08.10.2023

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Auf dem Gipfel des Schwachsinns: Der Todesbaum vom Externstein als „Irminsul“.

Es gibt Leute, die ihre fehlende Gehirnmasse, also Hohlköpfigkeit, versuchen, durch das Überstülpen eines Wikingerhelmes, zu kaschieren; so einer ist Harry Schmidt alias Radegeis. Der durch seine in der Jugend abgehaltenen Schaukämpfe in wikingerzeitlichen Kostümen bekanntgewordene Romantiker, verfasste eine Schrift „Runen im Leben der Völker“, 1995. Die bekannte Idiotie des semitischen Dattelbaum-Todesbaumes vom Externstein prangt auf dem Titelbild, als vermeintliche „Irminsul“. Leider vermochte der Verfasser der Versuchung nicht widerstehen, die traumtänzerisch schönen, aber haltlosen Ideenkonglomerate einer zügellosen sog. Ariosophie - aromalos ausgelutschten Teebeuteln gleich - unverdrossen-liebevoll aufzukochen. Er verschwendete Geist, Zeit und Papier zur Verewigung all der Runentollheiten des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Wem soll das dienlich sein ? - Der kostümierte Schaukämpfer war in den Ring getreten, um die zurecht diskreditierten Unsinnigkeiten tapfer zu verteidigen, über die er schützend seinen Schirm des Don Quijote breiten möchte. Der hervorstechendste Charakterzug dieses Machwerks ist eine Art bewusst gewählte Trotzhaltung gegenüber zeitgemäßer Runenwissenschaft nach dem Motto: Ich lass’ mir meine Dummheit nicht nehmen, dafür brauch’ ich keine Beweise !

Seiner romantisch-nebulösen Neigung gemäß, verzichtet Radegeis darauf, eine Trennungslinie zwischen Fakten und Phantasien zu ziehen, was der Leser nach Buchtitel und dem Wortlaut der damaligen Vorankündigungen hätte erwarten dürfen. Wer Neuigkeiten zur Entstehungsgeschichte erhoffte, wird enttäuscht. „Die Runen waren offenbar ganz einfach da“, meint der Autor (S. 21). Kein Wort zu den runischen Frühformen auf den Bohlenplanken im Moor von Oldensfehn, im bronzezeitlichen Felsbildmaterial und schon megalithischer Ikonographie, z.B. der Bretagne. Als ganz schlimmer, schier unglaublicher, aber signifikanter Fehlgriff ist der Einstieg (S. 23f) unter der Rubrik „Ursymbol - Urschrift - Ursprache“ zu bewerten, wo der List'sche 18er Runen-Hokuspokus ohne aufklärende und relativierende Anmerkungen breitgewalzt wird. Erst auf S. 30 - auch wieder ohne jede Erklärung - wird, gleichsam nebensächlich, das wirkliche Ur-Futhark gezeigt, welches auf folgender Seite den unsinnigen verunglückten Vergewaltigungsversuch über sich ergehen lassen muss, in ein Hexagon hineingeklemmt zu werden. Dass dieser unseriöse Beginn keineswegs ein Versehen, vielmehr symptomatisch für das gesamte Runenverständnis eines Mannes ist, der über das List-Gorsleben-Niveau nicht hinausdenken will, erweist seine schwärmerisch gehegte, fast libidinöse Hörigkeit gegenüber diesen beiden Runenschund-Autoren, Guido List und John Gorsleben, die bei ihm allerdeutlichst ein Überväter-Imago erwachsen ließen, so dass skeptische Distanz und nüchterne Unvoreingenommenheit als Voraussetzung jeder Wissenschaftlichkeit schon in Ansätzen verhindert wird.

Herr Schmidt ist von seinem Thema völlig überfordert, er versteht nicht einmal zu trennen zwischen linearen Schriftzeichen, Runen und dem Runensystem ! Das Buch ist prall voll von unbelegten und unbelegbaren Behauptungen. Um die Falschdarstellungen zu bezeichnen und zu erklären, müsste eine mindestens ebenso starke Schrift erstellt werden. Obwohl es dafür nicht den allergeringsten Quellenbeweis gibt, erwähnt Radegeis ein „Altes Nordisches 18er-Futhork“ und versucht, dessen Entstehung suggestiv bei „erste Funde Glozel 800 v.u.Z.“ (S. 33 u. 96) festzumachen. Dass sich die Glozel-Inschriften längst als Fälschungen erwiesen haben, ficht den Autor so wenig an wie der Umstand, dass in den südfranzösischen Raum um Glozel erst mit der späten keltischen Landnahme Indogermanen eindrangen. Wenn es aber „Runen“ vor den Indogermanen gegeben hätte, wären dies dann überhaupt Runen ?! Natürlich nicht ! - Sollten sich die Glozel-Funde trotz aufgefundener Fälscherwerkstatt und dem Geständnis des Fälschers als echt erweisen, käme das einer geistesgeschichtlichen Katastrophe für alle Indogermanenfreunde gleich, denn dann wären die Runen von einer nichtindogermanischen Volkskultur erfunden worden. Diese und andere Konsequenzen scheint Radegeis nicht zu überblicken. Und hier sind wir bei der zweiten Hypothese dieses Buches, welches eine Anzahl von Schriftarten unterschiedlichster Völker mit der alleinigen Absicht vorstellt, in ihnen runische Grundformen nachzuweisen. Das Unterfangen, echte Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Schriften aufgrund einiger weniger Ähnlichkeiten in der linearen Form herauslesen zu wollen, zeugt von unfachlichem Simplifizierungsbedürfnis und unzeitgemäßer Oberflächlichkeit. Der Ignorant Schmidt bezeichnet selbst die kleinen Tontäfelchen Kretas, versehen mit Linea-A und -B-Schriften, als „Runensteine“; von Art und Größe dieser Funde hat er folglich überhaupt keine Vorstellung. Man fragt sich, wie es kommt, dass ein Verlag, wie der von Michael Damböck (später Adoria-Verlag), solch einen Schwachsinn zulässt ?! Der Autor versuchte, seine Imaginationen zu rationalisieren und fand aber doch nur leicht widerlegbare Scheinargumente. Er brachte absolut kein neues Therapeutikum auf den Ideenmarkt, das zur Wiederbelebung runentheoretischer Totgeburten beitragen könnte. Das Buch ist zu erachten als ein desinformierendes, unreifes, unvernünftiges, anachronistisches Werk, eine Beleidigung von Vernunft und Geschmack, kurz: eine Donquichotterie.

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Beilage zum Brief an Harry, vom 16.04.1996. Ich wies ich ihm nach, wo er seinen Unsinn, bezüglich der angeblichen uralten Runensteine, die jedoch nur kleine kretische Linea-A/-B Täfelchen sind, abgeschrieben hat.