VON ALTDORF NACH ODENSOOS
 
 
Runen an der Schäferkapelle von Altdorf
 
Im Raum von Nürnberg finden sich uralte Besiedelungspuren. Rasch ist ein Ortsteil der Stadt Altdorf, südöstlich von Nürnberg Lkr. Nürnberger Land/Mittelfranken. Das Dorf gehört zu den ältesten Orten des Altdorfer Landes. Es wurde erstmals urkundlich erwähnt am 12.11.1129. Ein mittelneolithischer Steinaxt-Fund belegt, dass die Gegend bei Rasch bereits in der Jungsteinzeit besiedelt wurde. Die damaliger Jäger- und Sammlersippen machten sich als Bauern in der fruchtbaren Schwarzach-Niederung sesshaft. Nördlich des Flusses gegenüber dem alten Ortskern befindet sich ein Siedlungsplatz aus der Bronzezeit, aus rund 2.500 v.0 bis ins Mittelalter hinein. Während der turbulenten germanischen Völkerwanderungsepoche haben sich die kriegerischen Juthungen aus Norddeutschland auch in diesen Räumen niedergelassen. Um 650 rückten germanisch-boirsche Siedler von Osten in das Schwarzachtal ein. Sie wurden um 725 von den aus Westen vorstoßenden christlich-bekehrten, karolingischen Franken bekriegt und gebietsweise überlagert. Eine intensive frankenstaatlich gedeckte Mission begann erst mit dem papsthörigen Angelsachen Wynfreth-Bonifatius (673-755). Im Wald bei Rasch, ca. 1,3 km südöstlich in der Flur Hofbach, sind die Ringwallreste der ehemaligen bedeutenden Reichsburg Hohenrasch im Königsland südlich von Nürnberg, noch gut erkennbar. Im 7./8. Jh. entstand in Rasch eine der ersten Missions- und Taufkirchen der Region, die dem „Erzengel Michael“ geweiht, welcher als kirchliche Ersatzfigur für den germanischen Volksgott Wodan-Wodin-Odin angeboten wurde. Diese „St. Martinskapelle“ hat man zur späteren romanischen Chorturmkirche „St. Michaelskirche“ ausgebaut und ihre alte Würde als Mutterkirche Altdorfs und seiner damaligen Anrainersiedlungen erhalten. Sie wurde im 14. Jh. zu einer Kirchenburg mit Graben, Mauer und Torturm ausgebaut. Daraus ist die Stätte mit vorchristlicher Bedeutung als Kultplatz unschwer abzulesen. Noch im 7.-8. Jh. war auf dem heutigen Kirchenareal ein heidnischer Kultplatz gelegen. Die bis heute als Einsegnungshalle genutzte „Schäferkapelle“ im Kirchengelände war ehemals Taufkirche, von der aus zu Zeiten des „Frankenapostels“ Willibald im 8. Jh. - ein Mitarbeiter des 755 umgekommenen Bonifatius  - das Christentum in der Gegend verbreitet worden ist. Um die heidnischen Menschen anzulocken oder zu in ihrer Abwehr dem neuen, fremden Glauben gegenüber zu beschwichtigen, hat man Runenzeichen über den Fenstern angebracht. Sie sind bis zur Stunde erhalten (siehe Abbildung). Dazu ist spontan zu sagen. Das erste Zeichen scheint der vereinfachte Dreispross auf Beinchen darstellen zu wollen. Er wird als „Rabenvogel-Chiffre“ angesehen, was sehr wohl zutreffen könne, denn der Rabe als Sinnbild für den geistigen Aspekt und als Attributvogel Odins, passt an den Ort einer Taufkapelle, wo eben neue Gedanken überzeugend dargelegt werden sollten. Das zweite Zeichen ist die „gibor“-Rune (Gabe-Gegengabe bzw. „Mal-/Vermehrungs-Kreuz“. Die dritte Chiffre ist das „Odala“-Runen-Zeichen (Sinn = Seele/Stammgut/Schatz).
 
Der dortige Pfarrer und Religionswissenschaftler Ulrich Kleinhempel geht in seinen Vermutungen noch weiter, er meint: „In Rasch beteten die Menschen Wodan an, den höchsten, den mächtigsten Gott im germanischen Götterhimmel, den Seher, den einäugigen Krieger mit dem Raben auf der Schulter. Sie beteten zu Wodan auf einer Anhöhe über der Schwarzach, errichteten ihm dort eine Weihestätte und brachten ihm Opfergaben dar. Die Kultstätte ist bis heute erhalten, sie befindet sich unmittelbar neben der altehrwürdigen Michaels-Kirche. Die christlichen Missionare fanden damals eine Wodans-Weihestätte vor und christianisierten sie, ganz nach der Vorgabe von Papst Gregor dem Großen, der sie angewiesen hatte, den Glauben der Heiden nicht in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern ihn einfach in die christlichen Kulthandlungen zu integrieren.“ Genau dies geschah in Rasch, so Kleinhempels These: „Die von den an die germanischen Götter glaubenden Menschen erbaute Weihestätte hatte eine Nord-Süd-Ausrichtung - unmöglich für eine christliche Kirche, für die eine Ost-West-Achse nötig ist. Deshalb baute man die Weihestätte zur Kapelle mit Ost-West-Symbolik um. Die Tür im Süden mauerte man zu. Über den Fenstern an der ehemals prächtigen Südseite der Kapelle finden sich bis heute Zeichen die als Runen zu interpretieren sind, unter anderem den Raben als Zeichen für Wodan. Warum die Christen nach der Umgestaltung des ehemaligen Wodanheiligtums die Runen nicht beseitigten, ist freilich ein Rätsel. Die Runen haben eine gemeinsame Bedeutung, sie verweisen auf drei Bereiche, die zusammen gehören: Auf das Land, das einem gehört, auf die Fruchtbarkeit, die man sich erbittet für Vieh, Menschen und Felder, und auf die Heilung von Vieh, von Pferden und Menschen. Wodan galt im germanischen Götterhimmel nicht nur als großer Krieger, sondern auch als großer Heiler.“ Damit liegt der Kirchenmann jedenfalls nicht völlig falsch. Erstaunlich für einen Pfarrer ! Bis in die Neuzeit kamen in der Schäferkapelle die Hirten der Umgebung zur Andacht zusammen. Darüber berichtet der Altdorfer Historiker Georg Andreas Will 1796 und erläutert damit die Herkunft des Kapellen-Namens. Nicht nur zur Andacht kamen die Schäfer zusammen, sie brachten auch Votivgaben mit, die sie in der Kapelle hinterlegten. 1988 fand man bei Grabungen verschiedene Tiere, Pferde, Hunde, Schafe Rinder, dazu ein paar Menschen in Gebetshaltung. „Votivgaben darzubringen ist ein vorchristlicher Brauch, der ins katholische Christentum übernommen wurde“, so Kleinhempel dazu. Er geht davon aus, dass die Hirten der Gegend bei ihren Zusammenkünften in der Rascher Schäferkapelle die Bedeutung der Runen über den Fenstern an der Südseite des Gebäudes erahnten. „Schäfer und andere mit ihnen haben hier offenbar noch lange die alten Kulttraditionen gepflegt.“ Dass ein ehemaliges Wodan-Heiligtum umgewidmet wurde in eine christliche Michaels-Kirche, wie in Rasch geschehen, ist in Europa kein Einzelfall. Parallelen finden sich bei norwegischen Stabkirchen ebenso wie auf dem berühmten „Mont Saint Michel“ in der Normandie oder in der „Michaelskapelle“ auf dem Heiligenberg bei Heidelberg. Eine dem „Erzengel Michael“ gewidmete Kirche weist in der Regel darauf hin, dass sie sich auf dem Boden eines ehemals germanischen Heiligtums befand. Warum ? Weil Michael der Anführer der himmlischen Heerscharen war und damit Ähnlichkeiten hatte mit Wodan, dem kriegerischen Herrscher im Götterhimmel der Germanen. Die Parallele sollte bei der Christianisierung den Menschen den Übergang von der alten zur neuen Religion erleichtern, so Kleinhempel. Auch damit liegt er richtig. Hinzu kam noch, dass der altdeutsche Begriff „Michael / Michel / Mikkel“ nicht so verstanden wurde wie es das Hebräische und die judäochristliche Kirche tat, sondern als „Der Große“, denn „mikkel“ bedeutet ahd. „groß“. Wir hören weiter, dass in der Reformationsphase es mit der Schäferkapelle bergab hing. „Die ehemalige Wodansstätte und spätere christliche Kapelle wurde entweiht und zur Scheune degradiert“. Ein romanischer Taufstein aus dem 8. Jh., in dem Ganzkörpertaufen durchgeführt werden konnten, diente als Ablage und Mülleimer, bis in die jüngste Zeit. Dabei handelt es sich um den ältesten Taufstein weit und breit, Relikt aus der Mutterkirche vieler anderer Kirchen der Region. Ist die Wortwahl solcher Informationen, wie sie der Besucher lesen kann, als katholischer Hieb gegen den protestantischen Konkurrenten im Geschäft des Seelenfanges zu verstehen ?
 
Prof. Will kutschiert von Altdorf nach Odensoos
 
In der Beschreibung von dem Schuldirektor Prof. Will aus Altdorf gibt es die „Briefe über eine Reise nach Sachsen“, von 1785. Die Reise beginnt am 26. Juli 1784 von Altdorf aus. Will erzählt: „Sie werden hören, mein Freund, was ich für Wege genommen bin, und werden Sich vielleicht wundern, daß die zwei Pferde mich, und meinen Reisegefährden, und meinen Bedienten, und den Kutscher, und einen ziemlich bepackten Koffer, und noch überdieß einen vollgepfropften Mantelsack, bergauf und bergab gezogen, ohne daß wir bis in die fünfte Woche nöthig hatten, nur ein Hufeisen heften oder aufschlagen zu lassen. [..] Die Reise ging geradezu über Odensoos, Schnaittach, Diepoltsforg, Betzenstein, Pegnitz usw. nach Bayreuth. Odensoos war mir wegen seines Alters ehrwürdig. Wenn es wahr ist, was ich gelesen habe, dass es unter dem Namen Otimissaz [er schrieb irrtümlich ein „m“, anstatt des „n“ in Otinissatz] schon im J. 803 verkomme, so ist es, will nicht sagen, älter als Nürnberg, doch eher bekannt gewesen. Nach der Hand hatte Odensoos seinen eignen Adel, der sich davon geschrieben. Nun ist es ein Nürnbergisches Pfarrdorf, und sitzen viele Juden daselbst.“
 
Die Kultstätte Otinisaz - Odensoos - Ottensoos = Odinssitz
 
Kupferstich von Christoph Melchior Roth (1720-1798) Das fränkische Dorf Otinisaz / Odensos / Ottensoos
 
Noch bedeutsamer als die Erkenntnisse hinsichtlich des Wodan Kultplatzes in Altdorf erscheinen mir jene Nachweise der Ortsnamensforschung zu sein, für die im ostnürnbergischen Raum beheimatete Od- oder Wodan-Odin-Religion. Die vielen Od-Orte beweisen meine alte These. Im „Topo-geographisch-statistisches Lexicon vom Königreiche Bayern…“ von Joseph Anton Eisenann (1775-1842), 1832, heißt es auf S. 252: „Ottensoos, Odensoos, Pfarrdorf im Dek. Hersbruck uns Ldg. Lauf, 4 St. von Nürnberg entfernt. Es enthält 84 H. und 480 E., hieß vor Zeiten Otinisaz und hatte seine eigenen Adel. In der Nähe führen zwei steinerne Brücken über den Neukircher Bach, wovon eine 20, die andere aber 21 Fuß lang ist.“ Man schrieb den Ortsnamen auch 1580 Ottensos, 1582 Odensos, 1636 Odensooss, doch die äteste Erwähnung vom Jahr 903, mit der Endung „saz“, deutet auf „Sitz des Otin“ hin. Im gleichen Buch von J.A. Eisenmann, ab Seite 219 werden Ortsnamen gelistet: Odach, Odelsham/Odelskam, Odelshausen, Ode, Odenbach, Odenwald/Ottenwald, Oder, Oderberg (wird auch Otterberg genannt), Oderding (dieser Ort kommt in den 1147 bis 1180 als Rittersitz unter dem Namen Odradingen vor), Oderer, Odering (Weiler des Ldr. Mühldorf), Odering (Weiler des Ldr. Vilsbiburg), Odernheim, Odi.
 
Johann Caspar Bundschuh, in „Geographisches statistisch-topographisches Lexikon (Lexicon) von Franken“, Bd. 4, 1801,S. 307 beschreibt: „Ottensoos, Odensoos, Otensos, Otenses, vorzeiten Otimissaz [zweites „s“ in alter langer Form], eine halbe Stunde von Hersbruck gegen Lauf, hatte ehemals seinen eigenen Adel, der sich davon schrieb war schon im Jahre 903 bekannt und gehörte zu dem Pago Nordgevvi und der Grafschaft Babonis und Liutboldi, ist mit einer Pfarrkirche versehen und gehören die Untertanen theils zu dem Bayerischen Amte Rothenberg, teils der Stadt Nürnberg, welchen letzteren Stadt auch die Kirche und die Pfarrey gehöret. Herdegen von Ottensoys findet man im 13. Jahrhunderte als Teutschordensritter und Spitalmeister zu Nürnberg. […] Zu Schönberg predigt der Odensoser Pfarrer allezeit am dritten Sonntag und am zweyten Feyertag der hohen Feste; auch müssen die Schönberger ihre Todten zur Begräbniß nach Odensoos führn.“
 
Die Od-Orte, oft zu doppel-„t“ geändert, auch mit Vokalverschiebungen zu „e“ und „ö“, also zu Ettingen, Etting, Ötting, die sich oft auf den germanisch-altdeutschen Volksgott Wodan-Wodin-Odin beziehen, zu dessen Ersatzfigur die Christenkirche den hebräischen „Erzengel Michael“ anbot. Wodankultstätten hat man zu „Michaelskirchen“ umgewandelt, nach kirchlichem Sprachgebrauch „entdämonisiert“. Einige Od-Orte sind anhand ihrer ältesten Urkundeneintragungen definitiv als Odin-Orte auszumachen, wie das beschriebene Dorf bei Nürnberg Odensoos,  mit der Urbedeutung Odins-Sitz. Ähnlich verhält es sich bei Odenbach am Glan, im Landkreis Kusel, einem alten Pfarrdorf in dessen Spuren einer Römerstraße und römische Altertümer gefunden wurden.Sie hieß im Mittelalter nachweislich Odinbach.Zwischen Odenbach und Breitenheim fand man auf hoher Bergplatte die ehem. Römerstraße und eine 31 cm hohe Bronze-Figur des Merkurius, mit grünen Altertumsfirnis überzogen, sehr künstlich gearbeitet und bestens erhalten. Bekanntlich galt Wotan, nach der römischen Götter-Definition, als Hermes-Merkur, dem Fersenbeflügelten Seelengeleiter (Psychopompos), der mit seinem Schlangenstab die Gewalt besaß die Menschenseelen ins Jenseits und zurück ins Leben zu geleiten.