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Die 22 - - Teuflischer Narr
 
Die 22. Rune steht für den Thursen (Eisriese und teuflischer Troll) und den Konsonanten „Th“, dessen Lautwert „Th“ und dessen QS 4 sich mit dem letzten semitischen, dem 22. Buchstaben „thau/thaw“ deckt, dem der Zahlenwert 400 beigemessen wurde. Aus 22 Konsonantenbuchstaben bestand das phönizisch-aramäisch-hebräische Alp­habet, das in seiner Unvollkommenheit, wegen der fehlenden Vokale, gegenüber den dominanten 24 griech. Buchstaben, vielen gnostischen Schulen der Antike keinesfalls als Ausfluss eines schriftspen­den­den hohen Weisheits-Gottes erschien, wie es der ägyptische Ibis-köpfige Thoth bzw. Djehuti war, sondern eher als Produkt des satanischen Typhon-Seth, dem sie den jüd. Stammesgott Jahwe gleichsetzten. Die Zahl 400 für den 22. und letzten hebrä. Buch­staben, gilt in der hebräischen Geisteswelt als „Vollendung“ und „Vergeistigung“, in anderen Kulturen gilt die 4 als Erdkreis- und Materiezahl. Die 22 Konsonanten sollen den 22 Schöp­f­ungs­werken Jeho­was entsprechen, den 22 Büchern des „Alten-“ und den 22 des „Neuen Testaments“ und den 22 Kapiteln der johan­nei­schen Apokalypse; auch den 22.000 Rindern Salomons und den 22 Tugenden des Chris­tos. (Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, 1925, S. 73 und Heinz Mey­er u. Rudolf Suntrup, Lexi­kon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen, 1987, S. 676f) Christliche Mystagogen kon­struierten aus hebrä. Begriffen (‘Ab Kal und Bar) die sie auf Je­sus ausdeuteten, die Zahl 202 heraus. (Georges Ifrah, Universalgeschichte der Zah­len, 1986, S. 344) Zum christl. Gottessohn, als lat. Agnus Deï („Lamm Gottes“), dem allegorischen Widder­lamm, gehört die Trächtigkeitsdauer des Schafes, die 22 Mo­nate beträgt. Vom jüd. Urmenschen Adam bis zu Jakob, bzw. zur Differenzierung der 12 Stämme, lebten 22 Väter-Generationen Israels. (Heinz Meyer, Rudolf Suntrup, Lex­i­kon der mittelalterl. Zahlenbedeutungen, 1987, S. 676f) Da nach Auffassung ka­bba­listischer Autoren Jah­wes Wort, Buchstabe und Zahl mit seinem Geist identisch ist, liest man dort: „Drei, Sieben und Zwölf sind Zahlen, aus denen die Welt besteht. Sie kommen in drei Bereichen der Natur vor: In der allgemeinen Zusammensetzung der Welt, in der Einteilung der Zeit und im Menschen.“ Diese drei Zahlen zusammen er­geben 22. Die Zahl ist mithin ein Symbol der hebrä. Denkweise, aus der sich zwingend der dialektische Monotheismus des Jahwekultes ableiten lässt: die Theo­sophische Addition von 22 bringt den Wert 253 mit QS-Kernzahl 1. Diese zahlen­mythologische Lehre lautet: Gott ist ein Einziger. Demgegenüber resultieren aus den arischen (runischen) Heilszahlen 24 bzw. 21 die Werte 300 (also 3) bzw. 231. Letz­te­rer besteht aus den ersten drei Zahlen, welche sich zur 6 addieren, und bei Theo­sophischer Addition ebenfalls in die 3 einmünden. Dieser Demon­stration entspricht der Umstand, dass sich das offizielle Judentum der Spätzeit streng ein­gottgläubig erklärte, während Babylonier, Ägypter und Indogermanen dem Gottes­verständnis in Gestalt von Triaden den Vorzug gegeben hatten.
 
Die Zahl 22 im Tarot
 
Überraschenderweise wird angeblich schon in „alten Handschriften“ die zahlensymbolische Bedeutung der 22 so beschrieben: „irrender Mann, Mißerfolge, falsche geistige Einstel­lung“. (Herbert Reichstein, Praktisches Lehrbuch der Ariosophischen Kabbalistik, 1931, S. 34f und Werner Zimmermann, Geheimsinn der Zahlen, 1948, S. 24) Im Ta­rot, den Orakelblättern des spätantiken Hermes-Thot, mit seinen 22 Arkanen („Ge­heimnisse“), trägt die 22. Karte, wennschon sie nicht regelmäßig als solche gilt, son­dern als „Null“, die Bezeichnung „der Narr“. Der Begriff Narr meint ja einen Ver­rück­ten, Tollen, Albernen, Toren, Irren, Rasenden, Wahnsinnigen, Geistes­kranken. Das Han­deln der auf den Tarot-Blättern abgebildeten Narren-Gestalten erscheint unüberlegt, traum­gleich, kind­haft. Es gibt Deutungen, die vom Wahn und der blinden Torheit des Menschen spre­chen. Worin diese Torheit letztlich besteht, zeigt zum einen der (nur) materiell wertvolle Goldgürtel, den der Narr um seinen Leib trägt, sowie der Du­katenbeutel, den er selbstgefällig demonstrativ am Schulterstecken mitführt. Der goldene Staub dieser Welt ist es, dem dies Geschöpf nachstolpert - immer getrieben von den wechsel­haften Lockungen der Materie. Nicht selten steht er mit einem Bein unmittelbar über dem Abgrund schwebend, so dass ihn der nächste Schritt schon ins Verderben bringen kann. Die Umgebung des Narren be­­schreibt ein Kenner als „die Welt der Lust, des Lasters, der Falschheit, Unehr­lich­keit und Selbsterniedrigung“.75
 
Der orientalische Ursprung der ersten italienischen Taraux-/Tarocchi-, der späteren Tarot-Blätter, zum Ende des 14. Jhs., ist nicht zu leugnen. Valentina Visconti (1366-1408) war es, die blondschöne Tochter des Herzogs von Mailand, vermählt mit dem französischen Herzog Ludwig von Orléans, die ein Tarotblatt ihrer Familie an den Pariser Hof brachte. Man warf ihr vor, sie trage eine Mitschuld an der zunehmenden geistigen Verwirrung ihres Schwagers, des französischen Königs Karl/Charles VI., dem der Maler Jacquemin Gringonneure im Jahre 1392 drei Kartenspiele anfertigte. Die tarotische sog. „Kleinen Arkana“ (kleines Geheimnis) bestehen aus 56 Farbkarten, 10 Zahlen und 4 Bildkarten in jeweils 4 Farben (z. B. Stäbe, Münzen, Kelche und Schwerter). Bei den Zahlen 5 u. 6 handelt es sich um die beiden letztlich identischen Welttotalitäts-Sinnbilder der Zahlenmythologie, die in ihrer Quersumme (QS) 11 bzw. 2 zum ur-gebärenden Zwitter mutiert. Das Tarot des „Großen Arkana“ umfasst einen Satz von 78 Orakelkarten. 7+8=15 mit QS 6, der Zahl der Weltgesammtheit. Im Oding-System steht die 7 für die Weltenmutter und die 8 für den Himmelsvater. Die gleichen zahlenmythologischen Grundverständnisse werden sichtbar. Die tarotische Einteilung der „großen Arkana“ (Geheimnis), von 22 Trümpfen, unter der Nummerierung von 0 bis 21, lässt auf hebräische Beeinflussung schließen, denn die 22 Karten stehen in der Tradition des 22-er des hebräischen Konsonantenalphabets. Nach jüdisch-mythologischen Vorstellungen zeigt sich darin, oder emaniert daraus, der jüdische Stammesgott JHWH-Jahwe-Jehova, denn schließlich wurde jede jüdische Aussage über dieses Gottesbild mit den 22 Buchstaben verfasst. Im diametralen Gegensatz dazu ist für die germanische Oding-Mystik die Zahl 22 eine antigöttliche Teufelschiffre, unter dem Begriff des Thursen. Die 22. Oding-Rune, der Thurse, steht im Zeichen des satanischen astrologischen Skorpions am Winterbeginn. Der dämonische Riese, in Alpenländern Türst geheißen, gilt - verblieben aus Heidenzeiten - als der große antigöttliche Widersacher. Im Luzerner Hinterland wird er als „höllischer Jäger“ bezeichnet, vor dem sich die Menschen an stürmischen, von Unwetter begleiteten Jahreszeiten hüten sollten. Im Hügelzug des Santenbergs, im Schweizer Kanton Luzern, will der sagenhafte Türst, mit seinen zahlreichen Kobolden, welche die Jäger auf Biegen und Brechen daran zu hindern versuchen, das sagenhafte Einhorn zu fangen oder zu erlegen. Etliche vorchristlich-heidnische Gemeinsamkeiten in Süd und Nord werden sichtbar. Ich schenke mir die Mühe, die 22 Tarot-Sinnbilder, Stück für Stück, mit den 24 Runen-Sinnbildern zu vergleichen. Ich führe einige nur zur groben Betrachtung auf. Ins Auge springt unvermeidlich die 21. Tarotkarte, „Die Welt“, sie meint das Universum und sei dem Saturn zugeordnet, was wieder auf den hebräischen Einfluss hinweist. Das ausgerechnet der greisenhafte, bleigraue, kalte, sonnenferne Planet, der als von Zeus in die Unterwelt verbannte Titan, auch als Herr der Schätze fungierte, der Weltenherr sein soll, entspricht jüdischer Sichtweise. Die Sabbatheiligung (hebräisch: Shabbathai) und der gestrenge Jehova ist astrologisch als Saturn gedeutet worden. Im englischen Tagesbegriff Saturday für Samstag ist der Bezug auf den Planeten Saturn noch heraushörbar. Die Griechen/Römer setzten den Saturn dem Titan Kronos gleich und die mittelalterliche Astrologie malte ihn traditionell mit einer Sichel/Sense und dem Stundenglas, woraus sich die Kennzeichen des Todes ableiten. Er steht für Unglück: Sorgen, Melancholie, Krankheiten und harte Arbeit, jedoch auch für strenge Ordnung und Maß. Dem Bild des „Guten, lieben Gottes“ entspricht er auf diese Weise keinesfalls. Das isländische Runengedicht bezeichnet, ebenso wie das Oding - obwohl zumindest ein halbes Jahrtausend zwischen ihren Aufzeichnungen liegen - den Saturn als Thursen, also Unhold und Antigott. Die Überlieferung des altisländischen Runen-Gedichts verteilt sich auf vier Manuskripte der „Arnamagnäanischen Handschriftensammlung“, die in Kopenhagen unter Signatur „AM 413 fol“ aufbewahrt werden. Ihre ältesten Teile gehen auf das 15. Jh. zurück. Das Isländische Runengedicht nennt den Asen Wodan „Alten Vater“, „Asgards Anführer“, „Herrscher Walhalls“, „Jupiter“ und „Spitzen-Führer“. Den Thursen, dämonischen Troll, aber nennt es „Qual der Frauen“, „Felsenbewohner“ (ein außerhalb menschlicher Sitten und Gebräuche Hausender), „Ehemann Vardhrúnas [Wachrune: Name einer Riesin]“ und „Saturn“, sowie  erstaunlicherweise „Führer des Things“, vielleicht wegen der saturnischen Ordnungsstrenge, falls es sich dabei nicht um eine kirchenchristliche Interpolation handelt.
 
Der Narr“ im Tarot wird in den üblichen Tarot-Erklärungen seltsam ambivalent erklärt. Man gab ihm Namen wie „Possenreißer“, „Joker“, andere Namen für ihn sind „der dumme Mann“, „der Tor“, „le Mat“, le Fou“ und „el Loco“, der Verrückte. Der Tarot-Narr trägt oft einen Sack, der mit einem Stab über seiner Schulter hängt, was sein weltliches Besitz- und Aneigungsstreben verdeutlichtlichen will. Eigentlich handelt es sich um die 22. Karte, als die sie auf einigen Varianten auch bezeichnet wird, aber da ein Narr nullundnichtig zu sein hat gilt sie als Null. Andererseits galt die Spiel-Karte „der Narr“ historisch teilweise sowohl als höchster Trumpf. Dem Tarot-„Narren“ wird aber auch das Element Luft zugeordnet, sowie der 1. hebräische Buchstabe „Aleph“ (Rind). Damit nähert er sich dem hebräisch-kabbalistischen „irdischen Urmenschen“, dem Adam Qadmon/Kadmon, der die Weisheit verlor, ebenso wie die Herrlichkeit und Unsterblichkeit. So symbolisiert der „Narr“ die jugendliche Unwissenheit, Unbekümmertheit des noch Unerleuchteten, eines sorglos Ins-Leben-Hineintretenden, dessen Albernheit als Narrenkappen- und Schellenträger verdeutlicht wird. Die an der konischen Mütze, oder dem Judenhut  des ältesten „Narren“-Bildes, angebrachten Eselsohren unterstreichen das. Seine Leichtsinnigkeit und Sterblichkeit wird unterstrichen, durch seinen Schritt, unmittelbar vor einem sich auftuenden Abgrund. Der Hinweis auf seinen Epikureismus, sein geiles Luststreben, kommt in den Erklärungen oft zu kurz. Es gibt Blätter auf denen eine Katze von hinten nach seinem frei sichtbaren Gemächte krallt, wie im „Tarot de Marseille“, Paris ca. 1650 von Jean Nobel, oder zumindest ihm die Hosen aufreißt, um sein Geschlecht bloßzulegen (Abb. 4 re.). Der Narr im sog. „Tarot von Charles VI.“, des 14./15. Jh., wohl 1392 gefertigt von dem franz. Maler Jacquemin Gringonneur (Abb. 4 li.), wird durch die knappen Unterhosen als Wollüstling gekennzeichnet. Es wird verwahrt im Kupferstich-Kabinett der Pariser Nationalbibliothek. Die Christenkirche legte besonderen, nachdrücklichen Wert auf die Verurteilung der Sinnenlust (lat.: luxuria), die sie bekanntlich sogar unter die „Sieben Todsünden“ rechnete. Um seine Nähe zum Laster der Fleischlichkeit abzubilden wird ein Narr halb nackt bzw. mit unzureichender Kleidung dargestellt. Er zeigt damit, dass er sich der fleischlichen Liebe verschrieben hat. Bezogen auf die Bibel ist Nacktheit ein Sinnzeichen für Ehrlosigkeit und Verworfenheit und ein äußeres Zeichen der Abkehr des Menschen von Bibelgott. Dieses Tarotblatt zeigt den Narren mit der damals üb­lichen Judenhaube (vergl. z.B. Hut des Abia in „Stammbaum Christi“, Otthein­richs­bibel 15. Jh., Bayr. Staatsbibl. Cgm. 8010) und den Eselsohren, welche für den Teu­fel wie auch für den Juden bezeichnende Attribute darstellten (z.B. Synagoga mit Teu­felskopf / -Eselsohren von 1284 im Kloster Pöhlde). Beide wurden gern, der kirchenchristlichen Agenda folgend, als Nar­ren aufgezeigt, die trotz oder gerade wegen ihrer Überschläue letztlich in die selbst ausgelegten Schlingen hineintappen. Der Esel ist seit alters her ein Sinnbild der Faulheit, Geilheit und störrischen Eigenwilligkeit. Schon im Römischen Reich hielt man die Hebräer für Eselsanbeter (Tacitus Hist. V.3-4). Die Zusammenstellung der personifizierten Synagoge mit dem Esel (z.B. Min. 12 Jh. Hortus deliciarum) erklärt sich aus dem antiken Esels-Mythos, dem negativen Judenbild im Abendland, min­destens seit Tacitus, und dem Umstand, daß der Esel auch zur „zweiten Sonne", zum Saturn, dem Stern Israels gehört. Die Juden stufte man schon wegen ihrer Sab­bat­heiligung (Sabbat / Samstag = Saturntag) als Planentenkinder des Saturns ein (Tacitus, Hist. V.4). Gott Saturnus und Jahwe erschienen ein und dieselbe graue, alte, böse Gestalt zu sein. Dieser Planet hat eine Sonnenumlaufzeit von 10.759 (QS 22) Tagen. Der Saturn gilt Astrologen bis heute als verneinendes, pervertierendes, spottversessenes, behinderndes, Kälte ausströmendes, macht­gieriges, tötendes Prin­zip, das Übel schlechthin, der „maleficius major“, das Böse, das Schwere, des erdhaft stofflichen Besitzes, des Geldes, der irdischen Güter. Wie der Narr mit dem Teufel gleichgesetzt wurden, ist ebenfalls daran ersichtlich, dass ums 15. Jh. herum süddt. Volk den Teufel Hansel, Hänsli oder Haintzle nannte, da nun der Narr als ein Abbild des Leibhaftigen erschien, gab man den Narren, auch den Fasnachtsnarren, gleichfalls den Sammelnamen Hansele.
 
Abb. 4 - Tarot-Karte „Der Narr“ - 4a aus 1392, 4b aus 1889, von Oswald Wirth, alter Bildtradition folgend.
 
So ist es nur konsequent, dass der abgebildete Tarot-Narr im sog. „Tarot von Charles VI.“ eine anlockende Schellenkette, von 13 Glöckchen, seinen  stoffbetörten 4 „Narrenkindern“ erklingen lässt. Und diese ihrerseits die eitlen Güter wertloser Kieselsteine auflesen, welche sie für Gold, Münzen, Edelgesteine halten. Dieses hochmittel­alter­liche Tarotbild mit seinen weitreichenden Symbolbezügen scheint deutlich aus sehr altem Verständnis hervorgegangen und in geistigen Traditionen verwurzelt zu sein, die ebenso das Runen-ODING mitprägten (in beiden Systemen wird die 21 positiv, die 22 negativ bewertet). Hier ist ins Bild gesetzt, was der Runenschöpfer unter dem Begriff des Thursen (isl. Runengedicht nennt ihn Saturn), des teuflischen Riesentrolls, verstanden haben muss: Ein allegorisches Wesen, welches die menschlichen Erz-Untugenden in sich vereinigt: die Ur-Dummheit, die Ur-Überhebung und -An­maßung, die materielle, woll­üstige Ur-Gier und, besondere herausgestellt, seine satanische Verführungskunst zu den Gütern der Welt. Obgleich heutige Tarot-Erläuterungen den „Narr“ milder zu deuten pflegen, weisen einige Symptome, insbesondere der ins Bild gesetzte Abgrund sowie der oftmals begleitende Hund (Unterweltssinnbild), auf den eigentlichen Sinn der Karte hin: Es ist die Warnung vor dem Absturz in die Stof­fwelt und in den fleischlichen Tod. In Papus, Gérard Encausse „Tarot der Zigeuner“, 1889/1979, S. 158, heißt es treffsicher: „Er [der Narr] geht, oh­ne auf den Weg zu achten, auf einen Abgrund zu, wo ein Krokodil darauf wartet, ihn zu verschlingen. Das ist das Bild eines Menschen, der von seinen Leidenschaften beherrscht wird und ihnen nicht widerstehen kann. Es ist das Symbol des FLEI­SCH­ES und seiner Befriedigung. Den damit ausgedrückten moralischen Standpunkt ge­ben folgende vier Zeilen von Eliphas Lévi  [Tarotkenner u. Buchautor 1816-1875] über dieses Symbol treffend wieder: „Arbeiten, seine Aufgabe erfüllen, ist Leidens­grund, / Ist Unglück dem Faulenzer, der schläft auf dem Pfad, / Der Schmerz folgt seinen Fersen wie ein räudiger Hund, / Jeder verlorne Tag ist für den folgenden Teu­felssaat.“
 
Die QS der 22 ist 4, sie spricht  von nackter Materie, dem Gegenpol zur neben­ste­hen­den 21, der geistgöttlichen QS 3. Der Pseudomethodius, eine im 7. Jh. in Syrien entstandene Schrift, nicht heidnisch zwar, verbreitete sich über die einge­schlos­se­nen, zum Weltende losbrechenden 22 fürchterlichen Völker.76 Diese Schreck­ens­vi­sion ist auch aus der Edda (Vsp. 49-52) wohlbekannt. Dort heißt es: Der Wolf zer­reißt seine Fesseln - von Osten stürmen die Thursen - die Weltschlange wälzt sich heran - vom Norden segelt ein Schiff, durch Loke ge­steu­ert, besetzt mit den Trol­len der Un­terwelt - von Süden verheert der Flam­men­titan Surt - der Himmel zerbirst. Die Welt der Materie, definiert durch die QS 4, wird schließlich durch sich selbst, näm­­lich die „Vier apokalyptischen Reiter“, wieder ins Chaotische zurückgeschleu­dert. Ed­disch gesehen und intuitiv gedeutet, sind diese rasenden Repräsentan­ten der 22: der sich ringelnde, d.h. sich selbst auffressende Weltenwurm heilloser Wiederge­bur­ten; der Wolf der skrupellosen, menschenverachtenden, materiellen Gier; Surt, das verzehrende schwarze Feuer, im Sinne von mhd. serde und surt, der Versehrung und Schändung durch Krankheitsgei­ster / Seuchenzüge; und Loke/Lokke, die Lügenspinne viel­fältiger ideologischer Täuschungen.
 
Die 23 - , - Ur-Opfer
 
Abb. 5 - Stieropferscene-Marmorrelief, um 122 n.0, Gedenktafel vom Altar des Domitius Ahenobarbus wurde auf dem Marsfeld in Rom gefunden. Ausstellungsort: Louvre/Paris
 
Abb. 6 - Sonnenstier-Opferung auf dem altthüringische Goldbrakteaten „D-Obermöllern-IK477“, rot hervorgehoben, die Urstier-Rune, mit den Kugelförmigen Hornspitzen-Endungen, wie wir sie aus mehreren germ. Stierfiguren-Funden kennen. Hat der Prägemeister des Amuletts auch die Urstier-Runenzahl 23 in sein kleines Werk eingearbeitet ?
 
Die 23 setzt sich zusammen aus der 2 des androgynen, zwittrigen Urvaters und der 3 seines Lichtsohnes. Zusammen resultiert daraus die Ur-Opferzahl 5 (vgl. 5. ZS) der Geistes­einheit von Vater und Sohn, welche, eingehend in die stoffliche Welt, ihr Geist­sein zugunsten der Schöpfung im Ur-Opferakt hingeben. Ein völkerwan­der­un­gs­zeitl. Geleitmünzenbild des Goldbrakteaten „Sejerslev-Klitter-C“, führt den Tod des solar-göttlichen Op­fer­stieres vor (vgl. Abb. 48). Zuammen mit dem überbetonten Sonnenauge der an­thro­pomorphen Gestalt, sind genau 23 Kreischen als Zähleinheiten im Bild und ver­deutlichen einmal mehr, dass es sich um das Zahlensinnbild für das germ. Gott-Mensch-Tierliche-Großopfer handelt.
 
Die 24 - - Vollständigkeit (Totalität)
 
Die 24 beinhaltet QS 6 (vgl. 6. ZS). 24 ist die Zahl der Stunden des Tages und der Halbmonate eines altind. Sonnen­jahres. Der Veda sagt (Satapatha Brah­mana 10.4,2,2 u. 18): „Dieses Jahr, dieser Prajapati, schuf alle Geschöpfe, was Atem hat und was nicht, beide, Götter und Menschen [...] Insofern er sich 24 Selbste mach­te, deswegen hat das Jahr 24 Halbmonate.“ Das ind. „Gesetzbuch des Manu“, mit sei­nen 24 Kapiteln, soll uralt sein und repräsentiert noch heute die Grundlage der Hin­du-Religion. Zahlen­mythologisch erscheint die 24 als Produkt von 3x8, d.h. dem dreimaligen Vorhandensein des indogerm. Himmels- und Urgottes (). Dreimal ist er zeitlich und räumlich präsent, in allen 3 Welten des Oben, des Unten und der Mitte sowie in den 3 Zeiten, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das griech. und das germ. Alphabet besitzen analog solchen Verständnis­ses 24 Buchstaben, unter deren Zuhilfenahme die Gesamtheit aller Erscheinungen bedacht und ausge­spro­chen werden kann. Da der Mensch allein in Wortbegriffen folgerichtig zu den­ken und allein mit Hilfe von Zahlenwerten die Welt zu ermes­sen vermag, so wurden die bei­den Instrumen­tarien der Entwicklung menschlich­en Geistes ins wahrhaft kosmische Bewusst­sein, zur mystischen Einheit von Buchstabe und Zahl zusammengestellt.
 
Von Aristoteles erfahren wir in seiner „Metaphysik“ (A. 5,986 a), die Py­thagoreer hat­ten in die 24 Buchstaben die „Gesamtheit der Glieder des Himmels“, also die Totalität des göttlichen Raumes, hinein­gedeutet. Den 12 Zodiakzeichen stellte die hellen­is­ti­sche Astrologie seit dem 2.Jh. v.0 jeweils 2 Buchstaben bei. Seitdem man in den Sternen las, empfand man den Zusammen­klang zwischen Himmels- und Buch­sta­ben­schrift - „Das Weltall entspricht dem Alphabet“, so war die Über­zeugung.77 Das Weltwerden als Kreislauf zu verste­hen und dementsprech­end Buch­staben in Kreis­form anzuordnen, war nichts außergewöhnliches für jene Zeit, in der wir die Ru­nen­entstehung annehmen müssen. Beginnend im 1. Jh. v.0, beson­ders das 1. Jh. n.0 erlebte eine Re­nais­sance der griech. Philosophie, der Or­phik und des Neupytha­go­reismus, welche die Lehre der ewigen Wiederkehr geradezu ins Zentrum ihrer Ver­kündi­gungen em­por­hoben. Orp­heus, Py­thagoras und Platon schöpften aus dem Urstrom des vedisch-avesti­schen - auch sicher des keltisch-druidischen Geistes. Sie verhießen die unsterb­liche Seele, dass also der Mensch nicht zum Tode, sondern zum Leben bestimmt sei.78
Unter dem sog. „frühchristlichen“ Schriftenfund von Nag-Hammadi befindet sich eine gno­stisch-iranische Schilderung des Zostrianos von seiner Himmelsreise durch die Got­teswelt (NHC VIII,1), also eines Anhängers der Zarathurstra-Religion. Im Text heißt es, dass er ewig lebt, diese Worte aufgeschrieben habe als er in der Welt (Kosmos) war, um die Seelen der Auserwählten seiner und folgender Generationen zu retten, zu erlösen, indem er ihnen die Wahrheit sagt. Auf Seite 132 Zeile 9 endet die Schrift mit einem Geheimtext von drei Achterreihen des griech. Alphabets, des­sen Auflö­s­ung  durch Umkehr möglich wird. Nicht anders werden die Runen nach der Überlieferung in drei altn. ættir („Geschlecht / Sippe / Familie / Abstammung“) von je acht Zeichen einge­teilt (vgl. z.B. Runen-Goldbrakteat von Vadstena/Schweden).
 
Auch christl. Gnostiker ließen sich vom Buchstabenkult inspirieren, dazu gehörte Ba­silides aus Syrien, der um 130 bis 140 in Alexandrien lehr­te. Sein Hauptwerk, eine Auslegung des Evangeliums in 24 Büchern ist verschollen. Ebenso der Magier Mar­kos, mit dessen Lehre Irenäus im zweiten Drittel des 2. Jh. n.0 in Gallien in Berührung kam, betrieb neupythagoreische Buchstaben-Alle­gorese, wie sie uns in feinerer Form als Runen-ODING entgegentritt. Die Mar­kosier lehrten: „Nicht nur die 24 Buch­staben, sondern auch die mit ihnen bezeich­ne­ten 12 Stunden und Himmels­zo­nen bilden ein in sich ge­schlossenes und gerundetes Ganzes. Sie sind zusammen der Äon, das Urbild der Zeit, ebenso wie die Fülle der Elemente, aus denen sich die Welt zusam­mensetzt. Da aber Mikrokosmos und Ma­kro­kosmos sich ent­sprechen, da der Mensch eine Welt im Kleinen, die Welt einen Menschen im Großen darstellt, so ist auch die­ser Buchstaben-Äon menschenge­stal­tig mit Haupt, Leib und Gliedern“, bei Markos eine Lichtjungfrau. 79
 
Die rechte Runen-Reihenfolge
 
Basilides, Markos und andere kamen ersichtlich aus gleicher Schule wie der Runen­meister, mag es Erul, oder wer auch immer, gewesen sein. Gehen wir davon aus, wird begreiflich, warum seine Ru­nen­stabreihe rechts mit dem Begriff 0d () be­ginnt und links mit Futh ( ) endet. In altgerm. Bedeutung muss od, altn. („Ge­müt / Geist / Se­ele“) - noch für uns verständlich - etwas gemeint haben, das mythisch gesehen, dem Leibhaft-Körper­lichen vor­aus­ge­ordnet erschien. In alt­n. Lautung be­deutet od, odd („Spitze“), Oddviti („Anführer / Spitzen­weiser), altn. oddr, dän. od, schwed. udd („Spitze / Gipfel). Oddviti wird der Ase Odin (Wodin) noch in einer Zusatz­be­merk­ung zum mittelalterlichen isländ. Runenreimwerk getitelt. Das entge­gen­gesetzte En­de der Runenreihe ist leicht als „Hintern, Fott, Endteil, Fuß“ zu verstehen, wie das damals für eine bestim­mte Dialekt­gruppe vielleicht sogar recht genau, groblautlich aber für den ge­samten gemein­germ. Be­reich ver­ständ­lich ge­wesen sein muss. Es grenzt an ein Wunder, dass bei alledem, was der Runen­schöp­fer in seinem Buchstaben-Maßwerk zu berück­sichtigen hatte, er auch noch diese Idee - ebenso wie es Markos tat - einzugliedern ver­moch­te. Kopf und Fuß besitzt also dieser Körper, bestehend aus 24 Buchstaben. Und auch hiermit gibt uns der Meister noch einen tiefsinnigen, philosophischen Rat. Der sinnbild­hafte Kopf, das O (O-Rune.JPG), raunt von unvergänglicher Seelenkraft aus feinstoff­lichem Ur-Etwas, wohin wir uns zurücksuchen sollen, aber keinesfalls als Traum­tänzer und haltlos jenseits­flüch­tige Spe­kulanten. Vielmehr bedürfen wir auch des F (), des festen Fußes der pe­kuni­ären Grundlage, denn hierbei handelt es sich auch um ein Syno­nym für „Vieh“ bzw. „Hab und Gut“. Trotz sei­ner Wichtigkeit muss es nach­geordnet sein; so liegt die ganze Runen­welt zwischen O und F, zwischen Seele und Besitz, zwischen Geistlichem und Stofflichem, beschlossen.
 
Die meisten Skandinavisten gehen heute von der rechtsläufigen „Runenreihenendung“ „D>O“ aus, wie sie der gotländische Kylverstenen vorführt, doch es gibt noch Gegenstimmen. Das einleuchtende Argument für den linksläufigen Runenreihen-Beginn „O>D“ ahnte ich bereits 1981 und in meinem Runenbuch „ODING-Wizzod“, 1993. Ich interpretierte den Begriff „od/oding“ mit „Seele/Geistding/Geistprodukt“ und das Runen-Ende mit „F/fuð“ mit „Fuß“, was nur unwesentlich heute exakt in „Fott,Fotze/Hinterteil“ korrigiert werden darf. Unter „fuð-a/u“ verstand man im Altnordischen das untere/hintere Ende von Mensch und Getier vom Fuß bis zur Hüfte. Die an. fuð f., im Fundus der Runeninschriften mehrfach belegt, entsprechen mhd. vud /vut. In der obszönen Inschrift ums Jahr 1200, eines Holzstücks von Bryggen bei Bergen/Norwegen, wird einer als fuðsllæikir (Vulva-Lecker) bezeichnet, auf einem flachen Holzstab steht: felleg er fuð sin bylli fuþorglbasmfuðorglbasm („schön ist die Vulva, möge sein Penis sie füllen“), ein Knochenstück aus den 1000-er Jahren von Schleswig trägt die Teilinschrift: fuðarsb („Vulva/Hintern“). Siehe dazu: Carita Holm/Uppsala, „Sexuelle Runeninschriften”, 2013. Diese späten wikingerzeitlichen Belege werden ergänzt von den mittelalterlichen Inschriften, wie auf Goldbrakteat Schonen II-C: fuði, der Silberbügelfibel von Beuchte mit fuðarking (letzte Rune ist als „ng” und nicht als „j” zu lesen), dem Brakteaten Gudme II-C (IK 392) mit fuðar. Bereits die Inschrift des Bronzeamuletts von Högstena, aus ca. 1100, gebraucht den Begriff fuð, nicht im Sinne der Vulva, sondern in Übertragung auf einen zu schmähenden Menschen, was bei der Beuchter Bügelfibel-Inschrift, mit der Selbstbezeichnung fuðarking auszuschließen ist, da es abwegig wäre anzunehmen, es käme einer auf die Idee, sich selbst als „Fotzerich“ auf einem Schmuckstück zu verewigen, es sei denn, dass er in schelmischer Weise seiner Neigung Ausdruck gab. Die diversen runischen „fuð”-Ritzungen bedürfen also genauer Beachtung ihrer Begleitmerkmale, um sie semantisch deuten zu können. Ihnen allen aber ist eines gemeinsam, nicht unbedingt das primitiv Sexuelle, jedoch immer der Begriff des Hinteren, des Schäbigen. Es ist nichts weniger als albern, annehmen zu wollen, ein Theosoph hätte sein kosmologisches Zeichensystem mit dem „Hintern“ anfangen lassen wollen. Mit dem in der Antike so verstandenen Seelenlaut „o“ aber sehr wohl, und mit einem Schlingenzeichen noch einmal mehr, das auf den mittelalterlichen Goldbrakteaten ebenso als (Seelen-) Schlangenzeichen auftritt. Siehe dazu Brakteat „Dänemark-B“ (Karl Hauck, „Goldbrakteaten aus Sievern“, 1970, S. 193 ff). Auf dem dänischen Brakteaten „DR BR18 – SKOVBORG“, der das kultische Schießspiel mit Baldur und Loki ins Bild setzt, ist sowohl die Od-Schlange (Od-Schlinge als Schlange fortgeführt) wie der Od-Vogel (Od-Schlinge mit aufgesetztem Vogelköpfchen) zu sehen. Hinzu kommt der bedeutsame Umstand, dass es im eddisch-germanischen Pantheon den Gott „Od“ gibt, offenbar der göttliche Urgeistvater, eine frühe Form des Wodan-Odin, denn die gemeingermanische Hauptgöttin Frija/Freya ist, wie es in der Völuspá heißt, „Óðs mey“, also „Ods Braut“. oder im Skáldskaparmál (Kap. 20) „Frau von Óðr”. Das an. Substantiv bzw. Gegenstandwort óðr meint Geist, Seele, Lied, Idee, Eingebung, Inspiration (im negativen Sinn: Wahn), Besitz, Gut. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dieser geistig-seelische Komplex sich allein für eine Metapher zu Weltwerdung eignet. Denn alle materiellen Werdungen bedürfen, menschlichen Erfahrungen entsprechend, eines vorangegangnen Planes, eines geistigen Entwurfes. Das 24-stabige Ur-Runenkonzept beginnt also mit dem „od-ing“ = Geistprodukt und endet mit dem „fuða“ = Hintern. Dass eine rechtsbeginnende Runenreihenlesung die ursprüngliche gewesen sein muss, liegt schon deshalb auf der Hand, weil nach altgläubiger Regel alles Gute mit Rechts zu beginnen hatte ! Das Linke bzw. die linke Seite galt allezeit als das Nachgeordnete, Zweitrangige, Falsche. Die entschlüsselte pauschale und erste Runenbotschaft: „Heil vom Haupt bis zum Hintern“ und „Heil vom Geist bis zum Geld“ bedeutet die unmissverständliche Aufforderung zur ausgewogenen Lebenshaltung und keineswegs zur Weltflucht, wie es der späteren kirchenchristlichen Tendenz entsprach. Zur Beachtung und zur Pflege des Geistes und der Seele fordert der Runenreihen-Beginn „od“ auf. Das heißt: „Beachte zuerst die Seele !“ Ganz gleich, ob die 1. Rune „o“ „oðala“, mit „ð“ oder „d“ geschrieben wurde, das Schlingenzeichen wurde in kursiver und eckiger Form als Seelensymbol eingesetzt. Als nachgeordnet muss die letzte Rune „f“-„fehu“ verstanden werden. Sie bedeutet „Vieh“ und meint damit „Vermögen/Geld“, weil in alter Zeit über den unterschiedlich großen Viehbestand eines Herdenbesitzers sein Wohlstand definiert wurde. Auch bei den Römern kommt der Begriff für Geld, lat. pecunia, aus „pecu“ = „Vermögen an Vieh“. Die daraus resultierende Botschaft heißt: „Geld und Gut sind wichtig, sie sind die Basis jeder menschlichen Existenz, aber trotzdem sind sie zweitrangig; wichtiger ist das Geistige !
 
Die Erklärung, warum einige Runen-Funde vorliegen, welche allein die ersten, mit „f“ beginnenden Zeichen, vorführen, kann nur die sein, dass von einem gewissen Zeitpunkt ab die als Urform angedachte Verständnisweise des geheimen „o-d“-Hauptes in Vergessenheit geriet - oder bewusst abgelehnt wurde - und der profane Schreibgebrauch das linksbeginnende „futhark“-Konzept annahm. Dazu könnte ein Fund Aufschluss vermitteln. Die Runenfibel von Beuchte, Ldkr. Goslar, Niedersachsen, stammt aus einem kleinen merowingerzeitlichen Gräberfeld, in dem eine etwa 1,60 m große Frau im Alter von 18-40 Jahren bestattet lag. Die Tote gehörte aufgrund ihrer Ausstattung vermutlich zu einer Familie thüringischer Herkunft. In dem Grab befanden sich neben der Runenfibel noch weitere reiche Beigaben. Der Entstehungszeitraum der Fibel lässt sich anhand der Tierstilverzierungen relativ sicher bestimmen, er lag im ersten Viertel des 6. Jhs. bzw. zwischen 501-550. Die deutliche und markant geritzte Runenfolge erweist sich als eine Schenker-Inschrift, gerichtet an die Dame eines Mannes namens „Bursio“, der sich als „fuðarking“ bezeichnet. Diese Inschrift zeigt, dass es schon im Frühmittelalter Deutungsdifferenzen, also zerstrittene Glaubensparteiungen, hinsichtlich der theosophisch verstandenen Runenreihe gab, denn anders wäre die plakative Selbstbezeichnung „Ich der Fuðark-Anhänger“, nicht erklärbar.