24.11.2022
Die 14,5 cm breite Hand aus 1. Jh. v.0, von dünnem Bronzeblech gearbeitet, trägt eine Inschrift aus 40 Zeichen einer teilweise modifizierten keltiberischen Schrift; sie sollte Haus und Hof vor Unglück bewahren. Stattdessen kamen die Römer. Foto: AP/Juantxo Egana/Sociedad de Ciencias Aranzadi
Die erste Zeichenfolge identifizierten die Forschenden als „Sorioneku“. Die Bedeutung der übrigen Wörter ist noch unbekannt.
Zum Vergleich die aus Bronzeblech gefertigten Hände aus dem hallstattzeitlich-keltischen Fürstengrab von Kleinklein/Steiermark (6. Jh. v.0). (siehe dazu meinen Aufsatz: „Jahrtausende altes Sonnen-Kreuz-Symbol")
Die Hand von Irulegi - Baskenland
Erster Beweis für Schrift in der rätselhaftesten Sprache Europas - Die Wurzeln des Baskischen liegen im Dunkeln. Doch fünf Wörter auf einer antiken Bronzehand erhellen seine Geschichte. Das erste Wort wurde nun entziffert. Das Baskische stellt so etwas wie ein Unikum in der europäischen Sprachenlandschaft dar. Während praktisch alle anderen Idiome auf diesem Kontinent Teil einer großen Sprachfamilie sind, finden sich beim Baskischen – zumindest nach verbreiteter Fachmeinung – keine Hinweise auf eine "genetische" Verwandtschaft mit einer der indoeuropäischen, uralischen, türkischen oder semitischen Sprachgruppen. Die Forschung spricht von einer sogenannten isolierte Sprache.
Die Römer nannten sie „vascones“
Die Bezeichnung „Baskisch“ geht auf das lateinische „vascones“ zurück; so nannten die Römern die Bewohner einer nordiberischen Region, in der auch keltiberische Stämme lebten. Die Basken selbst nennen sich Euskaldunak, was wörtlich übersetzt „Baskischsprecher“ bedeutet. Weltweit nutzen rund 1,2 Millionen Menschen diese bemerkenswerte Sprache, zwei Drittel davon leben im Baskenland in der spanisch-französischen Grenzregion südlich der Biskaya. Vor rund 2.000 Jahren war die antike protobaskische Sprache auf der Iberischen Halbinsel deutlich weiter verbreitet, sie wurde vermutlich in großen Teilen Nordspaniens gesprochen. Der Ausbreitung der romanischen Sprachen hatte sie freilich nichts entgegenzusetzen: Bis zum Mittelalter schrumpfte der baskische Sprachraum in etwa auf die Größe des heutigen Baskenlands zusammen. Über die Zeit vor den Römern weiß man kaum etwas, über den Ursprung dieser mysteriösen Sprache noch weniger.
Uralte Worte?
Wahrscheinlich – so eine Hypothese – wurde sie in dieser Region bereits in prähistorischer Zeit und vor der Ankunft der indoeuropäischen Sprachen im Westen Europas gesprochen. Warum man den Wurzeln dieser Sprache so schwer auf die Spur kommt, liegt unter anderem auch am Mangel schriftlicher Hinterlassenschaften. Die antiken Vorfahren der modernen Basken verwendeten keine Schrift – zumindest bis die Römer das lateinische Alphabet einführten. Einzig auf einigen Münzen haben sich die „vascones“ schriftlich verewigt. Die eingravierte vierzeilige Inschrift besteht aus 40 Zeichen einer teilweise modifizierten keltiberischen Schrift.
Die Hand von Irulegi
Ein spektakulärer Fund könnte nun aber die Annahme von der Schriftlosigkeit des Altbaskischen über den Haufen werfen: Ein Forschungsteam entdeckte bei Ausgrabungen in der Nähe von Pamplona schon im Vorjahr eine aus Bronze gefertigte, etwa lebensgroße Hand. Das Besondere an dem 2.100 Jahre alten Artefakt sind dutzende Symbole, die in die Oberfläche der flachen Hand eingraviert sind – unbekannte Worte in einer adaptieren Variante der keltiberischen Schrift. Schon damals handelte es sich dabei um ein herausragendes Fundstück, doch seine wahre Bedeutung wurde erst vor kurzem deutlich: Die Untersuchung der Inschrift ergab ein Wort, das es noch heute im Baskischen gibt. Das Archäologen-Team von der Aranzadi Science Society arbeitet bereits seit 2017 im Grabungsgebiet am Berg Irulegi. Während der Eisenzeit befand sich dort eine befestigte Siedlung, und die Bronzehand war wahrscheinlich am Türstock eines der Häuser als Schutz- und Glückssymbol befestigt gewesen. Viel hat es letztlich nicht genützt: Im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bekam es die Bevölkerung mit den heranrückenden Römern zu tun. Das Dorf geriet im Sertorianischen Bürgerkrieg zwischen die beiden rivalisierenden römischen Fraktionen und wurde im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung niedergebrannt und schließlich verlassen. Für die Archäologinnen und Archäologen freilich ist dies ein Glücksfall, denn die einstürzenden Lehmziegelhäuser begruben die zurückgelassenen Besitztümer der Menschen unter sich und konservierten so eine Momentaufnahme des Angriffs. „Es bedeutet, dass wir viel Material aus dem Alltag der Menschen freilegen“, sagte Mattin Aiestaran, Leiter der Grabung in Irulegi, dem britischen „Guardian“. „Hier haben wir eine außergewöhnliche Situation - die es uns letztlich ermöglicht hat, mit der Bronzehand ein außergewöhnliches Stück zu finden.“ Die erste Zeichenfolge identifizierten die Forschenden als „Sorioneku“. Die Bedeutung der übrigen Wörter ist noch unbekannt.
Vermeintlicher Analphabetismus
Die nun vorliegende Übersetzung eines der eingravierten Wörter belegt laut Javier Velaza die Existenz einer geschriebenen vaskonischen Sprache. Der Philologe von der Universität Barcelona und seine Kolleginnen und Kollegen erkannten in der aus fünf Wörtern, vier Zeilen und 40 Zeichen bestehenden Inschrift das Wort „Sorioneku“ - wahrscheinlich ein Vorläufer des modernen baskischen Wortes „Zorioneko“, das „Glück“ oder „gutes Omen“ bedeutet. „Wir waren praktisch überzeugt davon, dass die alten 'vascones' Analphabeten waren und keine Schrift verwendeten, außer wenn es um das Prägen von Münzen ging“, meinte Joaquín Gorrochategui von der Universität des Baskenlandes. „Nun haben wir den Beweis, dass die 'vascones' ihre Sprache auch schriftlich festhielten." Dennoch warnt Velaza vor voreiligen Schlüssen. Immerhin liefere die Hand nur Informationen für einen bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte. Sie verrate uns also allenfalls, dass die Menschen in dieser Gegend vor über 2.000 Jahren die vaskonische Sprache sprachen und schrieben. „Wie lange die Menschen dort schon lebten und was aus ihnen geworden ist, erfahren wir durch sie nicht“, sagte der Philologe. (tberg, 20.11.2022)