Entzünden des heiligen Notfeuers in Russland der germanischen Waräger
 
ZEITRAUM DER RUNE
 
Wenn die hundligen Tage brennen und sengen,
die Lüfte mit giftigen Gasen zu mengen,
unter Dürre die Wiesen und Weiden darben,
im gärenden Gluthauch die Gräser erstarben;
in der Hitze Hardt wie Heide schmauchen
und sehrende Seuchen die Herden umhauchen;
über schwelende Sennen die Schwaden wehen,
seichte Wasser in stinkenden Tümpeln stehen;
aus den Sümpfen Fäulnis und Fieber steigen,
im Farnkraut die Fiedeln der Kobolde geigen;
die Halme des Bösen die Häupter erheben,
der Lolch, das Tollkraut, zur Blüte streben;
die Nacht erfüllt ist von neckenden Stimmen
und unsteter Lichter grünlichem Glimmen;
wenn Raupen sich ringeln und Würmer winden,
Schaber und Schänder zum Fraße finden;
wenn Läuselegionen am Lattich sich laben,
im Garten gar garstige Gäste graben;
wenn gute Gewächse pfleglicher Pflanzen
Milben und Motten und Maden umtanzen,
scheußliche Schädlinge schwärmen und schaffen,
die Frucht allen Fleißes an sich zu raffen,
dann herrscht des Hundes barsches Gebot,
der Sirius sendet die Hochsommer-Not.
Dann ist selbst das Feuer faulig und fad,
weil es keine Kraft mehr zum Atmen hat.
Vom Hausherd hebt es sich matt und müde,
schwach schnauft es aus dem Schlot der Schmiede;
es flattert so träge um Töpfe und Tiegel,
ein greisenhaft kraftloses Flammengeflügel.
 
Zu dieser Zeit, - der Mond ist verschwunden,
jetzt wird das Licht von neuem gefunden;
jetzt soll auch das Feuer erneut erwachen;
ein jungfrisches Feuer woll‘n wir entfachen.
Die alten Flammen, von Freveln beschmutzt,
sind erschöpft, verbraucht, sind abgenutzt.
Wären sie just wieder wie ein Kind so rein,
sie würden wohl bessere Diener uns sein.
Soll rasch aus der Not doch ein Neues werden,
erstickt alle Gluten auf Essen, auf Herden.
In Tempeln, auf Türmen, in Halle und Haus
löscht die blinden, blassen Brände nun aus !
 
 
Nothfeuer-Bock der heidnisch-slawischen Gruppe Bilitsa
 
Im heiligen Hain, auf reinem Rasen
woll‘n wir das frische Feuer erblasen.
Der Parawari, des Weihetums Hüter,
Ganerbe uns‘rer gelobtesten Güter,
der wissende Weise, fähige Vater,
der rische Reime- und Runen-Errater,
er hebt den Blick, um Stille zu bieten,
denn Ruhe herrscht bei den heiligen Riten.
Er hebt die Hand zum herrlichen Nagel
auf hoher Stange, dem züchtigen Zagel.
Nun treten die Jünglinge beide heran,
Zwillingsbrüder aus stolzem Stamm.
Drillstricke, die sie in Händen führen,
sollen die Glut aus dem Holze schüren.
 
Aus dem Erdgrund raget der Eichenpfahl,
in des Balkens Mitte des Bohrers Mal.
Ein Stab wird hinein- und hindurchgeführt,
als Brennwinde weifend herumgeführt;
die Feuerschnüre fliegen und fauchen,
das haspelnde Holz beginnet zu rauchen;
den drillenden Brüdern perlt der Schweiß,
da springt das erste Flämmlein leis‘.
Der Paravari mit versunk‘nen Geraun‘
harrt im verklärten, tiefsinnigen Schau‘n.
Seinen hellen Augen ist alles kund,
sie sehen der Gottheit geheimen Grund.
Er streicht seine grauen Zöpfe zurück,
greift nach dem Harz- und dem Zundelstück;
beugt sich mit sorgender, bergender Hand,
dann hat er gebunden den neuen Brand.
Der schiere Schein ist unschuldig rein,
er wird das Land aus der Not befrei‘n.
Ein breiter Brandstoß ist rasch entzündet,
des Notfeuers Nutzen von neuem begründet,
Keime der Krankheiten möge es fressen,
holt Glamme und Gluten auf heimige Essen,
treibt eure Tiere dreimal zusammen
durch ausgebreitete, niedere Flammen;
reinigt räuchernd mit brennendem Scheit
die Häuser, die Ställe, die Felder weit.
So werden wir sicher Siechtum und Seuchen,
des hohen Sommers Sorgen, verscheuchen.
 
Die fünfzehnte Rat-Rune ist zu verstehen:
Sie rät, das Notfeuer jetzt zu erdrehen,
zur richtigen Mondzeit, „nach sunewenden“,
sollt‘ sich das Mittsommerfeuer vollenden.
 
Zum ersten Neumond nach Sommerwende
erfolgte die Reibung der Feuerspende.
Heilende Flammen und rettender Rauch,
das „nod-, nied-, needfyr“, ein uriger Brauch.
 
Er wurde verboten, verketzert, verdammt
und wieder und wieder von neuem entflammt.
Zwar wurd‘ es entzündet gegen die Not,
da Siechtum des sengenden Sommers droht;
 
doch Not nur war niemals des Wortes Same,
Nutzfeuer wär‘ sein verständlicher Name.
Eine „Notrune“ ist diese fünfzehnte nimmer;
sie sendet notwendenden Nutzenschimmer.
 
Das Runenlied lehrte die Sinnverkettung,
da ist sie, ein „Mittel zu Hilfe und Rettung“.
Und wer sie ins Trinkhorn eingeritzt,
fühlte vor giftigem Trank sich geschützt.
 
Auch nach Wortbefund erscheint es uns klar,
dass das Arge nicht Ursinn der Rune war.
Das keltische „hnod“ heißt „Heiliges Feuer“,
dies erklärt das runische Urwort getreuer.
 
Notfeuer stammt aus „hniodan“ = reiben;
ein Heiliges Reibefeuer soll es umschreiben.
Jene Not ist gemeint, jener Druck und Drang,
der erzeugt wird vom zwingenden Feuerstrang.
 
Aus gewaltigen Notzwanges wallender Kraft
erwirkte die Notfeuer-Genossenschaft,
den „Heilnot“, wie Saxnot, den Menschengenoss,
dem Holze entfahrender Flammenspross.
Doch aus richtigem Reiben mögen sie stammen,
die „notwendig“ „genötigten“ Reibeflammen.
 
Die Notwende-Rune, was zeigt ihr Gebild‘,
die Senkrechte, Waagerechte führt sie im Schild.
Die Schräge, vom hölzernen Ritzgrund erzwungen;
das Bild ist dem schlichten Kreuze entsprungen.
 
Die Senkrechte steht als des Mannes Mal,
es weitet sich waagerecht des Weibes Tal.
Aus männlich-weiblichem Kreuzungspunkt
wird das kindhafte Feuer herausgefunkt.
 
Die Reibehölzer, das harte, das weiche,
der Run‘-Meister meinte wohl Birke und Eiche,
sie stehen als Sinnbild für Weib und Mann,
dem lebenserhaltenden Zweier-Gespann.
 
Die weibliche Sieben, die männliche Acht,
zur Fünfzehn sind sie zusammengedacht.
Darin geistert die Sechs, der Gesamtheitssinn,
Vereinigungsfreude und Leben-Gewinn.
 
Die Vierzehn gab Tod, - Fünfzehn gibt Leben;
unendlich die Folge: Versinken - Erheben.
Zerspaltene Einheiten stehen selbander, -
still weigen die Jünglinge „gegeneinander“.
 
Zwillinge zwingen im Notzwang die Lohe,
die frische, die rische, die rettungsfrohe.
Zwei Hölzer aus einem ureinigen Ganzen,
vereinigte Leiber im twirlenden Tanzen.
 
Und dann springt der Ton, der Feuer-Pfeil,
gekreuzigten Urleibs erlösendes Heil.
Die Kreuz-Rune, Not-Rune, Heil-Rune ist
die Liebeszwist-Rune der Zauberlist.