Nertha-Umzug mit dem Kuhgespann
 
ZEITRAUM DER RUNE
 
Jetzt erwacht die Erde aus trübem Traum,
mit Knospen rüsten sich Busch und Baum.
Die weißen Birken, sie biegen sich mild,
uns‘rer heimischen Göttin natürliches Bild.
Ihre Stämme so hoch, die Äste so schlank,
wie germanische Maiden so rank und blank.
 
Die Jungfrau Erda, die Nerthus, die Gerda,
Frija-Frigga, Frau Holde, Bechta und Hertha,
da liegt sie umworben im lockenden Licht,
das ihr bräutliche Blütenkränze verspricht.
 
Es begehrt sie der Herr, der Himmelsgemahl,
unser göttlicher Vater im sonnigen Strahl.
Der Namen sind viele für Sie und für Ihn,
sie kommen, sie steigen und sinken dahin:
 
Aramati, Aditi, Kubaba, Isis, Libera, Ischtar,
Artemis, Demeter, Rhea, Herecura und Hera.
Doch in Germaniens Gauen galt für gewiss:  
All‘ die gottlichen Gaben gibt Garmangabis.
 
Sieben Himmelsflüsse fließen hernieder,
der einen Göttin verschwisterte Glieder;
aus den unversieglichen Brüsten so prall,
mit säugendem, nährendem Wogenschwall.
 
Sie heißt die Feuchte, Reine, Unbefleckte,
die in drei Sitzen siebenmal Versteckte.
Sie ist in Erd-, Zwischen- und Himmelreich,
da sind sich altarische Göttinnen gleich.
Denn der Erdkörper galt als siebengeteilt,
der Himmel von sieben Planeten durcheilt.
 
Die kreisenden Sterne wie kleinode Steine
schmücken die Schöne, die Frohe und Feine.
Sie mögen den Erdleib der Mutter umrahmen,
ein blinkendes Brustband: das Brisingamen;
 
das war schon der Steinzeit-Göttin Gebot,
von funkelnden Flammen lieblich umloht.
Die kosmische Königin trägt diesen Kranz,
der himmlischen Helligkeit heiligen Glanz.
 
Ob Zirbel der Sterne, ob Nordlichts Zier,
mit der Glanz-Glut erwirkte ein Juwelier
den ewigen Halsschmuck der ewigen Hohen,
und sollten auch Tiefel und Trolle drohen.
 
Als des mächtigen Mütterchens Seelenbild,
die sieben-sternig strahlende Bärin gilt.
Die nächtige Königin im nördlichen Kreis,
der prangenden Göttin sei Lob und Preis.
 
Es sangen manch' andere Mären und Sagen
vom Frauen-, vom Frigge-, vom Herrawagen.
Es war Ahnung und Anschauung der Antike:
In der Großen Bärin, da haust die Helike.
 
Mit spröder Strenge geruht sie zu rechten,
ihre Haare fallen als feuchte Flechten.
Schlimme Schauer sendet sie über die Saat
gleich der Göttin Hreda des Hredmonath.
Den Retmonat-Märzen regiert sie noch rau,
die frühe, allgegenwärtig waltende Frau.
 
Noch ist sie die Kühle, jüngferlich Spröde,
arm liegen die Auen, schlicht und schnöde.
Noch hat kosmische Königin keuschen Sinn,
geh‘n auch streichelnde Strahlen über sie hin.
 
Noch tappt die bräutliche Bärin im Traum,
die Artemis hält sich gar züchtig im Zaum.
Noch flieht die Hinde den feurigen Hirsch,
der Herr jagt die Jungfer auf der Pirsch.
 
Befruchtung ist im Lenzmond der Bärin Los,
zum Herbst hält die Artio Früchte im Schoß.
Die Bärmutter, - Sinnbild gebärender Erde,
gleicht gebender G-Erda, dem Ewigen Werde.
Durch die B-Rune sagt uns der Runenvater:
Im März liegt die Mondzeit der Magna Mater !
 
Sie ist die Zeit, die alles entscheidet,
von sieben hüllenden Schleiern umkleidet.
Sie zieht im Gesetz vom Siebener-Schritt
die pulsierenden Körper der Schöpfung mit.
Es atmet das Leben,
im Senken und Heben,
die leuchtende Luna im Füllen und Leeren,
die Leiber der Mütter im Mindern und Mehren.
So muss es den Kräften der Sieben gelingen,
Leben im regelnden Rhythmus zu schwingen.
 
Am Eingang zum vierten Jahrrunen-Mond,
im dritten Monat das Welt-Weib thront.
Noch ist es in frischer Frühjahres-Zeit
die minnige Meyja, das Mädchen, die Maid.
 
Sie verliert ihr Magdtum in dieser Frist,
der runische Schoß noch verriegelt ist.
Noch ähnelt die Amme von Zeit und Raum
dem jugendlich Blanken, dem Birkenbaum.
 
Sein Laub, seine Äste machtvoll beladen
mit göttlicher Gegenwart heiliger Gnaden,
der natürliche Träger von Friggas Numen,
dieser weihe nun Weiber wie Ackerkrumen !
 
In Birken mochte man sinnverwandt schauen
die schimmernde Hoheit der nordischen Frauen.
Doch die göttliche Meyja - die Frigga - war
„Ragende Birke des Goldschmucks“ allda.
 
Sie durfte deshalb, in einstigen Tagen,
ihren Beinamen Verkana-Berkana tragen.
So muss denn die redende Rune der Reinen
im weißen Gewande der Birke erscheinen.
Da im Lenzing die lautere Göttin wohnt,
heißt sein hehrer Name auch Birkenmond.
 
 
Waschung der „Göttin“ im Herthasee der auf der Halbinsel Jasmund liegt,
im Nordosten der Insel Rügen.
 
Sieben Stämme, verschworen zum Kultverband,
verehrten die Nerthus im nordischen Land.
Hinter Fleet und Fenn, fernab vom Verkehr,
dort im heiligen Hain einer Hallig im Meer,
lag der gütigsten Göttin Lache und Laube,
galt doch der Goden Gebot und der Glaube,
dass die Fruchtbarkeits-Mutter im frühen Jahr
dort im heimischen Kultbild zugegen war.
 
Dann zog ihr Karren, mit den Kühen bespannt,
durch die sieben Gaue, über Sennen und Sand.
Wo ihr Bildnis erschien, vom Tuche verhüllt,
da hat sich ihr sprießender Segen erfüllt.
Dieser Auszug und Umzug der Wachstumskraft
galt als wählige, erweckende Wanderschaft;
Hochzeit der Höchsten, als Weltenweihung,
ein fröhliches Fest der Findung und Freiung.
Kehrt‘ die Göttin heim zum trauten Gestade,
ward sie wieder die Reine im heiligen Bade.
 
Wie steinalt die Göttin mit Rind und Wagen,
das mag uns das Steingrab von Züschen sagen.
Lebt der Großstein-Göttin Gedächtnis-Gehalt
durch verrinnende Zeiten in Runen-Gestalt
Ein Schulter-Brust-, ein sinnschweres Schild,
scheint der Dolmen-Mutter verdichtetes Bild
Schon verquickt mit altheiliger Sieben-Zahl,
einstmaliger Denkart noch deutbares Mal ?
 
Wer vermochte dies Urzeiten-Zeichen verstehen,
was war auch noch übrig, daraus zu ersehen ?
Ob Erdmutters Berge ? ihr Busen ? ihr Bauch ?
ob zusammengeschaut unter mythischem Hauch ?
Gewiss hätt‘ der Runen-Erzieher gezagt,
um des Erdmutter-Zeichens Ursprung befragt.
So ward es von Schulen der Weisheit gewiesen,
als würdiges Sinnbild der Mutter gepriesen.
 
Unsrer Großen Mutter ward ewig gedacht
zum Zeitpunkt der Heiligen Hochzeitsnacht.
Wie der Runenverkünder ihn redlich setzte,
die Verfassung der Vorfahren nicht verletzte,
so muss noch heut‘ der Kalender walten,
den „Liebfrauentag“ im Gedächtnis behalten.
Auch weist auf die einstige Ebennacht hin,
die Jungfrau Gertrud als „Erste Gärtnerin“.
 
„Frühlingsbotin“ heißt sie und „Sommerbraut“,
dem lichtlängenden Lenzo wohl angetraut.
In GERTRAUTS Gestalt, unter ihrem Gewand,
geht die germanische Göttin durch‘s Land !
Dieser Ahnung waren die Ahnen auch inne
und tranken für sie die „Gertruden-Minne“.
Denn scheidende Seelen, ob selig, ob arm,
einst wiegt sie die wirren Wanderer warm.
Eine Nacht findet jeglicher Rast und Ruhe,
den Dürftigen schenkt sie die Totenschuhe.
 
Die Gerda gleicht Gertraut, der Gärtnerin,
zugrund‘ liegt der Erdgöttin Sein und Sinn.
Die mütterliche Erde, die weibliche Nacht
ward zur Frühlingsgleiche zusammengedacht
mit dem Himmelsvater, dem herrlichen Tag,
der dem Weib seinen Willen verkünden mag -,
den Befruchtungswillen, den Erweckungsgeist,
der im Sonnenstrahl jetzt die Erde umkreist.
Der dringt in den Schoß der Mutter hinab
und ruft das Leben aus Schlummer und Grab.
Wie die eiserne Pflugschar die Furche zieht,
wie der zuckende Zagel, - das göttliche Glied,
so brennet begehrlich das Eisen im Acker,
da mischen sich Mächte, wählig und wacker.
Es sehnt sich der Herr nach seliger Rast,
mit Gunst lädt die Gerda den Gatten zu Gast.
Die Verkündigungsfeier ist Friggas Freien,
das Erdweib erwartet die himmlischen Weihen.
Die verdrängen die Dauer der Dunkelheit,
und die Menschen beenden die „Lichtarbeit“.
 
Nun endet des Lichtkarzes Kammergekunkel,
munt‘rer Maiden und Muhmen Rockengemunkel.
Spinnrad und Spindel steh‘n wieder stille,
dafür wirbt Frau Friggas Wunsch und Wille.
Im Kalender hält sie die Kunkel in Händen,
als meldendes Merkmal der Frühlingswenden.
Frühlingswind klopft an die Fensterläden,
den Mägden zerfasern Mäuslein die Fäden.
Der Winterweile Werke, - vorbei und gewesen,
durch Spinnstuben fahren jetzt Fegebesen.
Fort mit den Flausen um Funzel und Faden,
die Luft ist von lockenden Düften beladen !
 
So wie es dem liebenden Herrgott gefällt,
lenkt der Hausvater seinen Pflug zum Feld,
holt der Bauer das brünstige Eisen ins Licht,
damit es die Scholle, - den Erdenschoß bricht.
Wenn die erste Pflugschar den Boden umbrach,
das benannten die Ahnen „Plooch Frigge Daach“.
 
Sank erstmals der eherne Phallus ins Land,
dann fuhr er mit lieblichen Maiden bespannt.
Dann ward er gezogen, den Zauber zu zwingen,
von frohen Frauen die Fruchtbarkeit bringen.
Der Schar schritt voran im Frührotscheine
eine blendend Entblößte, so Ranke, so Reine.
In jeder frischen Fraue lebt Friggas Bild,
vom Weib wird des Werdens Sehnsucht erfüllt !
 
Den Karren der Nertha zieh‘n heilige Kühe,
Gerda-Gertrud, die Frigga, feiert die Frühe.
Boten des Frühlings durchreisen die Lande,
Kräfte des Aufbruchs zerreißen die Bande.
Schmelzbäche schwemmen von Bergen zur Börde,
schon kreuzen die Kiele auf eisfreier Förde,
streichen schimmernde Segel über den Sund,
macht der Kuckuck das kecke Kommen uns kund,
rauscht die Wildgansrotte mit rauem Schrei
auf der Wanderfahrt Richtung Norden vorbei,
strebt der Kranichzug in die Heimat zurück,
folgt den Lichtverkündern leuchtendes Glück.
 
Erscheint dann die Gottheit licht-übergossen,
wird ihren Schritten das Leben entsprossen.
Gleicht die Urmutter Berta im blanken Glanz
nicht selbst der weißen, wandernden Gans ?!
Wo ihr Vogelfuß fordernd die Fluren berührt,
wird das Wachstum der Wiesen heraufgeführt.
 
Die Tage dehnen sich hoch in den Himmel,
zum Zenit jagt der Zeiten schierer Schimmel.
Die Welt wird nun weit im großen Beginnen, -
das Jahr holt kraftvoll den Atem nach innen.
Über Hügel und Heiden fährt herb der Hauch,
er schüttelt die Kätzchen am Haselstrauch.
Die strotzenden Stürme segnen die Saaten,
die Frucht aller Felder wird vollauf geraten.
In den weihenden Winden wiegen sich wieder
des Lenzmondes wilde, verlangende Lieder.
 
Mit den luftigen, weither fahrenden Wogen
kommt von milden Fernen die Schwalbe gezogen,
das „Vöglein der Mutter“, - das Frühlingskind,
uns‘rer Göttin glückspendendes Angebind‘.
 
Vor Blitzgefahr schützt sie und mancher Not;
doch wer sie vertreibt, dem bringt es den Tod.
Schwalben melden das End‘ der Beschwerden,
wie der Himmel sich zeiget, wird es auf Erden.
 
Im Morgenlicht strahlet auf kosmischer Stirn
der Schwalbenfisch, - das Schwalbengestirn.
Hier im „Fische-Haus“ ist die Mutter daheim,
das ruft auch der redliche, runische Reim.
 
Das Schwälbchen heißt „Muttergottesvogel“,
zum Muttermond kehrt es vom Himmelskogel
zur irdischen Heimat, dem heimischen Nest,
dort lässt es nach sieben Jährlein den Rest,
ein köstliches Steinchen bleibt dann zurück,
und wer dieses findet, der fand sein Glück.
 
Ein niedlicher Nützling dem Mütterchen gilt,
sieben Punkte trägt er auf rotem Schild.
Als elbisches Botenvöglein ist er bekannt,
Freyuhoena, - Friggekälbchen einstens genannt.
 
Und wurde ein kleines Herz einmal schwer,
verstand es die Fragen der Welt nicht mehr, -
bald saß solch ein Käferlein auf dem Finger,
um die Sorgen zu hören als Überbringer.
 
Flugs flog es hinauf, in die Sonne hinein,
zu Frau Frigga trug es die Herzenspein.
Und die Ewige sandte wohl Antwort und Ruh‘,
Mutter Frigga schließt sämtliche Wunden zu !