SUCHE NACH DER URWAHRHEIT
(Einleitungsworte zum ODING-WIZZOD)
 
Die uralt-erhabenen Gedanken, die Gottheit sei „Raum und Zeit“, ihr Schritt aber wäre aus dem Auf und Ab des Jahrganges herauszule­sen, lagen noch jenseits meiner be­wussten Wahr­nehmung. Und doch lockten mich seit Jugend­jahren, ganz unverständlich drän­gend, bren­nend die Geheim­nisse unseres abendlän­dischen Brauchtums- und Kult­kalenders mit den offensicht­lichen oder auch nur er­ahnten Über­lagerun­gen, Verfäl­schungen, Missver­ständnissen, als würde mir seine Ent­schlüs­selung so etwas wie eine quellreine Urwahrheit schenken können. Dem Gott, dem ich als Messdiener dienen sollte, wurden Hym­nen in lateinischer Sprache gesungen und die zu ihm gehörenden frommen Legen­den spielten in einem mir völlig gleich­gültigen fernen orientalischen Land. Wenn es gelänge, die im Zuge der Gewalt­samkeit des einstigen Glaubensum­bruches ver­fälsch­­te Zeit­währung zu entlarven, so schien mir, müsse zwangs­­läufig die von flickschu­sternder Künstelei und Kniffelei befreite, klare Gottesge­stalt unserer eigenen Heimatreligion her­vortreten. Ich begann einen langen Weg durch die Fach­literatur und suchte gleichzeitig Begegnun­g­en mit den, wie ich glaubte, we­nigen wahren Wissensträgern im Lande.
 
Anlässlich der Eröffnung seines Ur-Europa-Museums in From­hausen/Nordhessen lernte ich 1974 den neunzigjährigen Geistes­urge­schichtler Herman Wirth kennen - einen Mann im Besitz grenzenlos an­mutender Wis­sens­schätze - und, trotz sei­nes hohen Alters, blit­zenden blau­en Jünglings­augen. Er war Gründer der Sammlung „Deutsches Ahnenerbe". Ich glaubte mich am Ziel, dachte, ich hätte meinen Lehr­meister ge­funden. In Gesprä­chen am Tisch seines Häuschens am Fuße der Burg Lichtenberg bei Kusel, erklärte er mir seine Auf­fas­sungen. In Gestalt vieler geheimnisvoll anmutender Felsbildabgüsse führte er mir die Belege vor. Ich war fieberhaft erregt. Was ich erfuhr, erschien mir ein unsagbar großes Geheimnis. Er ver­band einstige Schrift­zeichen, die Runen, mit uralt­gläubiger, Jahres­organisation. Doch ich begriff, dass mein Wissen nicht aus­reichte, ihm folgen zu können. Ich bat ihn, um einen handlichen Be­weis, um Nennung einer Art Kernstück seiner Erkennt­nistheorie. Er verwies, eben­so wie er es in sämtlichen seiner umfangreichen Schriften getan hatte, auf die skandinavischen bronze- und eisenzeit­lichen Felsbildritzungen (ca. 1600-500 v.0) - insbesondere auf jene Darstel­lung einer kreisrunden Scheibe, um welche, wie er meinte, kalendarische Frührunen gruppiert seien. Er schätzte sie auf ein steinzeitliches Alter. Die von ihm als „Kalen­der­scheibe bei Fossum“ bezeich­nete Darstel­lung liegt im südwest­schwed­ischen Bohuslän. Wirth vermittelte mir das wichtige Verständnisprinzip alter Religio­sität: Den Jahresgott, der geboren wird, im heilspendenden Gang die Zeit durch­schre­itet, schließlich den Opfertod erleidet, um - gleich den neu empor­wachsenden Son­nen­lichtbö­gen - wieder­geboren zu werden. Und dies sei der Glaube einstmals ge­wesen, dass auch die Menschen­seele dem göttlichen Vorbilde gemäß, wie­der auf­erstünde, zu ihrer Zeit.
 
Im Sommer 1982 reiste ich das erste Mal nach Skandinavien, um die von meinem Meister bezeichneten Felsbilddokumente mit eigenen Au­gen anzusehen. Kurz zuvor war ich mit einem hand­werklich geschickten Manne - Dietrich Evers - bekannt geworden, der sich experimen­teller Archäolo­gie verschrieben hatte. Er zeigte mir, wie man durch Papier­abriebe zur de­tailgetreuen Aufnahme von Fels­bild­gravuren gelangen kann. In der Folge­zeit nahm ich Hun­derte der aus­sagefähigsten Abbildungen auf, um sie zu Hause in aller Ruhe studieren zu können. Endlich stand ich also am Ziel, im schwedi­schen Bohuslän, bei Tanum, in Fossum - die Zeug­nisse der germani­schen Frühzeit zu meinen Füßen. Ich fuhr mit tastenden Fingerspitzen die Ritzlinien des Felsbildes entlang. Ich weiß nicht, ob ich damals wirk­lich geweint habe, aber mir war nach Wei­nen zu­mute. Ein Traum zerrann. Nicht ein einziges der von Herman Wirth nachge­zeich­neten und beschrie­benen Zeichen seiner „Kalenderscheibe“ war in der von ihm dargestellten Form vorhanden. Unübersehbare Bild­teile hatte er freiweg unter­schla­gen. Weil sie in seine Runentheorie nicht hineinpassen wollten ? Ähnlich verhielt es sich auch bei anderen seiner Felsbildwiedergaben. Ich war zutiefst de­primiert. Keine Ur-Runen, kein Ur-Kalender. Sehr viel später erst fand ich im Nach­lass des Ver­storbenen eine Nachtfotografie der Fossum­-Ritzung, welche durch ein­seitige Be­leuch­tung zustande gekommen war und die gleichen falschen Gebilde aufwies, wie sie Wirth stets be­schrieben und gedeutet hatte. Etliche Jahre, bevor er die Felsen selbst in Augenschein nehmen konnte, muss er von einer schlech­ten Ab­lichtung irregeführt worden sein. Ich war damals erschüttert und aufgewühlt, ich legte meine brennende Stirn einen Moment auf die küh­lende Felsfläche und versuchte zu dem mir unbe­kan­­nten Gott meiner Vorfahren zu beten: „Wenn Du bist, Wodan, du Geist der Erkennt­nissucher, so bitte ich, lass mich trotz meines Fehlganges deine Runen und dein Kreisgang durch das Jahr erkennen !“
 
Stundenlang lag ich in diesen Urlaubstagen vor meinem Zelt und starrte auf die von Herman Wirth ring­förmig ange­ordneten 24 Runenzeichen. Tag für Tag wanderte ich mit Karte und Kompass durch die geheimnisvoll wuchernden schwedischen Wälder um nach den oft gut verborgenen Felsbildern unter Laub, Moos und zuweilen dicken Humus­schichten zu suchen. Währenddem hatte ich viel Zeit zu sinnieren. Wenn im Runen­kreis wirklich ein kalendarisches oder weiter­reich­endes Geheimnis ver­borgen lag, so durfte es allein im ur­sprünglichsten Vermächtnis gesucht werden, nicht aber in den jüngeren, erst im 8. Jh. aufgekommenen Runenreihen. Diese stam­men aus Zeiten des aggressiven kirchenchristlichen Vorstoßes und geistiger Zurück­drängung des euro­päischen Altglaubens. Aus solchen Schwundphasen durfte ich nichts Ur­sprüng­­liches erwarten. Ebenso wusste ich, dass das natürliche Sonnenjahr, und somit auch das Kalenderverständnis der Alten, in der Phase des tiefsten Lichtstan­des sei­nen Anfang nahm. Das Jahr ist ein Erzeugnis von Sonne und Mond. Die vom irdi­schen Be­schauer wahr­zunehmen­de Lichtzunahme beider Ge­stir­ne be­ginnt aus deren niedrigsten Stand, also aus Neumond­nächten, welche der Winter­son­nen­wende (21. Dez.) am näch­sten liegen. Für den Nordland­bewohner ist es un­mög­lich, den Gang des jäh­rlichen Sonnenheiles aus ande­rem Zeit­ort als dem Süd­punkt, dem scheinbaren „Sonnengrab“, heraufsteigen zu sehen. Mir schien also der An­fang sicher, von dem beginnend sich die 24 Zeichen über die 24 Halb­mo­nate des Jahres­kreises zu ver­teilen hatten.
 
Die zwei­hälftige, Jahr-Rune () stand dann auf der Jahreshöhe, der Som­mer­sonnen­wende. Wirklich könnte man von einer Jah­res­spaltung sprechen, endet ja hier die Licht­zunahme, tritt doch das Jahr von hier in seinen Abschwung ein. Trotz dieser Bestätigung schienen mir einige Runen am un­passenden Ort postiert: Die Rune des Tiu / Tyr (), der dem röm. Mars gleichge­setzt wurde, befand sich beim Sep­tember-Anfang, die Asenrune Wodans () lag auf Ende Februar. Die erste müsste eigentlich zum März, zumindest ins Früh­jahr gehören, und die zweite in die Nähe herbstlicher Micha­els-Feste, denn diesen Erzengel versteht man allgemein als christli­che Aus­tausch­figur für den heidnischen Seelengeleiter und Toten­gott (Wodan / Mercurius / Hermes).
 
Also wendete ich versuchsweise den Runenkreis, da­mit Zei­chen der ab­steigenden Jahresseite in die aufstei­gende und Zei­chen der aufsteigenden in die ab­steigende Hälfte über­wechselten. Jetzt, im gekonterten Symbolkreis, begann zwar die Runenlesung mit dem o (), das bisher als Endbuchstabe galt, doch wäre es nicht naiv, wenn wir an­nehmen würden, die Runen - das germanische Geheim­nis schlechthin - seien oh­ne jegliche Tarnung der Allerweltsbe­trach­tung preis­gegeben worden ? Die esoteri­sche Lesung von „rück­wärts“, die von rechts nach links verlaufende, hätte sich der Runen­schöp­fer als schlichte Ver­schlüsse­lungs­methode wohl einfallen lassen kön­nen. Erst sehr viel später erfuhr ich, dass die Linksläufigkeit ein Charakteristikum aller alten Schriften ist.
 
Im versuchs­wei­se ange­dachten rechts-beginnenden bzw. linksläufigen Kalender­runen­reigen drohte die Hagel-Rune () auf En­de Juli, Anfang August. Das konnte die Lösung wohl doch nicht sein, ein Hagel­zeichen schien mir nicht in den Hoch­sommer zu passen. Nach Ur­laubs­­ende recher­chierte ich bei der Agentur einer Ha­gel­ver­sicherung. Die Aus­kunft des Sachbearbeiters war für mich überrasch­end und erlösend: „Dem einfachen Er­fahrungswert entspre­chend, entstehen die meisten Hagelschäden in der Zeit Juli-Au­gust.“ Von diesem Augenblick an war ich fest über­zeugt, den Sinn der Runen­reihe erkannt zu haben. Das Struktur­prinzip des Zeichensystems erschien mir jetzt durch­schau­bar. Unter dem begeisternden Eindruck meiner Findung ver­schick­­te ich im März 1983 an Freunde und Interessenten einen ersten wieder­gebo­renen Runenkalen­der, nach verborgenem Dahindämmern über mindestens 1500 Ja­hre. Die Unsicherheit aber blieb, inwie­weit meine Hypothese jemals im strengen Sin­ne beweisbar sein würde. Mein unermüdlicher Freund und Lehrer, der im Alter zutiefst vater­ländisch empfindende Kurt Kibbert, Wissen­schaftler am Institut für Vor- und Frühge­schichte der Universität Frankfurt, beantwortete mir geduldig viele Fragen und ver­mittelte insbeson­dere Verständ­nis für das Werk von Heinz Klingen­berg: „Runen­schrift, Schriftdenken, Runen­inschriften“, in dem die zah­len­­mytho­lo­gisch-gematrische Di­men­­sion alten Runen­denkens nachge­wiesen er­schien. Wäh­rend ei­ner Studien­fahrt im Frühjahr 1986 zur Fundstelle des goldenen Runen­hornes von Gallehus/­Rosen­gaard in Nord­schleswig, lernte ich den profunden Philologen und erfolgreichen For­scher selbst kennen. Jetzt endlich glaubte ich das zweite Stand­­bein für die Nach­­­­weisbarkeit der linksläu­figen Ur­-Runenreihe gefun­den zu haben. Über die Mathe­matik der Runenzahlen würde ich es beweisen können.
 
O-D-Ing
 
So wie die Gesamtheit unserer gebräuch­lichen griechisch-latei­ni­schen Schrift­zeichen nach ihren Anfangslauten A-B-C genannt wird, müssten die ger­manischen Runen­buch­­staben nach ihren drei ersten Stäben O-D-Ing heißen. Ihre Durchnumm­erierung ermöglichte die bessere Verständlichmachung jedes Zeichens nach den Regeln antiker Zahlenspekulationen. Minde­stens seit Pythago­ras (550-500 v.0) ver­ban­den die Grie­chen mit ge­wissen Zahlen ganz bestimmte Ideenbilder. Nun zeigte die ODING-Runenreihe bei sämtlichen Buchstabe ein hohes Maß von Verständnis­über­ein­stim­mung mit dem jeweiligen hellenistisch-gnosti­schen Zahlensinn, der im urgerma­nischen Denken ebenso zu Hause war, wie H. Klingenberg bewiesen hatte. Da ver­band sich wirk­lich die Zahl 1 mit der Urschlinge des Weltge­webes (), die 2 mit des polaren Tagvaters Doppelaxt­zeichen (), die 3 mit dem solaren Erlösersohn Frô / Freyr (), die Mate­rie­zahl 4 mit dem Wasser- und Pflan­zenzeichen (), die Menschenzahl 5 ge­hör­te dem germ. Ur­vater Mannus (), die Hochgotteszahl 8 dem Him­melsherrn Tiu / Tyr (), und die magische Kronenzahl des Weltgeistes 21 markierte den Großen Asen, den Ahnen­geist-Welt­geist Wodan / Wodin / Odin (). Seit diesem Er­kennt­nismoment wusste ich: Eslag nicht nur ein frühes Kalender­system vor mir, das war mehr: Ein Welt­verständ­nis, eine Gotteserkenntnis -, die echte Urbotschaft, das Evangelium in­do­germani­scher Ahnen, die hei­lige Urschrift der Deutschen -, und dazu, wahrschein­lich die Kodifi­kation der Wodanreligion. Eine lange verrie­gelte Pforte war aufge­sto­ßen, ich durfte hindurch­gehen in dieses vermutete alteuropäische geistige Heimat­land hin­ein, um es wieder in bewussten Besitz zu nehmen. Seitdem hat mich das ODING nicht mehr losgelassen.
 
Die Übereinstimmung zwischen dem Runenring und dem astro­logischen Schema der 12 „Sonnenhäuser“ bzw. dem Sternbil­derkreis (Tyr- / Tirkreis) des Himmelsgottes Tiu-Tir-Tyr ist unüber­sehbar. Daraus wäre zu folgern, dass dem Schöpfer des Ru­nen­­systems die Fülle des helle­nistisch-synkretistischen Wissens zur Verfügung stand. Er wäre zu vermuten etwa zwischen den Jahren 100 bis 50 v.0. Die gesamte Alte Welt rüstete sich damals, besonders gegen Ende dieser Zeitspanne bis 150 n.0, zu ähn­lichen Unterneh­men. Die im geweiteten hellenistischen Kulturraum zusam­men­­­treff­enden Religionen traten in scharfen Wettstreit mitein­ander, sie wollten Ge­folgschaf­ten ge­win­nen, sie predigten und schu­fen ihre Bücher. In festgelegten Buch­staben begannen die Wissen­den ein­zu­fangen und schriftlich zu bewahren, was einst der Götter lebendiger Odem war. Die An­hänger unter­schied­lichster Kulte stimmten in der Auf­fas­sung darinüberein, dass die Prinzipien der göttlichen Ganzheit, der kos­mischen Ordnung, in Lautzeichen, den Buchstaben so­wieder Zahlennatur jeglichen Dinges fassbar zu ma­chen seien.
 
Aus stam­meseigenen indogermanisch-gallogermanischen Gedankenwurzeln könnte solch eine Idee dem genialen Runenerfinder zugewachsen sein, lautete doch schon ein Begleit­text zum Veda, dem arioindischen Buch heili­gen Wissens: „Alle Vokale sind Ver­kör­pe­r­ungen Indras“ (Chan­dogya-Upanishad 1.22,3), an anderer Stelle heißt es sinnge­mäß: „Der Werde­vater schuf die Welt aus dem Worte“ (Sata­patha Brah­mana 6.1,1,9), und in der Bhagavad-Gita, dem hinduistischen Ho­henliede der gläu­bigen und vertrauens­vol­len Gottesliebe, verkündete Krishna: „Ich bin der Anfang, die Mitte und das Ende, das A im Alphabet, der Rede Sinn“ (10.32, 33), etwa 5 Jahr­hunderte bevor der Au­tor der „Offenbarung des Johannes“ seinem Christos die Worte in den Mund legte: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“ (21.6). In engem geistesgeschichtlichem Urzusammenhang scheint der sich abzeich­nende OD­ING-Wodin-Glaube mit den gnostischen Buchstaben- und Zahlen­mystikern zu ste­hen, die sich vom Neupythagoreismus (ab 100 v.0) anregen ließen. Sie ver­schmol­zen Ideen und Zahlen; die Buchstaben sind in der hellen­istischen Schul­praxis ja ohne­hin als kosmische Elemente angesehen worden, denen „man reli­giöse Ehrfurcht zollen muss“ (Arist. Polit. 1338a). Schon der Grieche Jambulos (2.Jh.v.0) träumte in einer als Reise, eingekleideten Märchenutopie, von einem idealen dem Sonnengott geweihten Staat auf sieben Inseln, der ein harmonisches, gerechtes Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft ermöglichen sollte. Die Gleichheit würde dort mit größter Konsequenz durchgeführt. Zum Gemeineigentum träte eine für alle gültige Arbeitsdienstpflicht, die Sklaven unnötig mache. Frauengemeinschaft und gemeinschaftliche Kindererziehung zielten darauf ab, das Volk zu stärken. Sein Werk blieb nicht erhalten, nur an Hand einer Inhalts­übersicht, die der Historiker Diodorus (ca.80-30 v.0) gibt, können wir es uns erschließen (II 57,4). Dort heißt es: „es sei bei ihnen auch Sorgfalt für alle Bildung, am meisten aber für die Sternkunde. Als Buchstaben brauchten sie achtundzwanzig, was die Schriftfiguren betreffe, sieben, deren jede vierfach umgebildet werde.“ Jambulos dichtete seinen Wunschinsulanern ein vollkommenes Alphabet an und zeigt damit, dass man in hellenistischer Zeit, wie die alten Pythagoreer, symbolische Beziehungen der Schrift zum Kosmos als sinnreich und schön empfunden hat. Anaxilaos war ein Pythagoreer aus dem nord­griech­ischen Thes­salien, der im Jahre 28 von Kaiser Augustus unter dem Vor­wurf, Ma­gie betrie­ben zu haben, aus Rom verwiesen wurde. Er und Kolor­basos wurden, neben dem Gnostiker Valentinus, als geistige Vorfahren des Zahlen- und Buch­­staben­mys­tikers „Mar­kos der Ma­gier“ betrachtet, mit dem, oder seinen Schü­lern, der christl. Eiferer Irenäus (135-202) im Rhône­tal/Gal­lien zusammen­ge­stoßen sein muss (Irenäus haer. 1.14-16,2). Der Gn­o­sis­lehrer Marsanes (Ende 2. Jh.) wird im Codex Bruci­anus (Kap. 7) als einer der vollkommenen Menschen erwähnt; es hieß, ihm sei in einer Vision der göttliche „Drei­fachkräftige“ (Hermes-Thoth) er­schienen. Er huldigte der rein phytha­go­rei­sch­en Zahlenmystik, wie sein Codex Marsanes (NHC 10.1) zeigt. Dieser gehört zu den in Ledersäcken einge­hüllten Papyrusbücher die man beim mittelägyptischen Dorf Nag-Hammadi fand. Die Rolle ist in schlechtem Zu­stand, doch über die Wirkungen der Zahlen ist etwa dies herauszulesen: „Die erste die gut ist, stammt aus der 3. Die 2 aber und die 1 gleichen keinem Ding, sondern sie sind die ersten, die existieren. Die 2 aber, indem sie getrennt ist von der 1 wird zu der Hypo­stase [Verding­lich­ung eines gedank­lichen Begriffs] gezählt. Aber die 4 hat die Elemente empfangen, die 5 hat Vereinigung empfangen, und die 6 wurde vollkom­men durch sich selbst. Die 7 hat Schönheit empfangen, die 8 bereitet ein Übermaß. Und die 10 offenbarte den ganzen Ort...“ Anschließend verbreitet sich Marsanes über die Buchstabenmystik, die er mit himmlischen Kraftmächten in Verbindung setzt. Ein anderer Nag-Hammadi-Kodex (NHC 8.1), vom Anfang 2. Jh., der die iran­isch-pla­to­nische Himmelsreise des Zostrianos/Zoroaster beschreibt, endet mit einem Krypto­gramm des­sen Auflösung durch die drei Achter­reihen des griech. Alphabetes möglich wird. (Bibel der Häretiker: die gnostischen Schriften aus Nag Ham­madi, eingel., übers., kommentiert von G. Lüdemann u. M. Janßen, Radius-Verlag, Stuttgart 1997) Solch eine Achtereinteilung wurde auch für die Runen typisch, man nannte sie altn. ætt („Geschlecht“). Die Runen-Entstehung fällt ersichtlich in eine Zeit, in der einerseits das neupytha­gore­ische Buch­staben- und Zahlendenken in voller Blüte stand und ander­seits das keltisch-druidische Mysterienwissen noch seine ungebrochenen Impulse aus­senden konnte. Das wäre nicht viel sehr später als unmittel­bar nach der cäsari­schen Zer­trümme­rung der galli­sch­en Welt 50 v.0. Allerdings darf die kelti­sche Einfluss­nahme auf die abendländische Religions­ge­schichte sowohl vor wie auch noch nach diesem Zeitpunkt als bedeutend betrachtet werden. Die Druiden waren eine gut organi­sier­te Prie­sterkaste in der weiten Keltika von Iberien, Irland, Gallien, Ober­germanien bis hin nach Galatien. Ihre Lehren vom Ewigkeitswert der Menschen­seele inspirierten mit Sicherheit vielfältige Mysterien­kulte. Die im fraglichen Zeitraum wirkenden Bücher und Schulen der Buchstaben- und Zahlen­mystik dürften dem Runenschöpfer den unmittelbaren Anstoß gegeben ha­ben seiner eigenen kalen­darisch-theo­sophischen Tradition ein Denkmal zu setzen, ein zeitgemäßes Zeugnis zu schaffen -, wahr­schein­lich sogar mit seiner neuen gottes­weisheitlichen Schrift­ordnung ein Leit-, Sehnsuchts- und Musterbild für einen germanischen Gottesstaat zu begründen. 
 
Schlüsselübergabe
 
Meine Darle­gungen würde ich am liebsten verstanden wissen als Schlüs­selüber­gabe zum Ein­stieg in eine Welt, die noch voller über­raschender Entdeckungen sein muss. Wir stehen am Anfang einer neuen Wissenschaft. Am besten hätten mich jene verstanden, welche das ODlNG als Medium der Selbsterkenntnis, der Selbst­fin­dung und Selbststärkung zu nutzen verstünden. Denn im Zentrum des gnostischen Denkens stand und steht der Mensch ! Zur göttli­chen Se­ligkeit wird keiner gelan­gen, der diese nicht in sich selbst zu finden fähig wird. Es handelt sich hier um das Herzstück der mythi­schen Urhypo­these. Die schon altindische Weisheit, dass Brahman, die letzte äußere Wirklichkeit, mit Atman, der innermensch­lichen Wirklich­keit, identisch sei, war Gemeingut der Gnosis und widerspiegelt sich auch im Alōd („in vollem Eigentum stehender, unbelasteter Besitz“) des kos­mi­schen ODING-Kreises.
 
Hraba­nus Maurus (776-856), der fränkische Universalgelehrte und Kirchenmann, er­wähnte um das Jahr 840 in seiner Schrift De inventione linguarum, ein Runen­alpha­bet „wie es die Marcomanni - jetzt Nordmanni genannt - gebrauchten, von denen je­ne abstammen, die die Theodisca lingua sprechen". Nordmanni wurden zu Hrabanus Zeiten die überelbischen Sachsen genannt. Zu dieser Textstelle erklärt Wil­helm W.C.Grimm: „Daraus  folgen drei wichtige Sätze: erstlich, daß dies Alphabet für ein ursprünglich deutsches galt; zweitens, daß nur die, welche dem Heidentum zu­ge­tan waren, sich dessen bedienten; und zwar drittens, zu einem besonderen Zweck, um ihre Gedichte, Zaubersprüche und Weissagungen damit aufzuschreiben.“ (Wilhelm Carl ­Grimm, Über deutsche Runen, 1821, S.82) Hrabanus, der Leiter der Kloster­schu­le Fulda (782-842), später Erzbischof von Mainz, verstand also Runen­buchstaben als die Urschrift der Deutschen. Zu seiner Zeit hatten sie zwar der von klerikaler Seite forcierte Ausbreitung des lateini­schen Alphabetes weichen müssen, doch noch im 6. Jh. scheinen sie breiter ge­nutzt worden zu sein. Schrieb doch der mit deutscher Sprache und Sitte vertraute Venantius Fortinatus (Bischof zu Poi­tiers, wohl langobardischer Abkunft, aus Oberita­lien, in Ravenna erzogen) an seinen Freund Flavus, wenn er ihm nicht lateinisch ant­wor­ten wolle, so könne er sich der bar­bara runa, also der „deutschen Runenbuchstaben“ bedienen. Den Begriff barbara setzte er auch an anderen Stellen seiner Abhand­lun­g­en ohne abwertende Bedeu­tung für „deutsch“ ein. (W.C. Grimm, Über dt. Runen, 1821, S.61ff) Eine Stelle bei Ke­ro (um 720) dokumentiert dann den christlichen Ver­drän­gungskampf gegen die deutschen Buchstaben. Da wird den Mönchen verboten von irgend jemand etwas in Runen (rûnstaba) Geschriebenes anzunehmen. (W.C.­ Grimm, Üb. dt. Runen, 1821, S.70f)
 
Von ihnen, dem Verbund runischer Schriftzeichen, meinte der Tübinger Religions­wis­senschaftler J.H. Hauer in seinem während des Weltkrieges II. geschriebenen Ru­nen­­buch: „Darum wagen wir die Vermutung, daß diese Reihe in ihren Grundzügen ein Kernstück der Einweihung der jungen Ge­schlechter bei den Germanen bildete. Wenn in der Edda von der Einweihung in die Runen die Rede ist, dann handelt es sich nicht nur um die Kenntnis der Ru­nenzeichen und der Runensprache, sondern auch um den tiefen Inhalt, der den Zeichen gemäß der Reihenfolge des Futhark in­ne­wohnt. Das Futhark in seinem symbolischen Charakter war sozusagen der Kerb­stock der Weisheits­überliefer­ung. An Hand dieser Reihe mögen die Lehren vorge­tragen worden sein. Man kann mit Recht vermuten, daß im Zusammenhang mit den verschie­denen Zei­ch­en, etwa dem fehu-, uruz-, Thurs-, dem Tyr-, dem Odin-, dem Pfer­de-, dem ng-Zeichen die großen Mythen über diese Götter erzählt wurden. Auch sie bildeten den tiefen Inhalt oder Hintergrund der Runen.“ J.H. Hauer blieb das Ent­deck­er­glück versagt, er ahnte nicht, dass es weniger eine FUÞARK- als eine OD­ING-Lehre war, welche einstmals vorgetragen wurde, seine grundsätzliche Ver­mutung war jedoch richtig.
 
Einer der bedeu­ten­dsten islän­dischen Gelehrten des 20. Jahr­hun­derts, der Dich­ter-Philologe Sigur­dur Nordal, schrieb in sei­nem Kom­mentar zur eddischen Völuspa über den altnor­di­schen „Asen­glauben", den Glauben unserer Vorfahren: „Ich könnte mir gut vor­stellen, dass ein moder­ner Mensch nach diesem Glauben leben und ster­ben könnte, und ich bin nicht sicher, ob nicht die germani­schen Völker die alten Glau­bensvorstel­lungen stär­ker werden be­rück­sichtigen müs­sen, wenn es darum geht, sich eine zukünftige Welt­anschauung zu schaf­fen.“ (Texte z. Forsch. Bd. 33, Sigurdur Nordal, Völuspa, 1980, S.13) Doch die Gestalt des Runengesetzes, der altgerma­ni­schen ODING-Ewa, ist gleich­sam nur das Gewand des Gesetztes. Töricht wären je­ne, die die Auskleidungen für das Gesetz selber hielten; die Weisen schauten auf den Geistleib, den das Runen-ODING umhüllt. Wir werden sehen, dass dieses alt­germa­nische Ver­ständ­nis als eigenwillig, urwüchsig und einzigartig ein­zu­stufen ist. Es ist erklärbar zu machen, indem vergleichbare Ideenmuster daneben gehalten wer­den, doch es entspricht in Gänze keiner der bekannten zahlen­mytho­logischen und philosophischen Schulen der Antike, vielmehr handelt sich um eine Schöpfung aus wesenseigener Gestal­tungs­kraft.
 
Wer den Runengeist in seiner Breite und Tiefe verinnerlichen möchte, den wird eine auf gefühls­mäßigen Abstand bedachte, univer­sitäre Gelehrsamkeit wohl nicht zum letzten Ziel führen. Wer es erreichen will, muss Herz und Geist geichermaßen in die alte Zeit zurücklenken. „Ohne Begeisterungsfähigkeit schlafen die besten Kräfte unseres Ge­mütes, es ist ein Zunder in uns der funken will“, meint Scho­pen­hauer. Ich ließ mich inspi­rieren und wurde zum Dichter, kleine Reim­blöcke sind den religionsge­schicht­lichen Ab­sätzen angehängt. Auf nüchterne Geister werden sie wie alter­tümelnde Sprach­schnör­­­kel im Sinne eines Butzenscheibenzierrates wirken. Sie möchten aber eigentlich hilfreich sein zur Ein­stimmung in die ru­nische Atmos­phäre wie ich sie empfand; sie trans­por­tieren zudem in verdichteter Form eine Menge zum jeweiligen Runenbezirk ge­hören­der Mitteilungen. Als stili­stisches Mittel wur­de ein gelegentlicher Rückgriff in den mit­telhochdeut­schen Wortschatz nicht ge­scheut, um gewünschte Stimmungen zu erzie­len. Für Neugierige, die unbe­kannte Begriffe unter die Lupe nehmen möch­ten, gibt es im Anhang die Worter­klärun­gen.
 
Der Bildteil des Buches ist knapp bemessen. Es sollten mit den skandinav­ischen Felsritzbildern eine Anzahl ikonographischer Urzeugnisse der germ. Völkerfamilie deshalb Aufnahme finden, weil diese einzigartigen Zeugnisse des Nordens oft ein­deutige Beweiskraft besitzen. Zudem geistern etliche in fehler­haften Formen durch die Literatur und sind zwecks Überprü­fung in den schwedischen Wäl­dern in vielen Fällen nur unter erheblichen körperlichen Anstren­gungen erreichbar. Keine andere abbild­bare Aufnah­memethode dieser Bilder erlangt nur annähernd die von mir er­zielte Genauig­keit, deshalb besitzen in jedem Zweifelsfalle etwaiger Differenzen, die in diesem Buch vorgeführten, uneingeschränkte Gültigkeit. Zu dieser Kunst­gattung sagte der profunde Runenkenner Helmut Arntz: „Die skandinavischen Fels­zeich­nungen lassen sich nicht mehr aus ihrer Verbundenheit mit den Runen lösen. Je mehr deutlich geworden ist, daß zwischen ihren Bildern und den Runen­zeichen keine formalen Beziehungen bestehn, sind beide als zeitlich aufeinander­folgende Aus­drucks­formen des gleichen Glaubens erkannt worden. Man möchte heute sagen: beide verstärken und verewigen die gleiche Kulthandlung; dort  mit Bildern, hier mit Zeichen. Jene geben uns eine unmittelbare Anschauung, diese den Widerhall und manchmal sogar den Klang gesprochener Worte. Aber beide sind nicht um ihretwillen selbst da, sondern sie sind nur Niederschlag des Zaubers, der dem Zauber der überirdischen Mächte entgegentritt.“ (Helmut Arntz, Vom Kult der Sonne, S. 173, in Runenberichte Bd 1, Heft 4, Universität Giessen, 1942)
 
So möchte ich jetzt die Erklärung der Bauordnung unserer germanischen - und wie sich erweisen wird - auch keltisch beeinflussten Buch­sta­benreihe ODING-FUThARK, anbieten, „deren Ursache ... noch nicht entdeckt ist“, wie Altmeister W.C. Grimm in seinem Runenbuch von 1821 schrieb (W.C. Grimm, Üb. dt. Runen“, 1821, S.124). Zu deren Erkenntnis ich am Beginn zwar streck­en­weise wie ein Hingeführter den Weg fand - oftmals zwanghaft fremdbe­stim­mt an­mutend - die jedoch arbeits­metho­di­sch kor­rekt, in fachwissenschaftlich üb­licher Art die Beweise liefert. Dieser erstmals vor aller Augen ins Licht gerückte runi­sche Strukturgedanke schuf ein fein ver­zahn­tes, sich gegenseitig stützendes und be­stäti­gendes geistiges Maß­- und Netzwerk, ähnlich dem Steingefüge himmels­tre­ben­der gotischer Dome. Dessen innere Harm­onie gründet sich auf einer so großen trag­fäh­igen Ver­klam­merung, dass meine Re­kon­­struktion selbst dann unbeschadet blei­ben wird, wenn sich zukünftig einzelne Bau­steine als weniger belastbar erweisen sol­lten.
 
Seit Niederschrift des Vorwortes für das ODING-Wizzod - Weihnachten 1992 - sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Ich ruhte mich zwischenzeitlich nicht auf Eichenlaub aus, denn man hat mir daraus keine Kränze gewunden, im Gegenteil. Von schwei­gen­der besserwisserischer Ableh­nung bis zu empörten Attacken reichte die Ernte, die ich für dieses Buch em­pfing. Zwar schrieb mir der namhafte dt. Philologe und Ru­nenfachmann Prof. Klaus Düwel am 23.01.1994 einen handschriftlichen Brief, in dem er sagte: „Das Semesterende ist leider mit vielerlei Arbeiten randvoll. Deshalb nur die­sen Hinweis: Ich bezweifele nicht, daß die von Ihnen vorgelegte Lösung zur Rei­henfolge des älteren Futharks in sich stimmig und wohl auch richtig ist. Das Pr­oblem liegt an anderer Stelle: Sie machen zahlreiche Voraussetzungen, von denen Sie plau­sibel machen müßten, daß diese zur Zeit der Runenschöpfung, der Entsteh­ung und Ordnung der Futh­ark-Reihe, in dem geographischen Raum und im geistigen Horizont der an der Schöpfung der Runen beteiligten Person(en) auch eine Rolle gespielt haben. Wo ist die ,altheilige Weltgeist- / Geistson­nenzahl 21‘ dabei belegt, was hat sie mit Wodan zu tun? (die Ordnung Asen / Wanen ist wesentlich nur aus der nordi­schen späten Überlieferung bekannt).“
 
Diese zustimmenden Worte klangen wie eine Aufforderung, noch hinreichendere Be­weise für meine Erkenntnistheorie vorzulegen. Das soll nun in Gestalt des neuen ODING-Wizzod geschehen. Dem weisen Heraklit wird das Wort zuge­schrieben: „Durch ihre Unglaubhaftigkeit entzieht sich die Wahrheit dem Erkannt­werden.“ Je ge­ringerdas geistige Rüstzeug der Leser war, um so maßloser geriet zuweilen ihre Ab­lehnung meiner „linksverdrehten Runen“. Ich dachte, mit mei­nem Entdeckungs­werk dem Germanen- und Keltentum ein Geschenk zu machen -, auch ein Stück Wieder­gutmachung zu leisten, für all die geistigen Entrechtungen und Zerstörungen die zuerst vom römischen Staats- und später vom gleichnamigen Kirchenimperialismus ausgingen. Der römische Staat, der so oft seinen Fuß auf den Nacken unserer Vorfahren setzte, brachte mit seiner Pax Romana stets einen Frieden der Not, der Verfremdung und der Unterdrückung, wie Tacitus in seiner Agricolabiographie (Kap. 30, 4) den Anführer eines Aufstandes im Jahre 83 in Britannien, Calgacus, bitter beklagen lässt: „Diese Räuber der Welt [die Römer] durchwühlen, nachdem sich ihren Verwüstungen kein Land mehr bietet, selbst das Meer; wenn der Feind reich ist, sind sie habgierig, wenn er arm ist, sind sie ruhmsüchtig, nicht der Orient, nicht der Okzident hat sie gesättigt; als einzige von allen begehren sie Reichtum und Armut in gleicher Gier. Plündern, Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft [Imperium], und wo sie eine Einöde hinterlassen, da nennen sie es Frieden". Nach seinem endlichen Untergang aber ging dieser fast nahtlos in einen zunächst vorgeblich rein geistlichen neuen römischen Terrorismus über. Wieder war unsere Heimat aufs Schlimmste betroffen. In den Edikten röm. Kaiser, wie jene von Theo­dosius II und Valentinian III vom 14. Nov. 435, heißt es: „Wir verbieten allen Personen mit verbrech­erisch­er heidnischer Ge­sin­nung das Op­fern von Tieren, andere verdam­mungs­würdige Opfer und Hand­lun­gen, die durch frü­here Gesetze untersagt wurden. Wir befehlen, dass alle Heili­g­tü­mer, Tempel und Schreine, wenn sie noch bestehen sollten, auf Anordnung der Be­hörden zerstört wer­den, und dass die Stätte durch Errichtung des verehrungs­wür­digen Zeichens der christ­­lichen Religion entsühnt werden sollen. Alle sollen wissen, dass die Übertreter dieses Gesetzes mit dem Tode zu betrafen sind, wenn ihre Schuld vor einem ordent­lichen Richter erwiesen wird.“ „Ordentliche Rich­ter“ finden sich auch heute noch, wenn es gilt, der Staatsdoktrin einer zweifelhaften „christlich-abendländi­sch­en Wertege­meinschaft“ Geltung zu verschaf­fen. Dagegen ge­dachte ich Befreiungs­wege in die neue-alte eigen­ge­setz­liche Religi­osität und Geis­tigkeiteröffnet zu haben -, ich erwartete Zustimmung wie Mitarbeit. Doch als massive Angriffe kamen, blieben mir zum Trost die Worte derer, welche vor mir die Launen des literarischen Publi­kums erlebten. So schrieb Goethe an Zelter am 12.12.1812 und 5.2.1813: „...Und da die Deutschen von jeher die Art haben, daß sie es besser wissen wollen als der, des­sen Handwerk es ist, daß sie es besser verstehn als der, der sein Leben damit zuge­bracht, so werden sie auch dießmal einige Gesich­ter schnei­den...“- „Die Deutschen haben die eigene Art, daß sie nichts annehmen kön­nen, wie man’s ihnen giebt, reicht man ihnen den Stiel des Messers zu, so finden sie ihn nicht scharf, bietet man ihnen die Spitze, so schreyen sie über Verletzung. Sie haben so un­end­lich viel gelesen und für neue Formen fehlt ihnen die Empfäng­lich­keit.“
 
Nun, dass den Deutschen die Empfänglichkeit für neue Formen abginge, wäre kein völlig gerechter Vorwurf, vielmehr scheinen sie allein das Andersartige überzubewerten und an einer geistigen Abwehrarmut gegen Fremdkulturelles zu kranken. Aus Se­bastian Francks „Chronika", 1531, stammt der Satz: „Wer der Teutschen Acht hat, der findt diesen Fürwitz, Mangel, äffische Art an ihnen, daß sie aller Dinge eher Acht haben, nachfragen, bewundern, dann ihrer eygenen Dinge. Da fahren und wandern sie durch alle Land, bis zu den äußersten Inseln, erspähen fürwitzig all Ding, und sich selbs wissen sie nit." Und der Dichter unseres Nationalliedes, Hoffmann von Fallers­leben, sang 1873: „Welcher Frevel, welche Schande, / daß in deutschem Vaterlande / Fremdes fand die Oberhand! / Deutsche Sprache, deutsche Dichtung, / deutsches Streben, deutsche Richtung / gilt als Nebensach und Tand. / Ja man lehrt uns, daß wir lernen / uns von dem früh zu entfernen, / was uns sein muß Ehr und Pflicht. / Was wir gern am liebsten wüßten / und vor allem lernen müßten / das gewährt kein Unter­richt.“
 
Und Theophrast von Hohenheim (1493-1541), der sich selbst Paracelsus nannte, traf in seiner Einführung zum „Herbarius“ das deutsche Kernproblem: „Weil ich sehe, daß die Arznei der deutschen Nation von fernen Landen mit großen Kosten, Mühe und Arbeit, und mit vieler Sorgfältigkeit kommt, hat mich solches bewogen, ein Argument zu nehmen, ob nicht die deutsche Nation solches selbst in ihrer Gewalt hätte und oh­ne die fremden Übermeerischen auch in ihrem Umkreis und Reich bestehen möch­te. Dabei hat es sich gefunden, sehr wohl und mit genügenden Grunde, daß alle Dinge auf eigenem Boden, Gründen und Gütern, für eine jegliche Krankheit überflüssig ge­nug, zu haben sind, wie ihr dieselben auch entgegen stehen und zuhanden kommen mögen. Und zudem noch viel mehr Arznei und bessere, als Arabia, Chaldaea, Per­sia, Graecia zu geben vermögen, so daß es billiger wäre, sie holten ihre Arznei von uns Deutschen denn wir von ihnen. Auch (ist sie) dermaßen gut, daß auch Italia und Gallia usw., sich dess‘ nit überheben können. Daß aber das eine solche lange Zeit nit an den Tag oder hervorgekommen ist, hat Italia getan, das ist eine Mutter der Unwis­senheit und Unerfahrenheit; sie haben die Deutschen dahin gebracht, daß sie auf ihr eigen Gewächs nichts gehalten haben, sondern alles aus Italia zu nehmen oder üb­ers Meer her. Das ist der Grund aber, daß ihnen der Nutz aufgegangen ist und dem­selbigen sind sie nachgegangen, und nicht brüderlicher Lie­be, die doch in ihnen ganz oder doch nahezu  erkaltet ist. Nun ist es nicht minder, daß die deutschen Doktoren welsch sind und nach der welschen Lehre handeln und machen uns Deutsche zu Wa­len, die wir doch deutsch sind, mit den Walen aber gar kein commercium, das ist Gemeinschaft haben. Aber das ist deshalb, weil die Bücher aus Graecia, Arabia usw. kommen, und weil sie dort gemacht sind, nehmen sie es auch von den Orten und wollen deshalb die selbigen Arzneien haben. So kommen Bücher und Arzneien aus  e i n e m  Nest, und weder ist es deutsch noch den Deut­schen besser als das, das deutsch ist. Einem jeglichen Lande wächst seine Krank­heit selbst, seine Arznei selbst, sein Arzt selbst. Es ist aber not, daß die welsche Ver­führung ausgerottet wer­de, wie ein Baum, der gar keine Frucht bringt. Drum muß ich wohl darüber lach­en, daß die Deutschen arabisch, griechisch, chaldäisch usw. sind, und können das Deut­sche nicht; wollen auf welsch arzneien und wissen auf Deutsch nichts, wollen übers Meer arzneien, und ein besseres ist im Garten vor ih­rem Hause ...“
 
Der große Arzt beschrieb hier mit der Fremdentümelei das Hauptübel der deutschen Lande und erklärte auch treffsicher deren Grund und die anzuratende Abhilfe: Das frühe imperiale Übergewicht von Rom und Italien, dann obendrein noch der judäo­christ­liche Religionsimport, verführte die sich bildende deutsche Nation zum dauer­haften ehrfürchtigen sowie auch hilfesuchenden Blick über die eignen Grenzen. Eine wirk­liche Heilpflege deutscher Krankheiten wird aber nur mit deutschen Arzneien, deut­sch­en Büchern, also deutschem „Kraut“ gelingen. So würde einem entsprechenden deutschen Bedürfnis auch nur eine deutsche Spiritualität, Esoterik und Religion vor­anhelfen können - eben die eigengeistig-runische. Die wäre, von den ernst­haft Suchen­den, zu­künftig mit dem ODING’schen Maßstab gerüstet, wohl wieder­zugewin­nen. Das Ringen um das Leben eines Gemeinwesens wird ja weder durch die Wissen­schaften, noch durch Volkswirtschaften entschieden, sondern allein in den Seelen, denen entweder die Kraft aus einem lebendigen Mythos zuwächst oder nicht. Ein solches Elex­ier könnte aus der Runen inhaltsschweren Botschaft schon gezogen werden. Wir haben die verlorene Eichel des einstigen großen starken Eichbaumes wiedergefunden und neu ins Erdreich gebettet, nun wächst sie und soll gute starke Frucht tragen für unser Volk ! In der Eichel steckt das gesamte Baumuster des späteren Baumes, ebenso schlummert im ODING-Samen die gesamte Konzeption des großen Heidentums unserer Vorfahren, eben darin liegt ja die Genialität eines jeden Schöpfers, in ein kleines unscheinbares Gebilde eine Wirk- und auch Spreng­kraft - wie sie jeder Knospe innewohnt - hineingelegt zu haben, aus der eine Welt erwächst und sich ihre Bahn bricht.