DAS TOTENHEER

Wachsen die Nächte, wachsen die Schatten,
den Lebenden trauten Besuch abzustatten;
Schemen- und Schattenseelen aufsteigen,
es stampfen die Stolzen die stummen Reigen.

Sie laden sich selbst in Hütte und Haus,
sie fordern den schuldigen Totenschmaus;
sie ersehnen der Sippen Ehrung und Dank,
sie finden nach Hause zu Speise und Trank.

Vom Fensterbord lockt sie ein Kerzenschein,
der leitet den Ahn und die Ahnin hinein.
Zwischen Vater und Mutter am Küchentisch
stehen Tassen und Tiegel allabendlich.

Die Geister lieben den fetten Schmant,
Messerchen, Löffelchen liegen zuhand,
bei Seelensuppe und gebrockeltem Brot -;
hier leiden die Toten nimmermehr Not !

Wie die Regenflut in die Traufen tropft,
wie der Nachtwind an lockeren Läden klopft,
da zieht es die Kalten wieder hinaus,
da ruft sie der Herr in sein Sturmgebraus.

Jetzt haben die Nachtscharen große Zeit,
jetzt weist sie der Herr ins Wilde Gejaid.
Wenn sich der Himmel in Wolken hüllt,
Sturmwind durch wankende Wipfel brüllt,

dann singt der Totenwächter, der Wode,
die schauerlich-schreckliche Sterbeode.
Dann gehen die Hügel, die Gräber auf,
und die müdesten Matten zieht es hinauf.

Sie wirbeln in Windesgewalten mit,
weit übers Land geht der rasende Ritt.
Voran hetzt die mächtige Totenmähre,
der Reiter darauf mit blinkendem Speere,

vom wallenden Mantel wechelnd umzückt,
den breiten Hut in die Stirne gedrückt -;
und hinter dem fahlen, achtfüßigen Ross
der große, der grause Gespenster-Tross.
 
PS: So wie im Volks- und Naturglauben eines jeden Tages Mitternacht als Stunde der Geister gilt, so ist die Jahresmitternacht - die Jul-Zeit - ebenso eine Geisterumzugsphase, in der unsere eigengesetzlichen noch nicht verchristlichten Ahnen die Nähe der Totengeister in Gestalt von himmlischen Umzügen unter Führung der Geist- und Seelengottheit Wodin/Oden und dessen weiblich-göttlichem Mitwesen (Frau Holle/Perchta) zu spüren glaubten -; im Volksmythos als „Wilde Jagd“, „Wildes Heer“, „Wütiges Heer“ bezeichnet. Da in vorchristlicher Zeit der germanische Kalender zwei Jul-Monate kannte, einen vor und einen nach der Wintersonnen­wende, erwartete man die Geisterumzüge innerhalb der gesamten Jul-Spanne, während in nachfolgender christlicher Zeit das Volk sie nur noch in den zwölf Weihnachtstagen, den 12 Rauhnächten (25. Dez. bis 6. Jan.) vermutete.