna. Ein wesentlicher Bestandteil des heidnischen Kultes war das feierlich segnende Umtragen, Umführen der Götterbilder bzw. ihrer Sinnzeichen, was bereits in den bronzezeitlichen schwedischen Felsritzbildern demonstriert wird. Das religiöse Gesetz(-Buch) nannte man ahd. wizzod, got. witoð.
Bild: Der historische Thingplatz in Gulde (Kreis Flensburg) trägt den Namen Guly-Thing. Er wurde von der Gemeinde 2003 etwas abseits der historischen Stelle rekonstruiert. Es handelt sich um einen Steinkreis aus Findlingen. Der Dorfthing regelte die Gerichtsbarkeit und alle Streitfragen in dem Ort. Dieser Dorfthing bestand bis ins 19.Jahrhundert.