DER LEBENS-GRAL
Längt sich der Lenzo im irdischen Tal,
beschwören die Disen den heiligen Gral,
die Schale des Lebens aus Lichtkristall
und dem Mute der Mütter, allüberall.
Der Winter auf windkalte Berge floh,
der Frühling fährt über die Felder, froh.
Das große Beginnen steht vor dem Tor,
freudige Springbrunnen sprudeln hervor.
Hoffnung eröffnet die erdigen Heime,
wie Geißlein hupfen die Lebenskeime.
„Hervor, hervor !“, ein Hornruf schallt,
er ruft das Grün in den Buchenwald.
Er ruft die Wesen von Wohl und Wuchs:
„Erwachet, erweckt eure Kräfte, flux !“
Und wie das lockende Läuten erklingt,
ist’s, dass ein Lachen von Liebe singt.
Der Frohsinn fegt im Frühjahr sein Haus,
alles Tranige, Traurige putzt er hinaus.
Es ringt sich des Grales lebendiges Rund,
es quirlt das Leben aus seinem Mund.
Längt sich der Lenzo im irdischen Tal,
umtanzen die Disen den heiligen Gral.
Und die jungen Maiden tun es so gleich,
sie schreiten im festlichen Reigen-Laich.
Die mehrende Mondsichel segnet, blank,
der Gode singt seinen Götter-Dank.
Der Mensch steht mit der Natur im Kreis;
wohl dem, der's nicht zu vergessen weiß !
Worterklärungen: „Gral“ = Schale des Lebens / Naturkraft / weibliche Gebärkraft – „Lenzo“ = der sich Längende / Monat März / personifizierter Frühling - „Disen“ = Feen / heilige Frauen / Priesterinnen – „Laich“ = rituelles Tanzfest - „mehrende Mondsichel“ = zunehmender Wachstums-Mondstand - „Gode“ = altgläubiger Gemeindevorsteher / Priester
Bild von dem russischen Maler Boris Olshanskiy