09.06.2023

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Der 2021 gefundene 31 x 32 cm große Runen-Stein-Block, bestehend aus rotbraunem Ringerike-Sandstein, vom Gräberfeld am norwegischen Tyrifjord in der Gemeinde Svingerud, Kommune Ringerike, gilt derzeit als die bisher älteste Runeninschrift und wird als „Traum eines Runengelehrten“ bezeichnet. Verbrannte Knochen und Holzkohle aus dem Grab zeigen, durch Radiokarbondatierung, dass die Runen zwischen 25-250 n.0 eingeritzt wurden, aber die menschlichen Knochenreste wurden mit Radiokohlenstoff auf 25-120 n.0 datiert; jedenfalls ist die Grabstätte, mit ihrem Runenfund, um 2.000 Jahre alt. Sie stammen aus recht frühesten Tagen der 24-er Ur-Runenschrift. Der Stein wurde nach dem Fundort benannt und heißt heute Svingerud-Stein. Svingerud liegt ca. 50 km nordwestlich von Oslo. Die Runologin Kristel Zilmer, Professorin für Schriftkultur und Ikonographie am Museum für Kulturgeschichte in Oslo, arbeitete im Jahr 2022 an der Interpretation der Inschriften auf dem Runenstein. Zilmer sagte: „Einen solchen Runenfund in unseren Schoß fallen zu sehen, ist ein einzigartiges Erlebnis und ein Traum davon. Für mich ist das ein Highlight, denn es ist ein einzigartiger Fund, der sich von anderen erhaltenen Runensteinen unterscheidet.“

Auf dem Stein sind, wie wir sehen, weitere Runeninschriften vorhanden, wobei unklar ist, ob sie eine Bedeutung haben, oder ob es sich um belangloses Gekritzel eines Übenden handelt? Die ersten drei Buchstaben des „Älteren FuÞark“ fallen in dem „Gekritzel“ auf, nämlich ᚠ (f), ᚢ (u) und ᚦ (th).

Runeninschriften befassen sich entweder mit geistig-religiösen Aussagen, oder Profanem und eng Persönlichem. Wie ist der Svingerud-Stein einzuordnen ? Eine sehr persönlich Botschaft ist es unbedingt, doch welchen Charakter trägt sie ? Dieser Inschrift-Block im Grab eines Mannes wendet sich nicht an jedermann, er ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt wie die demonstrativen Inschriften der Gedenksteine, mit denen Männer-Taten verherrlicht, oder Frauen und Mütter geehrt wurden. Runeninschriften hatten auch immer, den Denkgesetzen der Runenmeister, der Erilari, folgend, eine die Geister beschwörend-zwingende Machtauslösung, also die Hoffnung einer suggestiven Schicksalslenkung. Was in Runen niedergelegt und mithin fixiert wurde, mit dem erhoffte der „Geheimschreiber“ einen Realisations-Bann vollzogen zu haben. Beschauen wir zunächst den nüchternen Sachverhalt der Svingerud-Stein-Inschrift. Gehen wir davon aus, es handelt sich um die Nennung einer Frau namens „Idiberug“, in einer sehr frühen Form der germanischen Sprache und Schrift. Runologin Zilmer meint: „Dieser Text könnte sich auf eine Frau namens Idiberug/Idibera beziehen. Die Inschrift würde dann ‚Für Idibera‘ lauten“. Ob es ich dabei um ein Männer- oder Frauengrab handelt, ändert den Sachverhalt kaum. Entweder ritzte ein Mann für sich die Inschrift, die er sich als Grabbeigabe erbat, oder er ritzte den Stein, den er der geliebten Idibera mit ins Grab legte, als er sie begraben lassen musste. Das Geheimnis der Inschrift offenbar sich erst bei Beachtung des Runenbegriffes „fut“, welcher rechts oberhalb des Frauennamens eingeritzt ist. Weil es sich um ein obszönes Wort handelt, wurde es in einem Gewirre von Buchstabenzeichen unsichtbar gemacht. Denn es bedeutet „das Hintere“ und deutlicher „Vulva“ bzw. ahd. Fuse, neudt. Fotze. Dieser Gesamtzusammenhang lässt einen naheliegenden Schluss zu: Der Mann litt an einer unerhörten Sehnsucht, die Idibera sexuell zu besitzen. Hätte er sie als Eheweib besessen, hätte er die Wunschbannung nicht schriftlich ausführen wollen/müssen. Da man im Norden, um den Beginn unserer Zeitrechnung noch ungeschmälert an ein Nachleben glaubte, an eine Wiedergeburt, könnte sich der Wunsch nach Liebeserfüllung mit der Sehnsuchtsfrau auch auf das kommende Leben bezogen haben.

Ich bezweifele, ob sich eine Runologin in solche typisch männliche Gedankengänge einzufühlen vermag. Frauen wissen vieles, sind sensibler und hellhöriger als Männer, schon weil sie als die konstitutionell Schwächeren, abhängiger von der Umwelt sind, doch vom Mann verstehen sie fast nichts, so lange sie nur Sybillen sind, und nicht auch in den Kategorien von Hetären empfinden können. Der triebgesunde Mann definiert die Frau allein aus dem köstlichen Blickwinkel ihrer geöffneten Schenkel. Hier findet er das Ur-Erregende, zum Weltausgriff Motivierende und zugleich das wohltuend Beruhigende, im Sinne „das ist es“, „es ist erreichbar“, „ich weiß was ich suche !“ Für den Mann ist der Frauenschoß, die Vulva - je nach geistiger Reife - die Pforte zum Paradies und der Heilige Lebensgral.  

Das linke Ende der Ur-Runenreihe: „fuð“

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In der 24 Stäbe umfassenden Ur-Runenreihe, wie wir sie vom frühmittelalterlichen gotländischen Kylverstenen her kennen (siehe Bild), stellen die drei Runen „f.u.ð“ das linke Ende dar, während das rechte Ende von den drei Runen „o.d.ing“ repräsentiert wird. Der Kylverstein wurde von rechts beginnend beschrieben, was daran zu erkennen ist, dass die Abstände der Buchstaben zum linken Ende hin immer enger werden, weil der Beschrieftungsraum sonst nicht ausgereicht hätte. Mit dieser Feststellung erübrigt sich die Frage zu stellen, nach dem ursprünglich angedachten Anfang und Ende der Runenreihe. „Fuð“ bedeutet Hintern (wozu beim Weib die Vulva gehört) und „oding“ bedeutet Geistkind/Geistprodukt (od = Geist und ing = Nachkommen/Kind). Daraus ist zwingend abzuleiten, dass das Ur-Runensystem ODING und nicht FUÞARK heißt !

Unter „fuð-a/u“ verstand man im Altnordischen das untere/hintere Ende von Mensch und Getier vom Fuß bis zur Hüfte. Es ist anzunehmen, dass in runengermanischer bzw. herulischer Sprache die gleiche Form vorhanden war. Die an. fuð f., im Fundus der Runeninschriften mehrfach belegt, entsprechen mhd. vud /vut. In der obszönen Inschrift ums Jahr 1200, eines Holzstücks von Bryggen bei Bergen/Norwegen, wird einer als „fuðsllæikir“ (Vulva-Lecker) bezeichnet, auf einem flachen Holzstab steht: „felleg er fuð sin bylli fuþorglbasmfuðorglbasm“ (schön ist die Vulva, möge sein Penis sie füllen), ein Knochenstück aus den 1000er Jahren von Schleswig trägt die Teilinschrift: „fuðarsb“ (Vulva/Hintern). Siehe dazu: Carita Holm, Uppsala, „Sexuelle Runeninschriften”, 2013. Diese späten wikingerzeitlichen Belege werden ergänzt von den mittelalterlichen Inschriften, wie auf Goldbrakteat Schonen II-C: „fuði”, der Silberbügelfibel von Beuchte mit „fuðarking” (letzte Rune ist als „ng” und nicht als „j” zu lesen), dem Brakteaten Gudme II-C (IK 392) mit „fuðar”. Bereits die Inschrift des Bronzeamuletts von Högstena, aus ca. 1100, gebraucht den Begriff fuð, nicht im Sinne der Vulva, sondern in Übertragung auf einen zu schmähenden Menschen, was bei der Beuchter Bügelfibel-Inschrift, mit der Selbstbezeichnung „fuðarking” auszuschließen ist, da es abwegig wäre anzunehmen, es käme einer auf die Idee, sich selbst als „Fotzerich“ auf einem Schmuckstück zu verewigen. Die diversen runischen „fuð”-Ritzungen bedürfen also genauer Beachtung ihrer Begleitmerkmale, um sie semantisch deuten zu können. Ihnen allen aber ist eines gemeinsam, nicht unbedingt das primitiv Sexuelle, jedoch immer der Begriff des Hinteren, des Schäbigen.

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Oben links ist der Begriff „biuz” bzw. „biuR”zu lesen, was aus an. bitr adj. bitter, nisl. fár. bitur, nnorw. nschw. ndá. bitter, ae. biter, bitler, as. ahd. bittar; daneben got. baitrs bitter, erklärt werden könnte, was die harmvolle Bitternis einer unerfüllten Leidenschaft nochmals unterstreichen würde.  („z/R” ist ein kurzer schnalziger Endlaut/Ablaut, der den vorangegangenen Klangcharakter des Wortes nicht verändert.)

Weiterhin ist im buchstablichen Gesamtarrangement des Blocks auffällig, dass die Begriffsrune „B“ (7. Rune im ODING-FUÞARK) siebenmal erscheint, woraus eine Beschwörung der gemeingerm. Muttergöttin Frija, aus der eine Wiedergeburt zu erhoffen war, zu schließen wäre. Die „B“-Rune, welche als Birken-Synonym (ältester nordischer weißhäutiger Baum) für die Göttin galt, wurde mit dem Begriff „Birke/Birkenzweig“ („bjarkan, brica, biercan, bercna, bergann“) bezeichnet, welcher als Gottinnennamen „Vercana“ auf zwei niederrheinischen Inschriften (CIL XIII, 4511 und 7667) belegt ist.