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Malerei von Grotemeyer (aus Sammlung Mindener Museum): Widukind und Karl um 800 - Kaum einer weiß, dass Karl Widukind in Reichenauer Klosterhaft nahm, wo er ihn 40 Jahre lang schmachten ließ.
 
W I D U K I N D
 
Ein Wolf ist dieser König Karl,
der Sachsen ihren Gott nicht gönnt,
als ob ein Sachse, Fürst und Jarl,
ihr Heil nicht besser wissen könnt’ !
 
Was greift der Karl die Sachsen an,
in christlich schlimmem Übermut,
wirft Sachsen sämtlich in den Bann,
macht wüst das Land in wilder Wut ?
 
Hoch auf dem Sporn am Tiu-Berg,
stand Sachsens heilige Irminsul -
das setzt’ der Räuber Karl ins Werk,
wirft Hohes, Schönes in den Pfuhl.
 
Ganz Sachsen leidet unterm Joch,
geknebelt wird des Volkes Stolz -;
die Ehre bleibt -, die rettet doch,
ein Mann so hart wie Eichenholz.
 
Das war der Edling Widukind -,
unbeugsam jedem Franken-Zwang,
jagt’ er auf weißem Ross geschwind,
gar mancher Sieg dem Held’ gelang.
 
Dann beugte Karl ihn doch ins Knie,
Karls Morde wurden allzu krass,
er schlachtet’ Sachsen hin wie Vieh,
aus maßlos krankem Heiden-Hass.
 
In Verden, dort am Aller-Fluss,
schuf Karl viel tausendmal den Tod,
Gefangenenmord hieß sein Beschluss,
die Aller floss vom Mordblut rot.
 
Da gab sich Widukind ihm hin,
gab sich in Karls Gefangenschaft,
sein Volk zu retten stand im Sinn,
büßt’ vierzig Jahr’ in Kloster-Haft.
 
Und doch hat Karl ihn nie besiegt,
es blieb der Widukind sich treu.
Der Leib allein dem Zwang erliegt,
ist eine Seel’ nicht leicht wie Spreu.
 
Nie ward der Widukind „bekehrt“,
zwar wurde er zum Mönch gepresst,
sein Freiheitssinn stand unversehrt,
blieb doch im alten Glauben fest !
 
Der Edeling Widukind / Wittekind, plattdeutsch Weking genannt, führte die Sachsen als Herzog, also als Kriegshauptmann an, nach dem Überfall der Franken unter König Karl im Jahre 772. Er stammte aus Wildeshausen (851 - Wigaldinghus), das an der Straße von Westfalen nach Bremen über die Hunte liegt. Seine Frau hieß Geva und war eine Schwester seines Kampfgenossen Abbi aus dem Geschlecht der Immidlinger. Die Franken griffen zuerst die Engern an, die Westfalen, die Ostfalen und bedrohten mit furchtbaren Verwüstungen und Menschendeportationen die Existenz des Sachsenvolkes. Zwar gelangen den vereinigten Sachsen und Friesen im Gegenzug einige Siege, wie jener am Süntel-Gebirge und an der Grotenburg, doch schon nach dem Massenmord der Enthauptung von 4.500 ausgesucht edlen Sachsen, im sogenannten „Blutgericht von Verden an der Aller“ (782), zeigte sich die unnachsichtige Vernichtungsabsicht des „aisken Schlächters Karl“ und der militärischen Überlegenheit des Frankenreiches, so dass sich Widukind 785 entschloss - um sein Volk vor dem Untergang zu bewahren - vor Karl das Knie zu beugen und sich gefangen nehmen zu lassen. Die unbarmherzige Brutalität mit der Karl vorging, war in seiner Familie Tradition, sogar die hofnahen Reichsannalen erwähnen drei Blutbäder die Karl anrichten ließ (Reichsannalen 775) sowie die „Nordhumbrischen Annalen“ (Vetus annales Nordhumbranis 775) und merken an, er sei in seiner Wut wie von Sinnen gewesen. Mit seinen Massenmorden wiederholte er nur was ihm Vater Pippin und Onkel Karlmann vorexerziert hatten, die im Jahre 746 im sog. „Blutgericht von Cannstatt“ welche „viele tausend“ alamannischen Adlige und Herzöge zu einer Versammlung gerufen hatten, um die gesamte Führungsschicht in einer Massenhinrichtungsaktion auslöschen zu lassen.
 
Auszug aus Karls Königsordnung das Sachsenland betreffend: § 8. Wenn zukünftig im Sachsenvolk ein heimlicher noch Ungetaufter sich verbergen und sich weigern sollte, zur Taufe zu kommen, weil er Heide bleiben will, dann sterbe er des Todes.“ 793 rebellierten die Sachsen erneut, trotz der Einschüchterungen durch grauenhafte Mordserien und Deportationen durch die katholischen Zwangsherrschaften fränkischer Grafen und kollaborierender sächsischer Adligen.Sie kehrten zu ihren heidnischen Sitten und Gebräuchen zurück. Um diesen Unruhen etwas den Wind aus den Segel zu nehmen, wurden von Karl im Jahre 797 die etwas milderen „Capitulare Saxonicum“ erlassen.
 
Die Unterwerfung zur Taufe von Widukind und seinem Schwager Abbi (Kurzform von Albrich) meldete Karl sofort beflissen dem Papst nach Rom, welcher einen dreitägigen Dankgottesdienst in allen christlichen Kirchen anordnete. Der triumphierende Eintrag der Reichsannalen lautete: „baptizati sunt supranominati Widochindus et Abbi una cum sociis eorum; et tunc tota Saxonia subiugata est“. Mit Großmut und Freizügigkeit bei der Behandlung Widukinds und seiner Hauptleute, ist nicht zu rechnen. Absolut unrealistisch wäre die Vorstellung, die Franken hätten ihre Gegner nach dem Taufakt wieder frei herumlaufen lassen, insbesondere ist es schon deshalb völlig undenkbar, weil die Sachsenkriege ja weitergingen.
 
Die Kenntnis, wie Karl mit Widukind verfuhr, verdanken wir den Forschungsergebnissen des Historikers Prof. Dr. Gerd Althoff. („Der Sachsenherzog Widukind als Mönch auf der Reichenau. Ein Beitrag zur Kritik des Widukind-Mythos“ in: Frühmittelalterliche Studien, Bd. 17, 1983, S. 251-79) Vier Belege in den Verbrüderungsbüchern des Bodensee-Klosters Reichenau und dem Reichenauer Nekrolog beziehen sich ersichtlich auf den Mönch namens „Uuituchind“ und „Wituchi“, dem der Titel „mon(achus)“, also König und zu seinen Eintritt im Jahre 786 der klosterintern-ironische Zuname „dominator“ (Herrscher) beigestellt wurde. Sein Sterbetag war offenbar der 12.12. 825. Althoff schreibt:
 
„Alle Indizien stimmen also überein und sichern die Schlußfolgerung, dass es sich bei dem Mönch Widukind um ein Mitglied des Reichenauer Konvents handelte, das um 786 die Profeß ablegte und danach noch mindestens bis zum Jahre 825 im Reichenauer Konvent lebte, ohne eine geistliche Weihe zu erhalten.“ Widukind litt also noch rund 40 Jahre nach seinem erzwungenen Ordens-Eintrittsgelübte im Reichenauer Konvent. Althoff: „Geht man von der Annahme aus, dass Widukind sich etwa 30-jährig taufen ließ und somit als 70-jähriger verstorben wäre, dann widerspricht kein Faktum einer Identifizierung des Reichenauer Mönches Widukind mit dem Sachsen-Herzog.“ Dieser verstarb ohne in der Klosterhierarchie, wie es damals bei frommen intelligenten Mönchen üblich war, aufzusteigen.
 
Aus dem Umstand geht hervor, dass Widukind als Zwangs-Mönch nie seinen Heidenglauben aufgegeben hat, kein echter Christ wurde, also nie „zu Kreuze kroch“. Im Spätjahr 786 ist Karls Reichenau-Besuch, auf der Durchreise nach Italien, so gut wie sicher, er hat demnach seinen Gefangenen - mit 12 oder 13 weiteren Sachsen - (die zum kollaborieren ersichtlich nicht bereit waren) persönlich abgeliefert. Neben den Reichenauer Priestermönchen erscheint in den Listen eine Gruppe von 14 einfachen Mönchen, die offenbar bis ins hohe Alter keinen Weihegrad erhielten.
 
Karl verfuhr mit Widukind nicht anders als wie mit dem letzten Bayernherzog Tassilo III. und dem Langobarden-König Desiderius, den er bis zum Lebensende in die Klosterhaft von Corbie steckte. Kloster Reichenau war wegen seiner Insellage ein ideales Gefängnis, in welchem, wie der Mediävist Prof. Dr. Alfons Zettler feststellte, beispielsweise ebenso der Slawenapostels Methodius und seine Gefährten, einige Zeit inhaftiert wurden. Auch Abbi, der treue Freund und ostwestfälische Kampfgefährte Widukinds, teilte die Kosterhaft bis zum Tode. Er scheint zeitweise im Kloster St. Wandrille in der Normandie gefangen gehalten worden zu sein, findet sich dann jedoch im Reichenauer Gedenkbuch der verstorbenen Sachsen zur Zeit von König Heinrich I..
 
Worterklärung: Tiu-Berg = Obermarsberg im Hochsauerlandkreis wo die sächsische Eresburg mit der heiligen Irminsul stand, die der Frankenkönig und Sachsenschlächter Karl im Jahre 772 zerstören ließ.
 
Bild:  „Widukind und Karl der Große“ von Fritz Grotemeyer (1864-1947), der ein mehrfach ausgezeichneter deutscher Historienmaler war.