Domo.JPG

(Zeichung u. Foto M. Bachmann / D. Pelagatti, Kantonsarchäologie Zürich). – M. 2:1.

Martin Hannes Graf – Adina Wicki – Renata Windler, „Eine Adlerkopfnadel mit Runeninschrift(en) aus Elgg“ (Kt. Zürich/CH.)

FAZIT (S. 390):

Im Vergleich zu den übrigen Grubenhäusern der Siedlung Elgg-Florastrasse, aus denen in der Regel nur eine geringe Menge an unauffälligen Funden geborgen werden konnte, stellt das Fundmaterial aus dem Grubenhaus A1059 innerhalb der Siedlung eine Besonderheit dar. Die Frage nach dem Grund für dieses vergleichsweise reichhaltige Fundspektrum muss beim jetzigen Stand der Auswertungen offenbleiben. Die homogene Verfüllung spricht für ein relativ rasches Auffüllen des aufgelassenen Grubenhauses. Die im vorliegenden Beitrag besprochene Adlerkopfnadel ist nach Maßgabe der Mitfunde und vor allem ener der typologischen Parallelen in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts zu datieren. Als Trägerobjekt einer »süd-germanischen« Runeninschrift ist diese Datierung verhältnismäßig spät, stammen doch die meisten der knapp 100 bis heute bekannten Artefakte aus dem süddeutsch-nordschweizerisch-ostfranzösischen Raum vorwiegend aus dem späteren 6. Jahrhundert. Noch etwas jünger dürfte bisher nur die Inschrift auf dem Kugelkopf wohl einer kurzen Nadel aus Stetten (Mühlheim a. d. Donau, lkr. Tuttlingen / D) zu datieren sein, der als Streufund in der Auffüllung eines Grabes der Mitte des 7. Jahrhunderts geborgen wurde. Hergestellt wurde die hier vorgelegte Nadel mit größter Wahrscheinlichkeit in der Nordschweiz bzw. im westlichen Bodenseeraum, möglicherweise sogar im Raum Elgg selbst. Es kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass es sich um ein Fremdobjekt handelt. Damit erweist sich die Nadel von Elgg als der erst zweite runentragende Gegenstand aus dem Raum der heutigen Schweiz.

Die Nadel und die Inschrift(en) sind in verschiedenerlei Hinsicht bemerkenswert: So hat der Nadelkopf zwei gleichwertige Schauseiten, sodass je nach Trageweise entweder die eine oder die andere Inschrift sichtbar war - ein verstecktes Tragen der Inschrift war nicht möglich, womit sich das Stück von der Mehrheit der bisher gefundenen Metallobjekte mit Runeninschriften unterscheidet (insbesondere der rückseitig geritzten Fibelinschriften).

Einzigartig für Runen in diesem Raum (abgesehen von den Hüfinger Kleinbrakteaten) ist die technische Ausführung der Inschrift auf der Seite l: Die Runen wurden primär auf dem Objekt angebracht, sind Teil der Gussform und wurden also nicht erst nachträglich auf das Objekt geritzt.

Typologisch bzw. im Hinblick auf die Textsorte ist die Inschrift domo nicht weiter auffällig: Es handelt sich, wie so häufig, um einen isoliert stehenden Personennamen, in diesem Fall um einen schwach flektierenden eingliedrigen Personennamen (Männername) im Nominativ vor -ahd. Dōmo, eine einstämmige Kurzform eines ursprünglichen Kompositums. Etymologische Grundlage ist germ. *dōma - »Setzung, Zustand« mit einer (nach Ausweis der Einzelsprachen) für die propriale Sprachsphäre zu erschließenden semantischen Fokussierung auf »Ansehen, Ruhm« o. Ä. Interessanterweise ist derselbe Männername auch für das Bestimmungsglied des Ortsnamens Thundorf anzusetzen, ein Dorf, das nur wenige Kilometer von Elgg entfernt liegt. Archäologisches Korrespondenzblatt 46·2016 Bezüglich Schriftpräsentation auf dem Nadelkopf ist die Runenfolge domo mit lateinischen Inschriften vergleichbar, die gut sichtbar u. a. auf Vorderseiten von Gürtelbeschlägen, Arm- und Fingerringen, Fibeln und Nadeln des 6. und 7. Jahrhunderts in romanisch geprägten Gegenden begegnen. Sie enthalten ebenfalls Personennamen, oftmals aber klar anzusprechen als Beischriften zu christlichen Darstellungen, als Herstellerinschriften oder Segenssprüche für die Besitzer, selten isoliert. Dem Feinschmied, der die Nadel in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts im Gebiet der Nordschweiz oder im westlichen Bodenseeraum angefertigt hat, könnten solche Gegenstände mit lateinischen Inschriften durchaus vertraut gewesen sein und in Bezug auf die Herstellungstechnik und Gestaltung als Vorbilder gedient haben. Im Hinblick auf die runische Schriftpraxis wird mit der Nadel von Elgg erneut die Frage nach einem »Runenmeistertum« im Bereich der kontinentalen Inschriften virulent, insofern wenigstens für den vorliegenden Fall klar ist, dass auch ein Schmied ein Objekt mit Runen zu beschriften vermochte – ob nach Vorlage oder nicht, lässt sich freilich nicht sagen. Auch die Frage nach der Funktion der Nameninschrift ist mit der Nadel von Elgg nicht endgültig zu beantworten; man ist jedoch dazu geneigt, hier stärker als in anderen Fällen dafür zu plädieren, dass mit dem Männernamen auf einem solchen Gegenstand der weiblichen Sphäre eine Person angesprochen ist (bzw. namenmagisch evoziert), die der Trägerin der Nadel in irgendeiner Weise nahe stand. Dass die Adlerdarstellung in diesem Kontext einen sinnbildlichen Beitrag an eine eventuelle Gesamtaussage des Stücks zu leisten vermöchte, ist nicht zu belegen. Die überindividuelle und überregionale Natur des Adlersignums als »Darstellung von etwas Übergeordnetem« muss aber in jedem Fall vorausgesetzt werden, wie auch immer dieses im zeitgenössischen Zusammenhang dechiffriert worden sein mag. Der auf der Seite R eingeritzte Zeichenkomplex ist wohl als Runenimitat zu werten; es wurde in gewisser maßen klassischer Weise nachträglich mit einem spitzen Gegenstand in die freie Fläche eingeritzt. In welcher Beziehung es zu der gegossenen Inschrift der anderen Seite steht, bleibt unklar. Bemerkenswert ist aber, dass die Zeichen in gleicher Weise eingeritzt sind wie die Ritzverzierung am Schaft. Dies könnte für eine gleichzeitige Anbringung sprechen. Andererseits ist es denkbar, dass die Inschrift auf der Seite l – als primäre Inschrift gewertet – eine spätere Besitzerin der Nadel zu der Schriftimitation der Seite R angeregt haben mag, wie dies etwa für die Scheibenfibeln von Soest und Bülach schon in Erwägung gezogen wurde. - M.H.G./A.W./R.W.

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Ein Domarring (auch Dommerring, deutsch „Richterring“) ist ein Steinkreis. Sie kommen zahlreich in vielen südschwedischen Provinzen und besonders häufig in Västergötland vor. Mitunter ruhen die Blöcke auf einer Dreipunktauflage aus kleineren Steinen. Dabei handelt es sich um eisenzeitliche Dolmen. Auf dem Gräberfeld Vi alvar/Källa, Öland, finden sich ein Treudd (Dreiersteinsetzung) und etliche kleine Domarringe, die derartige Formen aufweisen. Untersuchungen haben ergeben, dass diese Steinkreise seit der vorrömischen Eisenzeit (500 v.0) vermutlich bis in die Wikingerzeit (800-1100 n.0) errichtet wurden. Sie enthalten zumeist ein oder mehrere einfache Brandgräber (oder Brandgruben). Wie die größeren Schiffssetzungen können einige dieser Anlagen eine Funktion in Verbindung mit dem Rechtswesen gehabt haben, worauf der Name verweist.

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Doppelschlange.JPG

Auf A-Seite der domo-Begriff, auf R-Seite die Odalschlinge als Fußstruktur, der Sonnenkreis fehlt nicht.

Meine Bewertung:

1.)  Bei der Bildwiedergabe des Nadelkopfes handelt es sich um den mythischen jenseitigen Schlangenvogel der germ. Religion, ein Vorstellungsbild der Seele bzw. vom Seelenleben. In der Regel wird er als Doppelschlangen-Metapher gezeigt; auch dieser Nadelkopf ist im geistigen Vorstellungsbild - wegen seiner Zweiseitigkeit - als Doppelschlangenvogel zu verstehen. Als Haarnadel kommuniziert das Objekt aufs direkteste mit der Seelenkraft im Haar der Trägerin.

2.) Der eingegossene Begriff DOMO kann unmöglich als Besitzer- oder Spenderinschrift gedeutet werden. Solche werden in ein fertiges Objekt später eingeritzt. Er ist als semantische Einheit zu begreifen, mit dem sakralen Haarnadel-Objekt, welches naheliegenderweise als Seelen-Stärkung angedacht war.

3.) Der zahlenmythische Wert der Runenfolge beträgt 9., also die 9. ODING-Rune: sowilo = Sonne. Wie kommt es dazu: DOMO = D ist 2, O ist 1, M ist 5, O ist 1 = 9

4.) Domo dürfte ein den Wissenden bekannter, aus der Volkstradition feststehender Sakral-Begriff, zu deuten sein. Der O-Ablaut steht im Altgermanischen für die Markierung des Femininen, d.h. wir haben es mit einem weiblichen Domo-Begriff zu tun; einer Dise, einer Walküre, einer Fee -, jedenfalls einer imaginären Heilsgestalt bzw. -wesenheit.

5.) Die überindividuelle und überregionale Natur des Adlersignums als »Darstellung von etwas Übergeordnetem« muss aber in jedem Fall vorausgesetzt werden, heißt es seitens der Fachleute. Was diese als „Adlersignum“ deuten, entzieht sich der Eindeutigkeit im Nebel mythischer Vorstellungen bei denen Wotans tierische Beleiter Rabe-Schlange-Adler durcheinander gehen.

6.) Etymologisch weist uns das Wort Domo - alles andere als ein allamannischer Männernamen - auf Vorstellungsformen von: »Setzung, Zustand«, »Ansehen, Ruhm«. Im Isländischen ist dómur m das Gericht, Urteil, Meinung; dómsmál der Prozess; dómsdagur das Jüngste Gericht. Die beiden Silbeninhalte rechtsläufig do und mo, linksläufig om und od, müssen Beachtung gefunden haben: Do bzw. dōm m, wie wir schon hörten, meint Urteil, Beschluss, Erklärung, Gesetz, Sitte, Gerechtigkeit, Meinung, Rat, Wahl, Gewalt, Ruf, Würde, Ruhm, Glanz, Hof, Versammlung; dohtig meint tüchtig, gut, tapfer; dohtor ist die Tochter f, das Produkt eigener Wesenheit. Mo, Mōdor f ist die Mutter; mōd ist Mut, Gemüt, Sinn, Geist, Stimmung, Stolz, Macht. Od ist der altgermanische Seelenbegriff. - Die Domo-Haarnadel, ist unschwer zu erahnen, sollte über den Seelen-Haar-Kontakt der Trägerin all die herrlichen, starken Wunschbilder zuleiten, sie realisieren, die in dem Begriff mitschwingen.

Das empfindungs- und sprachgeschichtliche Übereinkommen der germ. Altreligion hat die fremde, orientalische bzw. judäo-christlichen Kirchenmacht uns Heutigen zwar auslöschen können, aber über das Studium des sprachlichen Kontextes ist eine sensiblere Erkenntnisschau durchaus wieder zu erarbeiten. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass die germanische Seelenvorstellung, unendlich sensibler und vielschichtiger gefasst worden ist, als es die heutige Denkbarriere der christenkirchlichen Primitivisierung zu begreifen zulässt. Die Seelen-Schlangen-Nadel des Namens Domo ist eine Beschwörung, eine Herbeizitierung von seelischer Dominanz f zu Lebzeiten und im körperlichen Todzustand. Aus lat. dominium = Herrschaftsgebiet und dominant = vorherrschend hat der Begriff mit dem Runenwort domo wohl eher nichts zu tun (es sei denn, es handele sich um ein lateinisches Lehnwort) und doch stimmt er exakt mit dessen Sinninhalt überein.