. Abb. 1
Eigenes Foto, Flügeldrache + Dreispross-Spiralbäumchen
 
Das heutige Ausflugslokal „Schwärzlocher Hof“, oder einfach „Schwärzloch“ geheißen, ist ein ehemaliges Landgut, nahe Tübingen, mit einer dazugehörigen Kapelle aus romanischer Zeit. Die alten Schreibweisen „Schwerzloch, Swertissloch, Schwerzeloch“, aus dem Beginn des 12. Jhs., können als Schwert-Wald (ahd. loch = Waldung), oder Schwert-Bach /- Gewässer (-aha / ache  = Bach) gedeutet werden. Da in diesen Zeiten das ganze obere Ammertal vom Schwärzlocher Hügel bis zu den Unterjesinger Bergen ein Sumpf oder See gewesen sein soll, darf man davon ausgehen, dass sich der Name auf das Gewässer bezog. Der altdeutsche Schwertgott war Ziu / Tiu, den schon der Heimatforscher und Dichter Ludwig Uhland als Patron der dortigen altgläubigen Heiden-Kultstätte scharfsinnig vermutete. Dass sich die Örtlichkeit, die zu den ältesten Wohnplätzen auf der Tübinger Stadtgemarkung gehört, in Heidenzeiten durch besondere Bedeutung ausgezeichnet haben muss, erweist sich allein aus der Tatsache, dass um 1085 der damalige Weiler Schwärzloch (mit insgesamt ca. 200 Morgen Land) von einem kirchlichen Funktionär („Presbyter“) namens Albertus, an das Kloster Blaubeuren verschenkt wurde. Das geschah in dieser Zeit in der Regel nur dann, wenn es sich um eine altheidnische Glaubensstätte handelte, deren „Entdämonisierung“ und propagandistische Bearbeitung der Umlandbevölkerung ausgebildeten Propagandamönchen anvertraut wurde.
 
Das Kloster ließ um 1100 dort eine Kapelle bauen, ein Umstand der unsere Theorie fest untermauert. Derartige Kapellen, außerhalb von Stadtbefestigungen, wurden absolut nur an Brennpunkten des Altglaubens errichtet, um das Landvolk mit dem neuen Christengott bzw. seinen Untergöttern, den „Heiligen“, vertraut zu machen, womit die Erinnerung an die altechten gallischen und germanischen Heilsgestalten übertüncht werden sollte. Das Kirchlein hat man dem „heiligen Nikolaus“ geweiht, was auf Wodin-Odin hinweisen würde, dessen Beiname Nikar („der Ungezügelte“) war. Der Name des „Nikolaus“ bedeutet griech. „der Sieger über das/aus dem Volk“, wobei im vorliegenden Falle an das durch mönchische Belehrung zu besiegende Heidentum im Tübingen Raum gedacht werden muss. „Nikolaus“ galt insbesondere als Patron der Schüler-, und zu „Schülern“ machte die christliche Vermessenheit ja jeden einzelnen Menschen im Altglauben, dem die neue Lehre ins Hirn gezwungen werden sollte. Obendrein galt der „Heilige“ als zorniger Zerstörer heidnischer Kultanlagen. Nach seiner Legende zerstörte er den Tempel der Göttin Diana/Artemis, die in den Küstenorten Lykiens (Südwesten Kleinasiens) als Patronin der Seefahrer verehrt wurde; ihr Tempel in Myra war der größte und prunkvollste. So passte der Nikolaus-Patron sehr genau in die kirchliche Aufgabenwelt im Schwärzloch-Bezirk
 
Von der romanischen Kapelle blieben noch einige Baulichkeiten erhalten. Ihr ursprünglich flachgedecktes Schiff wurde als Gastraum eingerichtet und zeigt außen ringsum noch den alten Sockel. Früher hatten sich an der Nordseite die alten schmalen Rundbogenfensterchen erhalten. An der Südseite zieht sich unmittelbar unter dem Dachgesims ein Rundbogenfries entlang, in dessen Feldern verschiedene Flachreliefs zu finden sind. Es handelt sich um heidnische Motive, welche außerhalb des geweihten Kapellenraums zu bleiben hatten, was den damals zunächst uninformierten Umerziehungsopfern dergestalt verdeutlicht wurde. Der Beschauer erkennt Palmen (vorderasiatisch-heidnischer Lebensbaum), Lilien, Rosen, Klee- und Eichenblätter, Spiralen, Drachen, Fuchs, Bär, Schlange, Adler und das Brustbild eines Heiden, der nach altgläubiger Weise mit empor gehaltenen Händen betet. Die sprechenden Bilder heidnischer Mythen und Gleichnisse - durch die kirchliche Sicht verzerrt und dämonisiert - zu studieren lohnt sich immer. Links von der Türe ist ein Löwe und ein ihm entgegenkommender geflügelter Drache mit einem in einen Pfeil endenden Schweif eingemauert (Abb. 1). Darüber befindet sich eine andere Reliefplatte, welche eine Säule zeigt, an der ein geflügelter Engel in halber Lebensgröße steht, der rechtshändig segnet und in der Linken ein Buch hält. Es handelt sich um Reste von Pfortenreliefs, deren genaue Plazierung unbekannt bleiben. Im Fries selbst sieht man eine weibliche Figur, die als Seelen-Allegorie zu deuten ist, mit angstvoll erhobenen Armen. Sie wird vom Rachen des teuflischen Drachens mit gewundenem Schwanz bedroht. Dieser wird von zwei Hunden angefallen, die zum Drachenbezwinger (dt. Siegfried / christl. „St. Georg“) gehören. Die Bilder als Schilderungen der Nikolaus-Legende zu deuten ist unsinnig, denn in diesem Falle wären sie im Innenraum der Kirche angebracht worden, nichht aber vermischt mit den geschmähten Heidenmotiven. Die „St. Georg“ Verehrung in Tübingen hat alte Tradition, geht also auf heidnische Vorbilder des Lichtritters zurück. Die Tübinger Stiftskirche, erbaut von 1470 bis 1490, auf zwei Vorgängerkirchen (erste urkundl. Erwähnungen 1188), ist auch dem „St. Georg“ geweiht. Der altdeutsche Helgi-Siegfried, der Lindwurmtöter, hatte im alemannischen Tübingen ganz offensichtlich eine besondere Verehrungsstätte. Nach einer Volkssage ist die Tübinger Gegend als Hauptplatz seiner Legende beschrieben worden. (Karl Klüpfel u. Max Eifert, „Der Schwärzloch Hof“ in „Geschichte und Beschreibung der Stadt und Universität Tübingen“, Bd. 1, 1849, S. 62)
 
Abb. 2
Alemannische Kulthöhe von Wurmlingen
 
Im Tübinger Landkreis gibt es den „Wurmlinger Berg“ oder „Wurmlinger Weinberg“, eine etwa 475 m hohe Bergkuppe. Dort liegt die Gemeinde Wurmlingen (Stadtteil von Rottenbrug), 8 km südwestlich von Tübingen. (Ein weiteres Wurmlingen liegt im Landkreis Tuttlingen.) Im Landkreis Tübingen, nahe Wurmlingen, liegt die Gemeinde Wendelsheim mit ehemaliger Burg Wendelsheim. Um 1180 wurde die Stätte „Winolfhein“ geheißen, sicherlich nicht nach einem ixbeliebigen Herrn Winolf, sondern nach dem altnord. Vingólf, der Freundeshalle bei Walhall, gemäß der germanischen Mythologie. Die Begriffe Wurmlingen und Wendelsheim weisen auf altgläubige Versammlungs- und Kultplätze hin, die auffällig mit der Lichtrittersage in Zusammenhang stehen. Viele diese Anhöhen waren in alemannischer Zeit Heiltümer des alten Glaubens. Die Kultgemeinden stiegen zu gewissen Festzeiten des Frühlings in frommen Prozessionen spiralengängig die Anhöhen hinan, so wie die Sonne in Spiralen den Weltberg im Norden zu besteigen hatte. Der Sonnenaufstieg, mit dem Gewinn der „Erden-Jungfrau“, war nur im Kampf mit dem „Winter-Drachen“ zu meistern und so gehörten zu den heidnischen Spiral-Wallfahrten auch Kultspiele in Gestalt eines Drachenstichs, wie er bis heute in „Furth im Wald“ (Oberpfalz) üblich geblieben ist. Ursprünglich war der dortige Drachenstich Teil der Fronleichnam-Prozession, die frühestens auf den 21. Mai und spätestens auf den 24. Juni fällt. Der kirchenchristliche Festtermin lehnt sich insofern noch an den altheidnischen an, als es ein vorsommersonnwendlicher sein muss, also vor der Erreichung des Sonnengipfels stattfindet. Die Ritter von Wurmlingen trugen in ihrem Wappen einen Lindwurm. Volle Bestätigung dafür, dass der „Wurmlinger Berg“ eine altgläubige Kultstätte war, erhalten wir durch den Umstand, dass auf seinem Gipfel die „Wurmlinger Kapelle“ um 1050 errichtet wurde. Die Abb. 2 zeigt die alte germanische Heilstätte mit der Christenkapelle unter einem grandiosen Regenbogen. Auf dem Westsüdwestausläufer des „Wurmlinger Berges“ stand einst die „Wandelburg“. Die Namen sprechen eine beredte Sprache, sie erzählen mehr Wahrheiten von der alten Zeit als alle späteren zusammengeflunkerten christlichen Heiligen-Legendchen !
 
Eine Erinnerung an die altheidnischen Frühjahrskultspiele und -umgänge könnte der zu Wurmlingen gepflegte Pfingstumritt darstellen, der dort „Pfingstdreckreiten“ heißt, möglicherweise aus dem Begriff „Ritt des Pfingst-Recken“, also des Fruchtbarkeitsbringers. Es lief traditionell so ab: Eine Anzahl junger Burschen - über dem weißen Hemd eine Schärpe woran der Säbel hing - begab sich des Mittags zu Pferd in den oberen Wald. Einer der Burschen ward dick in Laubwerk und Reiser eingebunden, oben auf dem Kopfe hatte er eine prächtige Krone von allerlei Blühten. Beschrieben wurden folgende mitspielende Figuren: Platzmeister, Korporal, Maienführer, Mohrenkönig, weißer Mann, Koch, Kellermeister, Doktor Eisenbart, Henker und Pfingstbutz. Dem Mohrenkönig, einer Verkörperung von Nacht und Wintertod, wird in alter Zeit die Aufgabe zugedacht worden sein, den Gegenspieler des Fruchtbarkeitsbringers zu verkörpern. Im Bericht des Ernst Maier von 1852 steht der Korporal im streitbaren Dialog mit dem Mohrenkönig. Der Zug von ca. 20 erwachsenen, ledigen Burschen ordnete sich vor der Zehntscheuer, wo die Reiter eine Front bildeten und das Sprechen begann. Ein jeder wusste einen gewissen Spruch, der ganz nach alten Zeiten roch. Der letzte Sprecher war der Scharfrichter, dessen Vers mit dem Köpfen des Pfingstdrecks schloss, der, seiner Krone bar, herabstürzte. Der Anführer las hierauf nach eigenen Heften alle möglichen Neckereien für die Mädchen ab: Alles, was sich die Wurmlinger Jungfern zu Schulden kommen ließen das Jahr über, konnte man hören. So bald das Verlesen aus war ging es auf die Höhe, Jesingen zu gelegen. Dort wurde der Maien nur so tief in die Erde gesteckt, dass er nicht umfallen konnte. Alle Pfingstreiter stellten sich mit ihren Pferden in einer Linie auf und jagten auf das Kommando „Marsch“ im gestreckten Galopp auf den Maien zu. Wer zuerst am Maien vorbei jagte und diesen aus dem Boden reißen konnte, hatte den Maien mit samt seinen Bändern gewonnen. Nicht selten geschah dies erst durch den dritten oder vierten Reiter. Der Sieger wurde von allen Wurmlingern und Fremden erwartet. Der Preis war ein geschmücktes Lämmlein. Der Pfingstbutz, der im früheren Verständnis für Pflanzenwachstum und gute Ernte sorgen sollte, da er mit seiner Verkleidung in frisches Laub als Frühlingsbote galt, war für die bäuerlichen Umtriebe der damaligen Gesellschaft wichtig. Anton Birlinger erwähnt in „Wurmlinger Pfingstritt“ ein „Baurenfest“ oder „Rosengartenspiel“ auf dem Bernbühl, das den „Pfingstritt tangieren“ konnte, also etwa gleichzeitig stattfand. Es heißt: „In ,Ludwig Schmid, Graf Albert von Hohenberg’ wird diese Begebenheit 1879 beschrieben, die dort in die Mitte des 13. Jahrhunderts gelegt wird. Ein Ritterspiel mit dem Grafen Albert von der ,Alt-Rotenburg’ und dessen Gefolge, wobei auch Wurmlinger Bürger dort mitspielten, namentlich auch ,Heinrich der Weise’. Inhaltlich fundierte dieser Auftritt in der Dietrichsage bzw. dem Nibelungenlied. Dietrich von Bern (Verona) ist Namensgeber des Gewann Bernbühl, einer der drei Berge, die auch das Wurmlinger Wappen zieren (Bernbühl, Wandelburg, Kapellenberg).“ Wenn demnach in alter Zeit auf dem nahen Bernbühl ein „Rosengartenspiel“ stattfand, ist der Nachweis für die regionale Kultplatztheorie ein weiteres Mal untermauert, denn unter den Rosengärten verstanden die Alten bekanntlich ihre heiligen Orte.
 
SONNEN-GLAUBE
 
Die Sonne steigt, das Jahr nimmt den Lauf,
der Lichtritter reitet zum Nordberg hinauf.
Dem Winter-Drachen bereitet er Pein,
die Erden-Jungfrau wird er befrei’n.
 
Seine Licht-Lanze trifft das Untier gut,
er badet als Siegfried im Drachen-Blut.
Als Helgi gilt er als Nordlands Held,
der Heilbringer für die germanische Welt.
 
Zu jedem Frühling, im kultischen Spiel,
erstrebten die Gilden das gleiche Ziel.
Kult-Kämpfer übten den Drachen-Stich,
im Wendeltanz drehten die Maiden sich.
 
Spiralprozessionen umkreisten den Stauf,
sie schraubten sich auf den Gipfel hinauf.
Auch bei Wurmlingen am Wendel-Berg,
vollzogen die Sippen das Sonnen-Gewerk.
 
Doch die gute, die freie Zeit verrann,
als der Lügen-Terror der Pfaffen begann.
Von Toren gestützt, durch Rom gelenkt,
ward der Ahnen-Glaube im Trug versenkt.