SONNENWENDE
 
Hab' lang geweilt am Meeresstrand
Und fremdes Brot gegessen,
Doch dich, mein grünes Heimatland,
Dich hab' ich nicht vergessen,
Hab' jeden Tag an dich gedacht,
Von dir geträumt in mancher Nacht
Bis an den lichten Morgen.

Heut hab' ich wieder einmal im Traum
Mein Heimatland gesehen.
Es duftet Harz der Tannenbaum,
Im Nebel rauchen die Höhen,
Und ab und zu des Mondes Licht
Durch flücht'ger Wolken Lücken bricht.
Die Menschen liegen im Schlafe.

Ich wandle sacht und habe Acht;
Heut regt sich's in Wald und Auen.
Die heil'ge Sonnenwendenacht
Lässt manch' Geheimes schauen.
Die Wesen, welche einst voll Leid's
Entflohen vor der Mönche Kreuz,
Sie stehen auf und wandeln.

Die weiße Frau am Steinaltar
Entzündet Opfergerüche,
Sie schmückt mit dem Mistelzweig ihr Haar
Und raunt ihre Zaubersprüche.
Im Kreise stehen rings umher
Breitbärtige Männer mit Schild und Speer
Und beugen den starken Nacken.

Und wenn der Opferduft empor
Zum Himmel wird getragen.
Dann ziehen Wodan und Asator
Vorüber auf donnerndem Wagen;
Sie heben grüßend ihre Hand
Und segnen Wald und Wiesenland
Und eilen klagend von hinnen.

Es flammt und flimmert ein blauer Schein
Aus einer Spalte im Berge;
Da trippelt's hervor gar winzig klein,
Das sind die wilden Gezwerge.
Sie schleppen aus des Berges Schacht
Des großen Hortes güld'ne Pracht
Und freuen sich am Glanze.

Am Seegestad auf grünem Plan
Da tanzen der Nixen Scharen.
Sie haben feuchte Gewänder an,
Schilfblätter in den Haaren.
Der Wassermann, der schlimme Neck,
Springt aus den Binsen. - Welcher Schreck !
Die Nixen tauchen zu Grunde.

Jetzt zieht's vom Hörselberg heran
Wie Sturm und Ungewitter. -
Das ist Frau Holda, in ihrem Bann
Tannhäuser, der edle Ritter.
"Wend' ab das Aug' ! Du darfst nicht schau 'n
Die schönste aller Götterfrau'n !"
Ruft Eckart, der getreue.

Und soll meine Seele verloren sein,
Mag's immerhin geschehen,
Und werd' ich zu ewiger Höllenpein
Verdammt, ich muss sie sehen.
Es ist das erste Mal ja nicht,
Dass ich an ihrem Angesicht
Im Traume mich erbaue.

Frau Holda lächelt und nickt und winkt,
Die Nixen flüstern am Weiher,
Der Hort der Zwerge gleißt und blinkt.
Es lohen die Opferfeuer,
Es rauscht der Wald, der Vollmond lacht,
- Das ist die heilige Sonnwendnacht !
Ich träume, träume, träume.

Der Traum ist aus, der Morgen graut.
Und Sorge naht und Grämen,
Doch was ich hab' im Traum geschaut.
Das kann mir Keiner nehmen.
Wohl dem, und war' er ein Bettelmann,
- Der träumen, singen und sagen kann !
Er tauscht mit keinem König.
 
Rudolf Baumbach
Bild: Sonnenwendfeier in Aschau am Chiemgau, 2014