Copyright Ⓒ Gerhard Hess / 07.12.2013
 
DIE RUNEN VON RÜGEN
 
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Reiseeindrücke und „wendisch-wandalische“ Rätselfrüchte einer Rügenfahrt
 
Ein unendlicher Himmel, blau wie Eisvogelgefieder, breitet sich über dem Vilter Bod­den. Ich stehe am Bug der Schaproder Fähre, die mich von Rügen hinüber nach Hid­densee bringen soll - dorthin, wo nach Sturmfluten der Jahre 1871-73 im Ufersand der wunderbare vielteilige Wi­kinger-Goldschmuck aus dem 11. Jh. gefunden wurde. Schnei­dend kalt sind die Wind­böen die an diesem Märzmorgen an den Ohrenklappen meiner Fuchspelzmütze zerren. In der Fahrrinne düm­peln großflächige Eisschollen, dazwischen tum­meln sich schwarz­grüne Kormorane, Blesshühner­schwärme schwirren durcheinander, und die Wild­enten­rotte flattert aufgeregt einen Strich weit dahin. Etwas großes Dunkles scheint jäh aus strah­lender Höhe herabzufallen, wir schauen ge­bannt. Der Seeadler hat ei­nen Erpel ge­schla­gen und hebt sich mit seiner Beute im Fang wieder hinauf und davon. Unbe­eindruckt scheinen die unzähligen Flotten der Sing­schwäne, die leuch­tend weiß im Glanz der Ost­seesonne schaukeln. Ich blinzele hinein in die grenzenlose Hellig­keit und sinne weit zu­rück ins Vergangene. Bilder der lebendig gebliebenen germa­nisch-deutschen Ge­schichte stehen in meiner Seele auf und verschwimmen mit heutigem Erle­ben. Ich höre Schiffsborde aneinander schlagen, Eichenkiele über die Sandufer knir­schen, Kom­mandorufe aus rauen Männerkeh­len, ich sehe schimmernde Brünnen, breite Strei­t­äxte und blankgeschliffene Eisenklingen blitzen. Kühne Herren streiten um holde Jung­frauen, um Länder und Schätze. Hid­densee (dän. Hidinsö, „Hedinsinsel“) gibt sich als jener le­gendäre Kampfplatz zu erkennen, von dem die Gudrunsage berichtet. Der wackere Ru­gier­fürst Hagen schlug sich hier mit He­din, dem Herrn des Hedelingenlandes und Vater der schönen, unbeirrbar treuen Gudrun, die dem Tugen­dideal der germanischen Frau ein unsterbli­ches Denkmal setzte. Und auch der Schwan, der alte nordische Götterbote, hat im Gud­runlied seinen Platz, er überbringt der Heldin die erlösende Kunde, dass ihre Zeit der Versuchungen und der Schmach ein bal­diges Ende haben werde. 1) 
 
Im ursprünglichsten germanischen Kernland befinden wir uns. Aus der ältesten mittelsteinzeitlichen Kultur des nordeuropäischen Tieflandes, der Maglemose-Kultur (um 9.000 bis 6.500 v.0) -, und den Küstensee­jägern der Ertebølle-Kultur (um 5.100 bis 4.100 v.0) erwuchsen die Ge­mein­schaften der indo­germanischen Mutterzivilisation der Trichterbecherleute 2), die für ihre Sip­pen­toten die beein­druckenden Großsteingräber erbauten. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts gab es etwa 300 dieser Anlagen auf Rü­gen; heute sind es nurmehr 54. Man wusste schon das Kupfer zu verhüt­ten, aus dem feine Spiralen, Schmuckröll­chen und schöne doppelschneidige Äxte geformt wur­den. Als das Verständnis zur Ver­arbei­tung der härteren Bronze gediehen war, schufen einheimi­sche Handwerker und Künstler des südlichen Ostseeraumes auch aus diesem Material bewun­dernswerte Er­zeugnisse. Zahlrei­che früh­bronzezeitli­che Hügelgräber bezeugen eine unverändert dichte urgermani­sche Besiede­lung. Das ein­drucksvollste dieser Bauwerke ist der 10 Meter hohe, 40 Meter im Durchmesser und 150 Meter im Umfang betra­gende Dobberworth bei Sagard. Für den gesamten südskandi­na­vischen und norddeut­schen Lebensraum gilt die gleiche historische Feststel­lung: Aus der stein­kupfer­zeitlichen Trichterbecherkultur und den bronzezeit­li­chen schnurkeramischen Bootsaxtleu­ten er­wuchsen die autochthonen mittel-/nordeuropäi­schen ger­ma­nischen Stammes­verbände.
 
Ihre Verschiebungen und gegenseitigen Überlagerungen sind größtenteils archäologisch erfassbar oder blieben geschichtlich überliefert. Die frühgermanischen Ureinwoh­ner Pommerns, West­preußens, der Danziger Bucht, bis zum oberen Weichsellauf, dem west­li­chen Kleinpolen, dem Ostabhang der Karpaten bis zum Schwarzen Meer waren die Ba­starner (die Gemischten) und ihre Waffengefährten, die Skiren (die Reinen). Sie kämpf­ten im 2. sowie 1. Jh. v.0 gegen die Römer, wurden erst 280 n.0 von den an­rücken­den Goten bezwungen, so dass sich etliche in Thrakien ansiedeln ließen. Die als großleibig und hellhaarig beschriebenen Pruzzen (Pruzi / Prutheni / Borussi / Prussia / Borussia), nach der Eigenbezeichnung Prūsai, waren baltische Stämme die zwischen den Flüssen Weichsel und Memel lebten. Tacitus, beschreibt sie in seiner „Germania“ als Ästier (Aestii) und erwähnt ihren Bernsteinhandel. Der röm. Schriftsteller Cassidor berichtet, dass die Ästier dem gotischen König „Theoderich der Große“ (451-526) wertvolle Bernsteingeschenke gesandt hätten. Sie anerkannten ihn folglich noch immer als ihren befreundeten Schutzherren. Die indogerm. Sprache dieser Stämme war mit dem Germanischen urverwandt, so lauteten die Worte für „Vater, Mutter, Bruder“ z.B. auf pomesanisch tōwis, mōthe, brōte und auf samländisch tāws, mūti, brāti. Die Bezeichnung ihrer männlichen und weiblichen Priester war Waideler / Waidelotte / Waidelinnen / Waidelottinnen. Das altpruzzische Wort waidilis scheint „Weiser / Seher / Wissender“ gemeint zu haben. Nach den Berichten des altpreussischen Historikers Simon Grunau, sowie des Historikers Erasmus Stüler (Stella), der ein deutscher Arzt und Bürgermeister war, soll der erste König der Pruzzen ein Widowuto (germ. Waldgeist / -begeisterter) gewesen sein. Zahlreiche pruzzische Galinden sind mit den unternehmungslustigen Goten südostwärts bis in die Steppen des Pontischen Raumes gezogen. Teile der Goten verblieben im Ostseeküstenraum als Widivarier (Waldkrieger), und gingen auch unter dem Namen Gudden im 7. / 8. Jh. im befreundeten pruzzisch-baltischen Volk der Galinden auf. Die pruzzisch-germanischen Gemeinden wurden erst im 13. Jh. im Auftrag der Päpste durch den dt. Ritterorden - nach vielen vorausgegangenen ergebnislosen polnischen Eroberungsversuchen - gewaltsam christianisiert, unterworfen und mischten sich, nach Annahme der „Taufe“, harmonisch ins deutsche Volkstum ein.
 
Die aus dem südwest­norwegi­schen Rogaland stammenden Rugier (= Roggenesser) wohnten zum Beginn un­serer Zeit­rech­nung vom Weichselmündungsgebiet bis Rügen. König Ermanarich leitete bis 375 - nahezu ein Menschenalter hindurch - die Geschicke der Ost­goten. Unter ihm nahm das gotisch beherrschte Gebiet gewaltige Ausdehnungen an, es reichte von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Viele Völker wurden unterwor­fen, die Jodanes in sei­ner Gotengeschichte na­mentlich aufführte. Er schrieb von diesem Gotenreich: „ ... es behaup­tete unbestritten so gewaltige Landflächen, so viele Meeres­buchten, so viele Flussläufe; unter seiner Faust lag oft der Vandale am Bo­den, standen [ver­sklavte] Markomannen zum Verkauf, wurden die Häuptlinge der Qua­den geknech­tet.“ „Auch das Volk der Esten, die das ferne Ge­stade des germanischen Ozeans [Ost­see] bewohnen, unterwarf derselbe König durch seine Klugheit und Tapferkeit und herrschte über sämtliche Völker­schaften Skythiens und Germaniens wie über sein Eigen­tum.“ (Getica XVI89 ff) Durch willensstarkes Durch­greifen - denn anders war in das Durch­einander des Ostraumes keine Ordnung zu brin­gen - schu­fen die Goten ihren Her­ren­staat (Wie ebenso die späteren nordgermanischen Waräger bzw. Rus / Russen). Eine Zeit des inneren Ausgleiches und des Zusammenwachsens blieb ihm aber nicht, weshalb er unter dem Ansturm hunnischer Reiterhorden und dem „Verrat“ der Gepiden zer­brach. Aus allem, was wir wissen, geht aber hervor, dass die Hunnen schlau genug waren, das Gotenreich nicht einfach aufzulö­sen, um einen rechts­freien Zu­stand zu schaffen, vielmehr schlos­sen sie Unterwer­fungs­verträge, um recht­mäßige Erb­folgen an­zutreten. Aus den Sklavenvölkern der Goten wurden - unter Einschluss eines Teiles der Goten - solche der neuen asiati­schen Her­ren. Deshalb begannen später, nach Attilas Tod (453) dessen Söhne die unterworfenen Völker wie Sklaven unter sich verteilen zu wollen. Jordanus schreibt (Get. 268-272): „Gothos quasi desertores dominationis suae“. Walamer bestieg den Thron der Ostgoten und nahm als Verbündeter / Föderat des röm. Reiches seinen Sitz beim Plattensee / Pannonien ein, als Hunnenheere unter dem Attilasohn Dintzig von der Donaumündung aus versuchten, die „Goten wie entlaufene Sklaven zurückzuholen“. Walamer gelang es aber 454 ihren Angriff abzuwehren. Nach gänzlicher Zer­schlagung der Hunnenmacht und Verjagung der Attilasöhne noch im gleichen Jahre durch den von Ge­piden zusammengebrachten Germanenbund wird sich zunächst we­nig verändert ha­ben: Die Geschwi­stervölker der Goten und Gepi­den dominierten die Länder Südruss­lands und des Nord­balkans. Zwar er­lagen auch die Sarmaten (472) der gotischen Kraft, doch verließ (489) die Haupt­gruppe dieser stabili­sierenden Ordnungsmacht den Groß­raum, um Ita­lien zu erobern. Schließ­lich zerstörten Langobarden, zusammen mit den von ihnen selbst herbeigerufenen Awa­ren, das Gepidenreich (568), überließen je­doch schon im Jahr darauf die ungari­sche Tiefebene (Pannonien) den Awaren und zogen - in die Fuß­stapfen der Ostgoten tretend - nach Italien ab. Zurück blieben die vielen kleine­ren oder grö­ßeren, zu­meist germa­ni­schen sogenannten Sclavenen (d.h. tributpflichtige „Sklavenvölker“), die jetzt ohne bin­dende, verbindende Oberhoheit wa­ren. Dazu zählten Bastarnen, Skiren, Wanda­len / Veneter / Lu­gier, Spori, Keltenreste, aber auch step­pen­i­ranische Gruppen wie Ala­nen, Anten, Skythen / Sarmaten, mit denen Ost­ger­manen jahrhun­dertelang in enger Symbiose gelebt hatten. Die Menschenreserven dieses germanischen Großraumes schienen unerschöpflich, aus ihm wurden immer wieder Sklavenmassen in die südlichen Stadtkulturen verbracht, wo ein unstillbarer Durst nach Menschenmaterial für die großen Fabrikationsanlagen und als Ruderknechte für die Flotten bestand. Aus den ostgermanischen Ländern bezogen die antiken Staaten hauptsächlich ihre so notwendigen Arbeitssklaven. Auch dieser Umstand kann die Sklaveni-Slawen-Benennung mit verursacht haben. „Denn“, so schrieb der Langobarde Paulus Diaconus (720-799), „je weiter der nördliche Himmelsstrich von der Hitze der Sonne entfernt ist und von Eis und Schnee kalt, desto gesünder ist er für die Körper der Menschen und begünstigt die Volksvermehrung; wie umgekehrt alles mittägliche Land, je näher es der Glut der Sonne liegt, deshalb immer voll Krankheiten und für die Hervorbringung von Menschen weniger geeignet ist; daher kommt es, dass so große Völkermassen unter der nördlichen Achse geboren werden, dass nicht mit Unrecht jener ganze Landstrich vom Don bis Sonnenuntergang mit dem allgemeinen Namen Germanien bezeichnet wird, wenn auch einzelne Gegenden wieder ihre besonderen Benennungen haben. Aus diesem volkreichen Germanien nun werden oftmals zahllose Scharen Gefangener fortgeführt und an die südlichen Völker verkauft; öfter sind auch viele Völkerschaften von da ausgezogen, eben weil das Land so viel Menschen hervorbringt, wie es kaum ernähren kann, und haben zwar auch Asien, vorzugsweise aber das anstoßende Europa heimgesucht...“. Im Bericht des jüdischen Sklavenhändlers Ibrahim ibn Jakub aus Tor­tosa / Spa­nien (des Jahres 965) über die Slawenländer, der sich in mehreren Handabschriften des arabischen Geographen Bekri erhalten hat, heißt es von der Handelsstadt Prag: „Zu ihr kommen aus der Stadt Krakau die Rus und die Slawen mit Waren, und es kommen zu ihnen aus den Ländern der Türken Muhammedaner, Juden und Türken gleichfalls mit Waren und gangbaren Münzen und führen von ihnen Sklaven, Zinn und verschiedene Felle aus.“ Sklaven nennt er an erster Stelle !
 
Geradeso wie ihre hunni­schen Vorläufer waren die Awaren / Ungarn bis zur ge­waltsamen Beendigung ihres Ter­rorregimes (796) keine landbestellenden bäu­erli­chen Siedler, son­dern erstarkten durch unaufhörli­che Raubzüge. Sie verursachten zwangsläu­fig Ausweich­bewegungen des ger­manischen und gemischten Land­volkes (Scla­ve­nen / Wenden) aus der Südostregion in südlichere und nord-nordwestliche Richtun­gen. Ein eigenständi­ges Volk des Namens Sclavi / Sclavenen / Slawen ist we­der archäologisch noch aus den Historien herausles­bar - es hat wahrscheinlich nie existiert.
 
Dem irrtumsreichen Halbwissen griechischer Geschichtsschreibung, insbesondere den vielen von ­einander abweichenden Schreibweisen von Völkernamen, verdanken wir letzt­lich die Wenden- bzw. Slaven­le­gende, d.h. den Trugschluss, Wenden / Sclavenen / Slawen seien keine Ostgermanen, sondern gehörten ei­nem neuen, bis dahin unbekannt gebliebe­nem Volkstum an. Den Griechen gelang es nie, das völkische Gefüge ihrer nördli­chen Nachbarn zu durchschauen. Sie hielten die Ostgermanen deshalb für Skythen / Sar­ma­ten, weil sie aus dem alten südrussischen Skythenland in die Mittelmeer­welt ein­dran­gen. So heißt es z.B.: „Die Skythen aber, d.h. ein Teil der Goten, verwüste­ten Kleina­sien.“ (Scriptores Histo­riae Au­gustae XXII 6,1f). Tacitus (1. Jh. n.0) gestand es freimü­tig ein; er war sich nicht sicher, ob er Veneder und Peukiner (anderer Name der germ. Bastar­ner) zu Germanen oder Sarmaten rechnen müsse. Ver­ständlich wird diese Unsi­cherheit vielleicht durch seinen Hinweis auf die Mischehen zwischen Sarmaten und Ba­starnern. Sarmati­sche Sitten hätten auch auf die Veneder abgefärbt, doch: „Indessen rechnet man sie lieber zu den Germanen, da sie Häuser bauen, Schilde benüt­zen und Freude an Marsch und Schnelllauf haben. Alle diese Dinge sind den Sarmaten fremd, die nur auf Wagen und mit Pferden le­ben.“ (Germ. Kap. 46) Die Geographie des Ptole­mäus (170 n.0) beschrieb das Gebiet östlich der Weichsel als Sarmatia (Sarma­tenland) und führt dann die darin wohnenden germani­schen Völ­ker auf: Venedae (Wandalen), Gythones (Goten), Phrugundiones, Burguntes, Burgiones (Bur­gunder), Ombro­nes (Ambronen), Baesternae (Bastarner). Westlich der Weichsel nennt er Silin­gae, Lugi-Di­duni, Lugi-Buri, Lugi-Omani, also ebenso Silingische Wandalen (nach ar­chäologi­schen Erkenntnissen eine ger­ma­nisch-keltische Mischkultur) und die wandali­schen Lu­gier. Jor­danus erwähnt Van­dalen gesondert von Venethi, oder Wenden die er den Sclaveni gleich­stellt. (Getica 109ff) Da jedoch Plinius der Ältere, Ta­citus und Ptolemäusim baltisch-ostpreußi­schen Ge­biet und der Danziger Bucht das große Volk der Ve­neder / Venedi / Venedae erwäh­nen, kann es sich nur um die ursprünglich aus dem nordjütländischen Vend­syssel aus­gewander­ten Vandalen / Wandalen bzw. die hochmittel­alterlichen Wenden handeln. 4)
 
Interessant ist im besprochenen Zusammenhang die Sage von der südpolnischen Prinzessin Wanda, die im 12/13. Jh. Wincenty Kadlubek (Bischof von Krakau) aufschrieb. Sie soll ums Jahr 700 Tochter oder Enkelin von Herzog Krak gewesen sein und über weites Land beim Flusse Wandalus geherrscht haben, wo alle dort wohnenden Menschen Wandalen genannt worden seien. Krak tötete mittels einer List den Drachen der auf dem Wawel-Hügel hauste. Wahrscheinlich handelt es sich um eine altheidnische Kultstätte an der Weichsel. Der Slawist A. Brückner („Archiv für slavische Philologie“, 1901, S. 224 ff) meinte aber, da die Polen keinerlei Traditionen aufweisen konnten, habe der Bischof die Mär frei erfunden. Ganz so frei scheint die Geschichte aber nicht erfunden zu sein. Zu beachten ist, dass der Herzognamen auch in nordischen Sagas bekannt ist. Rolf Krake (Hrólfr Kraki) war ein Sagenkönig der dänischen Frühzeit (6. Jh.) und spielt in mehreren Heldensagen des 12./13. Jh. eine Rolle. Der Beiname dän. krage meint einen Baumstamm, als Anspielung auf eine kräftige Männergestalt. Entweder ist also Krak ein nordgermanisch-wandalisches Wort und es könnte sein Träger, der Drachensieger, ein Wandale gewesen sein -, oder der Krakauer Bischof orientierte sich an skandinavischen Erzählungen. Im 9. Jh. kamen die dort lebenden heidnischen Wislanen unter Großmährische Oberhoheit, als der „Slawenapostel“ Method dem Wislanenfürsten das Christentum aufdrängte. Nach kurzer Unabhängigkeit wurde das Gebiet im späten 10. Jh. von den Polanen erobert, die seit 966 Katholiken geworden waren. Fest steht jedenfalls, dass diese Volksgruppen, die man Sclavenen / Sclaveni / Sclavi, Sla­wen oder Wenden nannte, im allgemei­nen äußeren Erscheinungsbild von dem der Ger­manen kaum abge­wi­chen sind. Etli­che „ge­meinslawi­sche“ Worte sind ger­manischen Ur­sprunges, sogar die für „Brot“, „Stall“, „Helm“ usw.. In den „altslawi­schen“ Gräbern (Körperbe­stattun­gen waren seit etwa dem 10 Jh. üb­lich), finden sich lupen­reine germa­ni­sche Skelette. Vom Elbe-Saale-Gebiet bis nach Weißrussland herrscht die nord­europäi­sche Menschen­gestalt vor. Selbst ein slawo­philes Tendenzwerk aus der so­wjetischen Besat­zungszeit Mittel­deutsch­lands, welches die anstehenden Pro­bleme mit keinem Wort an­spricht, kann nicht umhin zuzugestehen: „Der am häufigsten ver­tre­tene robuste schmal­ge­sichtige und lang­schäde­lige Typus von hoher Gestalt nähert sich am ehe­sten der klas­si­schen Vorstellung des nordeuropäischen Ty­pus.“ (S. 56) oder: „Unverkenn­bar ist, dass west­slawische Grup­pen in zahlreichen Merkmalen germa­nischen ähnlich wa­ren.“ (S. 65) 5) Und auch zeit­genössische bildhafte Darstellun­gen kennen keine Unter­scheidungs­merk­male zwischen slawischem, sächsischem oder fränki­schem Volk. Diese osteu­ropäisch-indogerma­ni­schen Spori, zusammen mit dem verblie­benen Nord-/Ostgermanen und ei­nem sehr geringen Anteil osti­schen, tartarisch-awarisch-iranischen Misch­volkes, stell­ten in den folgen­den Jahrhunder­ten die Masse der Bevölkerung zwischen Elbe, Oder und Weichsel, welche man in Folge der darge­legten Tra­di­tion seit dem er­sten Jh. v.0 Wan­da­len / Wen­den nannte. 
 
Ein grundsätzlicher germanisch-„slawischer“ Gegensatz hätte sich unter diesen Voraus­set­zungen keinesfalls entwickeln dürfen, vielmehr wurde ein solcher erst künstlich ge­schaf­fen durch die von Rom und Byzanz betriebene Kirchenpolitik und deren willkürli­chen bzw. rein zufälligen Grenz­ziehungen. Bis zur Elbe reichte das karolingische Reich, das sich in geistlichen Belangen unter die Oberhoheit Kirchenroms beugte und östlich davon ver­suchte, Kirchenbyzanz‘ Einfluss zu gewin­nen. Ostrom entsandte im 9. Jh. zwei Mönche aus Saloniki namens Kyrill (geb. 826) und Me­thod  (geb. 815) nach Böhmen und Mähren, um die dortigen Völ­ker zum oströmischen Christentum zu ver­führen. Sie verbreiteten eine Mis­sions-Sprache und -Schrift, die künstlich ge­schaffene Glagoliza (nach einem Dialekt aus der Umgebung Salo­nikis) mit einem aus der griechischen Minuskel ent­wic­kelten kyrillischen Buchsta­bensystem. Jene kirchlichen Phan­tasieprodukte wurden Grundlage des mittel-/osteuropäischen Sprachwesens, welches die germanischen Idiome zu verdrängen be­gann. Auf diese Weise wurde weitgehend gleiches links- und rechts­elbisches Volk unter­schiedlich beeinflusst und letztlich sogar gegen­einander ge­hetzt - auch eines der vielen mörderischen Ge­schenke des kirchenchristlichen Wahnwirkens. 6)
 
In den lateinisch geschriebenen mittelalterlichen Urkunden des Frankenreiches werden die aus christlicher Sicht „heidnischen Bewohner“ ostwärts von Saale und Elbe, die Nachfahren der alteingeses­senen germanischen Sueben, Semnonen, Burgunder, Heruler, Wanda­len mit zugezo­ge­nen und eingegliederten Spori als „sclavi“ (Sklaven) bezeich­net. Ei­nige Stammesnamen dieser „sclavi“, welche nach der später üblich gewordenen Fehl­deutung als Slawen betrachtet wurden, lauteten: Obotriten (Wismarer Bucht bis südl. Schweriner Seen), War­nen / Warnawer (Mecklen­burg), Sorben (südl. Saale, Elbe, Spree), Wagrier (Osthol­stein), Wilzen / Lutizen (ostwärts von Elbe und Elde) und Wen­den (als Oberbegriff für alle). Der oben erwähnte jüdische Händler Ibrahim Ibn Jakub rechnete den Obotriten Nakon (germ. „der Nackte“) zu den mäch­tig­sten sclavischen / heidnischen Fürsten. Er re­sidierte in der Burg Mecklen­burg (germ. „Groß­burg“). Seine bedeutend­sten Nachfolger waren Mitte des 11. Jh. Gottschalk, schließlich um und nach 1100 Heinrich von Lübeck. Die jahrhundertelangen Unterwer­fungsversu­che die­ser germani­schen Be­völkerungen und Ge­biete, besonders energisch betrieben durch Heinrich I. (919 - 936) und Otto d. Grosse (936 - 973), ver­folgten den Zweck zu christianisieren, oder besser gesagt, der romchristlichen Kaiserdok­trin und der Tiara des Papstes neue Unter­tanen zu schaf­fen. Ein Aufruf von 1108 zur Kreuzfahrt gegen die im alten Glauben ver­harrenden deutschen Nachbarn und Volksgeschwister lautete: „Die Heiden sind die schlechtesten Menschen, aber ihr Land ist gut an Fleisch, an Honig, an Mehl, an Vögeln. Wenn es gut bebaut wird, ist es mit solch ei­nem Über­fluss aller Er­träge geseg­net, dass kein Land mit ihm verglichen werden kann.“ (Ur­kun­denbuch Mag­de­burgs Nr. 193, S. 51) Auch 1147 wurde ein „Wenden-Kreuzzug“ durchge­führt. Die Chro­nisten be­richten immer wieder von der Zerstörung „heidnischer Heiligtümer“, von der Niederwerfung eines fremden Volkstums mit fremder Sprache berichten sie nichts. Der Holsteiner Hel­mold von Bosau (1125 - 1179) beschrieb als Augenzeuge die 1156 erfolgte „Missions­reise“ des Oldenburger Bischofs durch die heidni­schen Restgebiete Ost­holsteins: „Als wir zu jenem Hain und Hort der Unheiligkeit ka­men, rief uns der Bischof auf, tüchtig zuzu­packen und das Heiligtum zu zerstören. Er sprang auch selbst vom Pferde und zerschlug mit seinem Stabe die prächtig verzierten Vorderseiten der Tore; wir drangen in den Hof ein, häuften alle Zäune desselben um jene heiligen Bäume herum auf, warfen Feuer in den Holzstapel und mach­ten ihn zum Scheiterhaufen...“ (Helm. I/84) Dass es manchem Zeitgenossen sehr wohl möglich war, die mit Bereiche­rungsgier gepaarten welt­anschaulich-religiösen Verblendungen zu er­ken­nen, beweist ein besinnlicher Satz, den Helmold einem der Täter in den Mund legte: „Ist es nicht unser Land, das wir verheeren, und unser Volk, das wir bekämpfen ? Warum benehmen wir uns denn wie unsere eigenen Feinde und vernichten unsere eige­nen Ein­künfte ?“ (Helm. I/68) Die schlimme Fä­higkeit der Germanen, dass sie zuweilen die fürchterlichsten Feinde ihres eigenen Blutes werden können, nutzten viele fremde Ge­waltherr­scher, von den römischen Kaisern und Päpsten bis zu Napoleon und den blinden Mäch­tigen des 20. Jahr­hunderts. 
 
Der Historiker Helmold stellt in seiner „Cronica Scla­vorum“ die in seiner Zeit ringsum der Ost­see woh­nenden Germa­nenstämme vor: Wandali, Winuli, Heneti, Wag­grier, Heru­ler / Hevelder, Gothi, Suedi, Sue­nones (Schweden). Völ­ker mit unstrittig germa­nischen Stammesnamen wurden also im 12. Jh. nur deshalb „Sclavi“ benannt, weil es sich um heidnische Gemeinschaften han­delte - gleichgültig welcher Art Volk sie ange­hörten. Der Name bezog sich, dem dünkelhaften Bewusst­sein christlicher Chroni­sten entspre­chend, auf die nichtchristlichen „Götzen-Sklaven“. Zu­sammenfassend lässt sich sagen: Die Be­zeichnung „Sclavenen / Sklaven“ scheint von Pro­kop (Mitte 6. Jh.) sehr wohl als Volks­tumsbegriff ver­stan­den worden zu sein, er wurde im Hoch­mittelalter je­doch allgemein zur Be­nennung nichtromchristli­cher Nord-, Mittel- und Ost­europäer ver­wendet und dann wie­der in der norddeutschen Umlautungs­form „Slawe“ („Lewer dot as Slaw“) seit Mitte des 18. Jh. zur Volksbe­zeichnung der verschiedenen ger­manisch-spo­rischen Gesell­schaften Mittel- und Osteuro­pas herangezogen. Noch bis zum Beginn der Neuzeit blieben diese Zusammenhänge bekannt, schrieb doch Helmold von Bosau in Kap. 1,2 seiner „Chronica Sclavorum“: „Wo nun Polen endet, die große Provinz der Sclavi, gelangt man zu der sehr aus­gedehnten Provinz der von altersher genannten Wandalen, jetzt aber Winithi oder Winuli ge­nannten Sclavi.“ Der Histori­ker Al­bert(us) Krantz(ius), in seiner 1575 gedruckten „Vandalia od. Be­schreibung Wendi­scher Ge­schichte“, erklärte noch bündiger: „Sclavoni [Slawen] sind heute die, welche vorher Vandalen hießen.“ Auch das Geschichtswerk von E.J. de Westphalen „Mo­numenta inedita“ (1739) zeigt im la­teinische Urtext (von Marschalk, 1460 - 1525) das Wort „Van­dali“, welches in der deutschen Übersetzung (von Schede, 1615 - 1641) zu „Wen­den“ umgeformt wurde.
 
Für die ununterbrochene germanische Weiterbesiedelung des Elbe-Oder-Weichsel-Rau­mes spricht eine  Fülle von Beweisen. Unstrittig ist, dass seit mindestens dem 1. Jh. diese Länder nach dem ostgermani­schen Hauptvolk benannt wurden. Vom Begriff der Wan­dalen leiten sich die sclavischen bzw. heidnischen Wenden ebenso ab wie die Benen­nun­gen: Wendische Städte, für die mit Lübeck eng ver­bundenen Hansestädte (Lüne­burg, Ham­burg, Wismar, Rostock, Stral­sund, Greifswald) - das Wendland (ein Teil des Re­gie­rungsbezirks Lüneburg) - die wendische Sprache (eine angeblich sclaveni­sche /slawische Mundart), die Windischen (Slowenen), die win­dische Sprache (slo­wenische Spra­che), die Windische Mark usw. In den mittelalterlichen deut­schen Städten wohnten zu­weilen geschlossene wendische, also ostdeutsch-germanische Bevölke­rungsteile, so kam es zu solchen Namensgebungen wie: Wendisches Viertel, Windische Gasse, Windi­sches Tor, Wendenfriedhof, oder Wendische Kirche  -, nach Übertritt zum Ka­tholizismus und eigener Sa­kralbau­errichtung.
 
Auf der Weltkarte des Ptolemäos (170 n.0) erscheint der Rugiername zweimal an der pommer­schen Küste: „Rougikleia“ und „Rougion“. Noch der Historiker Beda Venerabi­lis nennt in der „Angelsächsi­schen Kirchengeschichte" um 703 die Rügenbewohner Ru­gini. Adam von Bremen, um 1075, und Hel­mold von Bosau, etwa 100 Jahre später, bezeichneten die sklavi­schen / heidnischen Bewohner Rü­gens nicht mehr Ru­gini / Ru­gier, aber lautlich nahe­stend als Ranen oder Runen. Ihre obersten Gottheiten seien Ru­givit und Swantewit gewesen, welche ins­be­sondere in der Tempelburg Arkon Verehrung fanden. Das heutige „Kap Arkona“, auf ho­her Kreidekü­ste an der Nord­spitze Rügens gelegen, muss eine uralte ger­manische Weihe­stätte sein (go­tisch airkna = „heilig, rein“). Rugivit ist sprachlich ohne weiteres als „Heilswesen der Ru­gier“ zu er­kennen. Swantewit aber sei der höchste Gott aller Ostseewenden gewesen; wie ist sein Name zu deuten ? Es scheint sich offensichtlich um eine rein germanische Wortbildung zu han­deln, heißt doch Gudruns Tochter in der Thidreksaga Swanwit. Wer wie ich auf der Überfahrt nach Hid­densee die Sing­schwäne und Höckerschwäne zu Tausenden auf den eisfreien Wasser­flä­chen im Bod­den versammelt sah, der ahnt - dem „schwant“, warum der oberste Gott Swantewit (= „Schwanenwe­sen / -geist“ aus germ. swan = „Schwan“ und wi[h]t / wet = „Wesen, Ding, Per­son“) hei­ßen musste. Wie eng der Schwan mit der lichterfüllten nor­dischen Gotte­sidee verbun­den ist, wird durch eine Menge Zeugnisse im Fundmaterial deutlich, von der bronzezeitlichen Schwanensymbolik (z.B. auf Kultgefäß von Ronninge, Amt Odense / Dänemark), insbesondere jener der Urnen­felder-Bewegung, bis hin zu den grie­chischen Mythen um den Lichtgott Apollon. Von ihm wurde erzählt, er führe jährlich zur Winterzeit in seine nordische Urheimat zurück - ins Hyperboräer­land zu seinen Sing­schwänen. So wird ver­ständlich, dass der Volks­glau­ben auf Rü­gen die Neugeborenen nicht vom Storch, sondern vom Schwan den Müt­tern bringen lässt - sie werden „Schwanskinder“, also Kinder des Swantewit, des lichten Schwanengeistes, ge­nannt.
 
Hätte ein wirklicher Bevölke­rungsaustausch stattgefunden - also eine restlose oder über­wiegende Ab­wande­rung germanischer Bauern bei nachfolgender Einwanderung fremdvölkischer Men­schen, fänden wir keine Erklärung für die dargelegten Namenskon­tinuitäten. Auch hätten diese neuen slawischen Gruppen, wären es Zu­wanderer gewe­sen, Wandersagen mitbringen und im Gedächtnis behalten müssen; sol­che sind aber nicht vorhanden. Auch die Sied­lungsfor­schung erbringt keine anderslau­tenden Auf­schlüsse. Die angeblichen sklavi­schen / slawischen Rundlings­dörfer sind ebenso in Süd­schweden zu finden. Bei einigen handelt es sich nachweislich um mit­telalterliche deut­sche Gründungen. Demnach dürfen sie kei­nesfalls als Be­weise für nichtgerma­nische Dorfbauweisen betrachtet werden. Auch die Flur- und Orts­namensforschung vermag keine ge­genteiligen Erkenntnisse vorzulegen. Die soge­nannten typisch „slawischen“ En­dun­gen wie -ow, -itz, -nitz, -witz erweisen sich als stehengebliebene germanische For­men, die die im fränkischen Reich einsetzende Spra­chentwicklung zum Althochdeut­schen nicht mitvoll­zogen: -owe, -awa, -aw, -ouw, -ow = „Wasser, Bach, Wiesengrund, Aue“ wurden zu -au; aus -itz, -itze, -witz wurden -isse, -esse, -wiss, -wiese; aus -lin wurde -lein usw. Ortsnamensendungen auf -itzsch, -ütz, -itz,  -es, -eci, -witz, -zig sind ebenso urdeutsch-germanische Wortbildungen wie -ici, -isti, -ico, -ing, -ingen. Wie auch am Schreibweisenwechsel des Lübecker Flusses Wakenitz er­sichtlich, sind Suffixvariatio­nen möglich wie: -nitz, -nis, -ize, -es, -iß, selbst -neß und -näs (germ. näs = „Land­zunge, -spitze). So war beispielsweise der Name der heutigen Gemeinde Schlotzau im Lkr. Fulda im Jahre 1174 noch Slacesowa / Schlatzowa, i.J. 1494 aber Slatzauw / Stotzauw. Der Chronist Helmhold v. Bosau erwähnte das Flüsschen Mitte 12. Jh. in seiner „Chronica Slavorum“ unter den Bezeichnungen wochniza oder wochenice. Denkbar wäre eine Begriffsentwicklung aus ahd. Adj. „wakar / wachar“ = „wach, wachsam, munter“, zu Substantiv wakarnissi  mit Mundartabschliff wakenitz = „Wachheit“ -; möglicherweise auch aus einer Begriffsbildung für „Netzwache (am Fluss)“ aus ahd. nezzi = Netz. Leider ist die wandalische Sprache verloren gegangen -; wir können nur raten. Doch um sol­che Lautverformungen zu erklären, müssen nicht historisch uner­klärbare fremdsprachliche Zuwanderer bemüht werden. Angel­sächsisch heißt -wïć, -wik = „Wohnung, Haus, Dorf, Stadt“ bzw. „Bucht“; -wicu, -wice (ahd. wïsć) = „Wiese, Marschland“; gotisch wisan = „sein, bleiben, wohnen“ und wizon = „gut leben, sich‘s gut sein lassen“, könn­ten bei Endsilbenabschliff zu -wis, -wiz = „-bleibe“ (im Sinne von „gute Bleibe, Heimat“) werden; siehe auch ahd. wisr, wist-s = „Wesen, Aufenthalt, Dasein“. Es ist eine bekannte Tatsa­che, dass Konsonantenschwankungen von k/c zu s/z und von t zu s möglich sind. Wenn sich noch im gefestigten Dänischen unserer Tage ohne ersichtlichen Grund die Aussprache von „Tivoli“ zu „Zivoli“ verschieben kann - was geschehen ist, um wie viel mehr vermochten sich im Mittelalter Lautgruppen in manchen Regionen aufgrund unerklärbarer Anstöße zu verän­dern. Da wir über Wortformen und Lautungen der wanda­li­schen / wendischen Spra­che ebenso ­wenig unter­richtet sind wie über das Idiom der Spori-Sclaveni vor Verbreitung der glagolitischen Kirchensprache durch byzantini­sche Mön­che, müssen andere germani­sche Mundarten zu Ver­gleich und Erklärung herangezo­gen werden. 6)
 
Dass es zu keiner Zeit einen echten Bruch in der jahrtau­sendealten mittel-ost­deutschen Besiedlungs­ge­schichte gegeben ha­ben kann, er­weist sich beispielsweise für Brandenburg, südlich Pots­dam, wo am Flüsschen Priegnitz bei Seddin ein mächtiges bronze­zeitliches Fürstengrab liegt - um­geben von den Ort­schaf­ten Beelitz, Klaistow, Geltow, Niedow. Die Bevölkerung erzählte sich, unter dem 10 Meter ho­hen Grabhügel liege der alte König „Hinz“ in dreifachem Sarg, was sich wäh­rend der Ausgrabung im Jahr 1889 aufs ge­naueste bestätigte. In der erdüberwölbten Stein­kammer stand ein großes Tongefäß mit Deckel, dieses enthielt ein weiteres Bronzegefäß als „dritten Sarg“, in dem der ei­gentli­che Leichenbrand­rest lag. Über minde­stens dreitausend Jahre hinweg muss diese Kunde von Gene­ration zu Generation weiter­getragen worden sein.
 
Nun befand ich mich also zum frostigen März 1996 im Land der germanischen Ru­gier, ihrer mittelalterlichen Nachfahren, der Rugini / Runen / Ranen, der heutigen Rüga­ner. Wir landeten an im Ha­fen von Neuendorf auf Hiddensee. „Dat söte Länneken“ - wie die Insel liebevoll von ihren Einwohnern genannt wird - lädt mit kleinen weißen, sauberen Häu­sern zum Verweilen ein. Ich wusste von den Hid­denseer Hausmarken aus Urvä­ter­zeiten - Zeichen, um das Eigentum zu mar­kieren - an Häusern, Booten, Wagen, Werk­zeu­gen und am Vieh. Jetzt sehe ich sie mit eigenen Augen; jeder kennt sie auf der Insel und beach­tet ihre Bedeutung - die „Runen von Rügen“. Auch in Vitt/e, dem schönsten Ort Rügens, an der Tromper Wiek gelegen, finden sich an den alten eingeschossigen Zweif­luchtbau­ten mit den Krüppelwalmdächern die runischen Hausmar­ken. Sie entspre­chen in ihrer Art zuweilen so genau den altgermanischen Schriftzeichen, dass ihre Ent­stehung kaum anders als durch eine germanische Besiedelungskontinuität erklärt werden kann.
 
Abb. a)    b)
 
Ein wandalischer Runenstein von Prillwitz (Ortsteil der Gemeinde Hohenzieritz im Lkr. Mecklenburgische Seenplatte) zeigt die Algiz-Rune, ebenso die kleine bronze- oder früheisenzeitliche Gussform von Dargun (Lkr. Mecklenburg. Seenplatte, grenzt im Norden an Lkr. Vorpommern-Rügen) welche die Rundform der Algiz-Rune führt (Abb. b). Beachtenswert ist der bronzezeitliche wandalisch-priesterliche Stirnreif von Roga (Gemeinde Datzetal, bei Friedland, östliches Mecklenburg) aus dünnem Bronzeblech (Abb. a), der in seinem Stil völlig den skandinavisch-bronzezeitlichen Rasiermessergravuren entspricht. Er zeigt allegorische Mythentiere, 8 Sonnenkreis-Darstellungen (mit Gesamtreif = 9) und 9 Reigentänzer. („Jahresbericht des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde…“, Hrsg. A. Bartsch, 7. Jg., 1842, S. 37 ff )
 
So wenig wie die Runen von Rügen durch eine angeblich erfolgte fremdvölkisch-slawische Ein­wanderung plausibel zu machen wären, so wenig würde damit das auf der Insel im bäuerlichen Bereich einstmals vorherrschende dreischiffige germanisch-altsächsische Ständerhaus seine Erklä­rung finden. Und woher sollten die Sagen vom Wilden Jäger, dem Wode, nach Rügen gelangt sein, wenn nicht durch unsere dor­tigen heidnisch-germanischen Vorfahren ?! Im Kreis Greves­mühlen und bei Demmin, südwestlich von Rügen  - zwischen Wismar und Lübeck - lie­gen die Dörfer Wotenitz und Wotenick, die ihre Namen unzweifelhaft nach der germani­schen Geist-Seelengottheit Wotan erhielten. Zu Wotenick (09.09.1171 urkundlich erwähnt als Wotencha) in der Mecklenburgischen Seenplatte, wurde 1859 der sog. „Wendenkirchhof“ aufgegraben. Es fand sich auf diesem Begräbnisplatzes eines der reichsten eisenzeitlichen Gräber, welche in Norddeutschland aufgedeckt wurden. In Dänemark hat man Funde gemacht, welche gleich gearbeitete Schmucksachen enthalten und mit röm. Altertümern zusammen lagen, welche in eine frühe Zeit zurückreichen. Hieraus schlossen dänische Forscher, wie Jens J. Asmussen Worsaae, dass sie noch aus der Zeit des frühen röm. Kaiserreiches stammen. Die Urne mit den aufstrebenden Algiz-Runen (Abb. c) bezeugt zur Genüge ihr wandalisch -„wendisches“ Herkommen. Alle diese germanischen Grabanlagen kommen aus Belegungszeiten von ca. 200 v.0 bis 200 n.0. Ebenso fanden sich beim mecklenburgischen Camin, nahe Wittenburg (erstmalig 1194 urkundlich erwähnt), auf dem sog. „Wendenkirchhof“ Geräte aus der älteren röm. Kaiserzeit, u.a. eine Urne mit -Runen und -Runen-Friese. (Abb. d)
 
Abb. c)     d)
 
Die Rü­gen‘sche Fürstenburg mit Wallanlage, der jetzige Stadtberg der heutigen Kreisstadt Bergen, der Rugard (germ. Ru-gard, „Ru­gierheim/-hof“), kann seine germanische Herkunft sprachlich eben­falls nicht verleugnen. Aber sprechen die alten germanischen Heilszeichen, die dem Mythos zu­folge vom Geist- und Seelengott Wotan/Wodin/Odin erfundenen Ru­nen, nicht selbst sehr deut­lich für eine bruchlose germanische Besiede­lung bis in die Neuzeit ?! In Rals­wiek, im  Süden der Insel, am Großen Jasmunder Bodden, wurde ein Kno­chenstück mit kurzer, wahrschein­lich wikinger­zeit­lichen Runeninschrift gefunden, die einen Eigennamen darstellen dürfte. (Abb. e)
 
Abb. e)
 
Ich hatte mich kundig gemacht und wusste, dass die einzigen noch vorhandenen romani­schen Sakralgebäude aus den ersten Jahrzehnten nach der gewaltsamen Christia­ni­sie­rung Rügens (Ende 12. Jh.) die Backsteinkirchen von Bergen, Altenkirchen und Scha­prode sind.
 
Abb. f 
 
Sofort nach der Rückfahrt von Hiddenee besuchte und unter­suchte ich diese Ge­bäude. Wie freudig erregt war ich, als ich die südöstliche äußere Chorwand des Schap­roder Kirchleins umschritt und dort die uralten Backsteine über­sät mit runischen Haus­marken fand (Abb. f). Darunter steht des öfteren ein Zei­chen des gemeingermanischen Buch­sta­bensystems () vom Beginn unserer Zeitrechnung, wel­ches seit etwa dem 8. Jh. als Buchstabe, also zu Schreibzwecken, nicht mehr in Gebrauch war, aber in Brauchtum und Heraldik unter dem Na­men „Wolfsangel“ im ganzen deutschen Volksraum weite Verbreitung fand. Auch auf der südlichen Außenwand des Chorraumes der Kirche zu Altenkirchen, die später den Anbau einer kleinen Waffenkammer erhielt, finden sich die germanischen Heilszeichen. Auf Anhieb sind neben vielen Kom­binationen diese Grundbuchstaben sichtbar:     , auch die jüngere k-Rune und die gestürzte z-Rune. Die Frage stellt sich: Warum ritzten die Fa­milien ihre runischen Haus- und Sippenzeichen in die Kirchen­wände hinein ? Woll­ten sie damit auch die Weihekraft der ihnen aufgezwungenen, neuen Religion auf ihre alten einge­bo­re­nen Symbole herabbitten ? Auffällig ist, dass die in die Kirchenwände eingeritzten Ideogramme bedeutend ursprünglicher, also runengleicher sind als die heute noch in Neuendorf und Vitte gebräuchlichen bzw. offiziell vorgestellten (Abb. g - Hausmarken von Hiddensee siehe Kasten).
 
Abb. g)
 
Der in der Altenkirchner Waffenkammer einge­mauerte Re­liefstein zeigt ei­nen schnauz­bärtigen Mann, der ein großes Trinkhorn hält. Er ist nach seiner Beschaffenheit eine schlich­te Volkskunstarbeit. Der Stein wurde 1585 von dem aus Schwaben stammenden Rostocker Gelehrten David Kochhafe (Chytraeus) folgendermaßen erwähnt: „In Altenkirchen, einem sehr alten Dorfe, wurde mir in der Vorhalle zum Gotteshause ein in Stein gemeißeltes Bild des rügenschen Götzen Swantevit gezeigt, den die Rügener jetzt Witold nennen.“ Doch um den traditionell als mehrköpfige Gottesmetapher dargestellten Swantevit kann es sich hierbei nur schwerlich handeln. Auch der Be­richt des gelehrten Johann Lüb­beke aus Treptow an der Rega (1585) nannte ihn mit gleichem Wort, das in germa­ni­schen Sagen als Rie­senname vorkommt: Witold („older Wit“). Die Wittower (Bewoh­ner des Nordteiles Rü­gens) sa­hen in ihm ihren Schutzpatron. Während der Be­trachtung des schnauzbärtigen Witold, fiel mir das Bo­genfeld über dem Westportal der Altstadt­kirche „St. Martin“ (12.Jh.) in Pforzheim ein, welche etwa zeitgleich mit der Rügener Kirche zu Altenkirchen erichtet wurde. Dort hatte ich eine Männerdarstellung mit dem gleichen langen Hänge­bart gesehen. Der „Heilige Martin“ war be­kanntlich eine kirchenchristliche Austauschfigur für den germanischen Geistgott Wodan/Odin, der in altnordi­schen Schriften Langbarðr, Siðskeggr, Siðgrani, also „Langbart“ genannt und auf etlichen völ­ker­wanderungszeitli­chen germanischen Amu­letten („Goldbrakteaten“) und auf allemannischen Goldblattkreuzen mit solchem weit herabhängen­den Schnauzer darge­stellt wurde.
 
Abb. h)   i) 
 
Lange stand ich gedankenverloren vor dem Witoldstein (siehe Abb. h) und dachte darüber nach, warum die Gestalt auf einem fischartigen Gebilde mit einer größeren und einer kleineren Rückenflosse zu stehen scheint -, bis mich meine kleine ungedul­dige Tochter packte und aus der engen Kammer hinauszuziehen versuchte.  Warum war das bisher keinem Betrachter aufgefallen ? Wenn er dem Landvolk wirklich als Schutzpatron gegolten hat, bedeuten dann Horn und Fisch, er möge allzeit für reichlichen Suff und Fraß sorgen ? Auch der sächsische Crodo stand auf einem Fisch, er soll, laut Konrad Bothos Sassenchronik („Cronecken der Sassen“) von 1492, als Gottesstandbild im Jahre 780 auf der Harzburg vom Frankenkönig Karl niedergeworfen worden sein. Die Chronik enthält eine Darstellung des Crodo (wahrscheinlich Name des zu „Crote / Kröte / bzw. Kröterich“ verunstalteten germ. Gottes „Od / Odo / Oto“) als Mann, der auf einem großen Fisch steht und in der Rechten ein Gefäß mit Blumen, in der Linken ein emporgerichtetes Rad hält. Auch der keltische Taranis, Gott des Himmels, des Wetters und des Donners, führte ein Rad-Attribut. Wie gering ist unser Wis­sen, wie gern würden wir mehr erfahren. Wie viele bleischwere Nächte der Trugschlüsse, der Täuschungen, der ideo­logisch bedingten bewussten klerikalen und politischen Lügen haben sich über die Vergangenheit unseres deutschgermanischen und unseres brüderlichen Urslaven-Volkes herabgesenkt ?! Ist es uns vergönnt, sie jemals wieder so­weit aufzuhellen, damit wir eines Tages an unsere Kin­der ein echteres Stücklein Wahrheit über unser Herkommen weiterreichen können ? --- Erst jetzt, im März 2014, fand ich die Bestätigung meiner damaligen Vermutung: Die perfekte Verbindung zum alten Od-Gott Wodan beweist der St. Oswald-Stein in der Oswaldkirche (Oswaldkirk) in England / Yorkshire (North). Oswald ist sogar dem Namen nach unverkennbar eine Ersatzfigur für den germanischen Asen Wodan/Odin (Abb. i). Die Behauptung, es handele sich beim Witold-Stein um ein (fremd-)slawisches Relikt ist damit widerlegt. Der angelsächische Oswald-Odin hat den gleichen erwähnten Hängebart, nur dass er nicht auf einem Fisch steht - als Sinnbild der Nahrungsspende - sondern einen Brotlaib unter dem Arm trägt.
 

Situation um 350 n.0 (Balten im Erscheinungsbild u. Sprache eng verwandt mit Germanen)
 
Quellenangaben:
1 Kudrun, Gudrun, 1958, Friedr. Neumann/Karl Simrock (Schwan als schöner, wilder, schwimmender Vogel umschrieben) 
2 La culture des gobelets en entonnoir en Europe centrale, in: Études Indo-Eurogéennes 10/1991, Carl-Heinz Boettcher
3 Germanische Stammeskunde, 1956, Ernst Schwarz
4 Das alte Germanien, Nachrichten der Griechen und Römer Bd. I, 1929
5 Die Slawen in Deutschland, Herausgeber Joachim Herrmann, 1985
6 Slawentheorie und Kolonisationshypothese, 1964, Prof. Dr. Walther Steller