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Die 10 - ,- Gegensatz im gerundeten Ganzen
Die 10 spricht vom Abschluss der Grundzahlenreihe - mithin von der Vollkommenheit des aus der 10-Finger-Rechnung hervorgegangenen Dezimalsystems. Sie ist die Summe der 4 Welt-Elemente, Erde , Luft , Feuer , Wasser : 1+2+3+4=10. Die daraus resultierende Schöpfung vermag den Rahmen des Stofflich eigentlich nicht zu überwinden. Der im Pantheon indogerm. Hethiter höchste Gott wurde ideographisch durch das Zahlzeichen für 10 dargestellt. In altind. Vedalehre (Chândogya-Up. 4, 3, 8) wird die 10 zur Erklärung der makrokosmisch-mikrokosmischen Weltgesamtheit herangezogen: „Dieses, fürwahr, sind die fünf einen [Wind, Feuer, Sonne, Mond, Wasser] und die fünf andern [Odem, Rede, Auge, Ohr, Manas], welche zehn ausmachen. [...] Durch sie wird diese ganze Welt sichtbar.“ Dieser Ganzheitscharakter machte die Zahl tauglich herangezogen zu werden zur Aufstellung von Sittengesetzen von vermeintlich „kosmischer“ Tragweite nach Art der 10 buddhistischen Gebote, von denen 5 für die Laien und 5 für die Mönche bestimmt sind. Besonders die Pythagoreer achteten 10-Zahl. Sie bezeichneten sie als „allumfassende, allbegrenzende Mutter“, zusammengesetzt aus der Monas, dem Urgrund des Seins, der Dyas, der Polarität aller Erscheinungen, der Trias des Geistes sowie der Tetras der materiellen Weltordnung. Philolaos (Fragm. 11) bezeichnete sie als „allwirkend, göttlichen-himmlischen sowie menschlichen Lebens Anfang und Führerin“.
Die Pythagoreer gaben zehn Gegensätze an, auf welche sich alle Dinge zurückführen lassen: 1.) Grenze und Unendliches - 2.) Ungerades und Gerades - 3.) Einheit und Vielheit - 4.) Rechts und Links - 5.) Männliches und Weibliches - 6.) Ruhendes und Bewegtes - 7.) Gerades und Krummes - 8.) Licht und Finsternis - 9.) Gutes und Böses - 10.) Quadrat und Parallelogramm. Jeder dieser Gegensätze bildet ein Ganzes, ein Vollkommenes, welches dem besseren Verständnis der ursprünglichen Monas („Einheit“) dient. Die Zwei spaltet zwar das ursprünglich Eine in scheinbar nicht wiedervereinbare Polaritäten auf, doch diese verschiedenartigen Gegensätze können stets nur als Ganzes verstanden werden; ein Teil allein ergibt keinen Sinn. So ist es beispielsweise nicht möglich das Licht ohne die Finsternis zu denken; das Einzelne ist immer nur im Hinblick auf die ganzheitliche Einheit von beiden zu begreifen. Die Zweiheit, mit ihrem spaltenden Prinzip, wäre damit eine Ausformung der Einheit, die der Hervorhebung und Verständlichmachung der am Anfang stehenden Einheit dient. In der 10 findet die 1 ihre Erhöhung und Verdeutlichung in einer neuen erweiterten Dimension. Das Verhältnis von 1 und 10 entspricht metaphorisch dem Verhältnis der Eichel zum Eichbaum. So findet das pythagoreische Spalten in 10 Gegensätze eine Erlösung im Sinne des Ganzen. Platons Zeitgenosse Speusipp, der uns in seiner „Pythagoreischen Tafel der 10 Gegensätze“ die Vorstellung eines die Wirklichkeit in 2 Reiche teilenden Urgesetzes gelehrt hat, betonte schon, dass die 10 gleich viele gerade und ungerade Zahlen aufweist.35
Gleichnishaft besteht die 10 aus rechter und linker Hand; ins Theosophische übertragen, aus Gut und Böse; ins Kosmische gehoben, aus Lichtanstieg oder Lichtfülle und Lichtabstieg oder Lichtmangel. Sehr verständlich also, dass man die 10-Zahl auch „Kosmos“ benannt hat.36 Dann scheint die Rätselfrage Odins (Heiðreks gátur) aus der altnord. Hervarar-Saga nicht verwunderlich: „Wer sind die zwei mit den 10 Füßen, drei Augen und einem Schwanz?“ Die Beiden, die als kosmische allgöttliche Einheit mit ihren Füßen die Weltgesamtheit durchdringen sind Odin selbst und sein achtfüßiges Ross Sleipnir. 34entfällt
Feindliche Brüder
Im ODING-Kalender verdeutlicht sich der „pythagoreische“ Gedankengang des Runenschöpfers hinsichtlich des polaren Charakters der 10-Zahl: Das 10., deutlich polar gestaltete Runenzeichen (), versinnbildlicht das mythische Brüderpaar der germ. Alki. Ihr Zeichen steht im Idealjahr auf Mai-Anfang, dem alten Sommerbeginn mit dem heliakischen Plejadenaufgang, während ihr - im Jahreskreis polar gegengeordnet - die unholde 22. Rune () platziert ist, zum Novemberbeginn, mit Winteranfang und Plejadenuntergang. Die Alki müssen also als polare Gegengrößen verstanden worden sein. Ähnliches zeigt sich auf den Reliefs der Mithrasaltäre, dort wird der zentrale Mithras von seinen beiden Emanationen Cautes und Cautopates, flankiert; sie tragen nicht allein die aufwärts- und abwärtsgerichtete Fackel in Händen, sondern der eine gelegentlich einen Stierkopf, der andere einen Skorpion.37 Ebenso verhält es sich im Jahrkreis des ODING: Die 10. Rune befindet sich im astrolog. Stier (), die 22. Rune im Skorpion (). Mithras wurde gematrisch als das „Jahr“ definiert, die griech. Buchstabenaddition seines Namens ergab die Summe 365.38 Er besteht ganzheitlich aus den beiden seiner Abspaltungen, des jährlichen Auf und des Ab. Die germ. Alki sind deutlich ähnlich gedachte Personifikationen wie die beiden Erscheinungsformen des Mithras, dem Cautes und Cautopates der auf- und absteigenden Jahreshälften.
Die altnord.-eddischen Mythen erzählen von den Brüdern Baldr („Heller“) und Hödr („Haderer“). Sie erscheinen wie allegorische Söhne des Allgottes Odin, wie seine rechte und linke Hand, wie sein sehendes und sein blindes Auge. Der blinde Bruder Hödr, das absteigende Jahresprinzip, tötet den strahlenden Bruder Baldr, das lichte Jahresprinzip zur SSW (Edda, Baldrs draumar, 9) -, nach den ersichtlichen kosmischen Gesetzmäßigkeiten. Doch das Verständnis könnte tiefer bis ins menschlich Moralische gelotet haben: Der Schöpfer der schwed. Frithjof-Saga (Kap. 24) jedenfalls macht uns das glauben: „Die Menschheit ist ein kleines Bild von Walhall nur - und jedes Menschen Herz birgt seinen Balder und den blinden Bruder Höd - denn Böses ist stets blind geboren.“