DIE SONNENWARTE
 
Hoch ragt der schmale Felsenturm,
im Eibenhag vom Externstein,
weit über Erdgetier und Wurm,
soll hier die Sonnen-Warte sein.
 
Das Heiligtum im Felsen-Haupt,
Germaniens wahrer Weihe-Kern,
allein dem Goden-Werk erlaubt,
im Weihe-Dienst dem Himmelsherrn.
 
Im engen Raum der Stein-Altar,
unter dem Windloch nach Nordost,
bietet der Sonn’ die Gaben dar:
Met, Honig, Brot sind Sonnen-Kost.
 
Zur Sommer-Wende wird’s gescheh’n,
da schaut der Morgensonnen-Schein
im segnenden Vorübergeh’n
ins runde Sonnen-Fenster rein.
 
Der Parawari sinnt und lauscht,
beschaut des Lichtes Strahlengang,
bis dass vom Fuß des Felsens rauscht,
der Luren-Bläser Festgesang.
 
Die Opfer-Speise vom Altar
ward von der Sonne selbst geküsst.
Zum frommen Mahl reicht man sie dar;
ein Sonnen-Kind wird wer sie isst.
 
Vorm Extern-Felsen wogt es bunt,
mit Ross und Ochs der Sippenschwarm.
Die Fest-Gemeinde lagert rund,
nicht einer harrt in Hass und Harm.
 
Die Weihe-Speise weiht rundum,
was sich das Völkchen schmecken lässt.
Und keiner bleibt jetzt stur und stumm.
So war das Sommer-Sonnwendfest.
 
 
Zeichnungen von Werner Chomton - Abb. 1 - Sonnenbeobachtungs-Kammer im Externstein-Felsenturm bei Horn-Bad Meinberg. Priesterlicher Lehrer und Schüler bei der Beobachtung am steieinernen Altar vor dem Sonnenfenster. Nur zur Zeit der Sommersonnenwende erschien die Morgensonne, von der Rückwand des Raumes aus gesehen, genau im runden Turmfenster über den Opferaltar. - Abb. 2 - Bronzezeitliche Lurenbläser vor der Externstein-Felsengruppe.

Weihe-Altar unter dem Sonnen-Fenster
 
Am altgläubigen Sonnenheiligtum vom Externstein in Teutoburger Wald, den man auch Osning nannte, also „Stätte der Asen-Götter“, feierten in alter Zeit die Menschen ihre Sonnenfeste. Das ist der allgemeine Sinn von Tempeln und Weihestätten, dass dort seitens der Priester Gestirnsbeobachtung betrieben und fromme Riten zelebriert werden und aber auch zu den Festzeiten das Glaubensvolk zusammenströmt, um an den Kultplätzen seine Gemeinschaftsfeste zu begehen. Die Weihekammer im höchsten Felsenturm der Externsteingruppe besitzt die genau nach Nordnordosten ausgerichtete kreisrunde Ausschauöffnung zum morgendlichen Aufgangspunkt der Sommer-Sonnenwende, also dem Höchststand der Sonne im Jahreslauf. Dabei handelt es sich fraglos um die wichtigste altreligiöse Visierlinie, die für die spätere Christenkirche ohne Bedeutung war. Bevor die heilige Kammer, vermutlich im Verlauf des fränkisch-karolingischen Überfalls auf das Sachsenland im 8. Jahrhundert, nachweisbar mit willentlichem System zerstört wurde, stand die Höchstsonne über den ausgemeißelten Altar und zeichnete sich ihr segnendes Strahlenbild auf der Rückwand des Raumes ab. Die Weihegaben auf dem Altartisch erhielten dergestalt ihren besonderen Segen und waren mithin, dem altgläubigen Verständnis entsprechend, geheiligt. Die Weiterreichung von Segnungen geschah, wie in vielen religiösen Brauchtümern üblich, durch einfache Berührung des sekundär zu heiligendes Gutes. Es ist anzunehmen, dass die größeren Feiergemeinschaften der Gilden und Sippenverbände ihre mitgeführten Festmähler, die am heiligen Ort des Externsteinvorplatzes eingenommen wurde, von ihren keltischen Druiden oder germanischen Parawari durch die üblichen Ritenhandlungen gesegnet wurden. Verzehrt, neben den leicht berauschenden Braugetränken der unterschiedlichen Met-Sorten (Honigwein), besaß „Käse und Brot“ eine besondere kultische Bedeutung. Die Sommersonnenwende war und ist bis heute im überkommenen Brauchtum ein Fest des Frohsinnes mit Feuerspringen, Tänzen und Musik geblieben.