Veste Otzberg im Odenwald, das Altheiligtum Othesberg / Odesbrech / Otsperg.
 
DIE MÜTTER VOM ODENWALD
 
Zum Otzberg trug mich mein Wanderschuh,
über staubige Straßen der Höhe zu.
Den alten Odberg begehrt‘ ich zu sehn,
um zu spüren wie dort die Winde wehn.
 
In bessren Tagen, bei Trank und Schmaus,
warn dort die Ritter des Wodan zu Haus.
Sie machten den Odenwald wieder frei,
von den römischen Banden der Sklaverei.
 
Schon sank die Sonne, der Abendschein
goss über die Kuppen goldroten Wein.
Ich ließ mich nieder, vom Schauspiel erfasst
und dämmerte ein, zur unzeitigen Rast.
 
Gestreckt lag ich unter dem Hollerbusch,
rund um mich her ein seltsam Gehusch.
Wie von ferne nahm ich es wahr so kaum,
ermüdet fand ich mich bald im Traum.
 
Da ringten sich Wesen der Wunder reich,
in einem schwerlosen, schwebenden Leich.
Und aus ihrer Mitte rief eine Gestalt:
„Vergiss nicht die Mütter vom Odenwald !“
 
Erschreckt fuhr ich auf, war jäh erwacht,
gewann ein Gasthaus noch vor der Nacht.
Der Wirt dort gab meiner Frage Bescheid,
einen Mütterstein gäb‘ es nicht allzu weit.
 
Bei der Bergkirche Grumbach er sich fand,
verbaut in des Friedhofes Mauerwand,
wo einstmals thronte in Ruhe und Ruhm
ein keltisch-germanisches Heiligtum.
 
Dort droben, über dem Mümling Fluss,
in der Christen Kapelle er harren muss.
Drei göttliche Mütter setzt er ins Bild,
des Ahnenglaubens bezeugendes Schild.
 
Einst hatte das Volk die Mütter erwählt,
die Felder und Wälder galten beseelt.
Kein Loh, kein Lei, keine Lache der Flur
war ohne die Weihe der Mutter Natur.   
 
Und wogte in Wolken des Wodans Heer,
alle Erden waren der Mütter schwer.
Sie hielten die Heimat in Huld und Hut,
sie machten zum Leben und Sterben Mut.
 
Dreimütterstein von Mümling-Grumbach, 2. Jh. n.0.
In rekonstruierter Form in Mauer des röm. „Gutshofes Haselburg
 
Die sog. „Veste Otzberg“ ist eine befestigten Basaltkuppe am Nordrand des südhessischen Odenwaldes, bei der kleinen Gemeinde Hering, Landkreis Darmstadt-Dieburg. Im Osten liegt die Gemeinde Höchst im Odenwaldkreis. Der Siedlungsraum ist seit der Jungsteinzeit (5.500 bis 2.500 v.0) bis in die Hochzeit der Keltenperiode (500 v.0), der römischen Besatzungszeit (bis 260 n.0) und germanischen Landnahmephase (ab 3. Jh.) kontinuierlich bewohnt. Dass es sich beim Otzberg um eine altheilige Od-Weihestätte des Wodan Kultes handelt, geht aus den ursprünglichen Bezeichnungen hervor: 1231: „castrum Othesberg“, 1244: „castellano de odesbrech“, 1374: „Otspergdie burg“, 1690: „Utzberg“/„Otzberg“. Üblicherweise wurden die alten Hauptweihstätten der Volksreligion von den karolingischen Behörden in die Verwaltungshände von Klöstern gelegt, um die dortigen Umerziehungsmaßnahmen an der Bevölkerung vorzunehmen. So geschah es auch mit dem Otzberg, welcher dem nordhessischen Kloster Fulda übereignet worden ist. Der fränkisch-karolingische Hausmeier Pippin der Jüngere (714-768), ab 751 König der Franken und Vater „Karls des Großen“, schenkte den Otzberg, der zum karolingischen Königshof „villa autmundistat“ gehörte, im Jahre 766, „mit Zubehör“, der Reichabtei Fulda. Anfang 14. Jts. gingen dem Kloster Fulda die Mittel aus, deshalb verpfändete Fürstabt Heinrich VI. von Hohenberg im Jahre 1332 die „Veste Otzberg“, sowie den fuldischen Anteil von Umstadt, an einen Werner von Anevelt und Engelhard von Frankenstein, die auf dem Otzberg neue Bauten ausführen ließen. Bestätigt wurde das Rechtsgeschäft vom Mainzer Erzbischof Siegfried III. (1194-1249), gleichzeitig Verwalter der Abtei Fulda, war zugleich Landesherr des Erzstiftes und der Kirchenprovinz Mainz, dazu „Erzkanzler in Germanien und Kurfürst des Heiligen Römischen Reichs“.
 
Der altheilige Otzberg/Od-Berg liegt um 10 km nördlich der Gemeinde Mümeling-Grumbach, die ihre Zusatzbezeichnung vom Fluss Mümling entnahm (frühere Schreibweisen, 798: Mimelinga, 1012: Minimingaha). In der alten Grumbacher Friedhofsmauer war ein Dreimütter- oder Matronen-Relief eingemauert, ungefähr 1,25 m x 1,15 m groß. Man brachte es in das Innere der dortigen Bergkapelle, nicht ohne das Gesicht der mittleren Göttin zu zerstören, in der Annahme, es handle sich um eine Heidin, während ihre beiden sie flankierenden Frauen, wegen deren Turbane, die als christliche Heiligenscheine missdeutet wurden, unversehrt blieben. Man liest dazu: „1841 hat ihn der Erbacher Archivrat Christian Kehrer in der benachbarten Friedhofsmauer entdeckt. Aber die Entdecker deuteten den Stein um. Die halbkreisförmige Kopfbedeckung der drei Matronen erschien ihnen als der Heiligenschein der drei Heiligen aus dem Morgenland.“ Als Sinnzeichen ihrer Funktionen als Fruchtbarkeitsbringerinnen hält jede einen Korb mit Früchten im Schoß. Eine Rekonstruktion des Reliefs kann man auf dem Gelände des wenige Kilometer entfernten „Gutshofes Haselburg“ (röm. „Villa Haselburg“) beschauen. Vom Otzberg aus sind es dorthin nur 8 km. Die Haselburg soll die größte der bürgerlichen Niederlassungen sein, die man bis jetzt im Odenwalde kennt. Bis zum Jahr 1886 ist sie irrtümlich für ein großes Kastell angesehen worden. Das bei der Haselburg eingemauerte, nachgebildete Matronen- der Nymphenbild ist auf Betreiben des Haselburg-Vereins mit einem rekonstruierten Gesichtsbild versehen worden. Interessant ist, dass auf dem Gelände der Haselburg ein Frauengrab mit reichen Beigaben gefunden worden, das aus einer früheren keltischen Besiedlungsschicht herrührt. Der weit verbreitete Mutterkult hat untilgbare Spuren hinterlassen, in Form von Bodenfunden und von Ortsnamen. Die Mütter sind in allen indogermanischen Kulturen nachweisbar, als griechische Moiren, lateinische Parzen und als germanische Nornen. Die Letztgenannten, die Hauptnornen, bezeichnet die Edda als Urd, Werdandi und Skuld, welche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft repräsentieren. Nach dem Mythos sitzen sie  am Fuße des Weltenbaums, am Brunnen der Urd. Mit ihren Spindeln spinnen sie auch die Schicksalsfäden ihrer Menschenkinder, indem sie Länge und Dicke sowie das hineingewobene Glück und Leid bestimmen. Sie sind die Herrinnen über Leben und Tod. In aller belebten Welt sind ihre Mitgöttinnen und Gehilfinnen tätig, die Disen, von denen beispielsweise  der „1. Merseburger Zauberspruch“ berichtet. Der Disen-Begriff hat sich auch hier im Odenwald, im Ortsteil von Höchst i.O., in der Namensform von Dusenbach (1305: Düsmbach) erhalten. In den Lautformen von Disen, Dasen, Dusen trifft sie der suchende Forscher immer wieder an. In etlichen Regionen kannte man die drei Mütter als „drei Beten“: Wilbeth, Bilbeth, Fürbeth, oder Anbeth, Ainbeth, Einbeth und Borbeth, Worbeth, Gwerbeth. Im Verlauf der Christianisierung bemühte sich die Kirche den Mutterkult ins eigne Konzept zu integrieren und adoptierte bis ins Jahr 1968 die altheidnischen Mütter, unter dem Namen „die drei Marien“, als eigene Kultheilige. Aus der Wilbeth wurde die „hl. Katharina“, aus der Anbeth die „hl. Anna“ oder „hl. Margarethe“ und, aus der Borbeth wurde die „hl. Barbara“. Auch unter der Bezeichnung „Anna selbdritt“versuchte die listenreiche Kirche die altgläubige Volksreligion abzupuffern. In der christenkirchlichen Ikonographie verstand man darunter eine Darstellung der „hl. Anna“ mit Tochter „hl. Maria“, mit dem „hl. Jesuskind“ zwischen beiden Frauen. Ein weiterer Übernameversuch geschah mittels der Propaganda für die „Drei heiligen Frauen“ oder „Drei Jungfrauen“: Fides, Spes und Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe). Doch auch die längsten christenkirchlichen Lügenbeine sind einmal abgelaufen und als solche erkannt. Schon beginnen erweckte, junge Frauen sich ihrer altheiligen Würde zu besinnen und die christliche Frauenunterdrückung, mit dem ganzen Wust von Täuschung und Verdrehung, abzuschütteln.
 
 
Älteste Abbildung des Müttersteins von Mümling-Grumbach, aus Max Ihm, „Der Mütter- oder Matronenkultus und seine Denkmäler“,1887
 
Der Matronenkult und der Matronenstein von Mümling-Grumbach
 
(„Die germanischen Mütter, Dr. Koch, 10.05.1936, „Der Matronenstein zu Mümling-Grumbach im Odenwald“, Anita Büttner, OWHZ 5/1977; überabeitet von G. Hess)
 
„In die Mauer, welche den Begräbnissplatz der Gemeinde Mimling-Crumbach im Odenwalde umgibt, ist ein Stein eingefügt, auf welchem 3 sitzende menschliche Figuren, Körbe oder Schalen mit Baumfrüchten vor sich haltend, ausgehauen sind." So schrieb der Geheime Staatsrath Dr. Knapp in seinem Buch „Deae Mairae zu Mimling-Crumbach“ um 1841. Heute ist das römische Matronenrelief in die nördliche Längswand der Bergkirche eingemauert. Steinbildwerke dieser Art gibt es in unserer engeren Heimat zwischen Rhein, Main und Neckar keine weiteren. Man findet sie dagegen sowohl in Baden und im Elsass, besonders am Niederrhein, in Belgien, Frankreich, Britannien und in Rom. Man findet sie also überall, wo die Römer im 1., 2. und 3. Jahrhundert n.0 geherrscht haben. Und ohne Zweifel sind es auch röm. Steinmetze und solche, die in römischen Werkstätten gelernt haben, gewesen, die diese Bildwerke geschaffen haben. Sie sind aber keine römischen Denkmäler, denn wichtig ist nicht, dass sie von röm. Steinmetzen gemacht sind, sondern dass sie allesamt Denkmäler keltischer und germanischer Gottheiten sind, also Zeugen der einheimischen Religion. Die drei Gestalten, die auf anderen Steinen mit Inschriften als „Mütter“ angerufen werden, sind in der röm. Mythologie zwar nicht unbekannt, aber die Römer erstellten ihnen keine Denkmäler. Das ist im allgemeinen anerkannt und betrifft auch die Matronensteine in Rom selbst. Diese sind nämlich alle von kaiserlichen Gardereitern („quites singulares“) in Auftrag gegeben und als Weihesteine aufgestellt worden. Die Reiter der kaiserlichen Garden stammten aus den germanischen und gallischen Nordprovinzen.
 
Unter den vielen Steinen grenzt sich eine Gruppe besonders ab: die Steine vom Niederrhein, zu denen dem Typus nach auch der Grumbacher Stein gehört. Nur diese Gruppe zeigt die Matronen bzw. Mütter mit großen Rundhauben, die gallischen und britannischen Göttinnen sind immer unbedeckt. Wir finden hier also eine besondere germanische Denkmälergruppe vor, was auch mit der germanischen Besiedlung am Niederrhein übereinstimmt. Dasselbe bezeugen eindeutig die in diesen Bezirken häufig angerufenen Mütter, die z.B. die berühmten „matres Germanae Suebae“ (Köln), die „matres Arvagastae“ und die „matres Aufaniae“ in Bonn. Bei Nettersheim fand sich 1963 ein Tempel, der den „Matronae Fachinehae“ gewidmet war und der vermutlich zu einem größeren Heiligtum gehörte, dessen Spuren jedoch bis heute nicht ergraben werden konnten. Münzen und Keramik lassen auf eine Nutzungszeit der Anlage vom 2. bis zum ausgehenden 4.Jh. schließen. Weitere Weihealtäre dieser Fachinehae kamen als Spolien aus einem fränkische Gräberfeld zu Tage, das sich in ca. 1000 m Luftlinie nordwestlich des Tempels auf einer Bergkuppe befindet.

Die „vacellinischen Matronen“ waren mütterliche Fruchtbarkeitsgöttinnen des hier ansässige Vacelli-Stammes. Ihre Aufgabe bestand darin, das Haus, das Feld und die umgebende Natur zu schützen. Die Verehrung von drei Göttinnen ist, nach heute vorwiegender Ansicht, keltischen Ursprungs. Ursprünglich sollten sie an die „Große Göttin“ erinnern, die Macht über Leben, Tod und Wiedergeburt besaß. Ein kultisches Zentrum der Matronenverehrung war Bonn. Laut einem gefundenen Baustein wurde hier um 160 n.0 ein Matronentempel errichtet und im Jahr 164 ein erster, den „Aufaniae“ gewidmeter Stein aufgestellt. Sein Stifter war der Kölner Stadtkämmerer Quintus Vettius Severus. Bei Ausgrabungen unter dem Münster kamen in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts 36 Weihesteine für die „Matronae Aufaniae“ zu Tage, sowie die Reste eines Tempels (Rundbögen, Gesimse und Pilaster). Die genaue Lage der Kulträume konnte jedoch noch nicht lokalisiert werden. Leider geben die Steine selber auch keinen Hinweis zu Aussehen und Größe des Heiligtums. Es scheint aber geradezu als habe das Heiligtum der Bonner Aufaniae, aufgrund der Menge der gefundenen Denkmäler, in jenen schweren Zeiten, wenn nicht als Wallfahrtsort, so doch als Heiligtum mit besonderem Rang gedient.
 
Der Grumbacher Matronenstein zeigt denselben Stil wie die Altäre in Bonn. Es ist ein Zeugnis desselben Matronenkults. Die Bevölkerung an Rhein und im römischbesetztem Odenwald war damals gleich. Sie war oberflächlich römisch, im Kern aber keltisch und germanisch, also gallogermanisch. Im Odenwald wohnten vormals die keltischen Brittonen. Unter römischen Offizieren erbauten die angeworbenen gallogermanischen Legionäre Kastelle und Wachtürme am Odenwaldlimes. Erbauer der Kastelle am Mümlinglimes waren zum Teil keltische „Nemaningensis“. Die Familien dieser Besatzungstruppen wohnten in den sog. Römersiedlungen im fruchtbaren Mümlingtal. Das Grumbacher Matronenrelief zeigt drei frontal nebeneinander sitzende Frauengestalten; jede von ihnen hält vor sich auf dem Schoß mit beiden Händen eine ovale Schale oder einen Korb, gefüllt mit Früchten. Alle drei Frauen tragen die gleiche Kleidung: ein in Falten lang herabfallendes Untergewand, das nur die Fußspitzen sehen lässt, darüber einen um die Schultern gelegten und über die Ärmel herabfallenden Mantel, der über die Brust von einer doppelten Spange zusammengehalten wird. Die Füße der beiden links und rechts sitzenden Frauen ruhen auf einer niedrigen Stufe oder einem Sims; sie tragen große, das Gesicht scheibenförmig umschließende Hauben. Die mittlere Gestalt ist über ihre beiden Begleiterinnen erhoben, da sie auf einer Art Thron sitzend dargestellt ist. Das Gesicht dieser Frau ist abgeschlagen, doch zeigen die Reste, dass sie keine Haube trug wie ihre Gefährtinnen, sondern eine Lockenfrisur, über die ein zartes Tuch oder ein Schleier gelegt war. Die drei Frauen sitzen in einer halbrunden Nische, die über ihren Köpfen in einer muschelartigen Wölbung endet. Als das Relief 1841 vom Gräflichen Erbachischen Archivrat Christian Kehrer entdeckt wurde war es in der Friedhofsmauer bei der Kapelle eingelassen. Die damals angefertigte Zeichnung gibt noch mehrere, heute nicht mehr erkennbare Einzelheiten der Bildhauerarbeit an, als wichtigste rechts vom Betrachter eine Säule mit verzierten Kapitell, die die Nische seitlich abschloss und den Muschelbaldachin über den Frauen trug. Damit ist klar, dass die Frauen in einem kleinen Tempel oder Heiligtum sitzend gedacht waren. Die historische Forschung hat gezeigt, dass Kulttraditionen, die schon in der Antike an einen bestimmten Ort hafteten, oft im Mittelalter, in christlichem Sinne umgedeutet, dort weiter fortlebten, obwohl eine unmittelbare Kontinuität selten nachzuweisen ist.
 
Vor, in und nach der Römerzeit verehrte die Einheimischen auch im Odenwald die Muttergottheiten. Im Mittelalter baute man auf dem gleichen Gelände eine schlichte Kapelle (die heutige Friedhofskapelle) und weihte sie dem „Heiligen Aegidius“. Dass der heidnische Stein im Mittelalter nicht zerschlagen, sondern in unmittelbarer Nähe des Kirchleins sichtbar vermauert wurde, mag hauptsächlich von den großen, flachrunden Hauben der beiden seitlichen Figuren bestimmt gewesen sein, die, ganz gleich mit welchen „Heiligen“ man sie zu identifizieren versuchte, für Heiligenscheine (Nimben) angesehen wurden. Die Dreizahl legte eine kirchliche Fehldeutung als „hl. Drei Könige“ oder als Personifikation der drei christlichen Tugenden „Fides, Spes, Caritas“ nahe.
 
Die heidnischen Mütter im Dom zu Worms. Oben liest man die Namen der „Drei Jungfrauen“: Einbede, Warbede, Villebede. Der Jesuit Herman Crombach (1598-1680) berichtete, die Jungfrauen Einbetta, Worbetta, Wilbetta hätte die „hl. Ursula“ auf ihrer Rückreise von Rom nach Köln in Straßburg zurückgelassen, wo sie in der dortigen Peterskirche - nach einem frommen Leben - begraben lägen.
 
Der Mütterglauben vom Odenwald bis zum Dom zu Worms
 
Wie tief verankert der Mütterglaube, nicht allein bei den Kelten, auch in Germanien war, zeigt allein das größte der altdeutsch-germanischen Fest zum Sonnentiefststand und Jahresbeginn, die Mütternacht („modranicht“) in der Wintersonnenwende. Der Brauch verschob sich im Mittelalter auf die Nacht zum 6. Januar, der sog. „Bechtelisnacht / Bechtelstag“ (mhd. berchttac, berchteltac, berchtnacht). Der 06.01. blieb als Kalenderjahresbeginn der Tag der Göttin Berchta / Perchta / Peratha (mhd. bërcht, bërchtel meint glänzend, leuchtend‘). Die altheidnischen Mütter, auch Parzen genannt, erhielten noch während der Zeit des ersten Domgründers von Worms, des Bischofs Burchard (um 965-1025), um die Jahreswende abends, in den Privathäusern einen festlichen gedeckten Tisch, an dem sie symbolisch bewirtet wurden. Auch legte man ihnen geküsste Gelobungssteinchen dazu, gewissermaßen als steinfeste Vergewisserungen der Treue zum alten Mütterglauben. Ein Brauch der von den Wallfahrern an den Wegkapellen in Teilen Tirols bis heute lebendig geblieben ist. Der Mütterstein von Mümling-Grumbach ist vom Wormser Dom weniger als 50 km entfernt. Wir erkennen, vom Odenwald bis über den Rhein nach Worms war der Volksglaube an die geheiligten Mütter verbreitet. Dort, im Dom, hat sich das schönste verchristlichte Bild der drei Frauen erhalten, in den Gestalten der „Hl. Einbede, Warbede, Wilibede“. Bischof Burchard aus Worms, der Erbauer des Petrusdoms hatte zu Beginn des 11. Jahrhunderts einen „Beichtspiegel“ verfasst, welcher seinen Kirchenkampf gegen die drei Frauen anschaulich beschreibt und aufzeigt wie unaustilgbar der Glaube an die Mütter bis ins Hochmittelalter gewesen ist. Bereits im Jahre 650, zur Merowingerzeit, hatte der „Heilige Eligius von Noyon“ die Franken wiederholt davor gewarnt, „zur Nacht die Tische rüsten und für die Drei Speisen zurecht zu stellen....“. In Bischof Burchards Bußkatalog finden sich peinliche Befragungen wie diese: „Hast du, wie es manche Frauen zu bestimmten Zeiten des Jahres zu tun pflegen, in deinem Haus, den Tisch gedeckt mit Speis und Trank und drei Messer hinzugelegt, damit sich die drei Frauen daran erquicken können ?“ -„Hast Du nicht den Elementen, der Sonne, dem Monde, den Gestirnen des Himmels göttliche Ehre bezeugt ?“ - „Was hast du am Neujahrstag getan, mit was für Speisen war dein Tisch besetzt, war dein Haus mit Fackeln erleuchtet, hast du auf der Gasse getanzt, mit dem Schwert umgürtet auf dein Hausdach dich gesetzt, um dein Schicksal im kommenden Jahr zu erfahren ?“ - „Standes du während der Nacht an einem Kreuzweg nicht auf einer Ochsenhaut ?“ - „Hast du in dieser Nacht nicht Brot backen lassen, um aus dessen Anschwellung dein Glück zu erspähen ?“ - „Warst du in den Kunkel- und Webstuben der Weiber in der Absicht, durch Zauberei deren Gewebe zu verwickeln ?“ - Hast du nicht beim Brunnen, bei der großen Eiche, am Scheidewege, an Marksteinen dein Gebet verrichtet, hast du daselbst nie Lichter angezündet, und Opferspeisen genossen ?“ - Warst du nie in Gesellschaft von bösen Weibern, welche glauben, in Begleitung zahlloser Streigholden [Hexen] bei Nachtzeit auszureiten und der heidnischen Göttin Diana [gemeint ist Bechta/Perchta die mit Wodan in der „Wilden Jagd“ bzw. im „Wütigen Heer“ zusammen ist] in ihren Hainen unreine Opfer zu bringen, ein vom Teufel durch Träume betörtes  Geschlecht, welches Einbildungen der Seele für wirkliche im Körper vorgehende Dinge hält ?“ - „Hast du nie bei der Geburt eines Kindes den Tisch mit Speis und Trank und drei Couverten [Tischgedecke] besetzt, in der Hoffnung, die Leiterinnen des menschliches Schicksals, die Parzen [Mütter], würden kommen, und deines Kindes Los bestimmen ?“ - „Lauter heidnischer Aberglaube, welcher den wahren Gott verkennt, und Götzen an dessen Stelle setzt, großer Sünden Schuld, nur durch mehrjährige Buße zu tilgen.“ Es ist schon amüsant, von diesen kirchlichen Überheblichkeiten zu lesen, um gleichzeitig vom dunkelsten Aberglauben der Kirchenleute zu wissen, wie jenem des Benediktiners Arnold Probst zu „St. Emmeran“ (1010-1070) der Donnerwolken für höllische Drachen hielt. (Quelle: Andreas Buchner, „Geschichte von Bayern: aus den Quellen bearbeitet. Baiern unter Wahl ...“, 1823)
 
Im Wormser Siedlungsraum wohnten die Wangionen (lat. Vangiones), die unter dem germanischen Heerführer Ariowist gegen Kelten und Römer, um linksrheinische Gebiete im Elsass kämpften. Der Begriff des Wormser „Wonnegaus“ leitet sich von ihrem Namen ab. Aus dem latinisierten Wort „Borbetomagus, Bormitomagus“, wandelte sich über „Warmazfeld, Warmazia, Varmacia, Wormazia, Wormatia“ die Stadtbezeichnung zu Worms, des 6./7. Jhs. Die Vermutung drängt sich auf, der anfängliche Stadtname „Borbetomagus“ würde sich aus den Begriffen für die Göttin „Borbet“ und der latinisierten keltischen Endung „-magus“ (Feld, Wiese, Ebene) zusammengesetzt haben. Da die Anlautpronunciation von „b“ und „w“ häufig variiert wird sich aus Borbet die Warbet/Warbede oder Vorbetta entwickelt haben, welche die katholische Kirche als Tochter eines Frankenkönigs bezeichnet und ihren Gedenktag auf den 16.09. festlegte. Da Borbet soviel wie die Glänzende bedeutet, fällt sie mit der Göttin Bechta zusammen, so dass von einer einzigen weiblichen gallogermanischen Gottesvorstellung auszugehen ist. Der altdeutsche Frauenvorname Berta geht auf ahd. „berath“ zurück, das so viel bedeutet wie glänzend, strahlend. Aber hineinschwingt auch ahd. „beran“ der Bedeutung: darbringen, gebären, tragen, zeugen, erzeugen, hervorbringen, erweisen, entgegenbringen, darbringen. Nur etwa 10 km nördlich von Worms liegt die Gemeinde Bechtheim, das sog. „Kleinod im Wonnegau“, die angeblich ein fränkischer Edelmann namens Bero im 6. Jh. als „Beroheim“ gegründet haben soll, aber der Gemeindename war 817 Berthahem, 1193 Berthehem (Ernst Förstemann, „Altdeutsches Namenbuch“, 2 Bde., 1856/59). Vom Begriff her entspricht die germ. Bechta-Berta der kelt. Borbeth. Auch diese Ansiedlung darf als ein Zeugnis für den altgläubigen Mutterkult im Großraum Rheinhessen-Odenwald gewertet werden. Die visionäre Vorstellung ist durchaus nicht abwegig, wenn wir davon ausgehen, dass genau an der erhöhten, hochwassergeschützten Stelle des röm. Stadtforums und des mittelalterlichen Wormser Dombaues, mit dem man bald nach dem Jahr 1000 begann, zuerst der Tempel einer keltisch-germanischen weiblichen Heilsgestalt seinen Standort hatte.