15.11.2022

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KLAUS DÜWEL (1935-2020) - Nachruf von Robert Nedoma - 2021

(Einige Zwischenkommentare von mir sind in eckige Klammern gestellt.)

 

Klaus Düwel wurde am 10. Dezember 1935 in Hannover geboren. Dort legte er 1956 das Abitur an der Lutherschule ab und studierte danach (vorwiegend neuere) Germanistik, Geschichte sowie später auch Evangelische Theologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Das Sommersemester 1958 verbrachte er in Tübingen und das Wintersemester 1958/59 in Wien, um hier Theaterwissenschaft zu studieren. Wegweisend war hier ein altgermanistisches Seminar bei Otto Höfler: Düwel sagte später, er hätte da auch „eine Arbeit geschrieben über das Nachtleben der Maikäfer bei senkrechter Mondbestrahlung“, so beeindruckt war er von den didaktischen Fähigkeiten des im positiven Sinn herausfordernden mediävistischen Lehrers. Nach seiner Rückkehr nach Göttingen studierte er fortan ältere Germanistik und Skandinavistik bei Hans Neumann und Wolfgang Lange bzw. Geschichte bei Percy Ernst Schramm und Hermann Heimpel; auch Wolfgang Krause, der das Interesse für Runen weckte, zählte zu seinen Lehrern. 1961 legte er das Staatsexamen in Deutsch und Geschichte, 1963 in Evangelischer Theologie ab. 1962 wurde er Wolfgang Langes Assistent am Seminar für Deutsche Philologie in Göttingen und folgte diesem 1963 an das Skandinavische Seminar. Dieser Wechsel brachte naturgemäß eine fachliche Umorientierung mit sich, obzwar er 1965 noch mit einer altgermanistischen Arbeit, Werkbezeichnungen der mittelhochdeutschen Erzählliteratur (1050-1250)(erweiterte Druckfassung: Göttingen 1983 [Palaestra; 277]), promovierte. Darin führt Düwel überzeugend aus, dass keine Systematik im Sinne einer literarischen Terminologie erkennbar ist. Kurz vor der Erlangung des Doktorats heiratete er Christel, geb. Finke (1937-2014); den gemeinsamen drei Kindern, Martin, Philipp und Johanna, war er ein liebevoller Vater.

[Klaus Düwel war im persönlichen Umgang mit Schülern und Fremden ein liebevoller, umgänglicher Mensch, so wie ich ihn persönlich auf zwei Seminaren erlebte. Aber auch die Namenswahl seiner Kinder zeigt seine Distanz zum deutsch-volkstumsmäßigen Denken und Empfinden.]

In die Zeit als Assistent fällt auch das Erscheinen seiner Runenkunde (Stuttgart 1968 [Sammlung Metzler; 72], zuletzt in 4. Aufl. 2008), eine inhaltsreiche Einführung und bis heute die einzige Darstellung, in der die gesamte Breite der runischen Überlieferung behandelt ist. In der Hauptsache beschäftigte sich der nunmehrige Altskandinavist jedoch mit dem heidnisch-(nord)germanischen Sakralwortschatz und legte in seiner methodisch grundlegenden Habilitationsschrift „Das Opferfest von Lade und die Geschichte vom Völsi.“ Quellenkritische Untersuchungen zur germanischen Religionsgeschichte (1971) dar, dass beide Berichte fiktional sind. Das Habilitationsverfahren war, wie Düwel mit einer Portion Amüsement erzählte, ein Vabanquespiel: Der altgermanistisch-altskandinavistisch-altertumskundliche Dreikämpfer beantragte nämlich die Venia Legendi für das Gesamtfach Deutsche Philologie. Woran Vorgänger gescheitert waren, ging bei ihm auf. Er wusste sich in der Diskussion nach seinen Vorträgen über neuere Literatur auch bei abseitigen Fragen wie etwa zu Herz und Herzmetaphorik im Alt ägyptischen zu behaupten. Der frischgebackene Dozent übernahm die Vertretung eines Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur in Göttingen und später, 1978, auch für Germanische, insbesondere nordische Philologie ebendort. Ab 1974 war er außerplanmäßiger Professor, 1978 erfolgte die Ernennung zum C3-Professor. Die 1980er und 1990er Jahre waren Erntejahre: Die rapide wachsende internationale Anerkennung, vor allem durch seine maßgeblichen runologischen Arbeiten begründet, führte zum einen zu Gastprofessuren in Ann Arbor (1980) und Austin (1990), Gastdozenturen in Catania (1985), Bologna (1988) und Nanjing (1990), zum anderen zur Einwahl in Akademien der Wissenschaften in Norwegen (Trondheim: Kgl. Videnskabers Selskab, 1984; Oslo: Videnskaps-Akademi, 1995), Schweden (Uppsala: Kgl. Gustav Adolfs Akademien för svensk folkkultur, 1997) und Österreich (ÖAW, 2000). Ein besonderes Highlight war die Ausrichtung des Vierten Internationalen Symposiums über Runen und Runeninschriften in Göttingen 1995, das die deutsch(sprachig)e Runologie endgültig von dem ideologischen Schatten des germano- und runophilen Dritten Reiches befreite. (Düwel berichtete, dass ihn noch im Jahre 1964 der damals führende dänische Runologe, Erik Moltke, trotz eines Empfehlungsschreibens des kaum kompromittierten Wolfgang Krause nicht zu einem persönlichen Gespräch in Kopenhagen empfangen wollte.)

[Düwels oftmals eigenwillige und tendenziös-christlich motivierte Runeninschrift-Auslegungen schufen ihm berechtigte Kritiker, aber die öffentlichen Anerkennungen waren ihm somit sicher. Die frühen Beeinflussungen durch sein evangelisches Theologiestudium prägten ihn leider zu nachhaltig.]

Als Vorsitzender der Volkshochschule Göttingen (1977–1994) und der Universität des Dritten Lebensalters (2001–2013) übernahm Düwel auch gesellschaftliche Verantwortung. 2014 wurde er mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Den 2001 angetretenen Ruhestand gestaltete Düwel alles andere als ruhig. Er fand nun Gelegenheit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten und Neues zu beginnen; in dieser Zeit seines Schaffens entstand ein wesentlicher Teil seiner runologischen Veröffentlichungen. Gerade in den 2000er und 2010er Jahren waren etliche Neufunde südgermanischer Runeninschriften zu verzeichnen; von fast allen dieser Novitäten legte er – durchwegs in förderlicher Zusammenarbeit mit Ko-Autoren aus Archäologie, Historischer Sprachwissenschaft und Namenkunde – Erstpublikationen vor. Vor allem aber konnte er den langgehegten Wunsch einer definitiven Edition südgermanischer Runeninschriftenumsetzen; nach fast einem Jahrzehnt intensiver Arbeit erschien dieses gemeinsam mit Sigmund Oehrl und dem Autor dieser Zeilen verfasste Opus magnum als Ergänzungsband des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde zu Anfang November 2020. Bereits von mehreren Operationen geschwächt, konnte Klaus Düwel das über 1300 Seiten umfassende und 2,6 kg schwere Werk im Dezember, knapp vor seinem 85. Geburtstag, wenigstens noch in Händen halten, bevor er am letzten Tag des Jahres 2020 im Beisein seiner engsten Angehörigen entschlief. „Ich habe ja ein schönes Leben gehabt“, bemerkte er in einem unserer Ferngespräche vor dem mehr als zwei Monate dauernden finalen Krankenhausaufenthalt – damit meinte er, dass ihm beruflich wie privat „nicht alles, aber fast alles“ aufgegangen war. Die Erfolgsstory seines Wissenschaftlerlebens beruhte auf Tatkraft und Vielseitigkeit, Scharfsinn und Fairness, Umgänglichkeit und Humor: Düwel war die Lichtgestalt der internationalen Runenforschung. Er pflegte ein dichtes Netz freundschaftlicher und fachlicher Kontakte mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, und es gibt in der runologischen Zunft wohl kaum jemanden, der nicht in irgend einer Weise mit ihm in Berührung gekommen ist. Der hochangesehene Doyen der Runenkunde schätzte den fachlichen Austausch und begegnete dabei Neulingen wie Altgedienten auf Augenhöhe, gegebenenfalls aber auch kritisch.

[Mit meiner Lösung des Strukturprinzips der älteren Runenreihe bzw. meinem Buch „ODING-Wizzod – Gottesgesetz und Botschaft der Runen“ machte ich den Altmeister bekannt. Professor i.R. Dr. Klaus Düwel schrieb mir einen handschriftlichen Brief vom 23. Januar 1994 mit folgendem Kerngehalt: „Ich bezweifele nicht, dass die von Ihnen vorgelegte Lösung zur Reihenfolge des älteren Futhark in sich stimmig und wohl auch richtig ist….“ Er gab darüber hinaus zu Bedenken, dass der im strengen schulwissenschaftlichen Sinne anzustrebenden Beweisbarkeit Schwierigkeiten entgegenstehen könnten. Diese Quellen-Beweise brachte ich in den folgenden Jahren in großer Menge bei. Aber jede wissenschaftliche Sichtweise ist nicht mehr als ein vorgestelltes Modell der möglichen Wahrheit, welches als Indizien-Zusammenstellung, fortwährender Prüfungen bis zur letzten relativen Sicherheit zu unterliegen hat.]

Ihm ging es stets um die Sache und nicht um die Person, und so pflegte er mit manchem Kontrahenten in wissenschaftlichen Dingen durchaus freundschaftlichen Umgang. Dabei war Düwel, wie er mehrfach gesagt hat, „ein großer Freund vom ‚Sie‘“ – das Siezen half ihm offenbar, die fachliche Objektivität auch gegenüber Weggefährten zu bewahren. Diese fachliche Objektivität war gepaart mit einem erstaunlichen Ausmaß an Selbstkritik, die ihn bisweilen dazu bewog, eigene Ansichten beim Auftreten überzeugender Gegenargumente über Bord zu werfen. So etwa zog er seine Ende der 1990er Jahre vorgelegte Deutung der prominenten Runeninschrift auf der „Gürtelschnalle von Pforzen“, bei der ihm allerdings selbst „nicht wohl“ gewesen war, vor kurzem nicht nur zurück, sondern begründete dies auch ausführlich – eines von vielen Beispielen für seine Redlichkeit.

[Erst ich brachte eine exakte Lupenbegutachtung der Runenschnalle bei; siehe dazu meinen Aufsatz RUNENSPANGE VON PFORZEN - GOTTESSTREITER oder MASKENFEIND ? - Auf Klaus Düwels Ausführungen zur Pforzen-Runenschnalle in „Die Franken“, Katalog-Handbuch, Reiss-Mus. Mannheim, Bd. 1+2, 1996, wo es heißt: „Jeder Deutungsversuch hat mit der Lesung und Erklärung des Objekts zu kämpfen. Ein erster sieht in elahu ‘Hirsche’ eine Anspielung auf den heidnischen Brauch von Hirschverkleidung und -ver-wandlung, der in der kirchlichen Literatur des 7. und 8. Jh. gebrandmarkt wird ...

könnte hier also eine Verurteilung heidnischen Brauchtums und damit eine Annäherung an den

christlichen Glauben ausgedrückt sein“,

kritisierte ich damals wie folgt: „Die bislang von offizieller Seite vorgelegten Übersetzungen und Deutungen der Inschrift müssen nach sehr sorgfältiger Lupenprüfung des Originals, sowie eines von mir erstellten Diapositivs, als in der Wiedergabe ungenau, unvollkommen und in Übersetzung unkorrekt, beanstandet werden. Ich zeige hier die exakte Abbildung der Inschrift im Vergleich mit der offiziellen, und erbringe die sich aus den faktischen Gegebenheiten ableitende Verdeutschung mit den erklärenden Verständnishilfen. … Und: „Soweit die Darlegungen aus dem Begleitkatalog zur großen Frankenausstellung im Reiss-Museum zu Mannheim, S. 449f und 959. Wir werden sehen, dass beide Personennamen ungenau gelesen wurden. Dass darüber hinaus in größter Ungezwungenheit

das Wort „elahu“, was nichts anderes als „Hirsch“ bedeutet, zur „Hirschverkleidung“ verzerrt wird,

um eine „Annäherung an den christlichen Glauben“ herauslesen zu können. Das ist skandalös.]

Gerade die sog. Schulwissenschaft, welche der Laienforschung so gerne den Stempel der Unseriosität aufzudrücken bestrebt ist, sollte sich derartiger Freizügigkeiten enthalten, wenn sie den von ihr selbst vorgegebenen Maßstäben gerecht werden will. Wir erkennen an diesem Beispiel die Relativität auch „wissenschaftlicher“ Publikationen. Jede Zeit unterliegt einer Tendenz. Eine Manie unserer Zeit scheint, eigenständige heidnisch-germanische Funde möglichst als „mediterran beeinflusst“ oder „christlich geprägt“ umzudeuten, um ihnen den Charakter originärer Zeugnisse abzusprechen. Keine heidnischen „Hirschverkleidungen“ sollen verdammt werden - davon ist in Wahrheit überhaupt keine Rede in der fraglichen Runeninschrift. Vielmehr wurde das genaue Gegenteil demonstrativ ausgesagt: Hier wird ein Bekenntnis abgelegt zur volksreligiösen Hirschverehrung bzw. zum Gottesstreitertum für den heiligen Sonnenhirsch. … Eine solche verchristlichende Fehldeutung gelingt nur bei völliger Nichtbeachtung des umfangreichen epigraphischen Kontext. Nicht der geringste Hinweis findet sich, welcher auf christlichen Einfluss hinweisen könnte - weder an der Schnalle selbst noch an den übrigen Grabbeigaben des Kriegers.“]

Ihm war natürliche Autorität eigen, und so trat er niemals als die Koryphäe auf, die er war, sondern blieb bescheiden. Klaus Düwel war ein sehr geselliger Mensch und liebte gehaltvolle Gespräche über Gott und die Welt; er war ‚vielseitigst‘ interessiert. Vor allem lachte er gerne, nahm das Leben von der heiteren Seite und wusste eine Fülle belustigender Anekdoten zu erzählen, die er mit dem ihm eigenen Sprachwitz würzte. Besonderes Vergnügen bereitete es ihm, Wissenschaft und Alltag in treffender Weise zu verquicken. Während einer Auto(psie)reise durch Süddeutschland etwa beschrieb er als Beifahrer eine örtliche Gegebenheit in Freiburg im Breisgau sinnfällig mit den Worten: „Wir kommen da jetzt zu einer Kreuzung, die sieht aus wie eine Besenrune“ – eine (nur) für Runologen unmissverständliche Beschreibung der Wegsituation (ᛉ). Das vorrangige wissenschaftliche Interesse Düwels galt der Funktion von Texten bzw. ihrem ‚Sitz im Leben‘. Er verfolgte stets ganzheitliche Ansätze, interdisziplinäre Betrachtungsweise war für ihn kein Schlagwort. Er hatte einen ausgeprägten Hang zur Quellen- und Methodenkritik und plante noch eine Grundsatzarbeit über Wege und Irrwege in der jüngeren Runenforschung. Besonders ergrimmten ihn Arbeiten, in denen erprobte Ansätze dekonstruiert werden („manchmal ist das auch nur ein Kritteln“), ohne Sinnvoll(er)es an deren Stelle zu setzen. Er selbst strebte stets nach verständlicher Darstellung; die Klarheit seiner Argumentation ist ein bleibender Ausdruck der Wertschätzung seiner Leserschaft. Sein handgeschriebenes Schriftenverzeichnis, von dem mir nur der zweite Teil vorliegt, umfasst insgesamt 384 Einträge (ab Nr. 341 [2011] nicht mehr durchnummeriert, wobei mehrere Artikel in einem Lexikon- oder Zeitschriftenband einfach gezählt sind). Die Breite seines Wirkens aufzurollen, würde hier zu weit führen; die wichtigsten Aufsätze aus den großen Arbeitsfelder Düwels – Runenkunde, ältere Skandinavistik und ältere Germanistik – finden sich in drei Bänden kleiner Schriften. Dort nicht aufgenommen sind die zahlreichen Artikel in der zweiten Auflage des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde; Düwel war einer der wenigen, die an den 35 Bänden dieses enzyklopädischen Werkes als Fachberater und Autor von Anfang bis Ende (1968/1973–2005) mitgewirkt haben. Er war auch Teil des ‚Brakteatenteams‘ um Karl Hauck und hat die runologischen Abschnitte des Ikonographischen Katalogs, der großen Edition völkerwanderungszeitlicher Goldbrakteaten (1986–2011), verfasst. Mit der Person Klaus Düwels untrennbar verbunden ist die eingangs erwähnte Runenkunde, von der 1968 bis 2008 vier Auflagen mit immer steigendem Umfang erschienen sind; es ist betrüblich, dass er sich nun nicht mehr an der gemeinsam mit dem Autor dieser Zeilen geplanten fünften Auflage einbringen kann. Schmerzlich fehlt seine Stimme; wenn Düwel in der ihm eigenen lebhaften Art dozierte, konnte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. In seinen Formulierungen bei Vorträgen stets Präzision und Klarheit erreichend, vermochte er sein Publikum nicht nur in die Welt der Runen mitzunehmen. „Neugier und Staunen“ – so der Titel eines nun postum erscheinenden Aufsatzes, der auf Vorträgen in Wien (2016) und Bonn basiert – trieben ihn an. Dabei war es Klaus Düwel selbst, der Neugier weckte und seine Zuhörerschaft in Staunen versetzte, seien es Studenten im universitären Unterricht oder Fachkollegen auf Tagungen. Er war ein glänzender Hochschuldidakt; so sehr wurde er von seinen Studierenden geschätzt, dass sie ihm zu seinem Abschied aus dem aktiven Dienst am Campus der Universität Göttingen eine Linde pflanzten und daran eine Gedenktafel anbrachten, naturgemäß in Runenschrift. Aus dem juvenilen Spross ist in der Zwischenzeit ein stattlicher Baum geworden – ein treffliches Symbol für die gedeihliche Lehr- bzw. Forschungstätigkeit und den daraus entstandenen Wissenszuwachs seiner Studierenden. Woher kam aber die tiefe Begeisterung für sein Fach, die er so intensiv und großzügig mit Studenten- und Kollegenschaft teilte? Vielleicht ist die Ursache in den Entbehrungen seiner Mittelschul- und Studentenzeit zu finden, in der bisweilen notwendigen Entscheidung, entweder sich zu verpflegen oder es warm zu haben. Aus der zeitlichen Distanz scheint es, als habe er sich seine Ziele mit Selbstdisziplin ‚erlitten‘. Und wahrscheinlich erklären diese Entbehrungen auch die spätere große Freude an Kultur. Als es ihm endlich möglich war, Opern, Theaterstücke und Konzerte zu besuchen, tat er dies in reichem Maße. Schon während seines Gastsemesters in Wien zu Ende der 1950er Jahre nutzte er jede sich bietende Gelegenheit, um Aufführungen zu besuchen, natürlich meist auf Stehplatz. In seiner letzten Lebensphase entwickelte er auch zunehmende Begeisterung für die bildende Kunst, die ihm seine Lebensgefährtin Gabriele Siemers-von Loeper näherbrachte. Es war jedoch die Musik, die den größten Stellenwert in seinem Leben hatte; die Leidenschaft für Musik gab er auch an seine Kinder und die Enkelschar weiter. Noch knapp vor seiner Operation schmiedete er für seinen nächsten Wienaufenthalt – Anlass wäre die Präsentation der Edition südgermanischer Runeninschriften und seiner Scandinavica minora geworden – genaue Pläne: Er wollte unbedingt Staatsoper und Musikverein besuchen, auch das Café Landtmann und das Burgtheater standen auf seinem Wunschzettel; schade, dass es zu all dem nicht mehr gekommen ist! Am Klavier in Klaus Düwels letzter Wohnung in Hamburg waren noch die Noten der Tänze von Franz Schubert, seinem Lieblingskomponisten, aufgeschlagen. Dass Wien bis zum Schluss in ihm geklungen hat, vermag die Trauer über den Verlust dieses góðr drengr etwas zu mildern.  Robert Nedoma (Sonderdruck aus dem Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)