09.03.2024
Interessante Köpfe ehrenwerter Männer, neutraler, rechter und linker.
Die Phrenologie (als „Seelenlehre“) ist zu unterscheiden von der von ihr und ihrem Pionier Gall beeinflussten Kraniologie („Schädelkunde“) bzw. von der Kraniometrie („Lehre von der Schädelvermessung“) als Hilfsmittel der Rassenkunde. Diese Lehre wurde vor allem Anfang des 20. Jahrhunderts, besonders im Zusammenhang mit Rassen-Theorien, populär. Kraniometrische Vermessungen waren in der Anthropologie und Ethnologie weit verbreitet, heutzutage finden sie noch Anwendung in der Archäologie, um Erkenntnisse über die Evolution der menschlichen Spezies zu gewinnen.
Phrenologie - Schädelkunde
Diese Frage wurde nicht geklärt,
ob man schon am Gesicht erfährt,
welcher Charakter dahinter steht:
Klar, verrückt oder hab-verdreht ?
Man sieht des Mannes Kopf nicht an,
ist‘s einer der nur schwätzen kann ?
Ist er ein „Rechter“ oder „Linker“,
ein Whisky- oder Wassertrinker ?
Manch einer wohl die Frage wähne,
ist wer ein Deutscher oder Däne,
auch nächste Frage, eher krude,
ist‘s ein Deutscher oder Botokude?
Allein der meisten Leute Religion,
sieht man an seiner Stirne schon.
Ist sie hell, wohlgeformt und rein,
muss sie gewiss katholisch sein.
Auch andere Teile vom Gesicht
verhehlen ihren Ursprung nicht
doch sicher sind die Forscher selten,
man sollte sie deshalb nie schelten.
Karl Max war ein besonders Kluger,
stets war er ein genauer Luger,
beschaute aufmerksam die Gäste,
Phrenologie galt ihm das Beste.
Er fummelte auf den Köpfen rum,
und stellte fest, ob klug, ob dumm,
doch hat auch er sich meist‘ vertan,
er war doch mehr ein Scharlatan.
humorig-freches phrenologisches Spottbild auf den Schädelinhalt von Frauen. Phrenologie des 20. Jahrhunderts: Studium des Gehirns und der Gedanken der Frau. Anonyme Illustration für eine deutsche Postkarte von 1907.
Eine Episode der Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts
Marx und Engels im Banne der Phrenologie.
Ende des 18. Jahrhunderts begründete der deutsche Arzt und Anatom FJ Gall die Schädellehre, eine neue Disziplin – heute besser bekannt unter dem Namen „Phrenologie“, die von seinem Schüler JC Spurzheim populär gemacht wurde –, die die funktionellen Zusammenhänge zwischen psychischen Fähigkeiten, Gehirnbereichen und der Schädelform aufzeigen sollte. Im Gegensatz zu Galls Überzeugung, dass die moralischen und intellektuellen Begabungen des Individuums biologisch angeboren und durch Kranioskopie messbar seien, standen die Venünftigen der Phrenologie kritisch gegenüber und brandmarkte sie als „pseudowissenschaftliche“, „vulgärmaterialistische“ Lehre, welche allein „Spiritualisten“ und „Scharlatanen aller Art“ vorbehalten sei.
Bis heute wurde selten darauf hingewiesen, dass – trotz dieses harten Urteils ebenso von Teilen der marxistischen Literatur – auch Marx und Engels unerwarteterweise inmitten der vielfältigen Schar der Anhänger der Phrenologie des 19. Jahrhunderts auftauchen. Während seines Aufenthalts in Manchester (1842/44) führte der junge Engels, der kürzlich Atheist geworden war, kranioskopische Experimente durch, um die Behauptungen des „christianisierenden Phrenomesmeristen“ ST Hall zu widerlegen, dass es ein spezifisches Gehirnorgan der Religiosität und des Glaubens an Gott gebe; und selbst in seinem reifen Alter scheute er sich nicht, sich von einem Phrenologen untersuchen zu lassen, um seine Fähigkeiten in den Bereichen Wirtschaft und Fremdsprachen zu beurteilen.
Was Marx betrifft, so festigte er seine Kenntnisse des Themas, nachdem er durch die Lektüre von Hegels Werken früh die Schädellehre entdeckt hatte, während seines langen Exils in London (1849/83). Während seines dortigen Aufenthalts las er Bücher über Medizin und Phrenologie, sah sich anatomische Demonstrationen an, freundete sich mit einigen deutschen Flüchtlingen an, die den Lehren von Gall und Spurzheim folgten, und verwendete die kranioskopische Methode, um eine persönliche Auswahl der Militanten der Kommunistischen Liga zu treffen.
Einer der Gründer und Wortführer der frühen deutschen Arbeiterbewegungwar bzw. der Sozialistenpartei (Sozis) war der Jude Ferdinand Lassalle (1825-1864). Dieser berichtete über einen Besuch bei Karl Marx, welcher ihn examinierte, indem er ihm mit spitzen Fingern den Kopf abfühlte, um festzustellen, wie Lassalles Schädelform beschaffen sei, woraus er Schlüsse über die geistigen Befähigungen seines Gastes erhoffte. Lassalle merkte an, die Untersuchung sei ihm befremdlich und äußerst unangenehm erschienen.