Copyright Gerhard Hess / Februar 2017
 
Abb. 1 - Figur am Westportal des Bremer Domes von 18./19. Jh.
 
DIE SONNENSÄULE
 
Die Hauptkirche in Bremen, „St.-Petri-Dom“ geheißen, ist ein Sandstein- und Backstein-Bau, der vom 11. Jahrhundert an über den Fundamenten von Vorgängerbauten nach und nach errichtet wurde. Der brutale Schlächterkönig Karl soll im Jahre 787 einen angelsächsischen Fremdling namens Willehad zum Bischof für die erst zu erobernde Nordregion Wigmodien geweiht haben, so dass dieser im kleinen Ort Bremen sein Hauptquartier aufgeschlagen habe. Eigentlich ein ungeheuerlicher Unrechtsakt. Angeblich soll schon 789 eine geweihte Holzkirche, veranlasst durch genannten Kirchenagenten Willehad, entstanden sein. Diese ist, nach den Schandtaten die die Franken unter „Karl dem Großen“ in Sachsen verübten, von den zurecht aufgebrachten Landesbewohnern 792-799 abgefackelt worden. Die Stiftungsurkunde der von Kirchenseite behaupteten Bistumsgründung von 788 erwies sich mittlerweile als eine der vielen kirchlichen Fälschungen. Das „Bistum Bremen“ wurde formal erst 805 errichtet. Aus der Zeit des Bischofs Willerich (805–835) und seiner Nachfolger sind durch Ausgrabungen im Mittelschiff des heutigen Doms mehrere Bauphasen einer Steinkirche nachgewiesen worden, die in ihrer größten und spätesten Ausdehnung einen dreischiffigen Steinbau darstellte, der mit einer Weihe des Jahres 860 durch Bischof Ansgar in Verbindung gebracht wurde. Um 858 wurde das christliche Gebäude von den mit Sachsen kooperierenden dänischen Wikingern erneut zerstört. Eine dreischiffige Pfeilerbasilika mit zwei Unterkirchen (Krypten), über denen sich Chöre erheben, scheint aus dem 11. Jahrhundert zu stammen. Am 11. September 1041 fiel das karolingische Gebäude, wie auch ein Großteil der übrigen Stadtbebauung, der großen Feuersbrunst des „Bremer Brandes“ zum Opfer. Die heutigen Angaben lauten so, dass die beiden Rundbogenportale an der rechten und linken Seitenwand des Ostchors stammen würden, aus der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts (1060-1100). 1068 wurde die Westkrypta geweiht. Im 13. Jahrhundert erfolgten Einwölbung, Kapellenanbauten und die Errichtung einer Doppelturmfassade. Sie waren ursprünglich die Eingangsportale außen an der alten Westfront des Doms zum Marktplatz hin. An der rechten dieser ehemaligen Eingangssäulen befindet sich die berühmte „Bremer Dom-Maus“ und etwas darunter, auf der Säulensockelecke, ebenso wie die Maus im Fuß- bzw. Trittbereich, die gänzlich unbeachtete Lilie/Dreispross. Beide Sinnbilder gehörten in dieser Zeitspanne, dem zu Überwindenden, dem Dunklen, Heidnischen an. Über den Beginn der hochmittelalterlichen Bauphase gibt es keine Dokumente. Die ersten in dieser Zeit entstandenen Bauteile, waren die unteren Teile der Westfassade und die unteren Geschosse der Westtürme. Als um 1220 die heutige Westfront mit 2 Türmen neu errichtet wurde, versetzte man die beiden Portale ins Innere des Ostchors, weil hier Kapellenanbauten geplant waren. Der also im 13. Jahrhundert vollendete romanische Bau wurde im 16. Jahrhundert schließlich im gotischen Stil umgebaut.
 
Im Mittelpunkt der Westfassade, direkt unter der großen gotischen 16-sprossigen Fensterrosette, findet sich ein Figurenmonument „Karl der Großen“ als Domstifter und darunter wiederum die Figur des Löwen der den heidnischen Drachen an der Kehle gepackt hat (Abb. 1). Über der Rosette, zieht sich die Galerie der 5 klugen Jungfrauen, wobei es sich um Nachbildungen handelt; die echtalten Originale befinden sich im Dominneren, an der Nordwand im Nordschiff. Die erwähnte schöne Rosette wurde 1305 eingebaut. Auf den Fotografien von 1887 sind die eindrucksvollen Löwenfiguren der Westfront noch nicht vorhanden. Am Außenbau wurden zwischen 1890 und 1894 frei ergänzte Nachahmungen für verwitterten Bestandteile eingesetzt. Die Figuren zwischen den Bögen: David, Moses, Karl der Große (mit Gesichtszügen Kaiser Wilhelms I.), Petrus und Paulus, sind alle von Peter Fuchs. Die Skulpturen stehen auf kurzen Säulen, die von Greifen oder Löwen gestützt werden, diese symbolisieren die Überwindung von Habgier (personifiziert durch einen Würfelspieler), Fleischeslust (Bock), Unglauben (Zerstörung der heidnischen Irminsul, mit Bezug auf Kaiser Karl darüber), Falschheit oder Ursünde (Schlange) und Eitelkeit (Schmuck und Spiegel). Diese erste große Domrestaurierung mit Neukonstruktionen und der völligen Ausmalung nach byzantinischem Vorbildern Norditaliens erfolgte bis ins Jahr 1902. Damals sind die Löwenfiguren nach langobardischen Vorbildern geschaffen worden. Die Figur von Abb. 1 hat also keinen wahren Bezug zur Geschichte von Bremen oder Sachsen, es ist eine Fantasie-Schöpfung. Man wollte an den Sieg des karolingischen Christentums über das sächsische Heidentum erinnern, weshalb unter dem Kaiser-Karl-Denkmal der christlich vereinnahmte „Löwe Juda“ dem Heiden-Drachen die Kehle durchbeißt. Der Heiden-Drachen ist besonders datailreich und eindrucksvoll ins Bild gesetzt worden im Steinrelief vom Externstein aus dem 12. Jahrhundert. Dort umschlingt der Drachen - mit überlangem Schlangenschwanz und Schlangenhals - im unteren Bild-Register die beiden Heiden-Typen, links den heidnischen Priester, mit langen Zöpfen, Halsringen, Bocksfüßen und rechts daneben den (geilen) Faun, mit Satyr-Ohren und dem Bocksbart. Unter dem Bremer Dom-Drachen ist der Kopfteil der zerbrochenen Irminsul zu erkennen, die der „eische Karl“ (böse Karl) im Jahre 772 bei der Sachsenfestung Ehresburg-Obermarsberg zerschlagen ließ. Weil sich die ahnungslosen Künstler des 19. Jhs. die Irminsul als Sonnen-Stützsäule vorstellten, gestalteten sie das Säulen-Kapitell als Sonnenbildnis mit Strahlen ums Haupt. Natürlich hat dieses Bildwerk nicht den geringsten Aussagewert über das wahre Aussehen der Sachsen-Irminsul im 8. Jahrhundert. Die Schöpfer des Bremer-Dom-Löwen, der den Drachen mit seiner Sonnen-Kopf-Irminsul überwindet, ließen sich von Künstern wie Alfred Rethel anregen, die schon Mitte des 19. Jhs. die Irminsul als Sonnenkopf-Säule erdachten (Abb. 2). Auf der Malerei von Rethel liegt die Sul rechts unten im Bild auf dem Gesicht, man erkennt aber die Strahlenzacken des Sonnen-Kopfes.
 
Abb. 2 - Alfred Rethel,  Sturz der Irminsul (1839);
Fresko im Krönungssaal des Aachener Rathauses
 
Aus den bronzezeitlichen Felsritzungen Schwedens geht der damalige nordische Sonnenkult mit einer überreichen Fülle von Zeugnissen hervor, denn wir sehen Menschen welche Sonnen-Standarten zum Zwecke von Prozessionen halten, es gibt Sonnen-Kultwagen und Sonnen-Kultschiffe mit großen Sonnenbildern, die fast wie Segel anmuten. Man könnte bei unsensibler Bewertung meinen, dass Sonnen-Standbilder bis zu einem gewissen Grade nichts anderes als Irmin-Säulen bzw. Irminsulen wären. Doch ist mit der germ. Irminsul speziell die Großsäule gemeint, also die Himmels-Tragesäule (germ. irmin = groß / erhaben / mächtig). Hätte es sich bei den Sachsen des 8. Jahrhunderts um kultische Sonnen-Stützen gehandelt, hätte man sie Sol-Säule (solsul) geheißen. Doch der Fuldaer Mönch Rudolf schrieb dazu i.J. 863 in „De miraculis sancti Alexandri“ (Kap. 3) in deutscher Übersetzung: „Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Holzbalken (Baumstamm) von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf Lateinisch Allsäule (,columna universalis‘) bedeutet, welche also gewissermaßen das All trägt.“ Ganz dicht beisammen sind selbstverständlich die Vorstellungen von einer die Sonne zeitweise tragenden oder das Himmelsdach stützenden Kraft-Säule. Wie wir erkennen, gabes im germ. Kultbrauchtum dergestalte Nachbildungen des im Geiste und scheinbar in der Natur Geschauten. Verwechselt dürfen sie von uns Heutigen nicht werden, das eine sind die Sonnen-Säulen, das andere sind die Irmin-Säulen oder Himmels-Säulen mit ihren aufliegenden Sonnenweg-Spiralen ! Der Heimatverein der Ortschaft Irmenseul hat eine neue Irminsul - so irrtümlich wie er es versteht - aufgestellt, was trotz des Fehlers anerkennenswert ist. Die guten Leute schufen keine Irminsul, sondern eine Sonnensäule, nach dem Vorbild der bronzezeitlichen Sonnen-Kultsäulen.
 
 
 Abb. 3 - Bronezeitliche Sonnen-Säule im skandinavischen Felsbild von Backa-Brastad
Abb. 4 - „Irmenseule“ auf dem Romberg bei Irmenseul/Ermensulle
 
Die Irminsul war nach dem Glauben unserer Vorfahren das größte Heiligtum und ist auch bekannt als Weltsäule. Ihre kultischen Sinnbilder standen ursprünglich sicherlich an verschieden heiligen Orten, nicht allein im Sachsenland. Sie waren aus mächtigen Baumstämmen gearbeitet, die an einem heiligen Ort auf einer Bergeshöhe, einer Quelle bzw. in einem Hain aufgestellt waren. Der Ort Irmenseul wurde im Zusammenhang mit den Herren von Steinberg im Jahre 1298 als Ermensulle erstmals urkundlich erwähnt. Nach mündlicher Überlieferung soll eine der Kult-Irminsulen am südlichen Ortsausgang „Gemarkung Heiligen Holz“ an der Bornhöhe gestanden haben. Der dortige Heimatverein hat - wie ich's erwähnte - eine neue nicht ganz korrekte Irminsul auf dem Romberg errichtet. Von dort grüßt sie weit ins Leine-Harzvorland und bis zum Brocken, bei guter Sicht.
 
Nach einer unbelegten Sage hatte Johannes Letzer, fußend auf Einhards Jahrbüchern, geschrieben: „Auf der Hauptfeste der heidnischen Sachsen stand die Irmensäule und auf ihr Hermann der Cherusker in voller Waffenrüstung. Als nun von Karl im Jahre 772 die Irmensäule gestürzt war, schlichen sich die Sachsen nachts heimlich an die Trümmerstätte und vergruben sie später. Im Jahre 882 wurde sie bei Corvey gefunden. Auf Veranlassung Kaiser Ludwig des Frommen (Sohn Karl’s) sollte die Überführung der Säule nach Hildesheim erfolgen. Während des Transports soll es beim heutigen Irmenseul zu einem Gefecht zwischen den Franken und den Sachsen gekommen sein, die ihr Heiligtum zurückerobern wollten. Auf beiden Seiten sollen in dem Kampf um die Säule je acht Mann gefallen sein. Die Franken behielten die Oberhand und brachten die Trümmer der Säule nach Hildesheim. Durch die siegreichen Franken wurde der Ort des Kampfes fortan ,Irmenseul‘ genannt und man errichtete dort zum Gedenken drei Steine, die noch viele Jahre dort gestanden haben.“