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Abb. 1 = Nebenstedt I - Abb. 2 = ähnliche Brakteaten-Prägung

Ich sehe die Darlegungen von Diether Schürr, „WODAN ODER WARG: ZUM BRAKTEATEN NEBENSTEDT I“ kritisch und mache meine korrigierenden Anmerkungen. Die Runeninschrift auf dem Brakteaten Nebenstedt I (Hannover) „wird gewöhnlich gliaugiRu iurnRl transliteriert” (Düwel 2001: 47). Das erste u ist gewendet, das zweite gestürzt und das r auch. Die Punktierung des n zeigt an, daß die Lesung nicht sicher ist. Klaus Düwel hat 1977 die Geschichte der Lesung und Interpretation dieser Inschrift verfolgt, wobei es ihm hauptsächlich auf das letzte Zeichen ankam, das 1889 ‚verloren ging’. Bedeutsamer ist aber, was sich daraus für die Lesung des drittletzten Zeichens ergibt: Sowohl Dietrich 1865: 268 als auch Stephens 1887/88, Bracteates No.7 und Henning 1889: 130 sahen darin ein g, erst Bugge nahm 1893, 125-127 ein n an, was sich zusammen mit seiner Interpretation uıu r(u)n(o)R „Jeg (...) vier Runerne” durchgesetzt hat. Nur Ansonsten ist 1975, 62f. zu g zurückgekehrt, während Düwel selbst S. 93f. bemerkte, das Zeichen könne „nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden”, in Anm. 16 aber „eher für ein n” plädierte, weil der zweite Schrägstrich „deutlich kürzer” sei. Nach dem „etwa 5 : 1” vergrößerten Photo S. 90 ist allerdings nicht ganz klar, ob das obere Ende dieses Schrägstrichs wirklich erhalten ist - der erste Schrägstrich des folgenden Zeichens ist sehr undeutlich, und auch das obere Ende seiner Senkrechten ist beschädigt: Eine Verwerfung zieht sich von da bis zum oberen Ende des Schrägstrichs. Und jedenfalls hat das Zeichen zwei kreuzende Schrägstriche, gleicht also weit mehr einem g als einem n, das hier mit seiner Senkrechten viel Platz gespart hätte, zugunsten des letzten Zeichens, das nur mit Mühe noch Platz fand. Düwel ging auf die Begründung für Bugges Deutung nicht weiter ein, sondern schloß sich ihr an. Sie beruht aber auf Voraussetzungen, die im Grunde seit Edith Marolds Aufsatz „Thor weihe diese Runen” von 1974 hinfällig sind. Diese Formel ist auf zwei dänischen Runensteinen der Wikingerzeit (mit und ohne Demonstrativpronomen) belegt, während auf einem dritten das Denkmal selbst Objekt ist und ein schwedischer Stein die Formel ohne Objekt bietet. Sie diente offenbar dem Schutz der Runensteine. Die Runenformel kehrt außerdem zu einem Stabreimvers erweitert in der sog Canterbury-Formel einer englischen Handschrift wieder: „Thor weihe dich, der Thursen Herr”, wo sie einem Wundfieberdämon gilt (und Thor zum Riesenkönig gemacht ist [nicht Riesen-König ist gemeint, sondern Rieser-Beherrscher !]). Hier handelt es sich um einen Exorzismus. Literarische Zeugnisse schließen sich an: Bei Snorri ‚weiht’ Thor mit seinem Hammer den Scheiterhaufen Balders und Nannas, ohne daß der Sinn dieser Weihe klar wird [Unsinn: keine Weihe ist unverständlich !], und an anderer Stelle die Überreste seiner zuvor verzehrten Böcke, die daraufhin wieder lebendig werden. Im Thrymlied soll der als Braut verkleidete Thor selbst ‚geweiht’ werden: „Bringt den Hammer, die Braut zu weihn! Legt Mjöllnir der Maid in den Schoß! Mit der Hand der Var weiht uns zusammen.” (Str. 30 nach Genzmer) Das Verb vígja ist in diesen Zeugnissen also in sehr verschiedener Funktion belegt. Marold kam in ihrer Analyse zu dem Schluß, man könne „in der Weihefunktion Thors, die uns skandinavische Zeugnisse des 10. bis 13. Jahrhunderts belegen, nicht mehr einen alten Zug im Bild des germanischen Donnergottes sehen, sondern eine historische Entfaltung der spätheidnischen Religion, gegründet auf der Entsprechung von Thor und Christus und Hammer und Kreuz und auf dem Vorbild der christlichen Weihepraxis” (1974: 222). Vígja hat dabei die Bedeutung von benedicere und auch exorcizare angenommen [Falsch: Der mit dem Hammer weihende Thor ist bereits im bronzezeitlichen Felsbild von Vitlyke/Bohuslän zu sehen]. Allerdings übernahm Marold die auf Bugge zurückgehende Deutung der Brakteateninschrift unbesehen (1974: 205) und war daher zu der Annahme gezwungen, „daß ein religiöser Wandel stattgefunden habe, der zu diesem Phänomen der Runenweihe durch Thor geführt hat” (1974: 213). Der wirkliche Sachverhalt ist aber der, daß Bugges Lesung von dieser Runenweihe inspiriert war. Die Runenweihe auf dem Brakteaten ist also ein Anachronismus. Folglich ist auch die fragwürdige Lesung n aufzugeben und zu der Lesung g zurückzukehren. Die Heranziehung der späteren Überlieferung ist für die Deutung solcher Inschriften sicher unerläßlich, weil sie für sich genommen kaum verständlich werden. Aber man darf dabei nicht ungebrochene Tradition voraussetzen, sondern muß auch mit Entwicklung, ‚externen’ Einflüssen und Brüchen rechnen, was es schwermacht, echte Konstanten zu erkennen. Geschichte hat stattgefunden und damit auch keineswegs nur oberflächliche Veränderung. So ist es auch verfehlt, in glïaugiR einen Gott zu erkennen. Diese Lesung und die Deutung „han med de lysende Øine” gehen ebenfalls auf Bugges Behandlung der Inschrift im Jahr 1893 zurück. Er verglich altnordisch eine ygr und Báleygr, und er sah auch schon, daß sich diese Benennung auf das Brakteatenbild beziehen läßt: Ein Männlein mit großem, kreisrundem Auge, in dem er aufgrund der angenommenen Weiheformel Thor erkennen wollte. 1970: 209f. erblickte Detlev Ellmers in dieser Benennung „eine genaue Entsprechung zu dem im 13. Jh. auf Island überlieferten Odinsbeinamen Baleygr” und wollte deswegen nun auf dem Brakteaten Odin selbst erkennen. Düwel wendete sich 1977: 95 gegen diesen Kurzschluß: „Odin heißt auch Bileygr ‚der Schwachsichtige’ (dem ein Auge fehlt), und wir wissen nicht, wie weit die Erfordernisse des Stabreims auch die (Er)findung neuer Namen mit sich gebracht haben, gerade in den Grimnismál (Str. 47) und in den π ulur, wo diese beiden Odinsnamen nebeneinander vorkommen” - und neben vielen anderen. Da ist der Abstand zwischen dem Zeugnis aus der Völkerwanderungszeit und den literarischen Zeugnissen bedacht. 2001 folgte Düwel aber dann ohne jede Bedenken den Brakteatendeutungen Karl Haucks, der auf ihnen zumeist Wodan/Odin erkennen will, so auch hier [was auch nachweisbar richtig ist]. Daher führte er nun Nebenstedt I im Abschnitt „Der göttliche Runenmeister” S. 47ff. an (mit Abb. 6b) und erklärte: „Der dargestellte Gott spricht und weiht unter einem seiner Namen GlīaugiR (literarisch ist der Odinsname Báleygr ,der Flammenäugige’ überliefert) die Runen, die er selbst gefunden hat und darum schriftmächtig beherrscht” (S. 49). Da gibt es also keine Geschichte mehr, sondern nur noch Gleichsetzung. Auch die anderen in diesem Abschnitt angeführten Brakteaten lassen nur mit Gewalt auf einen „göttlichen” Runenmeister schließen: Ihre Inschriften stützen die wodanistische Brakteatendeutung nicht, vielmehr beruht die Deutung der Inschriften auf ihr. Das erste Beispiel dafür soll der Brakteat Sievern-A mit der von Wolfgang Krause r.w.rilu gelesenen Legende bieten, die zu runoR writu wie auf dem Stein von Järsberg (Düwel 2001: 36) zu ergänzen und zu korrigieren wäre: Das sei eine „Offenbarungsformel des Gottes Odin”, der damit „seine Verfügung über die Macht der Schrift dokumentiert”. Primär würde eine solche Verschreibung aber die mangelhafte Schriftbeherrschung des Herstellers dokumentieren (bei Brakteaten häufig), und in Järsberg ist es ein erilaR, der diese Formel gebraucht. Es ist also Willkür, die Ich-Form auf einen Gott zu beziehen. Man müßte also auch noch eine Tabuisierung der Götternamen postulieren. Paradoxerweise ist der bei Düwel folgende Abschnitt mit „Irdische Runenmeister?” überschrieben, als ob es weniger sicher sei, daß die da angeführten Schreiberverse auf den Brakteaten Tjurkö I (Abb. 6d), wo „für Kunimund” geschrieben wurde, und den Brakteaten von Eskatorp und Väsby, wo ein erilaR „malte”, solche ‚Runenmeister’ nennen. Das kehrt die Beweislage um und illustriert noch schlagender, wie fatal sich der Anschluß an Hauck auf Düwels Verständnis der Braketateninschriften auswirkte [Unsinn !]. Die altnordische Überlieferung spräche zunächst eher dafür, „Glühauge” auf Thor zu beziehen. So bemerkt Snorri zu seinem Kampf mit der Midgardschlange: „Man kann mit Recht sagen, daß niemand etwas wirklich Furchtbares gesehen hat, der es nicht mit ansah, wie Thors Augen der Schlange entgegensprühten und die Schlange von unten her ihn anstierte und Gift ausblies” (Diederichs 1987, 157). Das wird von einem Bild inspiriert sein. Im Thrymlied erschrickt der Riese vor dem Blick des verkleideten Gottes: „Wie furchtbar sind Freyjas Augen! Wie Feuer flammt es aus Freyjas Blick!” (Str.27 nach Genzmer). Diese Schilderungen haben mehr Gewicht als das willkürliche Herausgreifen eines von vielen Odinsnamen, der nirgendwo motiviert wird, und den zweiten Vers (þicci mér ór augom eldr of brenna) hatte schon Bugge herangezogen. Aber feurige Augen kommen in der altnordischen Überlieferung noch öfters vor, bei Ungeheuern und Helden, und so ist es auch Willkür, dabei nur an Götter zu denken, statt die ganze Palette der Verwendungen dieses Motivs zu berücksichtigen. Und das dargestellte Männlein ist nicht nur „eine Männerfigur mit überdimensioniertem Auge” (Düwel 2001: 47): Das unterschlägt alle anderen Charakteristika, weil sie gar nicht zu einem Gott passen (und auch nicht zu einer Runenweihe). Es ist ja nackt, sein Mund weit geöffnet, die rechte Hand umfaßt das Kinn, die linke bedeckt die Scham. Mit dieser Gestik dürfte eine höchst irdische Notlage bezeichnet sein, so drastisch, daß es schwer zu begreifen ist, wie man darin je einen Gott erkennen und mehr als ein Jahrhundert daran festhalten konnte. Diese Signalisierung einer Notlage engt aber die Wahlmöglichkeiten für „Glühauge” ein - und läßt daran denken, wie im Völundlied die Königin vor dem Blick des Helden erschrickt: „Seine Augen gleichen dem gleißenden Wurm” (Str. 17 nach Genzmer). Das signalisiert hier die drachengleiche Wut des seines Hortes beraubten und versklavten Meisterschmieds, der daraufhin auch noch gelähmt wird. Und so könnte auch hier statt der Wut Wodans oder Thors ohnmächtige Wut gemeint sein, die der Not entspringt. Alles weitere hängt von der Deutung der folgenden Zeichensequenz ab. Die Alternative zu Bugges Deutung ist, uïurgR als eine glïaugiR analoge Personenbezeichnung aufzufassen. Das hatte schon Henning 1889 angenommen (freilich RE. URGZ gelesen), und dazu kann man auf dem Brakteaten Seeland II hariuha haitika: farauisa vergleichen, wo zwei analoge und auch lautähnliche Benennungen aufeinanderfolgen. Das legt also die Annahme eines Kompositums uï urgR nahe. Für das Erstglied kann Bugges Zurückführung auf *wīh- beibehalten werden.. Mit der Lesung auch des zweiten u als [w] ergibt sich [-wrgR], womit das zweite Glied unschwer zu *wargaR ergänzt werden kann - um die Ergänzung von Vokalen kommt man ja bei keinem Deutungsversuch herum, und glïaugiRu vor dem Männlein ist so groß geschrieben, daß für die Fortsetzung hinter ihm nur sehr wenig Platz blieb: Das erklärt diese Verkürzung. Von einem dritten Wort fand gerade noch der erste Buchstabe l Platz. Das germanische *wargaz ist zuerst um 470 latinisiert als uargus in einem Brief des Bischofs Apollinaris Sidonius von Clermont belegt, mit der Erklärung hoc enim nomine indigenas latrunculos nuncupant (Jacoby 1974, 31). Es hat sich zu einem überaus negativ aufgeladenen Wort entwickelt, wie die christliche Stabreimdichtung zeigt: Im altsächsischen Heliand ist Judas, der sich selbst erhängt, ein uuarg an uurgil (v. 5167), im althochdeutschen Muspilli der Antichrist der uuarch (v. 39), und im altenglischen Beowulf Grendel, der Nachfahre Kains, ein heorowearh hetelic (v.1267). Dagegen wird in Maxims II der Warg schroff dem Weisen kontrastiert und ist nichts als ein Verbrecher: Ā sceal snotor hycgean ymb þysse worulde gewinn - wearh hangian, fægere ongildan þæt hē ǣ r f ācen dyde manna cynne. (v. Das dem Beleg bei Sidonius zeitlich nahestehende Kompositum [wê-w(a)rg(a)R], dem ein altnordisches *vé vargr entsprechen würde, dürfte etwa „Tempelräuber” bedeuten. Es ist einigermaßen verblüffend, daß die Glieder dieses Kompositums in einer Stabreimformel wiederkehren, die in den skandinavischen Sprachen noch fortlebt. Belegt ist sie als vargr í véum schon am Beginn der Völsungasaga: „Da kam es aus, daß Sigi den Knecht erschlagen und den Ermordeten versteckt hatte, und man nannte ihn Wolf an der Weihestätte, und er durfte jetzt nicht in der Heimat bleiben bei seinem Vater”. Vergleichbar erscheint ‚Elefant im Porzellanladen’. Es handelt sich also um eine brandmarkende Metapher, bei der vargr aber eher die Bedeutung „Unhold” als „Räuber” oder die nur nordische Bedeutung „Wolf” haben dürfte (vgl. Jacoby 1974: 118f.). Der Sinn ist daher nicht der gleiche, aber ein Zusammenhang wird zwischen diesen Wortverbindungen wohl schon bestehen. Und vé hat in beiden Fällen steigernde Funktion, den schlimmstmöglichen vargr bezeichnend. Auch diese zweite Benennung läßt sich auf das Bild beziehen, obwohl sie in eine Richtung führt, die dem oben angestellten Vergleich mit Völund genau entgegengesetzt ist. Auch „Tempelräuber” kann aber die dargestellte Notlage erklären, als Folge des Verbrechens, so daß die Wut ohnmächtig bleiben wird. Und darüber hinaus legt es eine Deutung für die acht das Männlein umgebenden und vollkommen seinem Auge gleichenden Kreise nahe: Goldmünzen, die das geraubte Gut veranschaulichen, während der Räuber zumindest seiner Kleidung beraubt ist, vielleicht auch der Nahrung: Soll er etwa inmitten des Goldes erfrieren und/oder verhungern? Aber womöglich signalisiert die linke Hand nicht Schamgefühl, sondern einen noch empfindlicheren Verlust: Qui fanum effregerit, et ibi aliqid de sacris tulerit, ducitur ad mare, et in sabulo, quod accessus maris operire solet, finduntur aures eius, et castratur, et immolatur diis, quorum templa uiolauit (Additamentum 11 de honore templorum zu der nur in einem Druck von 1557 erhaltenen Lex Frisionum). Wenn diese Bestimmung so zu verstehen wäre, daß der offenbar auch entkleidete Tempelräuber nicht getötet, sondern vom Blutverlust geschwächt der Flut – und damit „den Göttern” - überlassen wurde, wäre die Strafe ähnlicher. Aber das Ohr des Männleins ist jedenfalls nicht gespalten. Der Brakteat Nebenstedt I steuert also tatsächlich etwas zu unserem Bild von der Religion des Nordens in der Völkerwanderungszeit bei, aber sozusagen im Negativ. Wie paßt nun diese Deutung von Bild und Beischrift zu dem, was wir von den Brakteaten wirklich wissen? Sie beginnen mit Imitationen „römisch. Goldmedaillons des 4. Jhs., die als kaiserliche Ehrenzeichen ausgegeben wurden” (Düwel 2001: 44), und sind so erst einmal Zeugnisse für die nachhaltige Wirkung dieser Vorbilder und damit auch für das Bild, das sich die Stämme im hohen Norden vom Kaiser machten. Und man darf annehmen, daß auch die kaiserliche Vergabepraxis imitiert wurde. Eine Inschrift wie uiniR ik „Freund (bin) ich” (Sønder Rind, mit einem äußerst kruden Kriegerbild) erklärt sich so - und nicht als Kundgebung Odins (Ellmers 1970: 226 und Düwel 2001: 49) - am einfachsten. 12 Und dazu paßt das öfters belegte laþu „Einladung” und tawol aþodu = tawo laþodu auf dem Brakteaten Trollhättan-A (Düwel 2001: 48, Abb. 6a, mit atypischem π) an, wo „ich mache” einer Ableitung vorausgeht. Er zeigt das noch dem Kaiservorbild nahe Brustbild eines Mannes, der in der erhobenen Hand eine Münze oder einen Brakteaten halten dürfte. Die Deutung, daß hier „ein Brakteat, wie die Darstellung zeigt,” der „Herbeiholung seiner tiergestaltigen Helfer” durch Odin diene (Düwel 2001: 47), kann sich nur auf deren Fehlen berufen. Noch klarer auf eine solche Vergabepraxis weist die angelsächsische Inschrift auf dem frühen, von Hines um 475 datierten Brakteaten von Undley (Suffolk). Er kombiniert Vorder- und Rückseite eines Medaillons und zeigt den behelmten Kopf der VRBS ROMA - aber mit Bart - über der Wölfin mit den Zwillingen. Auf drei Binderunen folgt hier reimend mægæ· medu „dem/der Verwandten Lohn” (Hines–Odenstedt 1987: 78f. und ebenso Eichner 1990: 316). 13 Damit dürfte mehr als einem Verwandten ein solcher Brakteat zugedacht gewesen sein. Odenstedt dachte an ein „ancient equivalent of the modern mass-produced inscribed medals, congratulatory cards, etc.”. Und Haucks zentrales Postulat einer Umfunktionierung der Kaiserportraits zu Wodanbildern ist alles andere als plausibel. Denn der „für Kunimund” hergestellte Brakteat Tjurkö I ist in dem Vers wurte runoR an walhakurne mit der Kenning „Welschenkorn” bezeichnet (Düwel 2001: 51f.), die erst verständlich wird, wenn man sie auf den beim Antritt des Konsulats Goldmünzen in die Menge werfenden Kaiser bezieht. Sogar die viel späteren Heldenlieder kennen noch diesen Ursprung des Goldes: Die Schätze Gunnars im Alten Atlilied sind kominn ór hǫll Kiárs (Str. 7 am Ende der Aufzählung), und im Hildebrandslied ist mit cheisuring sogar ein pfundschweres Kaisermedaillon erinnert: Aus ihm sind die Armreife des Helden gemacht, die er vom Hunnenkönig bekommen hat und nun seinem Sohn bi huldigeben will: Eine Vergabekette, die zeigt, daß es nicht auf den Materialwert ankam, sondern auf das im Gold materialisierte Prestige, das letztlich vom Kaiser ausging. Der sollte ausgerechnet in der die Völkerwanderungszeit nicht überdauernden Brakteatenmode vergessen und verdrängt worden sein? Ein so schroffer Traditionsbruch ist unwahrscheinlich. Es soll nicht bestritten werden, daß auf den Brakteaten ausnahmsweise ein Gott wie Tyr vorkommen kann und daher vielleicht auch Odin zu erwarten wäre. Seiner Identifizierung steht aber gerade der Höfler-Haucksche Wodanismus im Weg, der Wodan oder wenigstens einen Wodan-Bezug überall sehen wollte und damit blind für Unterschiede und alles andere war [Unsinn: Odin tritt in den Brakteaten-Ikonographien unzweideutig auf]. Und man sollte schon damit rechnen, daß auch ‚germanisierte’ Kaiserbilder noch als Kaiserbilder aufgefaßt wurden. Auf dem Brakteaten Nebenstedt I tritt jedoch an die Stelle des Kaisers ein Schurke, der Tempelgold geraubt hat und dafür leiden muß. Gemeinsam ist ihnen der Goldbezug, aber ein stärkerer Kontrast ist nicht denkbar. Ein so ungewöhnliches Motiv kann auch erklären, warum hier die Inschrift das Bild erläutert. Ohne sie könnten wir den Sinn des Bildes auch gar nicht erkennen. Und ein solches Motiv läßt sich als apotropäisch verstehen, vergleichbar mit dem auf Brakteaten öfters belegten ‚Formelwort’ alu, dessen apotropäische Funktion „alu dem Missetäter” am Ende der Inschrift auf der Steinplatte von Eggja (Düwel 2001: 41) erweist. Stattdessen erscheinen hier der Missetäter und sein Schicksal selbst. Das dem goldhütenden Drachen vergleichbare „Verschlingungsungeheuer” (Hauck) der zahlreichen D-Brakteaten könnte die gleiche Funktion haben, indem es die Verschlingung des Missetäters - und nicht die Odins - veranschaulicht. Der leidende Schurke dürfte damit ein in die Brakteaten-Ikonologie und - Phraseologie passendes Motiv sein. Zugrunde liegt „Glühauge Tempelräuber - l” und dem Bild vielleicht eine Sage, die von Goldgier und ihrer Bestrafung handelte wie später das Völundlied, das Alte Atlilied und der Waltharius. Darin kann man auch eine Konstante fassen, die über die Völkerwanderungszeit hinausreicht: Goldgier war natürlich auch bei den noch lange heidnischen Germanen im Norden verwerflich, und der Waltharius unterscheidet sich von den altnordischen Liedern nicht in diesem Punkt, sondern vor allem im Verzicht auf ein Rachemotiv. Die Rückkehr zur Lesung g führt also nicht nur zu einer neuen Deutung der Inschrift und des Bildes, sondern ergibt auch eine auf den Brakteaten meines Wissens bisher nicht vermutete Bildfunktion. Der Brakteat Nebenstedt I bezeugt weder Thors Runenweihe (Bugge) noch eine Runenweihe Wodans (Ellmers, Hauck und Düwel), sondern bietet das Schreckbild eines Warg, das die Folgen der Goldgier ausmalt. Die Deutung der Brakteatenbilder und -Inschriften bleibt freilich ein riskantes Geschäft an der Grenze unserer Verständnismöglichkeiten. Sie sind uns nun einmal ferner und fremder als ihre römischen Vorbilder, und daran wird keine Anstrengung etwas ändern [Unsinn: Karl Hauck hat uns die Verständniswege geliefert !]. Es wäre daher auch notwendig, sie nüchterner zu betrachten, statt ihre „religionsgeschichtliche Bedeutung” als „außerordentlich hoch” zu veranschlagen (so abschließend Düwel [der - wie Schürr - zu oft christlich-tendenziös die heidnischen Verständniswege zu unterlaufen und zu irritieren bestrebt ist] 2001: 55).